Der Krieg gegen Saddam Hussein und der Wiederaufbau des Irak verschlingen Milliarden - so viel ist sicher. Die Kosten der Unsicherheit aber, die dieser Feldzug verursacht hat, werden weitaus höher sein.
Der Mann hat eigentlich nichts gegen Risiko. Eines seiner Hobbys ist es, im eigenen Kampfjet durch die Luft zu jagen. Doch Larry Ellison, Oracle-Chef und Multimilliardär ist vorsichtiger geworden: "Es ist eine gefährliche Welt. Wir hatten diesen wundervollen Zeitraum von zehn Jahren, wo wir so taten, als wäre sie es nicht."
Dass es mit der angstfreien Zeit endgültig vorbei ist, zeigt sich an den Aktienmärkten. Obwohl sich immer deutlicher abzeichnet, dass Amerikaner und Briten den Irak militärisch unter ihre Kontrolle bringen, sind die Anleger nicht in Feierstimmung. Im Gegenteil: Die Börsenbarometer in New York und Frankfurt am Main können sich nicht von ihren niedrigen Niveaus lösen. Im Jahresvergleich zeigt sich, was noch aufzuholen wäre: Der Dax notierte am 10. April 2002 bei 5378 Punkten, etwa doppelt so hoch wie heute; der Dow Jones müsste noch rund 2000 Punkte zulegen, um wieder zu seinen Vorjahreswerten zurückzukehren. Auch der Dollar erholt sich nicht von seinem drastischen Wertverlust - im Vergleich zum Vorjahr hat er zum Euro mehr als 20 Prozent verloren.
Immaterielle Kriegsopfer
Die ungute Stimmung ist überall. "Schon jetzt ist absehbar, dass der Krieg im Irak die weltwirtschaftlichen Unsicherheiten verstärkt und manche Wachstumshoffnungen beeinträchtigt - wenn nicht gar zunichte macht", sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Eröffnung der Hannover Messe. In guten Zeiten sind ihm bei diesem Anlass nur Begriffe wie "Leistungsschau", "Exportweltmeister" und "Ingenieurskunst" über die Lippen gekommen. Von den rund 6000 Ausstellern haben etwa 400 noch kurzfristig die Teilnahme abgesagt. Messe-Sprecher Detlev Rossa zählt nüchtern die Gründe auf: "Schlechte wirtschaftliche Lage, die Lungenkrankheit SARS und der Irak-Krieg." Kaum ein Wirtschaftsforscher will angesichts der vielen Unwägbarkeiten eine optimistische Prognose wagen. Die Europäische Zentralbank (EZB) flüchtet sich bei ihrem Monatsbericht in die vageste Formulierung, die die deutsche Sprache hergibt: "Da außergewöhnliche Umstände die Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung derzeit erschweren, wird der EZB-Rat die Ereignisse weiterhin sorgfältig beobachten."
Noch vor dem endgültigen Sieg der Briten und Amerikaner ist klar, dass mit dem Irak-Krieg ein immaterieller Wert schwer beschädigt wurde, der für die Weltwirtschaft von unschätzbarer Bedeutung ist: das Vertrauen in eine kalkulierbare Welt.
Wer verliert die Nerven?
Angesichts der unsicheren geopolitischen Lage sind viele Unternehmen in eine Art Angststarre gefallen. Investitionen werden verschoben oder ganz gestrichen. Ein Beispiel sind die Bestellungen für Firmensoftware. Peoplesoft und Siebel mussten in den vergangenen Tagen Gewinnwarnungen herausgeben, weil die wichtigsten Großkunden ihre Orders zurückgezogen hatten. So hieß es bei Peoplesoft: "Größere Sorgen wegen des Krieges und seiner Auswirkungen auf die bereits geschwächte Wirtschaft bewirkten weltweit Verzögerungen bei den Auftragseingängen von Firmen." Oracle-Chef Ellison vermutet sogar, dass die beiden Spezialanbieter in dieser "gefährlichen Welt" bald ganz von der Bildfläche verschwunden sein werden.
Doch auch Weltmarktführer können sich dem schlechten Wirtschaftsklima nicht mehr entziehen. Der Mobilfunkriese Nokia musste beispielsweise einen operativen Verlust in seiner Netzwerksparte bekannt geben - das erste Mal seit 1996. Der Grund ist einfach: Ihre Kunden, die Mobilfunkbetreiber, haben ihre Investitionen drastisch zurückgefahren und warten ab, bis das Klima sich wieder bessert.
Bei den Privatkunden ist die Situation derzeit keinen Deut besser. Das Verbrauchervertrauen fiel in den USA und in Europa auf die niedrigsten Stände seit rund einem Jahrzehnt. Mit dem Index wird gemessen, wie stark Verbraucher damit rechnen, auch in Zukunft in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen zu leben. Ist diese Zuversicht gering, dann verschieben Konsumenten in der Regel größere Anschaffungen oder teure Urlaubsreisen, was wiederum die Wirtschaft lähmt. "New-York-Times"-Kolumnist Paul Krugman hält es für möglich, dass die Konsumenten in dieser unsicheren Situation "die Nerven verlieren, bevor die Unternehmen ihren Mut wieder gewinnen".
