Von Holger Kulick
Künstler halten sich in diesem Wahlkampf kaum zurück. Vor allem Unionskandidat Stoiber ist für viele eine Reizfigur, aber auch die FDP bekommt zunehmend Ärger mit den Intellektuellen. Besonders hart geht jetzt ein Ostberliner Plakatkünstler mit der Möllemann-Partei ins Gericht.
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Steht "18" für AH, also für Adolf Hitler? Butzmanns Anti-FDP-PlakatIn der Galerie des evangelischen Kunstdienstes im Berliner Dom hängt ein Plakat mit einer eingekreisten 18 - fast wie bei der FDP. Bloß diese 18 trägt Hitlerbart und Hitlertolle. Auch an Pankower Straßenbäumen hängt das Plakat mit der Überschrift "Schluss mit lustig!". Entworfen hat es der 60-jährige Manfred Butzmann. Er ist in Ostdeutschland das, was im Westen Klaus Staeck ist: ein Quergeist und Denkanstoßgeber, der sich mit seinen politischen Plakaten oft auch Ärger einhandelt.
So auch dieses Mal: Beinahe hätte Butzmann ein Rechtsstreit mit dem sächsischen Verfassungsschutz gedroht. Den hatte er um die Genehmigung eines Motivs gebeten, das auf den jüngsten Bericht der Verfassungsschützer verweist. Darin steht nämlich, was die Zahl 18 in der Geheimsprache der Neonazis bedeutet: "18 und 88 sind Zahlendarstellungen, die als Synonym für jeweils den 1. und 8. Buchstaben des Alphabets stehen. Die Buchstaben A (=1) und H (=8) bedeuten Adolf Hitler, zweimal der Buchstabe H bedeutet Heil Hitler (=88)."
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Siegeszuversicht im Zeichen der 18? FDP-Funktionäre Möllemann und Westerwelle im Sumpf brauner ZahlensymbolikAngesichts der Antisemitismusdebatte um den umstrittenen FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann fasste Butzmann also den Entschluss, diese Erkenntnis auf ein Plakat zu bannen, und empfahl den Herren Westerwelle und Möllemann auf seinem Musterentwurf, die Homepage des sächsischen Verfassungsschutzes (www.sachsen.de/verfassungsschutz) anzuklicken. Das jedoch fanden die Verfassungswächter weniger lustig. Es könnte schließlich der Eindruck entstehen, der Verfassungsschutz stehe hinter der Aussage des Plakats. Daraufhin entschloss sich Butzmann, nur den Kernsatz aus dem Verfassungsschutzbericht wörtlich zu zitieren - was juristisch ungefährlich ist.
"Ich lehne einen mit Nazi-Stimmen gewählten deutschen Minister ab", begründet Butzmann seine Aktion. Als er aus rechtsradikalen Kreisen hörte, wie stolz man dort auf die allgegenwärtige "18" der FDP sei, bestärkte ihn das nur in seinem Vorhaben. In der englischen rechtsextremen Gruppe "combat 18" trage man - wie einst FDP-Chef Guido Westerwelle bei "Christiansen" - die 18 sogar auf Schuhsohlen.
Stoiber als Biedermann?
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"D-Land" von Thomas Schliesser Der Versuch einiger liberaler Spitzenpolitiker, am rechten Rand nach Stimmen zu fischen, stieß auch bei anderern Künstlern auf Unmut. So hatte die Malerin und Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley noch vor Jahresfrist für die Berliner FDP im Wahlkampf getrommelt, inzwischen führt sie jedoch Unterschriftenlisten gegen den neuen FDP-Kurs an. Der Berliner Maler Thomas Schliesser widmete der FDP ein Bild: "Willkommen in D-Land" - ein leerer Rahmen, in dem Deutschland sein Gesicht verloren hat.
