Aus der FTD vom 1.10.2002 www.ftd.de/muenchau
Kolumne: Vaterland der untergehenden Sonne
Von Wolfgang Münchau
Die Entwicklung der deutschen und der japanischen Wirtschaft weist beunruhigende Parallelen auf.
Während wir uns in Deutschland darüber streiten, ob die rot-grüne Regierung die Steuern anheben oder eher Einsparungen im Haushalt vornehmen soll, macht man sich im Ausland ganz andere Sorgen um uns. Was unsere amerikanischen Freunde wirklich erregt, ist unsere Volkswirtschaft. Man fürchtet, dass Deutschland in den nächsten zehn Jahren den gleichen Weg gehen wird wie Japan in den vergangenen zehn Jahren - einen Weg in die Deflation.
Auch diese Kolumne erhebt nicht den Anspruch, diese Frage abschließend zu beantworten. Es gibt Argumente, die einen Vergleich zwischen Japan und Deutschland erlauben; trotzdem existieren auch erhebliche Unterschiede. Das Problem ist, dass wir das Phänomen der japanischen Wirtschaftsentwicklung noch immer nicht vollständig durchdrungen haben. Wir haben eine Reihe von Theorien; einige sind mehr, andere weniger plausibel. Unser Vergleichsszenario hängt stark davon ab, für welche dieser Sichtweisen wir uns entscheiden.
In Japan ist Folgendes passiert: Zunächst platzte eine enorme Blase an den Aktien- und Immobilienmärkten. Danach erlitt Japan eine Rezession; Inflationsraten gingen drastisch zurück und wurden Mitte der 90er Jahre negativ. Die Zentralbank hat spät auf die Disinflation und spätere Deflation reagiert. Anfang 1995 stand der offizielle Diskontsatz der Bank of Japan noch bei 1,75 Prozent - er steht jetzt bei 0,25 Prozent. Das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes ging stark zurück.
Leiden an der Liquiditätsfalle
Trotz fallender Zinssätze steckt Japan in der so genannten Liquiditätsfalle: Die Preise können immer weiter fallen, die Zinsen hingegen nicht (*). Mit Ausnahme des Jahres 1996 wies Japan jährliche Wachstumsraten von unter zwei Prozent auf; das Potenzialwachstum wird auf etwa 1,5 Prozent geschätzt (das Potenzialwachstum der USA liegt bei drei Prozent). Die Uno prognostiziert einen Rückgang der japanischen Bevölkerung bis zum Jahre 2025 um 2,5 Prozent auf 123,8 Millionen. Das Land leidet zudem unter erheblichen strukturellen Schwächen, insbesondere im Bankensektor.
Anders als Japan erlitt Deutschland gleich zwei große Schocks: die Wiedervereinigung, die ökonomisch völlig falsch bewältigt wurde, und zehn Jahre später eine geplatzte Aktienblase. Die Immobilienpreise blieben zwar stabil. Doch verzeichnet Deutschland seit der Wiedervereinigung relativ niedrige Wachstumsraten - und erlebte zwei Rezessionen, zuletzt im Jahre 2001. Die Inflation hier zu Lande beträgt derzeit um die ein Prozent, im Vergleich zum Vorjahr mit stark abnehmender Tendenz. In den vergangenen Monaten lag die monatliche Inflation sogar bei null, was aus messtechnischen Gründen schon eine leichte Deflation darstellt. Der offizielle Kurzfristzinssatz der EZB beträgt 3,25 Prozent.
Insbesondere US-Ökonomen warnen vor einer aufkommenden Liquiditätsfalle in Europa. (**). Im Fall Deutschland spricht dafür, dass das deutsche Potenzialwachstum - einst wurde es auf über zwei Prozent beziffert - mittlerweile nur noch auf 1,5 Prozent geschätzt wird. Die Uno prognostiziert zudem einen Rückgang der deutschen Bevölkerung von 3,8 Prozent auf 78,9 Millionen bis ins Jahr 2025. Und wie Japan leidet auch Deutschland unter erheblichen strukturellen Schwächen, insbesondere im Arbeitsmarkt.
