18.03.2002 17:51
SZ-Kommentar
Die feinen Asozialen
Im Kampf gegen die verbreitete Korruption steht Deutschland noch ganz am Anfang
Von Oliver Schumacher
(SZ vom 19.03.02) - Deutschlands politische Klasse bleibt sich treu. Missstände packen die Parteien erst dann an, wenn die Misere trotz allen Schönredens nicht mehr zu bemänteln ist. So war es in dem Parteispenden-Skandal der CDU, so war es in der Affäre um die Bundesanstalt für Arbeit, und so ist es im nunmehr eröffneten Kampf gegen die Korruption.
Seit langem ist bekannt, dass viele Firmen in Deutschland mit rüden Methoden vorgehen, um einen Auftrag zu ergattern. Dubiose Praktiken bis hin zu Bestechung sind keineswegs die Taten verirrter Außenseiter. Immer wieder hat – um nur ein Beispiel zu nennen – die Antikorruptions-Organisation „Transparency International“ den Sittenverfall hier zu Lande beklagt. Geschehen ist fast nichts.
Unbehelligt und ungeniert weitermachen
Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Beispiel Nordrhein-Westfalen) machen Bund, Länder und Gemeinden im alten Trott weiter. Die Konsequenzen sind erschreckend: Firmen, die sich öffentliche Aufträge illegal erschlichen haben, können sich ungeniert anderswo um ein Geschäft bemühen. Selbst Fehlverhalten der schlimmeren Art wird in der Regel nicht sanktioniert. So viel Nachsicht übt der Staat mit anderen Übeltätern nicht.
Dass es so nicht weiter gehen kann, ist erst recht nach den hässlichen Vorfällen in Köln offensichtlich. Die Bundesregierung spürt den Druck. Wirtschaftsminister Werner Müller hat sich an die Spitze der Reformer gesetzt. Das parteilose Kabinettsmitglied kündigte nun ein Anti-Korruptionsregister an: Jedes Unternehmen, das sich mittels Schmiergeld Aufträge gesichert hat, soll zukünftig in der ganzen Republik keine Gebote mehr für öffentliche Projekte abgeben dürfen.
Wettbewerbsverzerrung auf Kosten der Ehrlichen
Müllers Vorstoß ist aus moralischen, politischen und ökonomischen Gründen überfällig. Korruption beschädigt den Rechtsstaat. Widerstand gegen Käuflichkeit ist nicht nur ein moralisches Gebot, sondern geradezu eine demokratische Pflicht. Nicht zu unterschätzen ist auch der ökonomische Schaden.
Wirtschaftswissenschaftler sprechen von einer „Fehlallokation“. Das hört sich abstrakt an, hat aber konkrete Folgen: Schummler und Betrüger verzerren den Wettbewerb. Bakschisch benachteiligt die pfiffigen Anbieter und begünstigt jene, die in fairer Konkurrenz nicht mithalten können.
Korrupte Betriebe schaden somit dem Wirtschaftsstandort Deutschland, weil die Anständigen ohne eigene Schuld zurückfallen. Alle Ehrlichen, ob Aktionäre, Manager oder Beschäftigte, müssen daher im eigenen Interesse gegen schmutzige Geschäfte mobil machen. Wer die Augen zudrückt, betrügt sich selbst und gefährdet sein eigenes Wohl.
Korrupte Firmen handeln asozial
Was für die Gesellschaft gilt, trifft erst recht für den Staat zu. Korrupte Machenschaften bedeuten nichts anderes, als dass Steuergeld in zweifelhaften Kanälen versickert. Projekte werden unnötig aufgebläht oder gar realisiert, obwohl sie keiner braucht. Anschließend fehlen für dringende Dinge – Schulen, Krankenhäuser oder Polizeicomputer – die Haushaltsmittel. Korrupte Firmen handeln also asozial.
Weil das Fazit so eindeutig ausfällt, mag sich manch unbescholtener Bürger fragen, warum die öffentliche Hand so zögerlich agiert. Zur Ehrenrettung von Bürgermeistern, Ministerpräsidenten und Parteigrößen auf Bundesebene sei gesagt, dass nicht allein Schlafmützigkeit und Verdrängung die Probleme hat eskalieren lassen. Die Materie ist zu allem Überfluss komplex.
Sollen alle für einen büßen?
Viele Fragen sind schwierig zu beantworten: Ist es gerecht, einen Konzern und seine ganze Belegschaft zu bestrafen, wenn sich nur Einzelne – möglicherweise gar untergeordnete Funktionsinhaber – als Übeltäter entpuppt haben? Sollen dafür wirklich Tausende büßen? Oder: Ab welchem Vergehen gilt welche Sanktion? Keineswegs alle Fälle sind so krass, dass drakonische Strafen ohne Alternative wären.
Die Debatte steht noch am Anfang. Wer sie mit vernünftigen Ergebnissen führen will, muss sich vor allem von der Illusion verabschieden, die Bundesrepublik sei ein Musterland.
