Kommentar: Enrons Mafiamethoden
Von Stephan-Götz RichterTricksen, betrügen und begünstigen: Der US-Konzern kopierte die Geschäftspraktiken der russischen Ölmultis bis ins Detail. Während der 90er Jahre waren Russlands Energiekonzerne berüchtigt für Buchfälschung, Aktionärsbetrug und die engen Beziehungen zur Politik. Deshalb waren die Leser russischer Zeitungen wenig überrascht über jüngste Berichte, nach denen einem weiteren Energieriesen diese üblen Praktiken nachgewiesen werden konnten. Das Erstaunliche daran war jedoch, dass es sich diesmal um einen amerikanischen Konzern handelte - die Firma Enron. Die Parallelen zwischen Russland und dem Fall Enron sind in der Tat verblüffend.
In der ehemaligen Sowjetunion gehörte der Ölsektor zu den ersten Wirtschaftszweigen, die privatisiert wurden. Die rosigen Aussichten in der russischen Energiewirtschaft lockten in den 90er Jahren ausländische Investoren an, die dem noch jungen russischen Aktienmarkt zu einem kometenhaften Aufstieg verhalfen.
Buchfälschung im großen Stil
Auch damals schon gab es trotz der Aufbruchsstimmung kritische Töne. Gerade in den USA wurde oft vor den zweifelhaften russischen Managementpraktiken gewarnt und ein besserer Schutz der Anteilseigner gefordert. Nicht zu Unrecht, wie sich herausstellen sollte: Viele ausländische Anleger mussten schließlich ihr Kapital abschreiben. In der Nachbetrachtung ist es geradezu unheimlich, wie viele Vorgänge bei der texanischen Firma Enron jenen in den mafia-kontrollierten russischen Energiekonzernen gleichen.
Die russischen Energieunternehmen versteckten Umsätze und Einkünfte in einer exotisch anmutenden Buchhaltung. Wie jetzt herauskam, wurde bei Enron hinter der polierten Fassade ganz ähnlich gearbeitet - wenngleich in einem völlig anderen politischen System: Die Finanzjongleure im Topmanagement arbeiteten nicht in einer Volkswirtschaft, die gerade einen enormen Systemwechsel verdauen musste und deren Aufsichtsbehörden erst im Entstehen begriffen waren. Im Gegenteil: Das komplette Enron-Desaster vollzog sich unter den Augen von äußerst erfahrenen und aufmerksamen Kontrollorganen und unabhängigen Marktanalysten.
Analysten bekannten sich zu Enron
Wie schon Gasprom gelang es auch Enron, Investoren und Regulierungsbehörden über die wahre Lage des Konzerns im Dunkeln zu halten. Mit einem großen Unterschied: In Russland wurden Gewinne der Steuern wegen verschleiert, bei Enron hingegen korrigierte man über Jahre hinweg die Erträge nach oben, um den eigenen Aktienkurs in die Höhe zu treiben.
Die Aktienanalysten bekannten sich zu Enron und empfahlen den Titel nachdrücklich. Für die Wertpapierbesitzer hätte es eine Warnung sein müssen, dass die Empfehlung von den gleichen Analysten kam, die vor dem russischen Börsencrash 1998 die dortigen Energieunternehmen hochgejubelt haben.
Am meisten Zündstoff birgt jedoch die politische Dimension des Enron-Skandals. In Russland konnten die Energiekonzerne auch deshalb ihre Investoren täuschen, weil sie durch politische Beziehungen geschützt waren. Eine Anklage hat von vornherein kaum Aussicht auf Erfolg. Und falls doch einmal ein negatives Urteil ergeht, wird es zumeist ignoriert. Die russischen Behörden sind einfach zu schwach, um eine konsequente Unternehmensaufsicht durchzusetzen.
Bei Enron hatte man ein ähnliches Erfolgsrezept. Der Vorstandsvorsitzende Kenneth Lay pflegte enge geschäftliche und persönliche Kontakte zur Familie Bush. Als einer der wichtigsten und frühesten Sponsoren des Präsidentenwahlkampfs von George W. Bush verdiente er sich den Titel eines "Pioniers". So werden die Spender von 100.000 $ oder mehr bezeichnet. Folgerichtig galt er als einer der führenden Kandidaten für das Amt des Energieministers. Andere ehemalige Enron-Manager tragen mittlerweile tatsächlich Regierungsverantwortung: Thomas E. White beispielsweise, zuletzt zweiter Mann bei Enron Energy Services, ist heute im Pentagon Staatssekretär für das US-Heer.
Politischer Zündstoff
Natürlich gibt es aber auch Unterschiede zwischen Enron und den russischen Konzernen. So ist kein Oligarch je wegen Anlagebetrugs verurteilt worden. Und die politischen Kontakte in Russland funktionierten ebenfalls besser: Wladimir Putin wurde sofort nach seiner Amtseinführung von den russischen Energiekonzernen umgarnt, die sich zuvor schon an den Wahlkampfkosten beteiligt hatten. Zwei der Unternehmen halfen zudem tatkräftig mit, die letzten beiden regierungskritischen Mediengruppen wieder auf Kurs zu bringen. Enron hingegen haben die politischen Beziehungen weder vor dem Bankrott noch vor staatsanwaltlichen Ermittlungen bewahrt.
Aber trotz dieses deutlichen Unterschieds, zumindest was die Strafverfolgung angeht, gibt es eine unangenehme Parallele zwischen Russland und den USA: Nur zu oft wird der Weg an die Macht von Unternehmen mitfinanziert, deren Geschäftspraktiken äußerst bedenklich stimmen.
Stephan-Götz Richter ist Herausgeber von TheGlobalist.com