Deutsche Firmen billig wie nie
Der Aktienmarkt ist auf Talfahrt. Viele Konzerne notieren unter ihrem Buchwert. Eigentlich die beste Zeit für eine Übernahmewelle
Von Mario Escher
Wenn die Aktie der Deutschen Telekom mal wieder einen historischen Tiefpunkt erreicht, schaut Harald Schmidt mit großen Augen sein Publikum an: "Das sind doch jetzt Kaufkurse, oder?" fragt der Unterhaltungskünstler von Sat.1 scheinheilig. Dann rückt er seine Brille zurecht, zieht eine kurze Grimasse, damit auch dem Letzten im Studio klar ist, dass niedrige Kurse noch lange keine Kaufkurse sind.
Denn wenn es danach geht, könnte der Anleger einmal den Dax hoch und runter kaufen. Das tut er aber nicht. Und auch Konzerne steigen nicht bei den von der Baisse gebeutelten Firmen ein.
Auf den ersten Blick verwunderlich: Bei vielen große Aktiengesellschaften ist die Marktkapitalisierung inzwischen unter den Buchwert gefallen. Damit übersteigen bereits die Vermögenswerte wie Grundstücke, Anlagen und Maschinen den Börsenwert des Unternehmens. Von den 30 Dax-Gesellschaften notieren knapp die Hälfte unterhalb ihres Substanzwertes. Das ergibt eine Studie der Commerzbank, die der WELT am SONNTAG vorliegt. Beispiel Allianz: Der Börsenwert beträgt mittlerweile weniger als 25 Milliarden Euro. Dabei bringen es allein die Industriebeteiligungen der Münchner auf einen Wert von rund 30 Milliarden Euro. Würde ein Investor den Finanzriesen übernehmen und die Beteiligungen sofort verkaufen, bliebe ihm theoretisch ein Gewinn von mehr als fünf Milliarden Euro. Das operative Geschäft samt Kundenstamm bekäme er zum Nulltarif. Dennoch braucht sich Allianz-Chef Schulte-Noelle vor einer feindlichen Übernahme nicht zu fürchten. Die Papiere sind vinkulierte Namensaktien und können nur mit Zustimmung der Gesellschaft den Besitzer wechseln.
Aber auch die Vorstandschefs der anderen Dax-Unternehmen müssen wohl keine Übernahmen fürchten. Der Markt für Fusionen und Übernahmen liegt seit zwei Jahren am Boden - und das, obwohl viele Unternehmen historisch niedrig bewertet sind. "Die meisten Akquisitionen gibt es nicht am Boden, sondern an der Spitze des Zyklus", erklärt Oppenheim-Stratege Matthias Jörss die Entwicklung. "In einer Konjunkturkrise ist Bargeld einfach eine sehr knappe Ressource." Viele Unternehmen würden deshalb zunächst versuchen, ihren Schuldenberg zu reduzieren.
Privatanlegern, die jetzt einsteigen, winkt dagegen das eine oder andere Schnäppchen. "Was wir derzeit sehen, ist sicherlich eine Übertreibung nach unten", meint Werner Bader, Aktienstratege der Landesbank Baden-Württemberg. Der Markt reagiere nur auf die schlechten Nachrichten, während positive Aspekte ignoriert würden.
Dass viele Gesellschaften im Moment ein Kurs-Buchwert-Verhältnis von weniger als eins haben, hält Bader für äußerst ungewöhnlich. Dieser Wert beschreibt das Verhältnis zwischen der Marktkapitalisierung und dem bilanzierten Eigenkapital. Gerade in schwierigen Börsenphasen kann er Anlegern Aufschluss über die Substanz von Unternehmen geben. Ein Preisschild für die Bewertung einer Aktie ist das KBV aber nicht. Denn der Buchwert ist eine hypothetische Größe und hat deshalb nur begrenzte Aussagekraft. Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut betont, dass der Buchwert kein Zerschlagungswert von Unternehmen ist. "Eine Maschine, die Karosserien für die E-Klasse herstellt, hat doch nur für DaimlerChrysler einen Wert. Toyota würde die Maschine wahrscheinlich noch nicht einmal geschenkt nehmen." Der in der Bilanz angesetzte Wert ließe sich also am Markt gar nicht erzielen. "Die banale Idee - ich kaufe eine Stahlfirma, wickle sie ab, und am Ende bleibt ein Riesen-Gewinn übrig - das funktioniert natürlich nicht", so Leven.
