Argument mit Biß
FRANKFURT, 24. April. War dies das Sandkörnchen, das die Waage zur anderen Seite ausschlagen läßt? Als die amerikanische Notenbank in der vergangenen Woche überraschend ihren Leitzins senkte, reagierten die Devisenhändler reflexartig nach der Formel "Niedrigere Zinsen - mehr Wachstum - höhere Renditen". Prompt wurden Euro verkauft, Dollar gekauft. Das ließ die Gemeinschaftswährung in Sekundenschnelle auf weniger als 0,87 Dollar fallen. Als wenig später die Begründung für den Zinsschritt wahrgenommen wurde - nämlich die Sorgen der Fed bezüglich Wirtschaftswachstum und Gewinnentwicklung -, kam es allerdings zu einer Gegenbewegung, die den Euro bis Montag auf 0,9070 Dollar steigen ließ. Wegen der schlechten Aussichten für das Wirtschaftswachstum in Deutschland sank die Gemeinschaftswährung am Dienstag aber wieder unter 90 Cent.
Natürlich könnte es sich bei dem Aufschwung um einen der Zwischenspurts gehandelt haben, die bald wieder verpuffen. Notorische Euro-Optimisten allerdings meinen, daß die Entwicklung der letzten Tage den erhofften Umschwung - weg vom Dollar, hin zum Euro - markiert hat. Schließlich schlage seit der Leitzinssenkung in Amerika nun der Vergleich der kurzfristigen nominalen Zinsen erstmals seit langem zugunsten des Euro aus, gar nicht zu reden von den realen Zinsen (Nominalzins abzüglich der Inflationsrate), bei denen der Euroraum schon seit einiger Zeit über alle Laufzeiten vorne liege.
Vor allem aber, so argumentieren die Euro-Optimisten, habe der Devisenmarkt nun offenbar zur Kenntnis genommen, daß die europäische Wirtschaft nicht nur aktuell stärker wachse als die amerikanische, sondern daß auch die mittelfristigen Aussichten der Alten Welt besser als die der Neuen Welt seien. Nun sei es nur eine Frage der Zeit, bis die international anlegenden Investoren den Euroraum entdeckten, machen sich die Optimisten Mut - die mit ihrer Spekulation auf eine Euro-Aufwertung allerdings schon viel Geld verloren haben.
Daß der Euro auf dem derzeitigen Kursniveau unter- und der Dollar überbewertet ist, haben Reisende zwischen den Welten schon seit lange beobachtet. Nun wird dies auch durch Studien zur Kaufkraft-Parität untermauert. So schreibt die Deutsche Bank in ihren "Wechselkurs-Perspektiven", daß der Dollar bei einem Vergleich der Kaufkraftparitäten gegenüber allen Währungen überbewertet sei. Gegenüber dem Yen betrage die Überbewertung allerdings nur 3 Prozent, hingegen gegenüber dem Euro 25 Prozent, dem australischen Dollar 33 Prozent und der Schwedenkrone sogar 47 Prozent. Die Erfahrung zeige, daß sich Ausschläge, die größer als 20 Prozent seien, meist nicht lange hielten, schreibt die Deutsche Bank.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch der "Big Mac"-Index, den die Zeitschrift "Economist" alljährlich mit einem Augenzwinkern ermittelt. Dabei wird die Über- oder Unterbewertung einer Währung gegenüber dem Dollar anhand eines internationalen Preisvergleichs für die "Big Mac"-Hamburger der Restaurantkette McDonald's ermittelt. Natürlich ist diese Methode reichlich simpel. Doch hat sie durchaus Biß. So hat der Big-Mac-Index zum Beispiel Anfang 1999 richtig den Schluß nahegelegt, daß der Euro gegenüber dem Dollar überbewertet sei - und lag damit besser als der Großteil der Fachleute. Inzwischen aber hat sich das Blatt offenbar gewendet: Jedenfalls schreibt der Economist in seiner jüngsten Ausgabe, daß der Dollar in der fünfzehnjährigen Geschichte der Burger-Ökonomie noch nie so stark überbewertet erschienen sei wie derzeit. Gegenüber dem Yen betrage die Überbewertung auf einem Niveau von 124 Yen je Dollar 6 Prozent, gegenüber der Gemeinschaftswährung bei einer Wechselkursrelation von 88 Cents je Euro glatte 11 Prozent. Das sind Argumente ganz nach dem Geschmack der Euro-Optimisten.