SZ-Kommentar
Die feinen Asozialen
Im Kampf gegen die verbreitete Korruption steht Deutschland noch ganz am Anfang
Von Oliver Schumacher
(SZ vom 19.03.02) - Deutschlands politische Klasse bleibt sich treu. Missstände packen die Parteien erst dann an, wenn die Misere trotz allen Schönredens nicht mehr zu bemänteln ist. So war es in dem Parteispenden-Skandal der CDU, so war es in der Affäre um die Bundesanstalt für Arbeit, und so ist es im nunmehr eröffneten Kampf gegen die Korruption.
Seit langem ist bekannt, dass viele Firmen in Deutschland mit rüden Methoden vorgehen, um einen Auftrag zu ergattern. Dubiose Praktiken bis hin zu Bestechung sind keineswegs die Taten verirrter Außenseiter. Immer wieder hat – um nur ein Beispiel zu nennen – die Antikorruptions-Organisation „Transparency International“ den Sittenverfall hier zu Lande beklagt. Geschehen ist fast nichts.
Unbehelligt und ungeniert weitermachen
Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Beispiel Nordrhein-Westfalen) machen Bund, Länder und Gemeinden im alten Trott weiter. Die Konsequenzen sind erschreckend: Firmen, die sich öffentliche Aufträge illegal erschlichen haben, können sich ungeniert anderswo um ein Geschäft bemühen. Selbst Fehlverhalten der schlimmeren Art wird in der Regel nicht sanktioniert. So viel Nachsicht übt der Staat mit anderen Übeltätern nicht.
Dass es so nicht weiter gehen kann, ist erst recht nach den hässlichen Vorfällen in Köln offensichtlich. Die Bundesregierung spürt den Druck. Wirtschaftsminister Werner Müller hat sich an die Spitze der Reformer gesetzt. Das parteilose Kabinettsmitglied kündigte nun ein Anti-Korruptionsregister an: Jedes Unternehmen, das sich mittels Schmiergeld Aufträge gesichert hat, soll zukünftig in der ganzen Republik keine Gebote mehr für öffentliche Projekte abgeben dürfen.
Wettbewerbsverzerrung auf Kosten der Ehrlichen
Müllers Vorstoß ist aus moralischen, politischen und ökonomischen Gründen überfällig. Korruption beschädigt den Rechtsstaat. Widerstand gegen Käuflichkeit ist nicht nur ein moralisches Gebot, sondern geradezu eine demokratische Pflicht. Nicht zu unterschätzen ist auch der ökonomische Schaden.
Wirtschaftswissenschaftler sprechen von einer „Fehlallokation“. Das hört sich abstrakt an, hat aber konkrete Folgen: Schummler und Betrüger verzerren den Wettbewerb. Bakschisch benachteiligt die pfiffigen Anbieter und begünstigt jene, die in fairer Konkurrenz nicht mithalten können.
Korrupte Betriebe schaden somit dem Wirtschaftsstandort Deutschland, weil die Anständigen ohne eigene Schuld zurückfallen. Alle Ehrlichen, ob Aktionäre, Manager oder Beschäftigte, müssen daher im eigenen Interesse gegen schmutzige Geschäfte mobil machen. Wer die Augen zudrückt, betrügt sich selbst und gefährdet sein eigenes Wohl.
Korrupte Firmen handeln asozial
Was für die Gesellschaft gilt, trifft erst recht für den Staat zu. Korrupte Machenschaften bedeuten nichts anderes, als dass Steuergeld in zweifelhaften Kanälen versickert. Projekte werden unnötig aufgebläht oder gar realisiert, obwohl sie keiner braucht. Anschließend fehlen für dringende Dinge – Schulen, Krankenhäuser oder Polizeicomputer – die Haushaltsmittel. Korrupte Firmen handeln also asozial.
Weil das Fazit so eindeutig ausfällt, mag sich manch unbescholtener Bürger fragen, warum die öffentliche Hand so zögerlich agiert. Zur Ehrenrettung von Bürgermeistern, Ministerpräsidenten und Parteigrößen auf Bundesebene sei gesagt, dass nicht allein Schlafmützigkeit und Verdrängung die Probleme hat eskalieren lassen. Die Materie ist zu allem Überfluss komplex.
Sollen alle für einen büßen?
Viele Fragen sind schwierig zu beantworten: Ist es gerecht, einen Konzern und seine ganze Belegschaft zu bestrafen, wenn sich nur Einzelne – möglicherweise gar untergeordnete Funktionsinhaber – als Übeltäter entpuppt haben? Sollen dafür wirklich Tausende büßen? Oder: Ab welchem Vergehen gilt welche Sanktion? Keineswegs alle Fälle sind so krass, dass drakonische Strafen ohne Alternative wären.
Die Debatte steht noch am Anfang. Wer sie mit vernünftigen Ergebnissen führen will, muss sich vor allem von der Illusion verabschieden, die Bundesrepublik sei ein Musterland.