Anleihen bieten renditeloses Risiko
Von Peter Meier
12. Mai 2005 Festverzinsliche Anleihen werden gerne und oft als sicheres Investment angepriesen. Bei Staatsanleihen geht man sogar so weit, vom „risikolosen Zinssatz” oder „risikoloser Rendite” zu sprechen. In den letzten 20 Jahren waren Obligationen tatsächlich eine sichere und sogar recht profitable Anlage. Doch blickt man etwas weiter zurück, so sieht das Bild ganz anders aus. Heute sind die Risiken bei langlaufenden Obligationen eindeutig größer als die Renditechancen.
Gemäß der akribischen Studie „Triumph of the Optimists” belief sich die durchschnittliche reale, also inflationsbereinigte Rendite von langlaufenden Staatsobligationen in den 16 untersuchten Ländern von 1900 bis ins Jahr 2000 auf gerade mal 0,7 Prozent pro Jahr. Allerdings sind die Renditen recht unterschiedlich verteilt: In fünf Ländern (Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan) war der Ertrag über das ganze Jahrhundert gesehen sogar negativ. Die Schweiz steht mit einer durchschnittlichen jährlichen Realrendite von 2,8 Prozent dagegen an der Spitze der Performancerangliste.
Stark unterschiedliche Ergebnisse im Zeitablauf
Vor allem aber schwanken die Obligationenrenditen stark über einzelne Zeitabschnitte. Das heißt, mehrjährige Phasen mit hohen realen Renditen wechseln sich mit Phasen mit tiefen oder negativen Renditen ab. In der Schweiz waren Obligationen vor allem in den 20er Jahren (real 9,8 Prozent pro Jahr) und den 90er Jahren (4,8 Prozent pro Jahr) ein gutes Investment. Schlecht um nicht zu sagen mickrig waren dagegen die durchschnittlichen inflationsbereinigten Erträge in den 60ern (0,3 Prozent) und den 80ern (0,6 Prozent).
In Amerika gab es mehrere Jahrzehnte mit negativen Realrenditen: Von 1940 bis 1979 verloren Investoren mit amerikanischen Staatsanleihen an Kaufkraft, durchschnittlich um 1,8 Prozent jedes Jahr. In Großbritannien schaute von 1950 bis 1989 ein Minus heraus, am schlimmsten in den 70ern mit durchschnittlich -4,4 Prozent pro Jahr. Noch übler war die langfristige Obligationenperformance bei kriegs- und hochinflationsversehrten Ländern wie Deutschland oder Italien.
Die nächsten zehn Jahre könnten für Anleihen wieder schlechter ausfallen
In den vergangenen zehn, zwanzig Jahren konnten in den meisten Ländern sehr gute Obligationenrenditen erzielt werden. Mit Blick auf die historischen Schwankungen liegt nun die Vermutung nahe, daß die nächsten zehn Jahre für Anleihen eher schlecht ausfallen könnten. Tatsächlich ist die Ausgangslage für Obligationen heute alles andere als gut. Zur Verdeutlichung nochmals die drei Hauptrisiken bei festverzinslichen Investments:
1. Kreditrisiko: Auch Zahlungsaufall- oder Bonitätsrisiko genannt, englisch „default risk”, kurz die Gefahr, daß der Schuldner nicht zahlt. Das Kreditrisiko besteht vor allem bei Unternehmensanleihen oder bei Staaten, die sich in fremden Währungen verschulden. In ihrer Heimatwährung können Staaten jedoch die Rechnung durch den Gebrauch der Geldpressen nominell immer begleichen, sofern sie nur wollen. Das Problem ist, daß sich viele Länder in Fremdwährungen verschulden (müssen), die sie nicht selber drucken können.
