ftd.de, Fr, 16.11.2001, 7:00
Delisting: Aufstand der Pfennige
http://www.ftd.de/bm/ga/FTDRVAL32UC.html?nv=hpm
Von Florian Schröder
Die Delisting-Regeln der Deutschen Börse sind seit dem 1. Oktober in Kraft. Jetzt droht Werten, die 30 Börsentage in Folge weniger als einen Euro kosten, der Rausschmiss aus dem Neuen Markt. Viele Billig-Aktien erfüllen dieses Kriterium.
Erst war die Deutsche Börse froh, kleine wachstumsstarke Unternehmen an den Neuen Markt geholt zu haben, und jetzt wollen sie uns mit Karacho wieder rauswerfen." Ingo Endemann, Vorstand und Gründer von Abacho, des ersten Internetunternehmens am Neuen Markt, das früher als Endemann firmierte, spricht nicht nur für sich selbst. Die meisten der 30 Unternehmen am Neuen Markt, die unter einen Euro notieren und daher auch als "Pennystocks" bezeichnet werden, sind auf die Deutsche Börse AG derzeit nicht besonders gut zu sprechen.
Denn die Deutsche Börse will mit einem neuen Regelwerk die Pennys mit eisernem Besen aus dem Neuen Markt kehren. Ähnlich wie bei der großen Schwester in New York, der Nasdaq, sollen die "Billig-Aktien" im Segment wachstumsstarker Tech-Unternehmen nach und nach vom Kurszettel verschwinden. "Die Wachstumsaussichten von Pennystocks sind arg getrübt", ist Candice Adam, Pressesprecherin der Deutschen Börse, überzeugt. "Damit haben diese Papiere nichts mehr am Neuen Markt zu suchen."
Theorie und Praxis
Theoretisch ist die am 1. Oktober in Kraft getretene Regelung der Deutschen Börse klar und sieht vor, dass eine Aktie, die 30 Tage hintereinander unter einem Euro notiert (gemessen am Tagesdurchschnittswert) und eine Marktkapitalisierung von weniger 20 Mio. Euro aufweist, automatisch in eine 90 Tage währende Beobachtungsphase rutscht (Bedingung 1). Kostet die Aktie während dieser Beobachtungsphase an 15 Börsentagen in Folge weniger als einen Euro und weist sie eine Marktkapitalisierung von weniger als 20 Mio. Euro auf, kann die Deutsche Börse das Unternehmen vom Wachstumssegment ausschließen (Bedingung 2). Neun Firmen haben bisher die erste Bedingung erfüllt (siehe Tabelle).
In der Praxis jedoch wehren sich viele Unternehmen mit Händen und Füßen - und einige recht erfolgreich. Fast alle beschritten den Gerichtsweg, und 20 Firmen, darunter Foris, Tiscon oder Ejay, erreichten durch eine einstweilige Verfügung einen Aufschub bis zum April kommenden Jahres. Die Deutsche Börse hat gegen die einstweilige Verfügung von Foris Berufung eingelegt. Am 11. Dezember wird das Oberlandesgericht Frankfurt darüber entschieden. Die Deutsche Börse geht davon aus, dass damit ein Präzedenzfall geschaffen wird, der dann Klarheit über den tatsächlichen Beginn der neuen Ausschlussregelungen schaffen werden.
Juristisches Hickhack
"Grundsätzlich ist es begrüßenswert, den Neuen Markt von den Schrott-Titeln zu befreien, doch was hier geschieht, ist kontraproduktiv", ist von Analysten hinter vorgehaltener Hand zu hören. Durch das juristische Hickhack werde der Neue Markt noch monatelang mit Streitigkeiten auf sich aufmerksam machen und damit von Anlegern als Hort renitenter Pfennigaktien wahrgenommen, so die Experten. Candice Adam: "Wir haben die Regelungen mit Emissionsbanken, Investmentbanken und Anlegerschützern diskutiert. Doch gegen Klagen ist man nie gefeit." Laut Gerichtsbeschluss hatte Foris jedoch gerade deshalb Erfolg mit der Klage, weil die Deutsche Börse "zu wenig Rücksicht auf die organisatorischen Bedürfnisse des Unternehmens genommen hat", so die Begründung des zuständigen Richters.
