Montag, 25. März 2002
Nigeria: Keine Steinigung
Freispruch für Frau
Die zum Tod durch Steinigung verurteilte Nigerianerin Safyiatu Hussaini ist am Montag freigesprochen worden. Sie habe das Berufungsgericht im Bundesstaat Sokoto von ihrer Unschuld überzeugt, meldeten lokale Medien. Unterdessen berichtete jedoch die BBC über ein weiteres Steinigungsurteil. Eine Frau sei am Freitag im Bundesstaat Katsina wegen Ehebruchs zum Tode verurteilt worden.
Die 35-jährige Safyiatu Hussaini war im Oktober von einem Scharia-Gericht im nördlichen Bundesstaat Sokoto wegen angeblichen Ehebruchs verurteilt worden. Sie hatte ein uneheliches Kind bekommen. Nach dem islamischen Recht ist dies bereits ein schwerer Straftatbestand. Auch dann, wenn die Schwangerschaft nach einer Scheidung eintritt, gilt sie als Ehebruch.
Die fünffache Mutter erklärte in dem weltweit beachteten Prozess, ihr geschiedener Ehemann Ibrahim sei der Vater ihrer Tochter Adama. Vor der Berufungsverhandlung sagte sie, falls sie gewinne, würde sie ihn wieder heiraten. Anfangs hatte Hussaini behauptet, durch eine Vergewaltigung schwanger geworden zu sein.
Weltweite Proteste
Das Todesurteil für Safiyatu Hussaini hatte weltweite Proteste ausgelöst und in Nigeria erneut die Debatte um die Verfassungsmäßigkeit der Einführung des islamischen Rechts in zwölf Bundessstaaten innerhalb der vergangenen zwei Jahre entfacht. Seit im Norden die Scharia eingeführt wurde, sind die traditionellen Spannungen zwischen den Volksgruppen und zwischen Moslems und Christen gestiegen. Hussaini wäre die erste Frau gewesen, die seitdem im Norden gesteinigt worden wäre.
Biologisch abwegige Lösung
Internationale Menschenrechtsorganisationen hatten der Frau elf Anwälte gestellt. Die Verteidigung machte geltend, in erster Instanz sei ein Gesetz angewendet worden, dass es zum Zeitpunkt des angeblichen Ehebruchs noch nicht gab.
Einer der Anwälte plädierte darauf, dass das Kind das Produkt einer "ruhenden Schwangerschaft" sei. Danach wurde die heute einjährige Adama bereits vor drei Jahren gezeugt. Zu dieser Zeit war Hussaini noch mit ihrem Ex-Mann verheiratet. Nach islamischem Recht ist eine Spanne von bis zu sieben Jahren zwischen Empfängnis und Geburt denkbar.
Erleichterung bei Amnesty International
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (A I) hat den Freispruch von Hussaini mit großer Erleichterung begrüßt. Dennoch äußerte sich AI in einer Erklärung, die sie am Montag zusammen mit der Frauenrechtsgruppe BAOBAB herausgab, zutiefst besorgt über neue von Scharia-Gerichten im Norden Nigerias verhängte Urteile.
Strafmaßnahmen wie das Steinigen, Auspeitschen und Amputieren von Händen und Füßen seien grausam und unmenschlich, schrieben die beiden Organisationen. Sie handelten den Richtlinien der UN-Konvention gegen Folter zuwider, die Nigeria im Juni 2001 ratifiziert hatte, erinnern A I und BAOBAB. Im Falle von Hussaini käme hinzu, dass die Angeklagte nur unzureichenden Rechtsschutz genossen habe. Scharia-Richter hätten häufig keine juristische Ausbildung und neigten dazu, Frauen und speziell solche aus sozial schwachen Schichten zu benachteiligen.
A I und Baobab appellieren an die nigerianische Führung, dafür zu sorgen, dass alle Gerichte im Land die ratifizierten Menschenrechtskonventionen im Alltag auch wirklich beachten.
Justiz lenkt ein
Angesichts der internationalen Proteste hatte die Politik in Nigeria reagiert und die strikte Einführung von Scharia-Gerichten in den nördlichen Bundesstaaten für illegal erklärt. "Ein Moslem sollte nicht strenger für ein Vergehen bestraft werden als jeder andere Nigerianer", schrieb Justizminister Godwin Agabi in einem Brief an die betreffenden Behörden. Jedes Gericht, das diskriminierende Bestrafungen erteile, sei nicht verfassungskonform. "Es gefährdet die Stabilität, Einheit und Integrität der Nation."