Aktuelle Ausgangslage: Die anhaltend tiefen Zinsen haben dazu geführt, daß viele Anleger in ihrer Verzweiflung immer riskantere Obligationen gekauft haben. Die Zins-Spreads, also die Renditeaufschläge für die Inkaufnahme von höheren Zahlungsausfallrisiken, befinden sich deshalb auf historischen Tiefständen. Das argentinische Debakel von 2001 scheint bereits vergessen, anders sind die tiefen Zinsen, zu denen Anleger zum Beispiel den notorischen Zechprellern Lateinamerikas Kredite gewähren, nicht zu erklären. Gemäß dem „Economist” ist Argentinien in den letzten 175 Jahren seinen Zahlungsverpflichtungen bereits fünf Mal nicht mehr nachgekommen, Brasilien sieben Mal und Venezuela sogar neun Mal.
2. Inflationsrisiko: Die Inflation ist die größte Gefahr für alle festverzinslichen Anlagen. Wer eine nominelle Rendite erhält, die unter der Teuerungsrate liegt, büßt real an Kaufkraft ein. Die Jahre mit den schlechtesten Obligationenrenditen fallen praktisch immer in Abschnitte mit hohen, vor allem aber unerwartet steigenden Teuerungsraten.
Aktuelle Ausgangslage: Die Teuerungsraten sind seit 1980 praktisch überall deutlich zurückgegangen. Die Zinsen auf zehnjährigen oder dreißigjährigen Anleihen sind im Moment so tief, daß der Markt ganz offensichtlich annimmt, daß die Teuerung auch in den nächsten Jahrzehnten niedrig bleiben wird. In meinen Augen eine naive Annahme. Die Inflation im eigentlichen Sinn des Wortes, nämlich die Aufblähung der Geldmengen, ist schon längst zurückgekehrt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis dies auch auf die Konsumentenpreise durchschlägt. Außerdem ist auf Grund von wirtschaftlicher Stagnationsgefahr, Renten- und Schuldenfiasko sowie der erklärten Absicht der Zentralbanken, die Geldmenge bei neuen Krisen noch mehr aufzublähen, keine Ende der Inflationierung zu erkennen. Vor allem aber ist die Sicherheitsmarge lächerlich gering: Bei zehnjährigen Staatsanleihen aus Amerika, Europa oder Schweiz beläuft sich die inflationsbereinigte Rendite momentan auf zirka ein die nächsten zehn Jahre für Anleihen eher schlecht ausfallen. Das bedeutet, daß Obligationäre Kaufkraft verlieren, wenn in den nächsten zehn Jahren die durchschnittliche Jahresteuerung nur schon um ein die nächsten zehn Jahre für Anleihen eher schlecht ausfallen steigt.
3. Zinsänderungsrisiko: Steigen die Zinsen, werden alte Obligationen mit tieferen Coupons im Vergleich unattraktiv, das heißt, sie fallen im Wert. Höhere Zinsen sind also eine ernste Gefahr für alle Anleihenbesitzer, wo bei die Gefahr umso größer ist, desto länger die Restlaufzeit der Obligation. Nun kann man zu Recht einwenden, daß ein Anleger, der seine Anleihen zu oder unter pari gekauft hat, außer den Opportunitätskosten bei Zinsanstiegen keinen Verlust erleidet, wenn er seine Papiere bis zum Verfall hält. Doch da in den vergangenen Jahren die Zinsen fast überall gesunken sind, notieren die meisten langlaufenden Obligationen im Umlauf über pari, was bedeutet, daß Kapitalverluste im Falle steigender Zinsen nicht zum vermeiden sind.
Aktuelle Ausgangslage: Ob in Amerika, der Schweiz, Japan oder Euroland, fast überall notieren die Anleihenzinsen mehr oder weniger auf den tiefsten Ständen der Nachkriegszeit. Mittel- bis langfristig ist dieses tiefe Zinsniveau kaum zu halten, so daß nur schon eine Rückkehr zu historischen Durchschnittszinsen zu Kapitalverlusten für alle Obligationenbesitzer führen würde. Das Risiko ist also groß. Umgekehrt ist die Chance auf weiter sinkende Zinsen und damit Kapitalgewinne sehr gering. Selbst in einem deflationären Szenario, in dem zum Beispiel die Verzinsung zehnjähriger Bundesobligationen noch von aktuell 2,1 auf 1,1 Prozent sinken würde, lägen kaum noch namhafte Kapitalgewinne drin.
