Aktienmärkte: Genau hinschauen lohnt sich (EuramS)
05.09.2004 11:00:00
Nach den schwachen Sommermonaten steigt die Stimmung an den Börsen wieder. Die meisten negativen Nachrichten hat der Markt bereits vorweggenommen. Im Vergleich zu US-Titeln sind vor allem deutsche Aktien so günstig wie lange nicht
von Thomas Schmidtutz
Irgendwie ist Rofin-Sinar-Chef Peter Wirth ständig auf dem Sprung: Drei Tage war er diese Woche in seinem Büro in Hamburg und schwupp war er schon wieder weg. Immer unterwegs, pendeln zwischen der deutschen Niederlassung in Hamburg, der Firmenzentrale in Plymouth im US-Staat Michigan, dazwischen Trips nach England und Schweden, wo der Laserspezialist große Werke unterhält, dazu Analystentreffen, Kunden-Meetings, Messen.
Rund die Hälfte seiner Arbeitszeit ist Wirth so auf Achse. Viele andere Vorstände tun sich solche Reisestrapazen nicht mehr an, und wenn, dann allenfalls in der Business Class. Doch der 57jährige Augsburger begnügt sich grundsätzlich mit der Holzklasse, sehr zum Leidwesen seiner Mitarbeiter, und der ständige Stress macht ihm offenbar auch nichts aus: "Der schläft im Flugzeug durch, kommt nach einem USA-Flug direkt ins Büro und sieht fitter aus als die meisten Kollegen", wundert sich ein Mitarbeiter über das Stehvermögen seines Chefs.
Auch sonst hat Wirth die Ruhe weg. Aber wahrscheinlich muß man für derlei Gelassenheit Bayer sein, Naturwissenschaftler – und ganz lange im Geschäft. Seit 1979 ist Wirth bei Rofin-Sinar, zunächst als Vertriebsleiter, später als Deutschland-Chef und seit 1996 als oberster Boß. Da regt man sich irgendwann nicht mehr auf, schon gar nicht über die Irrationalität von Investoren: "Früher hab ich versucht, die Börse zu verstehen", sagt Wirth lächelnd. Doch irgendwann hat er das aufgegeben. "Für einen Physiker ist das alles nur schwer nachvollziehbar."
Für andere wohl auch. Seit über einem Jahr bringt das an der Nasdaq notierte Unternehmen erstklassige Zahlen, eilt von Rekord zu Rekord, aber wissen wollte das lange Zeit niemand – bis zum August. Da meldete Rofin-Sinar erneut Firmenrekorde bei Umsatz, Auftragseingang und -bestand. Seither hat der Wert 43 Prozent gewonnen. Andere Unternehmen können von solchen Kurssteigerungen derzeit nur träumen. Dabei brummt bei den meisten Firmen das Geschäft. Im zweiten Quartal übertrafen allein im DAX drei von vier Unternehmen die Erwartungen. In den USA war die Quote ähnlich. Und es geht nicht um Peanuts: Im S&P 500 schafften die Unternehmen im zweiten Quartal ein Gewinnplus von durchschnittlich 25 Prozent. Zu Jahresbeginn hatten Analysten einen Zuwachs von 15 Prozent erwartet.
Doch den meisten Kursen halfen zuletzt auch gute Zahlen wenig. "Der steigende Ölpreis hat alles überlagert", sagt etwa Michael Köhler, Aktienstratege bei der Landesbank Rheinland-Pfalz (LRP). Bis auf knapp 50 Dollar ist der Preis für ein 159-Liter-Faß Rohöl der US-Sorte WTI bis Mitte August geklettert. Dann bekamen die Spekulanten Muffensausen. Doch nach dem Rückschlag bis auf 42 Dollar zog der Preis diese Woche wieder bis auf knapp 45 Dollar an. Auf die Kauflaune drückt zudem die Statistik: Schließlich dräut mit dem September der absolute Horrormonat der Börsianer. Nach einer Übersicht der Bankgesellschaft Berlin (BGB) gab der DAX seit 1966 im September durchschnittlich 2,6 Prozent ab. Außerdem hält sich die Furcht vor einem Terror-Anschlag im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen: "Dieses Damoklesschwert hängt über dem Markt", sagt Joachim Paech, Stratege bei Prime Asset Management. Dazu "haben viele Investoren in dieser Woche die Veröffentlichung des Zwischenberichts von Intel und der US-Arbeitsmarktzahlen abgewartet", sagt Köhler. Aber die Intel-Zahlen waren ernüchternd. Der Chipriese kürzte seine Umsatzprognose deutlich. Dafür waren die US-Arbeitsmarktdaten gut. 144000 neue Jobs sind im August entstanden. Das entsprach fast exakt dem Analystenkonsens. Zwar künden andere Indikatoren seit ein paar Wochen von einer leichten Eintrübung der US-Konjunktur, "aber das auf sehr hohem Niveau", betont Stefan Mitropoulos, Aktienstratege bei der BGB. So liegt der US-Einkaufsmanager-Index für das verarbeitende Gewerbe im August mit 59 Punkten immer noch klar über der Grenze von 50 Zählern. Sie verheißt weiteres Wachstum. Auch in Euro-Land deutet derzeit alles auf einen weiteren Aufschwung hin.