Es gibt auch Unterschiede
Die wirtschaftliche Entwicklung Japans und Deutschlands ist also nicht identisch, aber in einigen Bereichen doch sehr ähnlich. Es wäre aber leichtfertig, die vielen Gemeinsamkeiten herunterzuspielen und sich auf die zweifellos existierenden Unterschiede zu berufen. Beide Staaten sind ehemalige Wirtschaftswunder-Länder, die durch eine Reihe von Schocks ihre Kraft verloren haben. Beide Staaten sind vorwiegend exportorientierte Industrie-Ökonomien und haben stabile, strukturrigide Wirtschaftssysteme, die nicht in die marktwirtschaftlichen Orthodoxien hineinpassen. Und beide Staaten leiden darunter, dass die Binnenwirtschaft schon lange nicht mehr gut läuft und dass die Konsumenten lieber sparen als konsumieren. Das ist nur zum Teil eine Folge der Bevölkerungsentwicklung.
Natürlich hat Deutschland gegenüber Japan eine Reihe von Stärken. Unser Bankensystem ist trotz seiner bekannten Schwächen weitaus robuster als das japanische. Wir haben kein systematisches Problem mit faulen Krediten oder mit einer korrupten Bankaufsicht. Wir haben auch weniger Corporate-Governance-Probleme. Und wir können uns glücklich schätzen, dass wir kein MITI haben - Japans Superministerium für Wirtschaft und Industrie -, sondern lediglich ein etwas desolates Wirtschaftsministerium, das vom maroden Charme seiner großen Vergangenheit geprägt ist. Zudem ist Deutschland in vielen für die Wirtschaft wichtigen Bereichen strukturell gesünder als Japan. Eine lang anhaltende Deflation ist zwar auch bei uns möglich, aber auf Grund vieler Preisrigiditäten, etwa bei Lohnverhandlung oder Einzelhandelssektor, eher unwahrscheinlich.
Aus strukturellen Gründen ist ein Vergleich von Japan und Deutschland nicht möglich. Die makroökonomischen und demoskopischen Parallelen indes lassen sich nicht wegdiskutieren.
Kolumne: Vaterland der untergehenden Sonne
Von Wolfgang Münchau
Die Entwicklung der deutschen und der japanischen Wirtschaft weist beunruhigende Parallelen auf.
Während wir uns in Deutschland darüber streiten, ob die rot-grüne Regierung die Steuern anheben oder eher Einsparungen im Haushalt vornehmen soll, macht man sich im Ausland ganz andere Sorgen um uns. Was unsere amerikanischen Freunde wirklich erregt, ist unsere Volkswirtschaft. Man fürchtet, dass Deutschland in den nächsten zehn Jahren den gleichen Weg gehen wird wie Japan in den vergangenen zehn Jahren - einen Weg in die Deflation.
Auch diese Kolumne erhebt nicht den Anspruch, diese Frage abschließend zu beantworten. Es gibt Argumente, die einen Vergleich zwischen Japan und Deutschland erlauben; trotzdem existieren auch erhebliche Unterschiede. Das Problem ist, dass wir das Phänomen der japanischen Wirtschaftsentwicklung noch immer nicht vollständig durchdrungen haben. Wir haben eine Reihe von Theorien; einige sind mehr, andere weniger plausibel. Unser Vergleichsszenario hängt stark davon ab, für welche dieser Sichtweisen wir uns entscheiden.
In Japan ist Folgendes passiert: Zunächst platzte eine enorme Blase an den Aktien- und Immobilienmärkten. Danach erlitt Japan eine Rezession; Inflationsraten gingen drastisch zurück und wurden Mitte der 90er Jahre negativ. Die Zentralbank hat spät auf die Disinflation und spätere Deflation reagiert. Anfang 1995 stand der offizielle Diskontsatz der Bank of Japan noch bei 1,75 Prozent - er steht jetzt bei 0,25 Prozent. Das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes ging stark zurück.