Schlechtes Rendite-Risiko-Profil
Gesamthaft gesehen ist das Rendite-Risiko-Profil von Obligationen momentan also sehr schlecht, vor allem bei Anleihen mit Restlaufzeiten über fünf Jahren. Steigende Zinsen und/oder mehr Teuerung würde zu deutlichen realen Vermögensverlusten führen. Gleichbleibende oder sinkende Zinsen dagegen brächten keine grossen Renditen.
Schon heute sind Obligationen nach Teuerung und Steuern eigentlich ein Verlustgeschäft. 10-jährige Schweizer Bundesoblis rentieren beispielsweise mit 2.1%. Nach Abzug von 35% Einkommenssteuern bleiben noch 1.4% Rendite. Im April betrug die Teuerung der Konsumentenpreise gegenüber dem Vorjahr ebenfalls 1.4%. Bleiben real 0% Rendite, wobei davon noch Depotgebühren und Bankspesen abzuziehen wären.
0% reale Nachsteuerrendite als Entschädigung für all die langfristigen Gefahren, die Anleihen momentan drohen? Ein schlechtes Geschäft. Der US-Anlageexperte James Grant hat Obligationen im jetzigen Umfeld deshalb treffend als „renditeloses Risiko” bezeichnet.
Dividendenstarke Aktien, Immobilienfonds oder Royalty Trusts als Alternative
Als langfristiges Investment mit Ziel Kapitalzuwachs können Obligationen deshalb derzeit kaum angesehen werden. Klar ist, daß zum kurz- bis mittelfristigen Liquiditätsmanagement in den meisten Fällen trotzdem nicht auf Obligationen verzichtet werden kann. Wenn Sie in den nächsten paar Jahren größere Geldbeträge für Anschaffungen, Hauskauf, Ferien oder Pensionierung brauchen, sollten Sie trotzdem bei festverzinslichen Anlagen bleiben und hoffen, das zumindest nach Teuerung und Steuern das Kapital erhalten werden kann. Auch wenn Sie der Börsenlage nicht trauen oder die traditionell schlechten Sommermonate nicht in Aktien investiert sein wollen, führt fast kein Weg an Obligationen bzw. Festgeld vorbei.
Zumindest das Inflationsrisiko von Obligationeninvestments kann zudem durch die Anlage eines Teils des Vermögens in Gold oder Rohstoffaktien bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden. Wenn Sie also zum Beispiel in drei Jahren 100.000 Franken oder Euro für eine Anschaffung benötigen, könnten Sie statt alles in Obligationen zu investieren, nur 90.000 festverzinslich anlegen und für 10.000 Franken oder Euro zur Absicherung Gold kaufen. Eine andere Alternative sind so genannte inflationsgeschützte Anleihen, die es zum Beispiel auf den Dollar oder das Pfund gibt. Dabei müssen Sie jedoch darauf vertrauen, daß der staatlich berechnete Konsumentenpreisindex die Teuerung zuverlässig wiedergibt. Zumindest im Fall des amerikanischen Index sind hier auf Grund spezieller Berechnungsmethoden, Stichwort „hedonic pricing”, Zweifel angebracht.
Doch was sollen Investoren oder Pensionäre tun, die aus ihrem Vermögen einen regelmäßigen Einkommensstrom erwirtschaften möchten? Zumindest als langfristige Alternativen zu Obligationen kommen hier dividendenstarke Aktien, Immobilienfonds oder Royalty Trusts in Frage. Die Produkte sind zwar alle nicht ohne eigene Risiken, doch dafür auch nicht „renditelos”.
Peter Meier ist Chefredakteur beim Schweizer Börsenbrief Zyklen Trends Signale.
Dieser Beitrag ist aus der aktuellen Ausgabe Nr. 220 entnommen.
Text: @JüB
Bildmaterial: Peter Meier