Ein Umstand, der für die meisten nicht akut insolvenzgefährdeten Kandidaten wohl nicht allzu schwer nachzuweisen ist. Ingo Endemann: "Wir hatten kaum eine Möglichkeit, angemessen zu reagieren und dem Markt unsere im Grunde gesunde Situation zu vermitteln." So hofft Abacho, im ersten Quartal kommenden Jahres die Gewinnzone zu erreichen und anschließend das verspielte Anlegervertrauen zurück gewinnen zu können.
Der Ausstieg ist nicht das Ende
Auch wenn die meisten betroffenen Werte wohl noch einige Monate Aufschub bekommen werden - spätestens nach Ablauf der einstweiligen Verfügungen wird die eine oder andere Firma wohl Abschied nehmen müssen. Nach jetzigem Stand besonders gefährdet sind Werte wie Prodacta mit einem Börsenkurs von 0,19 Euro und einer Marktkapitalisierung von 0,93 Mio. Euro, Micrologica (0,21 Euro; 1,68 Mio. Euro), Musicmusicmusic (0,36 Euro; 2,83 Mio. Euro), Lipro (0,27 Euro; 2,13 Mio. Euro), oder auch Fortunecity (0,25 Euro; 7,32 Mio. Euro). "Übertriebenes Wehklagen ist aber nicht angebracht", sagt Maximilian Schöller, Analyst bei Merck Finck. "Immerhin können die Unternehmen ja an ein anderes Börsensegment gehen." Das empfiehlt auch Candice Adam: "Jedes Neuer-Markt-Unternehmen, ob Pennystock oder nicht, kann problemlos in den amtlichen Handel, den geregelten Markt oder den Freiverkehr wechseln."
So will beispielsweise die insolvente Popnet AG den Schritt des Segmentwechsels vollziehen und in den geregelten Markt wechseln. Vorteil: Die Anforderungen in den Alternativ-Segmenten sind wesentlich geringer. Dort müssen nicht wie am Neuen Markt Quartalsberichte vorgelegt und kostenintensive Analystenkonferenzen abgehalten werden. Außerdem sind keine "Designated Sponsors" notwendig. Designated Sponsors sind Banken, die sich verpflichten, Liquidität zur Verfügung zu stellen, und damit die Handelbarkeit der Aktien verbessern. Die Banken scheuen den unverhältnismäßig hohen Kostenaufwand dieser Betreuertätigkeit für kleine ("enge") Werte, die wenig gehandelt werden. So kündigte das Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim bereits an, sich in den nächsten Monaten von den meisten seiner 45 Neuer-Markt-Mandate zu trennen. Ohne zwei entsprechende Bankhäuser hat eine Aktie nach geltendem Recht jedoch keine Existenzberechtigung am Wachstumssegment.
Eine weitere Möglichkeit, die Ausschluss-Kriterien der Pennystock-Regelung zu umgehen, besteht auch in einem Re-Split. So werden bei einem 1:2-Re-Split zwei Aktien zu einer zusammengefasst. Sie verdoppeln sich damit im Wert und hieven etwa eine Aktie, die bei 0,60 Euro notiert, schnell auf 1,2 Euro und damit über die magische 1-Euro-Marke für Pennystocks - zumindest kurzfristig. Auch Ingo Endemann zieht einen Re-Split in Betracht, "wenn uns nichts anderes übrig bleiben sollte". Candice Adam: "Durchaus denkbar, doch solche Maßnahmen wirken auf Anleger wohl eher abschreckend."
Abschreckend wirkt auch die hohe Volatilität vieler Pfennige. "Bei Firmen, die nur noch ein paar Cent wert sind, verursachen selbst kleinere Orders von einigen Hunderttausend Mark leicht Kursausschläge von 40 Prozent und mehr", sagt Analyst Schöller. Das mag zwar für Spekulanten interessant sein, die die schnelle Mark machen wollen, verfestigt aber weiter das ungeliebte Zockerbuden-Image des Neuen Markts.
Und selbst betroffene Unternehmer wie Endemann stimmen dem Ausschlussverfahren zu, bemängeln nur die zu schnelle Umsetzung und den denkbar ungünstigen Zeitpunkt. So hat die Nasdaq seit dem 11. September ihre Delisting-Regelung bis zum 2. Januar 2002 ausgesetzt, um der Unsicherheit an den Finanzmärkten entgegenzuwirken. Davon will die Deutsche Börse jedoch nichts wissen. Adam: "Wir wollen ein deutliches und vielleicht schmerzhaftes Signal setzen, um das Vertrauen der Anleger schnell wieder zurückzugewinnen."