Kein Wunder, daß Investoren wieder optimistischer für Aktien werden, sagt Karl Fickel, Fondsmanager bei Lupus Alpha in Frankfurt: "Vor ein paar Monaten haben viele Institutionelle noch gefragt: ,Wann muß ich raus?’ Jetzt fragen viele: ,Wann muß ich wieder rein?’" Fickels Beobachtung deckt sich mit der Einschätzung anderer Beobachter: "Der Markt hat die negativen Nachrichten schon eingepreist. Im Herbst dürften wir höhere Kursniveaus sehen", glaubt Matthias Born, Fondsmanager beim Deutschen Investment Trust (Dit) in Frankfurt. Angesichts dessen sei die Gelegenheit derzeit günstig, "um erste Positionen aufzubauen".
Tatsächlich sind deutsche Aktien derzeit massiv unterbewertet. So liegt das langjährige Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) im DAX bei 15. Aktuell notieren die deutschen Blue Chips aber gerade beim 11fachen der für 2005 erwarteten Gewinne. Doch deutsche Aktien sind nicht nur historisch günstig bewertet, sondern auch relativ zu anderen Märkten billig. Vor allem gegenüber US-Werten klafft inzwischen eine "erhebliche Bewertungsdiskrepanz", sagt etwa Matthias Jörss, Aktienstratege bei Sal. Oppenheim. Während deutsche Aktien nach einer LRP-Übersicht auf Basis der letzten zwölf Monate ein Kurs/Gewinn-Verhältnis von zwölf aufweisen, billigen Investoren US-Titeln ein KGV von 19 zu (siehe Grafik). "Das ist der höchste Abschlag seit Jahrzehnten", so Köhler.
Aber ausländische Investoren sind eben skeptisch: "Viele trauen uns bei den Reformen nicht viel zu", so Mitropoulos. Dabei unterschätzten internationale Anleger das Reformtempo in Deutschland: "In zahlreichen Betrieben gibt es längst Flexibilisierungen bei Arbeitszeit oder Entgelt", sagt auch Jörss. Die deutschen Unternehmen hätten ihre Wettbewerbsfähigkeit in den vergangenen Jahren "deutlich verbessert. Aber im Ausland wird das noch nicht so wahrgenommen", so der Sal.-Oppenheim-Stratege. Angesichts dessen komme der Tarif-Auseinandersetzung bei VW eine große Bedeutung zu. Jörss: "Für viele Investoren ist das ein Gradmesser für die Reformfähigkeit in Deutschland." Gelingt dem Konzern ein ordentlicher Abschluss, dürfte das nicht nur der VW-Aktie Auftrieb bringen.
Anleger können sich auf die Situation über zwei Wege einstellen: So sind in den vergangenen Wochen viele Aktien trotz guten Geschäftsverlaufs in den Abwärtssog geraten. Dazu gehören Werte wie BMW. Der Premium-Anbieter steht vor einem weiteren Rekordjahr, und das bei einem 2005er KGV von knapp zehn. Daneben locken Firmen wie Salzgitter. "Die haben super Zahlen gebracht und sind trotzdem noch günstig", so Dit-Manager Born.
Risikofreudigere Anleger können außerdem Werte mit hohem Beta-Faktor spielen. Sie reagieren auf Kursbewegungen stärker als der Markt. Dazu gehören traditionell Tech-Werte wie SAP oder Momentum-Titel wie Rofin-Sinar. Bei dem Laserspezialisten läuft das Geschäft – sehr zur Freude der Aktionäre. Aber Business-Class wird’s für die Mitarbeiter wohl auch künftig nicht geben. Dafür ist Rofin-Sinar-Chef Peter Wirth einfach zu sparsam.