Leiden an der Liquiditätsfalle
Trotz fallender Zinssätze steckt Japan in der so genannten Liquiditätsfalle: Die Preise können immer weiter fallen, die Zinsen hingegen nicht (*). Mit Ausnahme des Jahres 1996 wies Japan jährliche Wachstumsraten von unter zwei Prozent auf; das Potenzialwachstum wird auf etwa 1,5 Prozent geschätzt (das Potenzialwachstum der USA liegt bei drei Prozent). Die Uno prognostiziert einen Rückgang der japanischen Bevölkerung bis zum Jahre 2025 um 2,5 Prozent auf 123,8 Millionen. Das Land leidet zudem unter erheblichen strukturellen Schwächen, insbesondere im Bankensektor.
Anders als Japan erlitt Deutschland gleich zwei große Schocks: die Wiedervereinigung, die ökonomisch völlig falsch bewältigt wurde, und zehn Jahre später eine geplatzte Aktienblase. Die Immobilienpreise blieben zwar stabil. Doch verzeichnet Deutschland seit der Wiedervereinigung relativ niedrige Wachstumsraten - und erlebte zwei Rezessionen, zuletzt im Jahre 2001. Die Inflation hier zu Lande beträgt derzeit um die ein Prozent, im Vergleich zum Vorjahr mit stark abnehmender Tendenz. In den vergangenen Monaten lag die monatliche Inflation sogar bei null, was aus messtechnischen Gründen schon eine leichte Deflation darstellt. Der offizielle Kurzfristzinssatz der EZB beträgt 3,25 Prozent.
Insbesondere US-Ökonomen warnen vor einer aufkommenden Liquiditätsfalle in Europa. (**). Im Fall Deutschland spricht dafür, dass das deutsche Potenzialwachstum - einst wurde es auf über zwei Prozent beziffert - mittlerweile nur noch auf 1,5 Prozent geschätzt wird. Die Uno prognostiziert zudem einen Rückgang der deutschen Bevölkerung von 3,8 Prozent auf 78,9 Millionen bis ins Jahr 2025. Und wie Japan leidet auch Deutschland unter erheblichen strukturellen Schwächen, insbesondere im Arbeitsmarkt.
Es gibt auch Unterschiede
Die wirtschaftliche Entwicklung Japans und Deutschlands ist also nicht identisch, aber in einigen Bereichen doch sehr ähnlich. Es wäre aber leichtfertig, die vielen Gemeinsamkeiten herunterzuspielen und sich auf die zweifellos existierenden Unterschiede zu berufen. Beide Staaten sind ehemalige Wirtschaftswunder-Länder, die durch eine Reihe von Schocks ihre Kraft verloren haben. Beide Staaten sind vorwiegend exportorientierte Industrie-Ökonomien und haben stabile, strukturrigide Wirtschaftssysteme, die nicht in die marktwirtschaftlichen Orthodoxien hineinpassen. Und beide Staaten leiden darunter, dass die Binnenwirtschaft schon lange nicht mehr gut läuft und dass die Konsumenten lieber sparen als konsumieren. Das ist nur zum Teil eine Folge der Bevölkerungsentwicklung.
Natürlich hat Deutschland gegenüber Japan eine Reihe von Stärken. Unser Bankensystem ist trotz seiner bekannten Schwächen weitaus robuster als das japanische. Wir haben kein systematisches Problem mit faulen Krediten oder mit einer korrupten Bankaufsicht. Wir haben auch weniger Corporate-Governance-Probleme. Und wir können uns glücklich schätzen, dass wir kein MITI haben - Japans Superministerium für Wirtschaft und Industrie -, sondern lediglich ein etwas desolates Wirtschaftsministerium, das vom maroden Charme seiner großen Vergangenheit geprägt ist. Zudem ist Deutschland in vielen für die Wirtschaft wichtigen Bereichen strukturell gesünder als Japan. Eine lang anhaltende Deflation ist zwar auch bei uns möglich, aber auf Grund vieler Preisrigiditäten, etwa bei Lohnverhandlung oder Einzelhandelssektor, eher unwahrscheinlich.
Aus strukturellen Gründen ist ein Vergleich von Japan und Deutschland nicht möglich. Die makroökonomischen und demoskopischen Parallelen indes lassen sich nicht wegdiskutieren.