Durch Spielräume bei der Bilanzierung können sich Unternehmen ärmer oder reicher rechnen - ohne dass der Investor es merkt. Das tatsächliche Vermögen kann einerseits wesentlich höher sein. Dann nämlich, wenn in den Bilanzen stille Reserven schlummern. Andererseits können Vermögenswerte aber auch zu hoch angesetzt sein. Bei der Deutschen Telekom etwa besteht nach Ansicht vieler Experten erheblicher Abschreibungsbedarf bei der US-Tochter Voicestream. "Da steckt auf der Aktivseite noch eine Menge Goodwill drin", ist sich ein Analyst sicher. "Der Buchwert wäre da sicher kein guter Maßstab."
Aber auch durch allerlei andere Tricks können Bilanzen aufgebläht werden. Die Finanzbranche kämpft mit immensen Wertverlusten ihrer Aktienpakete. Um diese nicht sofort abschreiben zu müssen, verschieben Banken und Versicherungen ihre Beteiligungen vom Umlauf- in das Anlagevermögen. Abgeschrieben wird dann nur, wenn eine "voraussichtlich dauernde" Wertminderung vorliegt. Andernfalls bleiben Aktienpakete mit den alten Werten in den Büchern, auch wenn sich diese am Markt gar nicht mehr realisieren ließen.
Die Beteiligungsgesellschaft WCM etwa umging hohe Abschreibungen, indem sie ihren 5,5-Prozent-Anteil an der Commerzbank dem Anlagevermögen zurechnete. Der Kursverfall der Commerzbank-Aktie - allein im vergangenen halben Jahr verlor das Papier mehr als 60 Prozent - schlägt sich deshalb nicht in der Bilanz nieder. So erscheint die WCM-Aktie - 55 Prozent unter Buchwert - wohl nur auf den ersten Blick als günstig.
Der Buchwert kann nur eines von mehreren Kriterien sein, meinen Experten. Matthias Jörss von Sal. Oppenheim rät Anlegern, auf den Cash-Flow und die Dividende zu achten. Auch die Ertragskraft sei wichtig. Er verweist auf die Krise der Telekom-Branche: "Die Frage ist doch nicht, mit wie viel die verbuddelten Kabel in den Büchern stehen, sondern ob sich damit auch Geld verdienen lässt."
Der Aktienmarkt ist auf Talfahrt. Viele Konzerne notieren unter ihrem Buchwert. Eigentlich die beste Zeit für eine Übernahmewelle
Von Mario Escher
Wenn die Aktie der Deutschen Telekom mal wieder einen historischen Tiefpunkt erreicht, schaut Harald Schmidt mit großen Augen sein Publikum an: "Das sind doch jetzt Kaufkurse, oder?" fragt der Unterhaltungskünstler von Sat.1 scheinheilig. Dann rückt er seine Brille zurecht, zieht eine kurze Grimasse, damit auch dem Letzten im Studio klar ist, dass niedrige Kurse noch lange keine Kaufkurse sind.
Denn wenn es danach geht, könnte der Anleger einmal den Dax hoch und runter kaufen. Das tut er aber nicht. Und auch Konzerne steigen nicht bei den von der Baisse gebeutelten Firmen ein.
Auf den ersten Blick verwunderlich: Bei vielen große Aktiengesellschaften ist die Marktkapitalisierung inzwischen unter den Buchwert gefallen. Damit übersteigen bereits die Vermögenswerte wie Grundstücke, Anlagen und Maschinen den Börsenwert des Unternehmens. Von den 30 Dax-Gesellschaften notieren knapp die Hälfte unterhalb ihres Substanzwertes. Das ergibt eine Studie der Commerzbank, die der WELT am SONNTAG vorliegt. Beispiel Allianz: Der Börsenwert beträgt mittlerweile weniger als 25 Milliarden Euro. Dabei bringen es allein die Industriebeteiligungen der Münchner auf einen Wert von rund 30 Milliarden Euro. Würde ein Investor den Finanzriesen übernehmen und die Beteiligungen sofort verkaufen, bliebe ihm theoretisch ein Gewinn von mehr als fünf Milliarden Euro. Das operative Geschäft samt Kundenstamm bekäme er zum Nulltarif. Dennoch braucht sich Allianz-Chef Schulte-Noelle vor einer feindlichen Übernahme nicht zu fürchten. Die Papiere sind vinkulierte Namensaktien und können nur mit Zustimmung der Gesellschaft den Besitzer wechseln.
