Das MEDIEN-MASSAKER

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Happy End:

Das MEDIEN-MASSAKER

 
20.08.02 06:04
Nach einer jahrzehntelangen Expansion nehmen Markt und Marktwirtschaft furchtbar Rache: Das Medienangebot ist größer als die Nachfrage nach Werbung.

Die Angst ist ein zorniges Tier. Es macht, was es will, es kommt von überall und springt die Mutigsten an.

Was ist, schaudert es zum Beispiel Herrn Dirk Refäuter (42), Chef des sicherlich fabelhaften, aber dennoch mit Anzeigenverlusten übelsten Ausmaßes bestraften Süddeutschen Verlags ("Süddeutsche Zeitung"), was ist, wenn es niemals besser, sondern, o Herr, nur schlimmer wird?

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Die deutschen Verlage stecken in der größten Finanzkrise seit Jahrzehnten: Die Auflagen sinken, die Anzeigenerlöse brechen ein
 
Es hat sich herumgesprochen: Die Medienwelt steckt in der tiefsten Finanzkrise "seit dem Zweiten Weltkrieg" (Springer-Chef Mathias Döpfner) oder "seit 20 Jahren" (Burda-Manager Helge Volkenand), wie man will: jedenfalls der schwersten, an die man sich erinnert. Und Besserung? - Vielleicht nächstes Jahr.

Seit Januar sind die Anzeigenerlöse überregionaler Tageszeitungen teilweise um weitere 40 Prozent eingebrochen; bei den Stellenanzeigen sieht es stockdunkel aus: "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ): minus 52 Prozent, "Süddeutsche": minus 54 Prozent, "Handelsblatt": minus 74 Prozent, "Financial Times Deutschland": minus 94 Prozent.

Es ist ein Desaster, ein Massaker. Es ist "eine Katastrophe" (Refäuter).

Die Plage überfällt ein Gewerbe, das jahrzehntelang florierte und über Um- und Zusammenbrüche allenfalls berichtete. Doch nun flattert alle Zuversicht wie ein alter Geist davon.

Nach Art eines bis zur Scherzhaftigkeit verzweifelten Dostojewski-Helden stellt sich Refäuter, angesprochen auf die eigene Sattelfestigkeit, die Frage aller Gegenfragen: "Sitzt im Mediengeschäft überhaupt ein Manager sicher im Sattel?"

Niemand weiß das.

Bernd Kundrun (44), Herr über den Zeitschriftenriesen Gruner + Jahr ("Stern", "Brigitte") und Anhänger der Lehre, wonach viel Kraft in der Entspannung und einige auch in der richtigen Wortwahl liegt, meldet: "Es herrscht in der Medienbranche eine sehr volatile (lat. "flüchtig, verdunstend", Anm. d. Red.) Stimmung." Volatil ist gut.

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Recherchen von Manfred Braun (50), Geschäftsführer beim Bauer Verlag ("Neue Revue", "TV Movie"), deuten darauf hin, dass zum Verdunsten auch aller Anlass besteht: "Die Branche hat Managementprobleme. In Wachstumszeiten konnte man jeden Tag einen Fehler machen. Das fiel nicht auf, das wurde vom Boom einfach weggebügelt. Heute zeigt sich, wer gut ist und wer schlecht."

Braun sieht die Dinge mit den Augen des Pingeligen, des Extremsparers: Als größte Sozialleistung des Verlags gilt seine Nähe zum Hamburger Hauptbahnhof. Am Boom nahmen Braun und sein leichtgewichtiges Sortiment nicht teil. Beim Absturz kam er heil davon.

"Nicht alle werden überleben"

Aber was hülfe es den Medienhäusern, sich ihrer Führungskräfte zu entledigen? Zumal viele von ihnen - wie Mathias Döpfner (39), Bernd Kundrun oder eben Dirk Refäuter - erst seit ein oder zwei Jahren amtieren, allesamt mehr oder weniger unglückliche Nachfolger mehr oder weniger glücklicher Vorgänger.