-red- / -red-
05.09.2004 11:00:00
Nach den schwachen Sommermonaten steigt die Stimmung an den Börsen wieder. Die meisten negativen Nachrichten hat der Markt bereits vorweggenommen. Im Vergleich zu US-Titeln sind vor allem deutsche Aktien so günstig wie lange nicht
von Thomas Schmidtutz
Irgendwie ist Rofin-Sinar-Chef Peter Wirth ständig auf dem Sprung: Drei Tage war er diese Woche in seinem Büro in Hamburg und schwupp war er schon wieder weg. Immer unterwegs, pendeln zwischen der deutschen Niederlassung in Hamburg, der Firmenzentrale in Plymouth im US-Staat Michigan, dazwischen Trips nach England und Schweden, wo der Laserspezialist große Werke unterhält, dazu Analystentreffen, Kunden-Meetings, Messen.
Rund die Hälfte seiner Arbeitszeit ist Wirth so auf Achse. Viele andere Vorstände tun sich solche Reisestrapazen nicht mehr an, und wenn, dann allenfalls in der Business Class. Doch der 57jährige Augsburger begnügt sich grundsätzlich mit der Holzklasse, sehr zum Leidwesen seiner Mitarbeiter, und der ständige Stress macht ihm offenbar auch nichts aus: "Der schläft im Flugzeug durch, kommt nach einem USA-Flug direkt ins Büro und sieht fitter aus als die meisten Kollegen", wundert sich ein Mitarbeiter über das Stehvermögen seines Chefs.
Auch sonst hat Wirth die Ruhe weg. Aber wahrscheinlich muß man für derlei Gelassenheit Bayer sein, Naturwissenschaftler – und ganz lange im Geschäft. Seit 1979 ist Wirth bei Rofin-Sinar, zunächst als Vertriebsleiter, später als Deutschland-Chef und seit 1996 als oberster Boß. Da regt man sich irgendwann nicht mehr auf, schon gar nicht über die Irrationalität von Investoren: "Früher hab ich versucht, die Börse zu verstehen", sagt Wirth lächelnd. Doch irgendwann hat er das aufgegeben. "Für einen Physiker ist das alles nur schwer nachvollziehbar."
Für andere wohl auch. Seit über einem Jahr bringt das an der Nasdaq notierte Unternehmen erstklassige Zahlen, eilt von Rekord zu Rekord, aber wissen wollte das lange Zeit niemand – bis zum August. Da meldete Rofin-Sinar erneut Firmenrekorde bei Umsatz, Auftragseingang und -bestand. Seither hat der Wert 43 Prozent gewonnen. Andere Unternehmen können von solchen Kurssteigerungen derzeit nur träumen. Dabei brummt bei den meisten Firmen das Geschäft. Im zweiten Quartal übertrafen allein im DAX drei von vier Unternehmen die Erwartungen. In den USA war die Quote ähnlich. Und es geht nicht um Peanuts: Im S&P 500 schafften die Unternehmen im zweiten Quartal ein Gewinnplus von durchschnittlich 25 Prozent. Zu Jahresbeginn hatten Analysten einen Zuwachs von 15 Prozent erwartet.
Doch den meisten Kursen halfen zuletzt auch gute Zahlen wenig. "Der steigende Ölpreis hat alles überlagert", sagt etwa Michael Köhler, Aktienstratege bei der Landesbank Rheinland-Pfalz (LRP). Bis auf knapp 50 Dollar ist der Preis für ein 159-Liter-Faß Rohöl der US-Sorte WTI bis Mitte August geklettert. Dann bekamen die Spekulanten Muffensausen. Doch nach dem Rückschlag bis auf 42 Dollar zog der Preis diese Woche wieder bis auf knapp 45 Dollar an. Auf die Kauflaune drückt zudem die Statistik: Schließlich dräut mit dem September der absolute Horrormonat der Börsianer. Nach einer Übersicht der Bankgesellschaft Berlin (BGB) gab der DAX seit 1966 im September durchschnittlich 2,6 Prozent ab. Außerdem hält sich die Furcht vor einem Terror-Anschlag im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen: "Dieses Damoklesschwert hängt über dem Markt", sagt Joachim Paech, Stratege bei Prime Asset Management. Dazu "haben viele Investoren in dieser Woche die Veröffentlichung des Zwischenberichts von Intel und der US-Arbeitsmarktzahlen abgewartet", sagt Köhler. Aber die Intel-Zahlen waren ernüchternd. Der Chipriese kürzte seine Umsatzprognose deutlich. Dafür waren die US-Arbeitsmarktdaten gut. 144000 neue Jobs sind im August entstanden. Das entsprach fast exakt dem Analystenkonsens. Zwar künden andere Indikatoren seit ein paar Wochen von einer leichten Eintrübung der US-Konjunktur, "aber das auf sehr hohem Niveau", betont Stefan Mitropoulos, Aktienstratege bei der BGB. So liegt der US-Einkaufsmanager-Index für das verarbeitende Gewerbe im August mit 59 Punkten immer noch klar über der Grenze von 50 Zählern. Sie verheißt weiteres Wachstum. Auch in Euro-Land deutet derzeit alles auf einen weiteren Aufschwung hin.
