Der Dax zu Gast bei Optimisten
Die Zuversicht ist riesig. Stolze 84 Prozent der Bundesbürger rechnen nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Promit damit, dass die deutsche Elf ihr Fußballspiel gegen die Auswahl Argentiniens heute gewinnen wird. Behalten die Befragten Recht, dürften nicht nur Millionen Weltmeisterschaftsfans feiern. Auch spleenige Börsianer werden aufatmen, denn das Ergebnis des Spiels kann die Kurse auf Frankfurts Aktienmarkt bewegen - allerdings wohl nur nach unten. Frankfurts Börse reagierte schließlich in der Vergangenheit stets ziehmlich verschnupft auf üble Spiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. "Nach einem Remis gab der Dax im Schnitt um 0,22 Prozent nach, bei einer Niederlage sogar um 0,88 Prozent", sagt Bernd Süßmuth von der Technischen Universität München gegenüber manager-magazin.de; der Wirtschaftsforscher hat zusammen mit seinem Bremer Kollegen Malte Heyne die Kursentwicklung des Dax mit den Ergebnissen von 490 vergangenen Qualifikations- und Turnierspielen der deutschen Nationalmannschaft am jeweiligen Vortag verglichen.
Sollte das heutige Spielergebnis die Börse in gleicher Weise beeinflussen, wie vergangene Kicks die Notierungen bewegten, müssen Dax-Anleger im Falle einer Niederlage der deutschen Mannschaft also mit Milliardenverlusten ihrer Investments rechnen. Schließlich sind die 30 bedeutendsten deutschen Aktiengesellschaften derzeit an der Börse zusammen etwa 570 Milliarden Euro wert. Ein Kursverlust von durchschnittlich 0,88 Prozent würde ihren Preis gleich um fünf Milliarden Euro drücken.
Nach Meinung der Wirtschaftsforscher ist der Grund für das messbare Anleger-Missvergnügen eine reine Kopfsache. Die Folge eines diffusen Gefühls, sozusagen. Etwas lässt die Fußball-Bundesbürger erwarten, dass ihre Elf stets Erfolg hat. Deutschlands Nationalmannschaft, die Turniermannschaft. "Wird diese Gewinnerwartung nicht erfüllt, sind sie negativ überrascht. Und dieser Überraschungseffekt treibt sogar Dax-Kurse nach unten", sagt Wirtschaftsforscher Süßmuth.
Behält er Recht, dürfte den deutschen Anlegern ein Sieg im heutigen Viertelfinalspiel gegen Argentinien leider keinen einzigen Cent Bares bringen. Sie rechnen schließlich mit dem Erfolg des National-Teams, doch nur eine Überraschung, also eine Niederlage würde die Kurse beeinflussen.
Schwere Niederlage, großer Verlust
Deutschlands Investoren stehen damit keinen Deut schlechter da als die meisten Anleger weltweit. Im Gegenteil: Ein Forschertrio um den Norwegischen Professor Oyvind Norli hat die gleichen Ergebnisse für die internationale Investment-Szene ermittelt. Die emsigen Ökonomen verglichen dazu die Kursausschläge an den Aktienmärkten in 39 Ländern mit den Ergebnissen von 1100 vorherigen Nationalmannschaftsspielen bei Welt- und Kontinentalmeisterschaften der Jahre 1974 bis 2004. Ihr Fazit: Überall auf der Welt ist die Gewinnerwartung an das eigene Team riesig.
"Das bemerkenswerteste Ergebnis ist, dass alle nationalen Aktienmärkte statistisch und ökonomisch signifikante Verluste am Tag nach der Niederlage der jeweiligen Nationalmannschaft hinnehmen mussten, bis zu umwerfenden 0,49 Prozent", schreibt Norli. Zudem nähmen die Kurseinbußen zu, je wichtiger die vorhergegangenen Spiele von den Anlegern eingestuft worden waren: Die Kursverlusten nach Weltmeisterschaftsniederlagen seien größer ausgefallen als die Aktieneinbußen nach einem Misserfolg bei einer Europameisterschaft.
Auch das Ausscheiden in der K.o.-Runde habe größere Kursverluste verursacht als in der Gruppenphase des jeweiligen Fußballturniers. International zeigt sich also das gleiche Bild wie am deutschen Aktienmarkt, und so kommt das internationale Forscherteam auch zu einer ähnlichen Erklärung für das Börsen-Fußballphänomen: "Es gibt ohnehin einen Überfluss an Hinweisen aus der Psychologie, dass Sportergebnisse die Gemütslage der Menschen stark beeinflussen. Wir interpretieren unsere Aktienmarktanalyse ähnlich: Sportergebnisse beeinflussen auch die Investorenstimmung", fasst Norli sein Ergebnis zusammen.
Kurz vor Spielbeginn noch eine Warnung: Das internationale Wissenschaftlerteam hat nebenbei noch getestet, ob mit ihrer Beobachtung Geld zu verdienen ist. Doch das Testergebnis muss Anleger enttäuschen. Welt- und Kontinentalmeisterschaften würden zu selten ausgespielt, als dass die erwarteten Kursausschläge dauerhaft fürs eigene Depot genutzt werden könnten. Zudem sei der Abschluss der nötigen Short-Future-Finanzgeschäfte schlicht zu teuer, um nach Abzug der Transaktionskosten noch mit einem ansprechenden Gewinn dazustehen.
Eigentlich schade. Aber so können wir dem deutschen Team unbekümmert die Daumen drücken.