Von Schiffen zu Flugzeugen
In Europa leidet vor allem ein Wirtschaftsbereich unter diesem zerrütteten Nervenkostüm. Nach Berechnungen der Wirtschaftsforscher von Oxford Economic Forecasting werden bei einem längeren Irak-Krieg rund 260.000 Stellen in der Tourismus-Branche der 15 EU-Länder verloren gehen, das Wachstum der Gemeinschaft reduziert sich damit um 0,7 Prozent. Deutschland, wo dem Tourismus etwa acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts zugerechnet werden, würde bei einem solchen Szenario in die Rezession fallen.
Nicht nur die Ferien-Branche ist angeschlagen. Im März fiel die Automobilnachfrage in Deutschland auf den schwächsten Wert seit zehn Jahren zurück, heißt es in einer Mitteilung des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie. Auch wenn der Krieg bald vorbei ist, werden 2003 in Westeuropa vier Prozent weniger Autos verkauft als im Vorjahr, so die düstere Prognose des Forschungsinstitutes Globals Insight Dri Automotive.
Neben den Problemen auf der Absatzseite ist die dauernde Unsicherheit für viele Unternehmen ein Kostenfaktor. Vorbei ist es mit der schönen alten Welt, in der man sich auf die billigsten Transportwege verlassen konnte. Die meisten Firmen, für die ein reibungsloser Fluss ihrer Waren lebensnotwendig ist, beschäftigen Krisenstäbe allein mit der Ausarbeitung von teureren Ausweichstrategien, falls die günstigsten Wege zu Wasser, Land oder Luft nicht mehr passierbar sind. So hat sich der amerikanische Autozulieferer Delphi, der seine Teile normalerweise per Schiff aus Asien anlanden lässt, schon vor dem Irak-Krieg den Zugriff auf eine Flotte von Frachtflugzeugen gesichert. "Wir haben gelernt, nicht auf Krisen zu warten", sagte Delphi-Vizepräsident Mark Lorenz der "Business Week".
Teure Arroganz
Die derzeitige Unsicherheit ist mit der Angst vor weiteren Terroranschlägen oder militärischen Auseinandersetzungen leider auch noch nicht hinreichend beschrieben. Nicht weniger schädlich ist es für international operierende Unternehmen, wenn der Prozess der Globalisierung zurückgedreht wird.
Anzeichen dafür gibt es leider zur Genüge. Wenn US-Präsident Bush die Telefongespräche seiner französischen und deutschen Amtskollegen nicht mehr annimmt, dann ist das nicht nur aus politischer Sicht ein Debakel. Neben Uno und Nato sind auch internationale Wirtschaftsorganisationen wie OECD, IWF oder WTO mittlerweile in größter Gefahr, ihre steuernde Kraft zu verlieren.
Ende März, als alle Welt gebannt auf Bagdad schaute, ließen Europäer und Amerikaner Fristen für eine Einigung bei der Welthandelsorganisation WTO verstreichen. Erleichterungen für den Welthandel finden damit nicht statt, Entwicklungsländern können mit ihren Agrarexporten in Europa weiter kein Geld verdienen und billige Medikamente dürfen sie auch dann nicht kaufen, wenn ihnen wegen Aids oder anderen Seuchen die halbe Bevölkerung wegstirbt.
Diese Arroganz der Industrieländer werde bei einem Sieg im Irak noch zunehmen, befürchten führende Welthandelstheoretiker. So vermutet Jagdish Bhagwati, Professor an der Columbia University in New York: "Je stärker die USA werden, desto zynischer wird ihre Handelspolitik."
Sollte sich herausstellen, dass die internationalen Wirtschaftsorganisationen tatsächlich noch schlechter funktionieren als bisher, dann wird sich das nach Ansicht von Georg Magnus, Analyst bei UBS Warburg in London, sofort in barer Münze niederschlagen: "Das wird höhere Risikoprämien für die Finanzmärkte nach sich ziehen und das Wirtschaftswachstum belasten."
Selbst die günstigste Veränderung der weltpolitischen Rahmenbedingungen - ein schnelles Ende des Irak-Kriegs, eine friedliche Lösung der aufkommenden Spannungen mit anderen Ländern wie Syrien, Iran oder Nordkorea, und ein Ende der diplomatischen Eiszeit zwischen den USA und dem "alten Europa" - würde nach Ansicht von Ökonomen die derzeitige Schwäche der Wirtschaft nur lindern, nicht beseitigen. "Selbst 'business as usual' bedeutet nur moderates Wachstum", lässt sich David Wyss, Chefökonom von Standard & Poor's, in der "New York Times" zitieren. Morgan-Stanley-Experte Stephen Roach bringt die gegenwärtige Situation auf eine noch einfachere Formel: "Ich versuche, Optimist zu sein und ich finde nichts zum anlehnen."