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Flut aus Bildern, Tönen, Zeichen: Wachstum des deutschen Medienangebots seit 1995
 
Andererseits wird der befreiende Rausschmiss in jüngster Zeit immer häufiger praktiziert: Erst am vergangenen Freitag erwischte es FAZ-Geschäftsführer Edmund Keferstein. Man wolle sich auf das Kerngeschäft konzentrieren, begründete der Frankfurter Verlag die Trennung. Keferstein war für die elektronischen Medien zuständig, die jetzt stärker mit der Print-Redaktion verknüpft werden sollen.

Anfang Juli schied beim Süddeutschen Verlag Bernhard von Minckwitz als Geschäftsführer aus - wegen "unterschiedlicher Auffassungen zur künftigen Geschäftspolitik". Zuvor mussten bereits Günter Kamissek (51, Verlagsgruppe DuMont Schauberg), dessen Wirken recht folgenlos geblieben war, aber auch die gut beleumundeten Fachkräfte Heinz-Werner Nienstedt, Axel Gleie und Arno Mahlert (alle Holtzbrinck) ihre Posten räumen. Kamissek ward "einvernehmlich" geopfert, wie es bei DuMont heißt, in einer Zeit "wirtschaftlicher Bedrängnis", was sauer, aber wenigstens ein bisschen nach Novalis klingt.

Manch einer hofft, dass Führungswechsel geheime Kräfte beflügeln, mit deren Hilfe die Krise zu überwinden ist. Die Aussichten sind gering.

Es ist ja nicht die Konjunktur allein, die den Medienhäusern zusetzt; nicht nur die unter der Konsumflaute leidende Wirtschaft, die ihre Zielgruppen immer häufiger abseits der klassischen Kommunikationswege sucht, im Sponsoring, in der Verkaufsförderung oder via Internet.

Im Juni machten "Stern", "Focus" und "Spiegel" die bittere Erfahrung, dass traurige fünf Arbeitstage lang kaum ein Anzeigenauftrag einging. Als habe man vergessen, dass es diese Wochenschriften überhaupt gibt.

Es ist mehr als die aktuelle Konjunkturschwäche, es geht um Grundsätzliches: Seit Jahren sinken Auflagen und Reichweiten der meisten Zeitungen und Zeitschriften. Gleichzeitig wächst das Angebot.

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Wachstum bis zum Wildwuchs: Bernd Kundrun, Chef des Verlagsriesen Gruner + Jahr, erwartet die gerechte Strafe für alle Überexpansiven
 
Gibt es zu viele Zeitungen und zu viele Zeitschriften und zu viele TV-Kanäle und zu viele Radiosender für zu wenig Werbekundschaft und zu wenig Interesse beim blätternden und glotzenden Publikum? Steht die wahre Krise womöglich noch bevor?

So viel scheint gewiss, nicht nur einzelne Publikationen und kleine Regionalverlage sind gefährdet. Auch die Unabhängigkeit renommierter Häuser wie der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", des Süddeutschen Verlags oder, wie der "Spiegel" jüngst enthüllte, des milliardenhoch verschuldeten Holtzbrinck-Konzerns steht auf dem Spiel. All diese großen Namen müssen im laufenden Geschäftsjahr Umsatzrückgänge und Millionenverluste verbuchen.

"Es hat auf dem Medienmarkt eine Menge Wildwuchs gegeben", sagt G+J-Kapitän Bernd Kundrun. Luzide Worte: Denn sein Haus trug durchaus zum wilden Wuchse bei. "Eine Konsolidierungswelle steht bevor. Nicht alle Titel werden diese überleben."

Es herrscht nackte Panik

Kleinverlage, sagt der Vorstand eines Medienmultis, "wissen nicht weiter. Die können nicht - wie wir - irgendwo eine andere Cash-Cow abmelken." Er werde in absehbarer Zeit, kündigt der Mann an, das eine oder andere Haus "billig schießen" können. Doch die Multiples, einst das 15fache des Betriebsergebnisses, sind bislang nur auf den Faktor 9 gesunken: "Noch zu teuer. Wir sind ja im Moment alle knapp bei Kasse."

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Sparen, senken, kürzen, entlassen: Dirk Refäuter, Leiter des Süddeutschen Verlags, ringt mit der Krise und der Frustration
 
Alles dreht sich zur Zeit um die Frage: Wer kann am schnellsten die Kosten senken? Mit Strategie hat der akute Sparzwang nichts zu tun. Es herrscht nackte Panik.