Aber auch die Vorstandschefs der anderen Dax-Unternehmen müssen wohl keine Übernahmen fürchten. Der Markt für Fusionen und Übernahmen liegt seit zwei Jahren am Boden - und das, obwohl viele Unternehmen historisch niedrig bewertet sind. "Die meisten Akquisitionen gibt es nicht am Boden, sondern an der Spitze des Zyklus", erklärt Oppenheim-Stratege Matthias Jörss die Entwicklung. "In einer Konjunkturkrise ist Bargeld einfach eine sehr knappe Ressource." Viele Unternehmen würden deshalb zunächst versuchen, ihren Schuldenberg zu reduzieren.
Privatanlegern, die jetzt einsteigen, winkt dagegen das eine oder andere Schnäppchen. "Was wir derzeit sehen, ist sicherlich eine Übertreibung nach unten", meint Werner Bader, Aktienstratege der Landesbank Baden-Württemberg. Der Markt reagiere nur auf die schlechten Nachrichten, während positive Aspekte ignoriert würden.
Dass viele Gesellschaften im Moment ein Kurs-Buchwert-Verhältnis von weniger als eins haben, hält Bader für äußerst ungewöhnlich. Dieser Wert beschreibt das Verhältnis zwischen der Marktkapitalisierung und dem bilanzierten Eigenkapital. Gerade in schwierigen Börsenphasen kann er Anlegern Aufschluss über die Substanz von Unternehmen geben. Ein Preisschild für die Bewertung einer Aktie ist das KBV aber nicht. Denn der Buchwert ist eine hypothetische Größe und hat deshalb nur begrenzte Aussagekraft. Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut betont, dass der Buchwert kein Zerschlagungswert von Unternehmen ist. "Eine Maschine, die Karosserien für die E-Klasse herstellt, hat doch nur für DaimlerChrysler einen Wert. Toyota würde die Maschine wahrscheinlich noch nicht einmal geschenkt nehmen." Der in der Bilanz angesetzte Wert ließe sich also am Markt gar nicht erzielen. "Die banale Idee - ich kaufe eine Stahlfirma, wickle sie ab, und am Ende bleibt ein Riesen-Gewinn übrig - das funktioniert natürlich nicht", so Leven.
Durch Spielräume bei der Bilanzierung können sich Unternehmen ärmer oder reicher rechnen - ohne dass der Investor es merkt. Das tatsächliche Vermögen kann einerseits wesentlich höher sein. Dann nämlich, wenn in den Bilanzen stille Reserven schlummern. Andererseits können Vermögenswerte aber auch zu hoch angesetzt sein. Bei der Deutschen Telekom etwa besteht nach Ansicht vieler Experten erheblicher Abschreibungsbedarf bei der US-Tochter Voicestream. "Da steckt auf der Aktivseite noch eine Menge Goodwill drin", ist sich ein Analyst sicher. "Der Buchwert wäre da sicher kein guter Maßstab."
Aber auch durch allerlei andere Tricks können Bilanzen aufgebläht werden. Die Finanzbranche kämpft mit immensen Wertverlusten ihrer Aktienpakete. Um diese nicht sofort abschreiben zu müssen, verschieben Banken und Versicherungen ihre Beteiligungen vom Umlauf- in das Anlagevermögen. Abgeschrieben wird dann nur, wenn eine "voraussichtlich dauernde" Wertminderung vorliegt. Andernfalls bleiben Aktienpakete mit den alten Werten in den Büchern, auch wenn sich diese am Markt gar nicht mehr realisieren ließen.
Die Beteiligungsgesellschaft WCM etwa umging hohe Abschreibungen, indem sie ihren 5,5-Prozent-Anteil an der Commerzbank dem Anlagevermögen zurechnete. Der Kursverfall der Commerzbank-Aktie - allein im vergangenen halben Jahr verlor das Papier mehr als 60 Prozent - schlägt sich deshalb nicht in der Bilanz nieder. So erscheint die WCM-Aktie - 55 Prozent unter Buchwert - wohl nur auf den ersten Blick als günstig.
Der Buchwert kann nur eines von mehreren Kriterien sein, meinen Experten. Matthias Jörss von Sal. Oppenheim rät Anlegern, auf den Cash-Flow und die Dividende zu achten. Auch die Ertragskraft sei wichtig. Er verweist auf die Krise der Telekom-Branche: "Die Frage ist doch nicht, mit wie viel die verbuddelten Kabel in den Büchern stehen, sondern ob sich damit auch Geld verdienen lässt."