Der Jagoda-Skandal

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Der Jagoda-Skandal

 
06.02.02 00:50
SPIEGEL ONLINE - 05. Februar 2002, 18:22
www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,180934,00.html
Luftnummer im Arbeitsamt

Der Jagoda-Skandal

Der Skandal um die Luftbuchungen in den Arbeitsämtern bringt vor allem den Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, in Bedrängnis. Er muss erklären, warum er nichts unternommen hat, obwohl er seit 1998 von den Missständen hätte wissen müssen.

 
DDP

Gerät in Erklärungsnot: BA-Chef Bernhard Jagoda


Berlin - In diesem Jahr hatte das ARD-Politmagazin "Panorama" das Thema wenige Wochen vor der Bundestagswahl aufgegritffen. Ein Arbeitsvermittler aus Westdeutschland war zu Wort gekommen, der aus Angst vor Repressalien anonym bleiben wollte: "Unsere Software lässt uns wirklich alle Möglichkeiten, die Vermittlungszahlen zu beschönigen beziehungsweise die Zahlen auszuweiten, so wie wir es möchten", sagte der Mann.

Und dann fasste der Anonymus unmissverständlich zusammen: "Pauschal kann ich sagen: Wenn wir die Hälfte von dem, was in der Statistik erscheint, wirklich gemacht haben, können wir auf unsere Arbeit sehr stolz sein." Der Bericht stieß damals auf wenig Resonanz, öffentliche Reaktionen gab es nicht.

Kurz zuvor, im August 1998, hatte BA-Chef und CDU-Mitglied Jagoda stolz verkündet: "Die Arbeitsämter haben 1,8 Millionen Arbeitssuchenden einen Job vermittelt, das sind elf Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres". Jetzt aber gerät er in ernste Erklärungsnot. Denn er muss der Öffentlichkeit erklären, warum er zugelassen hat, dass die Luftnummern in der Statistik seit langem Methode haben. Es gilt, massivsten Zweifeln an seiner Behörde auszuräumen, der er seit knapp neun Jahren vorsteht.

Der Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofs scheint den "Panorama"-Bericht jetzt sogar in mancher Hinsicht zu übertreffen. Rund 70 Prozent der bei Stichproben in fünf Arbeitsämtern überprüften Vermittlungen im Oktober 2000 seien fehlerhaft, fanden die Prüfer heraus. "Die BA errechnet für das Jahr 2000 eine Vermittlungsquote von 51 Prozent." Nach unseren Feststellungen, schreiben dagegen die Prüfer im schönsten Behördendeutsch, errechnet sich "eine Vermittlungsquote von rd. 18 v.H.". Eine eklatante Differenz, die durchaus das Zeug zu einem veritablen Skandal hat, wie nicht nur die Arbeitsmarkt-Expertin der Grünen, Thea Dückert, meint. Auch Arbeitsminister Walter Riester (SPD) zeigte sich überrascht und verärgert.

Mit der Rechnungshof-Kritik wird die Effizienz der gesamten, 20 Milliarden Euro teuren Arbeitsvermittlung in Frage gestellt, die nach eigenen Angaben immerhin 3,9 Millionen Stellensuchende im Jahr 2000 vermittelt haben will. Sollte das alles nicht mehr stimmen, wäre das nach Ansicht von Experten eine Katastrophe, auch und gerade im Wahljahr. Denn Jagodas Mammut-Behörde soll das neue Job-Aqtiv-Gesetz umsetzen, das Arbeitslosen schneller als bisher wieder zu einer Stelle verhelfen soll und damit hohe Effizienz der staatlichen Vermittler geradezu voraussetzt.

Im Licht der neuen Erkenntnisse sind wohl auch die Zahlen jener Jahre in Zweifel zu ziehen. Im Bundesarbeitsministerium heißt es: "Wir sind an einer peniblen Aufklärung interessiert. Das sind wir Beitragszahlern und Arbeitslosen schuldig." Verantwortung weist man im Hause Riester aber von sich, verweist auf die Selbstverwaltung der Bundesanstalt und die Zuständigkeit des BA-Vorstands. Dort regieren die Arbeitgeber und Gewerkschaften gleichberechtigt mit den Vertretern von Bund, Ländern und Gemeinden.