Auch charttechnisch orientierte Analysten sehen Anlaß für Euro-Zuversicht. Denn nach ihrer Deutung der Währungskurve hat sich eine klassische Kopf-Schulter-Formation herausgebildet. Veranschaulicht wird dies an einem Graphen, der den Kursverlauf der D-Mark gegenüber dem Dollar zeigt: Der erste Schultergipfel wurde im Mai 2000 bei Kursen von rund 2,20 DM je Dollar erreicht. Es folgte der Abstieg auf 2 DM und der Aufstieg zum Scheitel (bei 2,36 DM im Oktober). Bis Januar ging es wieder bis aufs Schultertal bei rund 2 Mark herunter, dann wieder auf 2,20 DM hinauf. Nach Ansicht der Chartisten müßte nun der lange Abstieg bis hin zu den Fingerspitzen folgen. (Für den Dollar-Euro-Graphen gilt wegen der festen Relation Euro zu D-Mark natürlich entsprechendes; nur steht hier die Formation auf dem Kopf, was weniger anschaulich ist.)
Alle diese Argumente der Euro-Optimisten haben ihre Wirkung nicht verfehlt, jedenfalls nicht auf die Volkswirte der großen Banken - von denen die meisten freilich dem Euro schon bei seinem Start Anfang 1999 auf einem Niveau von 1,19 Dollar Aufwertungspotential attestiert hatten. So haben in einer Umfrage der Nachrichtenagentur vwd unlängst zehn von elf Banken dem Euro eine positive Prognose gestellt: In sechs Monaten wird der Euro demnach zwischen 0,92 und 1 Dollar wert sein. Nur die Analysten der britischen Bank Barclays Capital stehen dem Euro weiterhin skeptisch gegenüber: Sie sehen ihn in einem halben Jahr bei 0,85 Dollar.
Auf die Wahl von Junichiro Koizumi zum neuen Präsidenten der LDP - und damit aller Voraussicht nach zum japanischen Ministerpräsidenten - hat der Yen mit leichten Kursgewinnen reagiert. Koizumi wird Reformwillen attestiert. Ob er allerdings auch die Fähigkeiten dazu mitbringt, steht noch in den Sternen. Als erste Bewährungsprobe gilt, ob es ihm gelingt, ein Kabinett zusammenzustellen, das den schwelenden Konflikt zwischen den Reformbefürwortern und den Anhängern des Status quo befriedet. Sollte dies gelingen, könnte der Yen davon profitieren.
Während in Japan zarte Hoffnungen auf ein Ende der zehnjährigen Krise keimen, spitzt sich die Lage an den Finanzmärkten in Lateinamerika zu. Das Zentrum der Krise ist Argentinien. Das Land, dessen Währung seit einigen Jahren fest an den Dollar gebunden ist, hat große Schwierigkeiten, seine beträchtlichen Auslandsschulden zu bedienen. Viele Argentinier befürchten deshalb, daß es zu einem Währungsschnitt kommen könnte - und tauschen ihr Geld deshalb in Dollar um. Die Unsicherheit strahlt auf die Nachbarländer aus. So hat sich die Talfahrt des brasilianischen Real in den vergangenen Tagen ebenso beschleunigt wie die des peruanischen New Sol.
