Aktienhändlern in Frankfurt steht der Schweiß auf der Stirn. In den Handelsräumen herrscht extreme Hektik. Einige Profis hoffen auf ein Ende des Dramas.
Frankfurt am Main - Für die Börsenexperten ist Schluss mit lustig, vielen hat es die Sprache verschlagen. "Den Händlern steht der Schweiß auf der Stirn", heißt es beim Wertpapierhaus Lang & Schwarz. "Keine Zeit, bitte später", meldet die SEB im Stakkato. Auch die Experten der DZ Bank sind nicht in Plauderstimmung. "Heute kein Kommentar", heißt es knapp.
Fidel Helmer, Leiter des Wertpapierhandels bei Hauck & Aufhäuser, findet dann doch ein paar Worte. Er erklärt den erneuten Absturz mit dem massiven Vertrauensverlust in Wertpapiere.
"Wenn permanent schlechte Nachrichten in der Pipeline sind, so wie gestern in den USA von Lucent , dann hat man schlicht und einfach Angst, dass Bilanzbetrügereien wie bei Enron, Worldcom oder Xerox noch nicht zu Ende sind", sagt Helmer.
Schwache Tage und kein Ende
Dennoch zeigt sich Helmer über den erneuten Kursrutsch erstaunt: "Nach zehn schwachen Börsentagen geht man eigentlich davon aus, dass eine technische Reaktion eintritt." Doch nach dem Erholungsversuch am Morgen sind die Aktienmärkte schnell wieder in den tiefroten Bereich gefallen. Ein Indiz mehr für die Tatsache: Die Nerven der Anleger liegen blank.
Mit einer raschen Erholung rechnet der Aktienstratege Helmer indes nicht: "Wir stehen jetzt im Dax bei 3350 Punkten. Das ist der Stand vom September 1997. Anschließend gab es eine kräftige Hausse über viele Monate hinweg. Ich hoffe, dass es diesmal auch so ausgeht, bin davon aber keineswegs überzeugt."
Es wäre blauäugig zu sagen, dass die Flut schlechter Nachrichten abreißen würde, so Helmer weiter. Er rechnet damit, dass in den kommenden Wochen noch etliche Unternehmen aus ihren alten Bilanzen so manche "Kellerleiche" zu Tage fördern würden.
Dies hätte jedoch auch positive Auswirkungen: In ein oder zwei Quartalen könnten Anleger davon ausgehen, dass die vorgelegten Zahlen dann auch korrekt seien.
Anlagestratege: "Unglaublich, was derzeit passiert"
"Der Handelstag ist noch nicht verloren", sagt Frank Schallenberger, Anlagestratege bei der Landesbank Baden-Württemberg, wenige Stunden vor Handelsbeginn in den USA. "Ich glaube nicht, dass wir heute fünf Prozent im Minus schließen." Der Salami-Crash zehre jedoch an den Nerven: "Wir haben uns leider daran gewöhnt, jeden Tag fünf Prozent herunterzurauschen. Wer geglaubt hat, fünf Prozent Tagesverlust sei bereits ein Ausverkauf, sieht sich getäuscht."
Die Abwärtsspirale werde auch durch große Fonds weitergedreht, sagt Schallenberger: "Da ziehen die Controller die Reißleine – der eine bei 30 Prozent Verlust, der andere dann vielleicht am nächsten Tag bei 35 Prozent Verlust." Es sei "unglaublich, was derzeit passiert".
Drei Gründe für die Bodenbildung
Seinen Optimismus, dass sich die Börsen in absehbarer Zeit erholen können, bezieht Schallenberger aus drei Faktoren: Erstens sei die "Fieberkurve" V-Dax, die die Schwankungen des Leitindex' misst, bei 52 und habe damit das Niveau vom vergangenen September erreicht. "Danach ist es wieder aufwärts gegangen", sagt Schallenberger.