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Arbeitsamt-Skandal löst Reformeifer aus

 
06.02.02 00:55
Aus der FTD vom 6.2.2002 www.ftd.de/arbeitsmarkt

Arbeitsamt-Skandal löst Reformeifer aus

Von Margaret Heckel und Maike Rademaker, Berlin

Nach dem Skandal um geschönte Statistiken bei den Arbeitsämtern haben Minister mehrerer Bundesländer und Wirtschaftsvertreter in seltener Einigkeit schnelle und radikale Reformen bei der Bundesanstalt für Arbeit (BA) gefordert.

"Wenn die Untersuchungen des Bundesrechnungshofes stimmen, dann muss sofort etwas bei den Arbeitsämtern passieren", sagte Michael Rogowski, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), der Financial Times Deutschland. "Alles was nach Verwaltung riecht, muss auf den Prüfstand", forderte Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Harald Schartau.

Sein sächsischer Kollege Kajo Schommer verlangte gar, die Arbeitsvermittlung aus der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit auszugliedern. "Die reine Vermittlungstätigkeit kann privatisiert werden", sagte Schommer der FTD. Die Bundesanstalt solle auf eine öffentliche Anstalt für die Arbeitslosenversicherung in Bundeshand reduziert werden. "Für diese rein administrative Aufgabe benötigt sie nur einen Bruchteil der bisherigen Mitarbeiter", sagte Schommer.


Auslöser für den Reformeifer ist ein Bericht, in dem der Bundesrechnungshof den Arbeitsämtern grobe Fehler bei der Vermittlungsstatistik vorwirft und ihre Effizienz in Frage stellt. 70 Prozent der gemeldeten Vermittlungen seien fehlerhaft. Nicht jeder zweite, sondern nur jeder fünfte Arbeitslose werde tatsächlich vom Arbeitsamt vermittelt.



Explosive Mischung


Mit den stark gestiegenen Arbeitslosenzahlen, die BA-Präsident Bernhard Jagoda am Mittwoch für Januar 2002 verkünden wird, ergibt sich daraus eine explosive Mischung, die erstmals zu echten Reformen bei den 181 Arbeitsämtern führen könnte. Jagoda muss sich am Mittwoch Abend bei einer Krisensitzung gegenüber dem BA-Vorstand rechtfertigen.


Der Bundesregierung kommt der Bericht eher gelegen, weil der Skandal von der starken Zunahme der Arbeitslosenzahlen im Wahljahr ablenken könnte. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ist die unbereinigte Zahl der Arbeitslosen im Januar um 326.000 auf 4,29 Millionen gestiegen. Das wäre die höchste monatliche Zunahme seit Januar 1997.


Das Bundesarbeitsministerium von Walter Riester forderte eine schnelle Prüfung des Rechnungshof-Berichts und schob den schwarzen Peter nach Nürnberg: Die Vermittlungsstatistik werde ausschließlich bei der BA erstellt. "Mit dem Bericht hat die BA nicht nur ein Problem, sondern auch die Chance, sich einer Reform zu stellen und die Vermittlung zu verbessern", sagte Ministeriumssprecher Klaus Vater.



Bessere Zusammenarbeit gefordert


Der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Klaus Brandner forderte eine "systematische Aufklärung", hält aber wenig von einem Rücktritt Jagodas oder einem Umbau der Bundesanstalt. "Das sind Schnellschüsse", sagte er.


BDI-Präsident Rogowski ging weiter: Neben den Vermittlungen müssten nun auch die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Qualifizierungsprogramme der Arbeitsämter überprüft werden. "Vielleicht wird auch hier mit riesigem Aufwand nur etwas verwaltet, anstatt dass den Menschen wirklich geholfen wird", vermutete Rogowski. NRW-Arbeitsminister Schartau forderte für eine Neuorganisation der BA eine bessere Zusammenarbeit mit anderen Dienstleistern auf dem Arbeitsmarkt. Dazu gehörten private Vermittler, Transfergesellschaften und Zeitarbeitsfirmen.


"Das Problem sind die Arbeitslosen, die eine Arbeit suchen, und die Unternehmen, die eine Arbeit anbieten. Entsprechend muss man sich auf dieses Problem konzentrieren", sagte der Minister. Schartau verlangte wie auch sein sächsischer Kollege Schommer erneut die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.


© 2002 Financial Times Deutschland
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