Aus der FTD vom 5.1.2001
Leitartikel: Stromausfall
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Deutschlands Stromriesen RWE und Eon hätten durch den Verkauf von Strom unter Selbstkosten einen Schuldenberg von 15 bis 20 Mrd. DM angehäuft.
Die Aktien der Konzerne stürzten ab, die Großbanken stuften die Kreditwürdigkeit der Unternehmen herab, die Pleite naht, die Versorgungslage wäre bedroht.
Absurdes Szenario? Nicht in Kalifornien. Dort herrscht auf dem Strommarkt Chaos. Die beiden größten Stromversorger, Pacific Gas & Electric und California Edison, stehen vor der Pleite. Der Grund für die Misere: Die Versorger bezahlen für den Strom - egal ob in Eigenerzeugung oder im Großhandel - bis zu 50-mal so viel, wie sie von ihren Endkunden bekommen, denn der Staat legt den Endverkaufspreis fest.
Seit Beginn der De-Regulierung hat sich die Versorgung auf Grund stark steigender Nachfrage, aber nur gering wachsender Kapazitäten verschlechtert. Dies belegt nicht den Misserfolg der Liberalisierung an sich. Gescheitert ist ein falscher Regulierungsansatz.
Feste Preise sollten die Versorger nach der Öffnung des Marktes eigentlich vor einem Preisverfall schützen. Nun aber passiert das Gegenteil: Die Stromversorger müssen permanent unter Selbstkosten verkaufen.
In Kalifornien schoss der Strombedarf in den vergangenen Jahren steil in die Höhe. Verantwortlich hierfür war die gute Konjunktur - und vor allem der Boom in Silicon Valley. Der niedrige Endpreis nahm den Verbrauchern überdies den Anreiz zum Stromsparen. Die Kraftwerksbetreiber indes sehen bei den staatlich festgelegten Endpreisen aus gutem Grund keinen Anlass, in den Bau neuer Geldvernichtungsmaschinen zu investieren.
Ebenso fehlen Anreize, die Stromnetze zu modernisieren und auszubauen. Schlecht verbundene Regionalnetze aber schaffen Engpässe bei der Übertragung von Strom zwischen Regionen. Dies gefährdet nicht nur die Versorgung, sondern behindert auch den Wettbewerb.
Hohe Netzgebühren
Die deutsche Stromwirtschaft ist von solchen Verhältnissen weit entfernt. Doch auch hier funktioniert der Wettbewerb nicht optimal. Insbesondere neue Stromanbieter leiden unter den hohen Netzgebühren, die die Ex-Monopolisten und Netzbetreiber erheben. Denn anders als im Bereich der Telekommunikation gibt es keine Regulierungsbehörde, die die Netznutzungspreise festlegt. Die Netzbetreiber bestimmen diese selbst. Für potenzielle Konkurrenten lohnt es sich zudem wegen hoher Anfangsinvestitionen kaum, ein paralleles Netz aufzubauen.
Schweden ist aus diesen Gründen den richtigen Weg gegangen, den Netzbetrieb in staatlicher Hand zu belassen. Wird er Unternehmen übergeben, muss zumindest eine Netznutzung zu fairen Bedingungen garantiert werden.
Strom wird von den Versorgern als "commodity" bezeichnet - als gewöhnliche Massenware. Doch gerade das ist er nicht. Erstens benötigt eine Industriegesellschaft beim Energie-Nachschub eine hohe Versorgungssicherheit. Zweitens belastet die Verstromung vor allem von Kohle das Klima. Das "magische Dreieck" - Versorgungssicherheit, angemessene Preise für Anbieter und Nachfrager, Strukturwandel hin zu erneuerbaren Energieträgern - lässt sich in der Stromwirtschaft bislang nicht ohne staatliches Zutun realisieren. Auch die Förderung der bislang wenig rentablen erneuerbaren Energien würde im harten Wettbewerb noch lange vernachlässigt werden.
Das Chaos in den USA mag ein Extremfall sein. Doch es zeigt, wie nötig eine effektive Regulierung für einen liberalen Strommarkt ist.
Weiterer Leitartikel zum Thema "Zinssenkung hat etwas Obszönes" in der FTD-Ausgabe vom 05.01.2001.
© 2001 Financial Times Deutschland
@karo
--> danke für den Zusammenhang, hatte ich bis jetzt so noch nicht erkannt
mfg