Delisting: Aufstand der Pfennige
http://www.ftd.de/bm/ga/FTDRVAL32UC.html?nv=hpm
Von Florian Schröder
Die Delisting-Regeln der Deutschen Börse sind seit dem 1. Oktober in Kraft. Jetzt droht Werten, die 30 Börsentage in Folge weniger als einen Euro kosten, der Rausschmiss aus dem Neuen Markt. Viele Billig-Aktien erfüllen dieses Kriterium.
Erst war die Deutsche Börse froh, kleine wachstumsstarke Unternehmen an den Neuen Markt geholt zu haben, und jetzt wollen sie uns mit Karacho wieder rauswerfen." Ingo Endemann, Vorstand und Gründer von Abacho, des ersten Internetunternehmens am Neuen Markt, das früher als Endemann firmierte, spricht nicht nur für sich selbst. Die meisten der 30 Unternehmen am Neuen Markt, die unter einen Euro notieren und daher auch als "Pennystocks" bezeichnet werden, sind auf die Deutsche Börse AG derzeit nicht besonders gut zu sprechen.
Denn die Deutsche Börse will mit einem neuen Regelwerk die Pennys mit eisernem Besen aus dem Neuen Markt kehren. Ähnlich wie bei der großen Schwester in New York, der Nasdaq, sollen die "Billig-Aktien" im Segment wachstumsstarker Tech-Unternehmen nach und nach vom Kurszettel verschwinden. "Die Wachstumsaussichten von Pennystocks sind arg getrübt", ist Candice Adam, Pressesprecherin der Deutschen Börse, überzeugt. "Damit haben diese Papiere nichts mehr am Neuen Markt zu suchen."
Theorie und Praxis
Theoretisch ist die am 1. Oktober in Kraft getretene Regelung der Deutschen Börse klar und sieht vor, dass eine Aktie, die 30 Tage hintereinander unter einem Euro notiert (gemessen am Tagesdurchschnittswert) und eine Marktkapitalisierung von weniger 20 Mio. Euro aufweist, automatisch in eine 90 Tage währende Beobachtungsphase rutscht (Bedingung 1). Kostet die Aktie während dieser Beobachtungsphase an 15 Börsentagen in Folge weniger als einen Euro und weist sie eine Marktkapitalisierung von weniger als 20 Mio. Euro auf, kann die Deutsche Börse das Unternehmen vom Wachstumssegment ausschließen (Bedingung 2). Neun Firmen haben bisher die erste Bedingung erfüllt (siehe Tabelle).
In der Praxis jedoch wehren sich viele Unternehmen mit Händen und Füßen - und einige recht erfolgreich. Fast alle beschritten den Gerichtsweg, und 20 Firmen, darunter Foris, Tiscon oder Ejay, erreichten durch eine einstweilige Verfügung einen Aufschub bis zum April kommenden Jahres. Die Deutsche Börse hat gegen die einstweilige Verfügung von Foris Berufung eingelegt. Am 11. Dezember wird das Oberlandesgericht Frankfurt darüber entschieden. Die Deutsche Börse geht davon aus, dass damit ein Präzedenzfall geschaffen wird, der dann Klarheit über den tatsächlichen Beginn der neuen Ausschlussregelungen schaffen werden.
Juristisches Hickhack
"Grundsätzlich ist es begrüßenswert, den Neuen Markt von den Schrott-Titeln zu befreien, doch was hier geschieht, ist kontraproduktiv", ist von Analysten hinter vorgehaltener Hand zu hören. Durch das juristische Hickhack werde der Neue Markt noch monatelang mit Streitigkeiten auf sich aufmerksam machen und damit von Anlegern als Hort renitenter Pfennigaktien wahrgenommen, so die Experten. Candice Adam: "Wir haben die Regelungen mit Emissionsbanken, Investmentbanken und Anlegerschützern diskutiert. Doch gegen Klagen ist man nie gefeit." Laut Gerichtsbeschluss hatte Foris jedoch gerade deshalb Erfolg mit der Klage, weil die Deutsche Börse "zu wenig Rücksicht auf die organisatorischen Bedürfnisse des Unternehmens genommen hat", so die Begründung des zuständigen Richters.