Kein Wunder, daß Investoren wieder optimistischer für Aktien werden, sagt Karl Fickel, Fondsmanager bei Lupus Alpha in Frankfurt: "Vor ein paar Monaten haben viele Institutionelle noch gefragt: ,Wann muß ich raus?’ Jetzt fragen viele: ,Wann muß ich wieder rein?’" Fickels Beobachtung deckt sich mit der Einschätzung anderer Beobachter: "Der Markt hat die negativen Nachrichten schon eingepreist. Im Herbst dürften wir höhere Kursniveaus sehen", glaubt Matthias Born, Fondsmanager beim Deutschen Investment Trust (Dit) in Frankfurt. Angesichts dessen sei die Gelegenheit derzeit günstig, "um erste Positionen aufzubauen".
Tatsächlich sind deutsche Aktien derzeit massiv unterbewertet. So liegt das langjährige Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) im DAX bei 15. Aktuell notieren die deutschen Blue Chips aber gerade beim 11fachen der für 2005 erwarteten Gewinne. Doch deutsche Aktien sind nicht nur historisch günstig bewertet, sondern auch relativ zu anderen Märkten billig. Vor allem gegenüber US-Werten klafft inzwischen eine "erhebliche Bewertungsdiskrepanz", sagt etwa Matthias Jörss, Aktienstratege bei Sal. Oppenheim. Während deutsche Aktien nach einer LRP-Übersicht auf Basis der letzten zwölf Monate ein Kurs/Gewinn-Verhältnis von zwölf aufweisen, billigen Investoren US-Titeln ein KGV von 19 zu (siehe Grafik). "Das ist der höchste Abschlag seit Jahrzehnten", so Köhler.
Aber ausländische Investoren sind eben skeptisch: "Viele trauen uns bei den Reformen nicht viel zu", so Mitropoulos. Dabei unterschätzten internationale Anleger das Reformtempo in Deutschland: "In zahlreichen Betrieben gibt es längst Flexibilisierungen bei Arbeitszeit oder Entgelt", sagt auch Jörss. Die deutschen Unternehmen hätten ihre Wettbewerbsfähigkeit in den vergangenen Jahren "deutlich verbessert. Aber im Ausland wird das noch nicht so wahrgenommen", so der Sal.-Oppenheim-Stratege. Angesichts dessen komme der Tarif-Auseinandersetzung bei VW eine große Bedeutung zu. Jörss: "Für viele Investoren ist das ein Gradmesser für die Reformfähigkeit in Deutschland." Gelingt dem Konzern ein ordentlicher Abschluss, dürfte das nicht nur der VW-Aktie Auftrieb bringen.
Anleger können sich auf die Situation über zwei Wege einstellen: So sind in den vergangenen Wochen viele Aktien trotz guten Geschäftsverlaufs in den Abwärtssog geraten. Dazu gehören Werte wie BMW. Der Premium-Anbieter steht vor einem weiteren Rekordjahr, und das bei einem 2005er KGV von knapp zehn. Daneben locken Firmen wie Salzgitter. "Die haben super Zahlen gebracht und sind trotzdem noch günstig", so Dit-Manager Born.
Risikofreudigere Anleger können außerdem Werte mit hohem Beta-Faktor spielen. Sie reagieren auf Kursbewegungen stärker als der Markt. Dazu gehören traditionell Tech-Werte wie SAP oder Momentum-Titel wie Rofin-Sinar. Bei dem Laserspezialisten läuft das Geschäft – sehr zur Freude der Aktionäre. Aber Business-Class wird’s für die Mitarbeiter wohl auch künftig nicht geben. Dafür ist Rofin-Sinar-Chef Peter Wirth einfach zu sparsam.
-red- / -red-