Deutschland im Aufbruch ?

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Nassie:

Deutschland im Aufbruch ?

 
06.07.03 11:53
Steuerreform: Deutschland im Aufbruch? (EuramS)
06.07.2003 09:40:00


   
Gerhard Schröders jüngster Coup kam nicht überraschend. Gelungen war er trotzdem. Mit seinem Plan, die dritte Stufe der Steuerreform um ein Jahr vorzuziehen, hat der Bundeskanzler auf dem politischen Parkett wieder das Heft des Handelns übernommen. Schröder verspricht: "Was wir tun, haben wir gut durchgerechnet. Deutschland schafft das."
Längst nicht jeder mag den Rechenkünsten des Kanzlers vertrauen. Und doch - seiner neu entdeckten Lust am Steuernsenken haben die Widersacher im Parlament nicht viel entgegenzusetzen. Zwar gaben die Partei-Granden von CDU und CSU zunächst ihrem natürlichen Oppositionsreflex nach und wetterten heftig gegen die Kanzlerpläne. Doch schnell reifte bei Angela Merkel und Edmund Stoiber die Erkenntnis, dass sie eine Blockade nicht durchhalten würden. Die Chancen, dass Deutschlands Bürger im kommenden Jahr tatsächlich im Durchschnitt zehn Prozent weniger Steuern zahlen müssen, wie Schröder verspricht, stehen somit nicht schlecht - auch wenn es nach wie vor erhebliche Widerstände gibt. Durch die Zusammenfassung der zweiten und dritten Stufe der Steuerreform steigt der Grundfreibetrag von 7235 auf 7664 Euro. Der Eingangssteuersatz sinkt von 19,9 auf nur noch 15 Prozent, der Spitzensteuersatz von 48,5 auf 42 Prozent.

Alles im Lot also? Bringt die Steuersenkung endlich den lang ersehnten Kick für die Konjunktur? Zweifel sind erlaubt. Das zeigt schon ein Blick auf die Börse. Dort nämlich wurde die Steuersenkung eher verhalten aufgenommen. Der Dax beendete die vergangene Woche mit einem Schlussstand von 32xx Punkten fast unverändert - von Steuer-Euphorie keine Spur. "Kommt noch!", meint der unabhängige Anlagestratege Robert Halver. Bedingung: "Unterm Strich muss für die Menschen im Portemonnaie etwas übrig bleiben." Mit anderen Worten: Die Steuerentlastungen dürfen nicht durch Erhöhungen an anderer Stelle wieder hereingeholt werden. "Wenn das der Fall ist und dann noch die Agenda 2010 umgesetzt wird, ist das ein extrem positives Signal für Deutschland, das auch im Ausland deutlich registriert werden wird", sagt Halver. Die Folgen, glaubt der Experte, würden sich auch in höheren Aktienkursen widerspiegeln - früher oder später.

Lob für den Regierungskurs gibt es auch von Stephan Rieke, Volkswirt bei der ING BHF-Bank: "Das Vorziehen der Steuerreform ist sicher eine richtige Maßnahme." Am wichtigsten sei, dass sich die Stimmug wieder drehe. Rieke: "Eine Kombination von positiven Klimafaktoren und einer steigenden Konsumnachfrage kann deutliche Impulse auslösen. Das würde sich auch auf den Aktienmarkt auswirken." Andere sind weniger euphorisch: "Noch ist unklar, wie die Gegenfinanzierung aussieht. Viele Menschen haben sicher Angst, dass das Ganze am Ende als Nullsummenspiel endet", sagt Aktienstratege Volker Borghoff von HSBC Trinkaus & Burkhardt. Zudem verweist er darauf, dass die im Dax notierten Unternehmen nur noch 30 Prozent ihrer Umsätze im Inland erwirtschaften. "Für die großen Konzerne dürfte der Effekt der Steuerreform also begrenzt sein", so Borghoff. Skeptisch ist auch Christian Jasperneite von M. M. Warbug: "Nur eine Senkung der Staatsausgaben kann dazu führen, dass das Wachstum langfristig in Gang kommt", meint der Analyst. Dann allerdings seien bis zu 0,5 Prozent mehr Wachstum allein durch die Steuerreform drin.

Knackpunkt bleibt die Finanzierung. Genau in diesem Punkt aber blieben Schröder und sein Finanzminister bislang die Antwort schuldig. Immerhin hat Hans Eichel auch ohne das Steuergeschenk Mühe genug, einen Haushalt für 2004 aufzustellen, der den Regeln der Verfassung entspricht. Schon der Entwurf, den er vor der Verkündung der Steuerpläne präsentiert hatte, sah massive Einsparungen von immerhin 14 Milliarden Euro vor - etwa bei der Eigenheimzulage, der Pendlerpauschale, den Bezügen von Beamten und Pensionären oder dem Erziehungsgeld.