Ein Umstand, der für die meisten nicht akut insolvenzgefährdeten Kandidaten wohl nicht allzu schwer nachzuweisen ist. Ingo Endemann: "Wir hatten kaum eine Möglichkeit, angemessen zu reagieren und dem Markt unsere im Grunde gesunde Situation zu vermitteln." So hofft Abacho, im ersten Quartal kommenden Jahres die Gewinnzone zu erreichen und anschließend das verspielte Anlegervertrauen zurück gewinnen zu können.
Der Ausstieg ist nicht das Ende
Auch wenn die meisten betroffenen Werte wohl noch einige Monate Aufschub bekommen werden - spätestens nach Ablauf der einstweiligen Verfügungen wird die eine oder andere Firma wohl Abschied nehmen müssen. Nach jetzigem Stand besonders gefährdet sind Werte wie Prodacta mit einem Börsenkurs von 0,19 Euro und einer Marktkapitalisierung von 0,93 Mio. Euro, Micrologica (0,21 Euro; 1,68 Mio. Euro), Musicmusicmusic (0,36 Euro; 2,83 Mio. Euro), Lipro (0,27 Euro; 2,13 Mio. Euro), oder auch Fortunecity (0,25 Euro; 7,32 Mio. Euro). "Übertriebenes Wehklagen ist aber nicht angebracht", sagt Maximilian Schöller, Analyst bei Merck Finck. "Immerhin können die Unternehmen ja an ein anderes Börsensegment gehen." Das empfiehlt auch Candice Adam: "Jedes Neuer-Markt-Unternehmen, ob Pennystock oder nicht, kann problemlos in den amtlichen Handel, den geregelten Markt oder den Freiverkehr wechseln."
So will beispielsweise die insolvente Popnet AG den Schritt des Segmentwechsels vollziehen und in den geregelten Markt wechseln. Vorteil: Die Anforderungen in den Alternativ-Segmenten sind wesentlich geringer. Dort müssen nicht wie am Neuen Markt Quartalsberichte vorgelegt und kostenintensive Analystenkonferenzen abgehalten werden. Außerdem sind keine "Designated Sponsors" notwendig. Designated Sponsors sind Banken, die sich verpflichten, Liquidität zur Verfügung zu stellen, und damit die Handelbarkeit der Aktien verbessern. Die Banken scheuen den unverhältnismäßig hohen Kostenaufwand dieser Betreuertätigkeit für kleine ("enge") Werte, die wenig gehandelt werden. So kündigte das Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim bereits an, sich in den nächsten Monaten von den meisten seiner 45 Neuer-Markt-Mandate zu trennen. Ohne zwei entsprechende Bankhäuser hat eine Aktie nach geltendem Recht jedoch keine Existenzberechtigung am Wachstumssegment.
Eine weitere Möglichkeit, die Ausschluss-Kriterien der Pennystock-Regelung zu umgehen, besteht auch in einem Re-Split. So werden bei einem 1:2-Re-Split zwei Aktien zu einer zusammengefasst. Sie verdoppeln sich damit im Wert und hieven etwa eine Aktie, die bei 0,60 Euro notiert, schnell auf 1,2 Euro und damit über die magische 1-Euro-Marke für Pennystocks - zumindest kurzfristig. Auch Ingo Endemann zieht einen Re-Split in Betracht, "wenn uns nichts anderes übrig bleiben sollte". Candice Adam: "Durchaus denkbar, doch solche Maßnahmen wirken auf Anleger wohl eher abschreckend."
Abschreckend wirkt auch die hohe Volatilität vieler Pfennige. "Bei Firmen, die nur noch ein paar Cent wert sind, verursachen selbst kleinere Orders von einigen Hunderttausend Mark leicht Kursausschläge von 40 Prozent und mehr", sagt Analyst Schöller. Das mag zwar für Spekulanten interessant sein, die die schnelle Mark machen wollen, verfestigt aber weiter das ungeliebte Zockerbuden-Image des Neuen Markts.
Und selbst betroffene Unternehmer wie Endemann stimmen dem Ausschlussverfahren zu, bemängeln nur die zu schnelle Umsetzung und den denkbar ungünstigen Zeitpunkt. So hat die Nasdaq seit dem 11. September ihre Delisting-Regelung bis zum 2. Januar 2002 ausgesetzt, um der Unsicherheit an den Finanzmärkten entgegenzuwirken. Davon will die Deutsche Börse jedoch nichts wissen. Adam: "Wir wollen ein deutliches und vielleicht schmerzhaftes Signal setzen, um das Vertrauen der Anleger schnell wieder zurückzugewinnen."