BENEDIKT FEHR
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.04.2001, Nr. 96 / Seite 33
FRANKFURT, 24. April. War dies das Sandkörnchen, das die Waage zur anderen Seite ausschlagen läßt? Als die amerikanische Notenbank in der vergangenen Woche überraschend ihren Leitzins senkte, reagierten die Devisenhändler reflexartig nach der Formel "Niedrigere Zinsen - mehr Wachstum - höhere Renditen". Prompt wurden Euro verkauft, Dollar gekauft. Das ließ die Gemeinschaftswährung in Sekundenschnelle auf weniger als 0,87 Dollar fallen. Als wenig später die Begründung für den Zinsschritt wahrgenommen wurde - nämlich die Sorgen der Fed bezüglich Wirtschaftswachstum und Gewinnentwicklung -, kam es allerdings zu einer Gegenbewegung, die den Euro bis Montag auf 0,9070 Dollar steigen ließ. Wegen der schlechten Aussichten für das Wirtschaftswachstum in Deutschland sank die Gemeinschaftswährung am Dienstag aber wieder unter 90 Cent.
Natürlich könnte es sich bei dem Aufschwung um einen der Zwischenspurts gehandelt haben, die bald wieder verpuffen. Notorische Euro-Optimisten allerdings meinen, daß die Entwicklung der letzten Tage den erhofften Umschwung - weg vom Dollar, hin zum Euro - markiert hat. Schließlich schlage seit der Leitzinssenkung in Amerika nun der Vergleich der kurzfristigen nominalen Zinsen erstmals seit langem zugunsten des Euro aus, gar nicht zu reden von den realen Zinsen (Nominalzins abzüglich der Inflationsrate), bei denen der Euroraum schon seit einiger Zeit über alle Laufzeiten vorne liege.
Vor allem aber, so argumentieren die Euro-Optimisten, habe der Devisenmarkt nun offenbar zur Kenntnis genommen, daß die europäische Wirtschaft nicht nur aktuell stärker wachse als die amerikanische, sondern daß auch die mittelfristigen Aussichten der Alten Welt besser als die der Neuen Welt seien. Nun sei es nur eine Frage der Zeit, bis die international anlegenden Investoren den Euroraum entdeckten, machen sich die Optimisten Mut - die mit ihrer Spekulation auf eine Euro-Aufwertung allerdings schon viel Geld verloren haben.
Daß der Euro auf dem derzeitigen Kursniveau unter- und der Dollar überbewertet ist, haben Reisende zwischen den Welten schon seit lange beobachtet. Nun wird dies auch durch Studien zur Kaufkraft-Parität untermauert. So schreibt die Deutsche Bank in ihren "Wechselkurs-Perspektiven", daß der Dollar bei einem Vergleich der Kaufkraftparitäten gegenüber allen Währungen überbewertet sei. Gegenüber dem Yen betrage die Überbewertung allerdings nur 3 Prozent, hingegen gegenüber dem Euro 25 Prozent, dem australischen Dollar 33 Prozent und der Schwedenkrone sogar 47 Prozent. Die Erfahrung zeige, daß sich Ausschläge, die größer als 20 Prozent seien, meist nicht lange hielten, schreibt die Deutsche Bank.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch der "Big Mac"-Index, den die Zeitschrift "Economist" alljährlich mit einem Augenzwinkern ermittelt. Dabei wird die Über- oder Unterbewertung einer Währung gegenüber dem Dollar anhand eines internationalen Preisvergleichs für die "Big Mac"-Hamburger der Restaurantkette McDonald's ermittelt. Natürlich ist diese Methode reichlich simpel. Doch hat sie durchaus Biß. So hat der Big-Mac-Index zum Beispiel Anfang 1999 richtig den Schluß nahegelegt, daß der Euro gegenüber dem Dollar überbewertet sei - und lag damit besser als der Großteil der Fachleute. Inzwischen aber hat sich das Blatt offenbar gewendet: Jedenfalls schreibt der Economist in seiner jüngsten Ausgabe, daß der Dollar in der fünfzehnjährigen Geschichte der Burger-Ökonomie noch nie so stark überbewertet erschienen sei wie derzeit. Gegenüber dem Yen betrage die Überbewertung auf einem Niveau von 124 Yen je Dollar 6 Prozent, gegenüber der Gemeinschaftswährung bei einer Wechselkursrelation von 88 Cents je Euro glatte 11 Prozent. Das sind Argumente ganz nach dem Geschmack der Euro-Optimisten.