Zweitens habe der Dollar gegenüber dem Euro wieder zugelegt, was die US-Börsen stabilisieren könnte. Schließlich seien jetzt "alle Branchen überverkauft" – der Kursrutsch habe auch die defensiven Branchen wie Konsum- und Versorgerwerte erfasst.
"Sogar Ölwerte sind unter Druck geraten, obwohl dort keine Ertragsdelle zu erwarten ist", sagt der Experte der LBBW weiter. Der Ausverkauf quer durch alle Branchen bereite den Boden für eine Aufwärtsbewegung in einer Zeit, in der wieder auf die Ertragsdaten einzelner Titel geschaut werde.
Greift die US-Notenbank ein?
Thomas Sickenberg, Chefhändler der BHF-Bank, sieht dagegen derzeit kaum Anlass zum Optimismus: "Wir sehen für den Dax keine Unterstützungslinie mehr. Der Index kann durchaus auf 3000 Punkte fallen. Ich habe da im Moment wenig Hoffnung."
Weitere Faktoren könnten die Märkte belasten: Viele Pensionsverpflichtungen der Unternehmen seien in Fonds angelegt. Mit den am Boden liegenden Märkten könnten die Unternehmen ihren Mitarbeitern jetzt nicht mehr das bezahlen, was sie ihnen versprochen hätten. "Damit kommt auch auf Dax-Konzerne noch ein exorbitanter Abschreibungsbedarf zu", warnt Sickenberg.
Es werde sicherlich noch einmal Gegenbewegungen geben, meint der Chefhändler der BHF-Bank. Es gebe auch Gerüchte, dass die Fed am Mittwochnachmittag ins Marktgeschehen möglicherweise mit einer Zinssenkung eingreife. Doch dies würde nur kurzfristig die Märkte stützen.
"Um es deutlich zu sagen: Wir spielen derzeit Deflation. Auch der US-Konsument, der zehn Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes getragen hat, wird als Stütze der Konjunktur eine immer geringere Bedeutung einnehmen", zeigt sich Sickenberg pessimistisch.
"Versicherer werfen Aktien raus"
Den aktuellen Kursverfall führt Sickenberg auf Gerüchte zurück, dass nach deutschen Versicherungen nun auch französische Versicherer massiv Aktien verkaufen. "Wir beobachten seit Wochen, dass die Konzerne primär im Future-Bereich Sicherungsgeschäfte tätigen, um ihre Aktienquote nach unten zu bringen." So solle die Stabilität im Bereich Lebensversicherung zumindest halbwegs gewährleistet werden. "Bei diesen Märkten, die wir derzeit erleben, verhagelt es ihnen sonst das ganze Ergebnis", sagt Sickenberg.
In der Vergangenheit arbeiteten Versicherungen wie Kapitalsammelstellen, sagt Sickenberg. Sie hätten in schwachen Märkten immer antizyklisch reagiert und zugekauft. Jetzt könne diese Gruppe nicht mehr gegen den Trend agieren. Sie seien nun zu Verkäufen gezwungen, da sie während der Börseneuphorie ihre Aktienquoten deutlich nach oben genommen hätten.
Für die Finanztitel zeigt sich Sickenberg weiter skeptisch. "Bei der HypoVereinsbank rechnen wir morgen mit einem Verlust in dreistelliger Millionenhöhe. Zudem wird das Institut seine Risikovorsorge wohl deutlich erhöhen müssen."
Er sähe die Bankenwerte auch wegen der schlechten Nachrichten von J.P. Morgan Chase und Citigroup unter Druck, die am Dienstag wegen risikobehafteter Kredite enorme Abschläge verzeichnet hatten.