Wie die Medienwelt nach der Krise aussehen kann, ist auch ihren tiefsten Denkern schleierhaft. Den Spitzenkräften, die einst vor lauter Online-, Börsen- und Global-Fantasien kaum noch stehen konnten, sind die Visionen völlig perdu gegangen.

Die Ursachen des aktuellen Umbruchs reichen weit zurück. Das jahrzehntelang festgefügte deutsche Mediensystem, in dem jeder Marktteilnehmer sein profitables Spielfeld fand, war 1984 mit der Einführung des Privat-TV in Unordnung geraten: Von Ulm bis Flensburg luden sich bis dahin unauffällige Verlagsleute strategisch auf, kauften sich Hosenträger, passende Einstecktücher, prägten sich das gängige Neusprech ein ("Geschlossene Wertschöpfungskette!", "Medienverbund!") und jagten durch fremde Reviere: Zeitungshäuser verlegten plötzlich Zeitschriften, Zeitschriftenverlage machten Zeitungen, alle wollten dringend ins Fernsehen und später noch dringender ins Internet. Teure Ausflüge.

"Die Krise kam nicht über Nacht", sagt Bauer-Mann Braun. "Die Renditen sind schon Ende der 80er Jahre überall zurückgegangen. Die Öffnung der Ostmärkte hat vieles verdeckt."

Zur Symbolfigur der Begeisterten wurde der Medienunternehmerdarsteller Leo Kirch, der, wie sich herausstellen sollte, zu den schlechtesten Kaufleuten aller Zeiten gehörte. Kirch saß, wie all seine kleinen Apologeten in Redaktionen und Unternehmen, dem Irrtum auf, dass in der Medienwelt andere Gesetze gelten als jene der Betriebswirtschaft, womöglich nämlich gar keine; dass mithin fortwährendes Wachstum garantiert sei.

Welt und Wirklichkeit würden, je nachdem, Techniken (Digitalisierung), Ereignisse (Golf-Krieg, Wiedervereinigung, Fußball-WM) oder Räusche (Börse, Internet) bereitstellen, auf dass Sendern und Verlagen weder Stoff noch Werbeeinnahmen jemals ausgingen. Dies vorausgesetzt, kann man theoretisch Schulden in unendlicher Höhe anhäufen. Und Kirch hat entsprechende Versuche unternommen.

Irgendwann nahm das generelle Gottvertrauen elefantenhafte Züge an. Irgendwann, endgültig in Unverletzlichkeitsekstase, begannen die Häuser, ihr journalistisches Produkt im Internet zu verschleudern.

Springer-Chef Döpfner attestiert der Branche einen völligen Verlust des Wirklichkeitssinns: "Zu viele haben das Unnormale in den Jahren 1999 und 2000 für normal gehalten."

So vergaßen es die einen, ihre Abhängigkeit vom Kerngeschäft zu lindern, die "FAZ" zum Beispiel oder der Süddeutsche Verlag; manch anderes Unternehmen, wie der Springer Verlag, wurde jahrelang gar nicht geführt, sondern trieb so dahin.

"Erst die Krise zeigt, wer Klasse hat"

Wieder andere gerieten völlig unter den Einfluss von Börsen-, Dotcom-, Internet-Hype und eigenen Übermut: Die auf dauerflott getrimmte Verlagsgruppe Milchstraße ("TV Spielfilm", "Max") etwa. Und desgleichen Gruner + Jahr, wo man es noch im Annus mirabilis 2000 für unerlässlich hielt, die heute matt-maroden US-Verlage Fast Company und Inc. für sage und klage 550 Millionen Dollar zu kaufen. Welch ein Flop!

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Erst die Krise zeigt, wer Klasse hat: Manfred Braun, Geschäftsführer und Oberskeptiker beim Bauer-Verlag
 
"Financial Times Deutschland" und die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung", beachtliche journalistische Produkte alle beide, wurden eingeführt, als der ganze Anzeigen-Boom schon fast vorüber war.