Diese Kürzungen im unionsdominierten Bundesrat durchzusetzen, dürfte schwer genug werden - zumal führende Oppositionspolitiker wie Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und sein hessischer Kollege Ronald Koch gegen einzelne Maßnahmen bereits Widerstand angekündigt haben. Und Eichel ist ein gebranntes Kind: Erst im Frühjahr war er mit seinem Steuervergünstigungsabbaugesetz abgeblitzt, das viele der Maßnahmen enthielt, die jetzt wieder zur Debatte stehen.

Vorsorglich erhöhte Eichel deshalb in seinem Haushaltsentwurf für 2004 den Ansatz für die Neuverschuldung nachträglich von 23,8 auf 30,8 Milliarden Euro. Die zusätzlichen sieben Milliarden entsprechen genau dem Anteil, den der Bund für die Steuerreform zu schultern hätte. Laut Eichel ist das aber noch nicht das letzte Wort: "Wir finanzieren die Steuerentlastungen ausdrücklich nicht auf Pump", versichert er unverdrossen. Die tatsächliche Kreditaufnahme werde in dem Maße verringert, wie sich Bund und Länder über den Subventionsabbau einigten. Außerdem wolle der Bund Vermögen verkaufen, wenn es sich lohne.

Eichel hofft zudem auf eine Arbeitsgruppe der Ministerpräsidenten Koch (CDU) und Peer Steinbrück (SPD). Diese will bis August einen Vorschlag erarbeiten, wie Subventionen binnen drei Jahren um zehn Prozent gekürzt werden können. Die Hängepartie geht also vorerst weiter.

Ohnehin gehen die Expertenmeinungen darüber, wie die Steuersenkungen zu finanzieren sind, auseinander. So plädiert der Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Gustav-Adolph Horn, dafür, die Steuerreform ausschließlich auf Pump zu finanzieren, um endlich den dringend benötigten Impuls für die Wirtschaft auszulösen. Deren Situation ist nach Auffassung des DIW inzwischen schlichtweg dramatisch. Als erstes der großen Forschungsinstitute sagt es für dieses Jahr sogar ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung voraus - wenn auch nur leicht um 0,1 Prozent. Fürs kommende Jahr geht das DIW lediglich ein Wachstum von 1,4 Prozent aus. Zu wenig, um etwa auf dem Arbeitsmarkt spürbare Verbesserungen zu erwarten. Im Laufe der vergangenen drei Jahre sei in Deutschland "jegliche konjunkturelle Dynamik erloschen", kritisieren die Forscher.

Für die schuldenfinanzierte Variante spricht also einiges - auch wenn Deutschland dadurch das EU-Stabilitätskriterium mit Sicherheit zum dritten Mal in Folge verfehlen wird. An der Börse setzen viele darum schon jetzt auf dieses Szenario. Einzelhandelstitel gehören zu den wenigen Aktien, die bereits deutlich von der Hoffnung auf die Steuersenkung profitieren konnten. Das Kalkül: Eine vorgezogene Steuerreform, die durch Staatsschulden finanziert und nicht durch Abgabenerhöhungen an anderer Stelle wieder zunichte gemacht wird, spült viel Geld in die Kassen der Verbraucher. Und wer mehr hat, kann mehr einkaufen. KarstadtQuelle legten vergangene Woche um x,xx Prozent zu, Marktführer Metro um x,xx Prozent, die Parfümeriekette Douglas um x,xx Prozent. Ohnehin mehren sich die Anzeichen für eine Erholung im Einzelhandel. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes stiegen die Umsätze in den ersten fünf Monaten des Jahres gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahrs leicht um 0,4 Prozent. Auch für den jüngsten Anstieg des viel beachteten Ifo-Geschäftsklima-Index’ machen die Konjunkturforscher vor allem die zunehmende Zuversicht des Einzelhandels verantwortlich. Dessen Hauptverband tritt freilich noch auf die Euphorie-Bremse: Dort rechnet man weiter mit einem Schrumpfen der Umsätze. Allerdings fällt die aktuelle Prognose mit minus einem Prozent deutlich moderater aus als noch zu Beginn des Jahres.

Doch nicht nur der Handel würde zu den Gewinnern zählen, wenn es tatsächlich zu einer Verbesserung des Konsumklimas käme. Auch Autohersteller, der gebeutelte Reiseveranstalter TUI oder die Lufthansa dürften davon profitieren, wenn die Deutschen künftig wieder mehr Geld auszugeben haben, meint Aktienstratege Halver. "Und springt der Markt erst einmal an, werden sich schnell auch Banken und Versicherungen auf den Gewinnerlisten finden." Besonders Letztere profitieren wegen ihrer großen Aktienbestände überproportional von einer Markterholung. Allerdings schließt auch Experte Halver nicht aus, dass es noch einmal zu Rückschlägen kommen wird. "Man muss jetzt nicht gleich in Euphorie verfallen. Aber der strukturelle Bärenmarkt ist mausetot."

Nicht nur der Kanzler ist somit in diesen Tagen mit Rechenaufgaben beschäftigt. Auch für Investoren lohnt es sich, schon mal die kommende Steuerersparnis zu überschlagen. Einen Teil davon für Aktienkäufe zu reservieren, sollte sich rentieren.


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