Jene Banken, die in den letzten Jahren eine mittelständische Unternehmenspolitik gefahren hätten, müßten nun angesichts der Pleitewelle enorme Ausfallquoten verkraften. "Dazu würde ich auch die Commerzbank zählen. Es ist gegenwärtig wirklich ein Trauerspiel", sagt der BHF-Experte.
mm.de
Frankfurt am Main - Für die Börsenexperten ist Schluss mit lustig, vielen hat es die Sprache verschlagen. "Den Händlern steht der Schweiß auf der Stirn", heißt es beim Wertpapierhaus Lang & Schwarz. "Keine Zeit, bitte später", meldet die SEB im Stakkato. Auch die Experten der DZ Bank sind nicht in Plauderstimmung. "Heute kein Kommentar", heißt es knapp.
Fidel Helmer, Leiter des Wertpapierhandels bei Hauck & Aufhäuser, findet dann doch ein paar Worte. Er erklärt den erneuten Absturz mit dem massiven Vertrauensverlust in Wertpapiere.
"Wenn permanent schlechte Nachrichten in der Pipeline sind, so wie gestern in den USA von Lucent , dann hat man schlicht und einfach Angst, dass Bilanzbetrügereien wie bei Enron, Worldcom oder Xerox noch nicht zu Ende sind", sagt Helmer.
Schwache Tage und kein Ende
Dennoch zeigt sich Helmer über den erneuten Kursrutsch erstaunt: "Nach zehn schwachen Börsentagen geht man eigentlich davon aus, dass eine technische Reaktion eintritt." Doch nach dem Erholungsversuch am Morgen sind die Aktienmärkte schnell wieder in den tiefroten Bereich gefallen. Ein Indiz mehr für die Tatsache: Die Nerven der Anleger liegen blank.
Mit einer raschen Erholung rechnet der Aktienstratege Helmer indes nicht: "Wir stehen jetzt im Dax bei 3350 Punkten. Das ist der Stand vom September 1997. Anschließend gab es eine kräftige Hausse über viele Monate hinweg. Ich hoffe, dass es diesmal auch so ausgeht, bin davon aber keineswegs überzeugt."
Es wäre blauäugig zu sagen, dass die Flut schlechter Nachrichten abreißen würde, so Helmer weiter. Er rechnet damit, dass in den kommenden Wochen noch etliche Unternehmen aus ihren alten Bilanzen so manche "Kellerleiche" zu Tage fördern würden.
Dies hätte jedoch auch positive Auswirkungen: In ein oder zwei Quartalen könnten Anleger davon ausgehen, dass die vorgelegten Zahlen dann auch korrekt seien.
Anlagestratege: "Unglaublich, was derzeit passiert"
"Der Handelstag ist noch nicht verloren", sagt Frank Schallenberger, Anlagestratege bei der Landesbank Baden-Württemberg, wenige Stunden vor Handelsbeginn in den USA. "Ich glaube nicht, dass wir heute fünf Prozent im Minus schließen." Der Salami-Crash zehre jedoch an den Nerven: "Wir haben uns leider daran gewöhnt, jeden Tag fünf Prozent herunterzurauschen. Wer geglaubt hat, fünf Prozent Tagesverlust sei bereits ein Ausverkauf, sieht sich getäuscht."
Die Abwärtsspirale werde auch durch große Fonds weitergedreht, sagt Schallenberger: "Da ziehen die Controller die Reißleine – der eine bei 30 Prozent Verlust, der andere dann vielleicht am nächsten Tag bei 35 Prozent Verlust." Es sei "unglaublich, was derzeit passiert".
Drei Gründe für die Bodenbildung
Seinen Optimismus, dass sich die Börsen in absehbarer Zeit erholen können, bezieht Schallenberger aus drei Faktoren: Erstens sei die "Fieberkurve" V-Dax, die die Schwankungen des Leitindex' misst, bei 52 und habe damit das Niveau vom vergangenen September erreicht. "Danach ist es wieder aufwärts gegangen", sagt Schallenberger.