"Bis Ende 2000 war der Antrieb der Manager Wachstum um jeden Preis", gibt G+J-Anführer Kundrun in Form einer anonymen, aber lobenswerten Selbstanzeige zu Protokoll: "Mit zunehmender Geschwindigkeit sind alle Richtung Wachstum gerannt. Es ging nicht mehr um die Frage Return-on-Investment oder um Gewinne - es ging nur noch um Growth, um Wachstum, um nichts anderes."

Die Visionsanfälligkeit der nimmersatten Medienstrategen hat spürbar nachgelassen. Was die allgemeine Lage freilich nicht entscheidend verbessert hat: "Dieses dauernde Gejammere und Gespare nimmt den Leuten den Mut", klagt Holtzbrinck-Manager Michael Grabner und protestiert: "Es herrscht momentan so eine trostlose Dumpfbacken-Stimmung."

Neben der Kostendrückerei zeigen nur wenige Verlagshäuser Fantasie. Der Springer Verlag immerhin versucht, das Überleben von "Welt" und "Berliner Morgenpost", die 50 beziehungsweise 10 Millionen Euro Verlust schreiben, durch eine Fusion zu sichern: 300 Mitarbeiter und 15 Millionen Euro werden wohl eingespart.

Doppel-Chefredakteur Wolfram Weimer (37): "In der Verlagsbranche herrscht ein so hoher Reformbedarf wie einst in der Autobranche."

Allenthalben wird gespart, Online-Experimente werden abgeblasen, Ertragsschwächlinge verkauft oder eingestellt, Preise erhöht, Stellen abgebaut: 1400 im Springer Verlag, 500 im Süddeutschen Verlag, 175 bei der Handelsblatt-Gruppe, über 100 bei der FAZ. Das Controlling vieler Medienfirmen ist offenbar erst in der Krise arbeitswillig: Springer will seine Kosten binnen eines Jahres um 130 Millionen senken, G+J und Holtzbrinck planen je 100 Millionen Euro.

Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Markt, wie die Angst, keine Unterschiede kennt: Er behandelt die Medien, die vermarktet werden wie Wurst und Seife, zur Strafe, als wären sie Wurst und Seife ... wovon es zu viel gibt. Wo das Positive ist? Hier: Die Tyrannei der Großvisionäre senkt ihr Haupt. Bis auf weiteres.

Der Vollständigkeit halber sei hier noch eine Krisenbewältigungs-Technik aufgeführt, die Michael Grabner von der Holtzbrinck-Gruppe (operativer Verlust von Januar bis Ende Mai: 65,5 Millionen Euro) praktiziert. Mit dem Mut zur falschen Exklusivmeldung sagt er: "Wir haben keine Krise. Alle großen Verlage, und die kleinen erst recht, werden in diesem Jahr Gewinne verbuchen. Gott bewahre uns vor einer echten Krise." Gott ist gut.

mm.de

Gruß
Happy End

Happy End:

FAZ vor dem AUS?

 
02.11.02 10:57
Die Verlagsgruppe um Deutschlands Renommierjournal steckt in ernsten Schwierigkeiten. Erbarmungslos deckt die Branchenkrise schwere Mängel in der Konzernverfassung auf.

Von all den Komplimenten, die man der "Frankfurter Allgemeinen" machen könnte, ja recht eigentlich unablässig machen müsste, soll zunächst nur dieses eine Verwendung finden: Dass die "FAZ", Gott segne sie dafür, das "Dass" weiterhin mit fachkundig ausgeführtem "Esszett" publiziert.

Fürwahr keine Kleinigkeit: Das Traditions-Daß illustriert Tag für Tag aufs Neue die schon legendäre Bremskraft der Hessen, ihre Liebe zum Schnörkel und zur Dauerhaftigkeit.

Auch dient es ja prima der Abgrenzung gegenüber den Mr. Minits des Gewerbes, den trendgetriebenen Neuökonomen, denen zuletzt alle Mediengeschäfte missrieten. Die bedeutende "FAZ" hingegen aus dem Gallus-Viertel beim Hauptbahnhof und die ihr angeschlossene, etwas bedeutungslosere Verlagsgruppe, zu der die "Märkische Allgemeine" in Potsdam gehört, Buchverlage, einige Druckereien und Radiostationen - dieses Blatt hält die ewigen Werte hoch und höher.

