PS2-Gamer können sich freuen, -ab heute gibt es das lang erwartete Megaspiel
Testbericht
Eine stürmische Nacht auf New Yorks berühmter Washington Bridge. Die Skyline Manhattans zeichnet sich majestätisch vor dem düsteren, blitzdurchzuckten Nachthimmel ab, während die Kamera langsam auf Straßenhöhe schwenkt, um im gleißenden Licht der sich im peitschenden Regen überblendenden Autoscheinwerfer eine in einen Regenmantel gehüllte Figur ins Visier zu nehmen. Der Mann scheint den Regen nicht wahrzunehmen, und obwohl er scheinbar lässig, tiefe Züge aus seiner Zigarette inhalierend, die Brücke entlang spaziert, ist etwas angespanntes, fast zum Sprung bereites in seiner Körperhaltung erkennbar.
Plötzlich setzt er sich in Bewegung und ist schon sehr bald in vollem Lauftempo, während er sich gleichzeitig seines Regenschutzes entledigt, unter dem nun für einen Augenblick der vielen Spielern bereits gut bekannte „Solid Snake“ zum Vorschein kommt. Ein beherzter Satz und schon springt Snake, inzwischen durch eine Tarnvorrichtung nur noch als reflektierende Silhouette erkennbar, in einer langen und hollywoodreifen Zeitlupensequenz von der Brücke, um auf einem riesigen Frachter zu landen, über dessen Reling der zunehmende Sturm Meeresgischt sich in Sturzbächen ergießen lässt. Die Tarnvorrichtung ist bei der harten Landung unbrauchbar geworden, und der Protagonist sieht sich nun allein auf seine Fähigkeiten als erprobter Infiltrationsspezialist angewiesen, um dem Geheimnis der in den Innereien des Frachters schlummernden Superwaffe auf die Spur zu kommen.
Von der ersten Sekunde des Spiels an ist vollkommen unmissverständlich, worauf es den Entwicklern von „Metal Gear Solid 2“ bei ihrem Spiel ankam. Die erzählerische Mischung aus Film Noir und „The Matrix“ überzeugt von Anfang an. Perfektionismus von der Inszenierung über Design und Grafik bis hin zum Sounddesign und zur Musik. „Metal Gear Solid 2“ begeistert den unvorbereiteten Spieler allein durch die schiere Omnipräsenz audiovisueller Leckerbissen.
Dem steht die eigentliche Geschichte von „Metal Gear Solid 2“ in keinster Weise nach. Die für ein Videospiel ungewöhnlich komplexe Geschichte um eine sinistre Verschwörung, die sich nicht nur Amerikas, sondern unserer ganzen Informationsgesellschaft bemächtigen will, funktioniert auf mehreren Ebenen und hat so dermaßen viele „Plottwists“ und überraschende Wendungen zu bieten, dass man im Videospielbereich einen Vergleich vergeblich sucht. Die wie ein Labyrinth angelegte Erzählstruktur, die mehrfach fast unmerklich die Erzählperspektive wechselt und den vermeintlich unbeteiligten Spieler auf faszinierende Weise mit einbezieht, erinnert in ihrer Verschlungenheit eher an Filme wie „The Sixth Sense“ oder „Lost Highway“, ohne inhaltlich etwas mit diesen zu tun zu haben. So intensiv wie in „MGS2“ ist die direkte Einbeziehung des Zuschauers nur bei einem Videospiel möglich.
Diese ganze Pracht hat allerdings ihren Preis. Zwar bleibt das brillante Gameplay des ersten Teils, indem es um die möglichst lautlose Infiltration waffen- und soldatenstarrender Festung geht, erhalten und weiß durch die stark verbesserte künstliche Intelligenz der Kontrahenten noch mehr zu begeistern. Leider sind den Entwicklern von „Metal Gear Solid 2“ allerdings ihre eigenen Ambitionen etwas über den Kopf gewachsen. Im Klartext bedeutet das: Die fantastische Erzählung ist derartig verzweigt und komplex, dass die zum Verständnis der Geschichte zwingend notwendigen, selbstablaufenden Zwischensequenzen in „Metal Gear Solid 2“ zu Ungunsten des eigentlichen Spieles überhand nehmen. Der Spieler kann keinen Raum betreten, ohne dass der Spielfluss durch ellenlange Funksprüche oder minutenlange Zwischensequenzen unterbrochen wird. Kann man mit diesem Manko angesichts eines Videospiels leben, bekommt der geneigte Käufer allerdings einen interaktiven Film geboten, wie er so noch nicht zu sehen war und wohl erst im unvermeidlichen Nachfolger überboten werden wird.
Quelle: Süddeutsche Zeitung