Auch im Spielplan des "Berliner Ensemble" dreht sich scheinbar alles um die Entscheidung am 22. September: "Unser Wahlprogramm" überschreibt das Theater in diesem Monat sein Programmheft. Dort gibt es individuelle Empfehlungen: "Mutter Courage" für Arbeitslose, "Was wollt Ihr denn?" für Ausländer, "Zigarren" von Wittenbrink für Schröder und "Biedermann und die Brandstifter" von Frisch für Stoiber.
"Lieb ficken" mit Rot-Grün
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Wahlhelfer Wolfgang Niedecken (BAP) initiierte ein rot-grünes Wahlkonzert vor dem Brandenburger Tor (mit Kanzler Schröder und Außenminister Fischer)Die Gruppe SPAX hat da eine noch klarere Sprache: "Stoiber ist Gift", heißt es in einem ihrer Rap-Songs. Unter www.rap.de finden sich inzwischen eine ganze Reihe bekannter HipHopper mit dem Aufruf: "Wählt nicht Stoiber". Darunter sind auch namhafte Künstler wie Smudo. Der Rapper von den Fantastischen Vier bekennt sich zu Rot-Grün, andere Bands wie "Brothers-Keepers" haben kein Problem damit, sowohl bei Veranstaltungen von SPD und Grünen, als auch bei der PDS aufzutreten.
Edmund Stoiber hat es auffällig schwerer, aktive prominente Unterstützer aus dem Kulturbereich zu finden, die Mehrzahl seiner bekennenden Wähler stammt eher aus dem Sport: Rodel-Olympiasieger Georg Hackl, FC-Bayern-Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge oder der Bundesliga-Kicker Mario Basler gehören laut einer Umfrage der "Bild"-Zeitung dazu, ebenso der 72-jährige Schauspieler Hans Clarin, das Berliner "Partygirl" Ariane Sommer oder die Sopranistin Dagmar Schellenberger. Kulturstars mit Breitenwirkung finden sich an Stoibers Seite aber weniger.
Für Schröder bekennen dagegen eine Reihe populärer Musiker Farbe: Die Ost-Kultband Puhdys outete sich in einer Anzeige als SPD-treu, und BAP organisierte vor dem Brandenburger Tor eine rot-grüne Wahlkampfbühne. Für eine Partei alleine wollten sie aber nicht auftreten, für zwei und damit ein Politikkonzept aber schon. An der Seite der Kölner Dialektrocker spielte auch sofaplanet für Schröder und Fischer: "Wir wollen in einem friedlichen Land lieb ficken können", wünschte sich die Newcomer-Band. "Lieb ficken" heißt ihr aktueller Song.
Staecks Schulden-MotivDagegen wirkt das Engagement des bissigen Plakatkünstlers Klaus Staeck beinahe altbacken. Gleich drei Plakate hat er in diesem Wahlkampf entworfen. Einmal hat er eine Registrierkasse mit dem Spruch kombiniert "Wir wollen mit dem Schuldenmachen da weitermachen, wo wir vor vier Jahren aufgehört haben - CDU". Ein anderes Motiv zeigt Edmund Stoiber mit dem Spruch "Ihr werdet mich schon noch kennen lernen" und ein drittes Motiv zeigt einen Rücken: "Auf dem Rücken von Ausländern lässt sich am besten Wahlkampf machen", heißt der zugehörige Spruch.
Edition Staeck
Staecks Anti-Unions-PlakatNachdem die Union in den letzten Wahlkampftagen wieder einmal das Thema Zuwanderung aufs Tapet hob, fühlt sich Staeck bestätigt. "Die gewissenlose Emotionalisierung dieser Frage war vorherzusehen", sagt Staeck, der schon seit Monaten Unterschriften sammelt, um mit Künstlerfreunden gemeinsam Anzeigen in großen Tageszeitungen zu schalten. Überschrift: "Wählen statt Stoiber". Einmischung sei schließlich erste Bürgerpflicht, so der Künstler, "allerdings nicht nur, wenn Wahlen anstehen."
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