Montag, 25. März 2002
Hussaini-Freispruch löst Streit nicht
Die Scharia in Nigeria bleibt
Als der erlösende Urteilsspruch verkündet wurde, brach Safyiatu Hussaini in lauten Jubel aus. Umringt von Fotografen aus aller Welt schloss die Mutter strahlend ihre kleine Tochter in die Arme und lobte Allah. Die uneheliche Existenz der einjährigen Adama hätte die 35-Jährige um ein Haar das Leben gekostet.
Tod durch Steinigung für Ehebruch hieß das Scharia-Urteil, das das Berufungsgericht im nordnigerianischen Sokoto am Montag nach Monaten des Bangens aufhob. Doch während Safyiatu Husseini ihr Leben zurückbekam, zittert darum bereits die nächste angebliche Ehebrecherin im Bundesstaat Katsina im Norden Nigerias.
Die weltweit beachteten Urteile der Scharia-Gerichte, die es in zwölf nigerianischen Bundesstaaten gibt, wirbeln auch in dem westafrikanischen Land selbst Staub auf: Zwei Jahre nach der Einführung der Scharia im ersten Bundesstaat ist in Nigeria die Debatte über die Verfassungsmäßigkeit der Anwendung des islamischen Rechts erneut entfacht.
Ausgerechnet Safyiatu Hussaini hat daran keinen Zweifel. Als Moslemin lebe sie gern und selbstverständlich unter dem Gesetz des Islams, erklärte sie dem Radiosender BBC. Doch ihr Richter habe sie bei der Verhandlung in dem kleinen Ort Gwadabawa im Oktober unfair behandelt. "Weil ich arm bin, weil ich eine Frau bin", sagte sie. "Andere haben schlimme Verbrechen begangen. Aber weil sie Männer sind oder mehr Einfluss haben, werden sie nicht bestraft."
Nach Ansicht des nigerianischen Justizmininisters Godwin Agabi werden durch die Einführung der Scharia-Gerichte nicht nur Frauen diskriminiert. Er hält sie deshalb für unvereinbar mit der Landesverfassung. "Moslem sollte nicht strenger für ein Vergehen bestraft werden als jeder andere Nigerianer", schrieb er an die betroffenen Bundesstaaten. In den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Christen um die Einführung der Scharia sind in den vergangenen zwei Jahren in Nordnigeria rund 2.000 Menschen ums Leben gekommen. Mit derart harscher Kritik hat die Regierung von Präsident Olusegun Obasanjo - ein überzeugter Christ - bislang jedoch gespart.
2Ob es der öffentliche Druck aus dem Ausland oder die bevorstehenden Wahlen sind", meint ein Anwalt in der Hauptstadt Abuja, "nach Monaten des Stillschweigens macht die Regierung nun ein Fass wieder auf, das lange verschlossen war". Agabis Bitte um Mäßigung der Scharia-Richter bei künftigen Urteilen versetzt viele Moslems in Empörung. "Die Christen verstehen die Scharia falsch", sagte ein Vertreter der Regierung in Zamfara."Es ist nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht jedes Moslems, nach ihren Vorschriften zu leben."
Lokale Protestgruppen wie die Organisation für "Gemeinschaftsentwicklung und Wohlfahr" sprachen hingegen von einer fundamentalen Bedrohung für die Souveränität und Legalität des nigerianischen Staates. Nach ihrer Ansicht unterwandert die Einführung der Scharia das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat.
Während internationaler Menschenrechtsorganisationen den erkämpften Freispruch Hussainis noch feierten, verbreitete sich die Nachricht von der nächsten Todeskandidatin. Im kleinen Dorf Bakori im Bundesstaat Katsina wurde Amina Lawal angeblich des Ehebruchs überführt. Im vergangenen Jahr war in diesem Staat bereits ein Mann nach der Scharia gehenkt worden. Menschenrechtler bereiten sich auf den nächsten Kampf vor. "Es sieht so aus, als müsse erst der erste Fall nach abgelehntem Berufungsverfahren vor das Oberste Gericht nach Abuja kommen ", meint der dort ansässige Anwalt. "Das nämlich wäre der wirkliche Prüfstand dafür, ob die eigenmächtige Einführung des islamischen Rechts verfassungskonform ist."