Und wenn es als Wimpel des Unveränderlichen die reine Lehre vom Esszett ist. O, es geht ein großes Gaukeln um die "FAZ".

Theoretisch hätte die Konjunkturkrise, die den Revisionisten unter den Managern ja in die Hände arbeitet, mit einem so kreuzmordskonservativ geführten Firmengeflecht also barmherzig verfahren müssen. Doch ausgerechnet die Frankfurter Edlen mit ihren Frakturüberschriften erweisen sich als schwer verwundbar.

Der Verlag, der sich in erster Linie von seinem Prachtmedium "FAZ" (Auflage: 397.666 Exemplare) nährt, steckt in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Die letzten vier Jahre hatten auf die Gruppe wie ein Blasebalg gewirkt: Börsenboom und Internet-Wirtschaft pumpten das Blatt mit Anzeigen und die Egos ihrer Macher mit Gewissheit voll. Börsenkrise und Internet-Kollaps sogen alles wieder heraus.

240 Seiten dick, lautet eine interne Faustregel, sollte eine Wochenendwuchtausgabe schon sein. Doch zurzeit bringt das Zentralorgan der bürgerlichen Eliten kaum noch 110 Seiten an den Kiosk.

Anfang der 90er Jahre war der Verlag bereits einmal - Folge von Rezession und Großinvestitionen in Ostdeutschland - in die Minuszone gerutscht. Aber so schlimm wie diesmal war's noch nie: 2001 sank der Umsatz um 11 Prozent auf 723 Millionen Euro.

"Die Lage ist ernst"

In den Büchern rote Zahlen zum Schwarzwerden: 28,7 Millionen Euro. Beteiligungen müssen verkauft oder eingestellt, Leute entlassen werden.

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Doch nun schlägt das Elend wieder zu und schichtet auf den Schmerz des vergangenen das Entsetzen dieses Jahres: Bis September sank die Zahl der Anzeigenseiten um weitere 35 Prozent. Auf bis zu 70 Millionen Euro könnten die Verluste heuer klettern.

Die Fazit-Stiftung, Hauptgesellschafter der Gruppe, ist besorgt. Stiftungschef Klaus Peter Krause (65) knurrt: "Die Lage ist ernst."

Woher rührt die Misere des Traditionshauses, das wie kein zweites unternehmerischer Vernunft und sozialer Vorsicht verpflichtet schien?

Die fünf "FAZ"-Herausgeber, die so ruhmreich sind wie die drei Tenöre, aber angeblich etwas intelligenter und dem Klugschnacken deshalb selten abgeneigt, sie halten in dieser Stunde der Not zusammen und lieber den Mund.

Die Krise hat aus stolzen Männern schweigende Männer gemacht.

Zum Niedergang fällt dem an Denkschärfe durch nichts und niemanden zu überragenden Kollegium nichts Gescheites ein: Der hausintern als "Caligula", "Nero" und "genial" bekannte Frank Schirrmacher (43) teilt mit, dass er nichts mitteile, "da über die 'FAZ' sich öffentlich stets nur der amtierende Vorsitzende der Herausgeberkonferenz äußert".

Konferenzspitze Dieter Eckart (64) aber mag sich, wie er seine Sekretärin Inge Schreck belehrend maulen lässt, auch "nicht äußern, da eigentlich alles schon gesagt ist und es Neues nicht zu berichten gibt".

Erstaunlicherweise beweist sogar Betriebsratschef Michael Spankus mannschaftsdienliche Geschlossenheit und kommt ("... nach Rücksprache mit unserem Betriebsausschuss ...") wohl zu dem Schluss, dass wer nichts sagt, unmöglich Blödsinn reden kann. Spankus leitet im Übrigen das Rechnungswesen und die Hauptbuchhaltung.

Gleichfalls verstummt ist Geschäftsführer Jochen Becker (54), der den verstörungsfördernden Kampfnamen "Rambo" führt, weil zärtliche Vorhaltungen seine Sache nicht sind, wohl aber der große Wauwaustil.

Was sollte "Rambo" auch sagen? Monatelang hatte der Kraftmensch saniert, ohne dass ihm die Frisur verrutscht war: Preise erhöht, Umfänge gesenkt, Honorare gedrückt.