Auch charttechnisch orientierte Analysten sehen Anlaß für Euro-Zuversicht. Denn nach ihrer Deutung der Währungskurve hat sich eine klassische Kopf-Schulter-Formation herausgebildet. Veranschaulicht wird dies an einem Graphen, der den Kursverlauf der D-Mark gegenüber dem Dollar zeigt: Der erste Schultergipfel wurde im Mai 2000 bei Kursen von rund 2,20 DM je Dollar erreicht. Es folgte der Abstieg auf 2 DM und der Aufstieg zum Scheitel (bei 2,36 DM im Oktober). Bis Januar ging es wieder bis aufs Schultertal bei rund 2 Mark herunter, dann wieder auf 2,20 DM hinauf. Nach Ansicht der Chartisten müßte nun der lange Abstieg bis hin zu den Fingerspitzen folgen. (Für den Dollar-Euro-Graphen gilt wegen der festen Relation Euro zu D-Mark natürlich entsprechendes; nur steht hier die Formation auf dem Kopf, was weniger anschaulich ist.)
Alle diese Argumente der Euro-Optimisten haben ihre Wirkung nicht verfehlt, jedenfalls nicht auf die Volkswirte der großen Banken - von denen die meisten freilich dem Euro schon bei seinem Start Anfang 1999 auf einem Niveau von 1,19 Dollar Aufwertungspotential attestiert hatten. So haben in einer Umfrage der Nachrichtenagentur vwd unlängst zehn von elf Banken dem Euro eine positive Prognose gestellt: In sechs Monaten wird der Euro demnach zwischen 0,92 und 1 Dollar wert sein. Nur die Analysten der britischen Bank Barclays Capital stehen dem Euro weiterhin skeptisch gegenüber: Sie sehen ihn in einem halben Jahr bei 0,85 Dollar.
Auf die Wahl von Junichiro Koizumi zum neuen Präsidenten der LDP - und damit aller Voraussicht nach zum japanischen Ministerpräsidenten - hat der Yen mit leichten Kursgewinnen reagiert. Koizumi wird Reformwillen attestiert. Ob er allerdings auch die Fähigkeiten dazu mitbringt, steht noch in den Sternen. Als erste Bewährungsprobe gilt, ob es ihm gelingt, ein Kabinett zusammenzustellen, das den schwelenden Konflikt zwischen den Reformbefürwortern und den Anhängern des Status quo befriedet. Sollte dies gelingen, könnte der Yen davon profitieren.
Während in Japan zarte Hoffnungen auf ein Ende der zehnjährigen Krise keimen, spitzt sich die Lage an den Finanzmärkten in Lateinamerika zu. Das Zentrum der Krise ist Argentinien. Das Land, dessen Währung seit einigen Jahren fest an den Dollar gebunden ist, hat große Schwierigkeiten, seine beträchtlichen Auslandsschulden zu bedienen. Viele Argentinier befürchten deshalb, daß es zu einem Währungsschnitt kommen könnte - und tauschen ihr Geld deshalb in Dollar um. Die Unsicherheit strahlt auf die Nachbarländer aus. So hat sich die Talfahrt des brasilianischen Real in den vergangenen Tagen ebenso beschleunigt wie die des peruanischen New Sol.
BENEDIKT FEHR
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.04.2001, Nr. 96 / Seite 33