Zweitens habe der Dollar gegenüber dem Euro wieder zugelegt, was die US-Börsen stabilisieren könnte. Schließlich seien jetzt "alle Branchen überverkauft" – der Kursrutsch habe auch die defensiven Branchen wie Konsum- und Versorgerwerte erfasst.
"Sogar Ölwerte sind unter Druck geraten, obwohl dort keine Ertragsdelle zu erwarten ist", sagt der Experte der LBBW weiter. Der Ausverkauf quer durch alle Branchen bereite den Boden für eine Aufwärtsbewegung in einer Zeit, in der wieder auf die Ertragsdaten einzelner Titel geschaut werde.
Greift die US-Notenbank ein?
Thomas Sickenberg, Chefhändler der BHF-Bank, sieht dagegen derzeit kaum Anlass zum Optimismus: "Wir sehen für den Dax keine Unterstützungslinie mehr. Der Index kann durchaus auf 3000 Punkte fallen. Ich habe da im Moment wenig Hoffnung."
Weitere Faktoren könnten die Märkte belasten: Viele Pensionsverpflichtungen der Unternehmen seien in Fonds angelegt. Mit den am Boden liegenden Märkten könnten die Unternehmen ihren Mitarbeitern jetzt nicht mehr das bezahlen, was sie ihnen versprochen hätten. "Damit kommt auch auf Dax-Konzerne noch ein exorbitanter Abschreibungsbedarf zu", warnt Sickenberg.
Es werde sicherlich noch einmal Gegenbewegungen geben, meint der Chefhändler der BHF-Bank. Es gebe auch Gerüchte, dass die Fed am Mittwochnachmittag ins Marktgeschehen möglicherweise mit einer Zinssenkung eingreife. Doch dies würde nur kurzfristig die Märkte stützen.
"Um es deutlich zu sagen: Wir spielen derzeit Deflation. Auch der US-Konsument, der zehn Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes getragen hat, wird als Stütze der Konjunktur eine immer geringere Bedeutung einnehmen", zeigt sich Sickenberg pessimistisch.
"Versicherer werfen Aktien raus"
Den aktuellen Kursverfall führt Sickenberg auf Gerüchte zurück, dass nach deutschen Versicherungen nun auch französische Versicherer massiv Aktien verkaufen. "Wir beobachten seit Wochen, dass die Konzerne primär im Future-Bereich Sicherungsgeschäfte tätigen, um ihre Aktienquote nach unten zu bringen." So solle die Stabilität im Bereich Lebensversicherung zumindest halbwegs gewährleistet werden. "Bei diesen Märkten, die wir derzeit erleben, verhagelt es ihnen sonst das ganze Ergebnis", sagt Sickenberg.
In der Vergangenheit arbeiteten Versicherungen wie Kapitalsammelstellen, sagt Sickenberg. Sie hätten in schwachen Märkten immer antizyklisch reagiert und zugekauft. Jetzt könne diese Gruppe nicht mehr gegen den Trend agieren. Sie seien nun zu Verkäufen gezwungen, da sie während der Börseneuphorie ihre Aktienquoten deutlich nach oben genommen hätten.
Für die Finanztitel zeigt sich Sickenberg weiter skeptisch. "Bei der HypoVereinsbank rechnen wir morgen mit einem Verlust in dreistelliger Millionenhöhe. Zudem wird das Institut seine Risikovorsorge wohl deutlich erhöhen müssen."
Er sähe die Bankenwerte auch wegen der schlechten Nachrichten von J.P. Morgan Chase und Citigroup unter Druck, die am Dienstag wegen risikobehafteter Kredite enorme Abschläge verzeichnet hatten.
Jene Banken, die in den letzten Jahren eine mittelständische Unternehmenspolitik gefahren hätten, müßten nun angesichts der Pleitewelle enorme Ausfallquoten verkraften. "Dazu würde ich auch die Commerzbank zählen. Es ist gegenwärtig wirklich ein Trauerspiel", sagt der BHF-Experte.
mm.de