Die Aufsichtsräte werden nervös

Zusehends nervöse Aufsichtsräte ("Der kam ja nicht voran") schalteten sich schließlich ein und kommandierten den Einzigen der ihren, der managen kann, als Becker-Tempomaten ab: Wolfgang Bernhardt (66), einst Flick-Manager und Coop-Abwickler, jetzt auch Vatikan-Revisor.

Spätestens hier ist klar: Wo so viele theoretisch mitreden, hat praktisch keiner was zu sagen. So leidet das Medienhaus nicht nur an der Branchenkrise, sondern still und stumm an seiner Betriebsverfassung und einer irrenden Führung auch.

Immerhin, niemand ist überrascht. Schon 1999 hatte Becker erkannt: "Die 'FAZ' ist nicht mit einem normalen Unternehmen zu vergleichen, nicht einmal mit einem normalen Zeitungshaus." Statt eines Chefredakteurs sitzen der "FAZ" Herausgeber vor. Die Geschäftsführung ist vor allem damit befasst, die Unabhängigkeit dieses mächtigen Quintetts zu gewährleisten. Direkten Zugriff auf das Hauptprodukt hat sie nicht.

Da das Verlagshaus obendrein einer Stiftung gehört, die gemeinnützig ist, aber keinem Verleger, der reich werden will, entwickelte sich die "FAZ" grosso modo zu jenem republikweit einzigartigen Medium, das nicht allein betriebswirtschaftlicher Logik, sondern dem Journalismus als solchem gehorcht und huldigt.

Anhänger schwärmen: Deshalb ist die "FAZ" das angesehenste Blatt der Republik. Kritiker nörgeln: Die "FAZ" ist das, was passiert, wenn keiner aufpasst.

Der Zustand des Renommierverlags illustriert zumindest eine ewige Wahrheit - dergestalt, dass der größte Mist nicht selten in bester Absicht gebaut wird und dass ohne einen starken Mann an der Spitze einfach nichts nirgendwo klappt.

Die klugen Köpfe in der Zentrale sind unentwegt in einem präseismischen Zustand begriffen. Unglaubliche Kräfte sind auf ihre Seelen angesetzt: Beharrungswille, Veränderungsdrang, Angst, Übermut. Aber wirksam werden können diese Kräfte nicht, die Unternehmensverfassung, die keine echte Nummer eins zulässt, hebt sie reibungslos auf: "Solange das so bleibt, ist das unreformierbar", stöhnt ein Stiftungsgesellschafter.

Wie alle Geschäftsprinzipien, die kein Machtzentrum kennen, führt auch das solitäre FAZ-Modell zum Wurschteln auf hohem Niveau, vergleichbar mit der kühlen Ineffizienz einer Behörde. In guten Zeiten kriegt vom Stillstand keiner etwas mit. In schlechten aber bricht das Chaos los.

Seit dem Abschied des langjährigen Geschäftsführers Hans-Wolfgang "Mr. FAZ" Pfeifer 1994 fehlt dem Verlag eine Führungspersönlichkeit, die mit den starken Herausgebern konkurrieren kann: 1995 wurde Pfeifer-Nachfolger Dietmar Kablitz gefeuert; 1998 Kablitz-Nachfolger Frank Meik.

Planmäßig wie Treibholz

Alle, auch Becker, touchierten allenfalls die Randgebiete einer durchdachten Strategie. Trotz aller Diversifikationsbemühungen blieb die Gruppe im Kern ein Ein-Produkt-Unternehmen: TV-Beteiligungen (RTL, Sat 1) wurden früh verkauft, andere kamen nicht zu Stande (N24); eigene Formate, wie Tele FAZ, floppten.

Eingestellt wurden die "Neue Ärztliche" (1991), die "Neue Zeit" (1994), die "Medienkritik" (1995), der "Blick durch die Wirtschaft" (1998), das "FAZ-Magazin" (1999), die Beilage "Bilder und Zeiten" (2001), die "Rhein-Main-Zeitung" (2001), das "FAZ"-Ressort "Berliner Seiten" (2002) und im August das Anzeigenblatt "Sunday", das immer ein Pflegefall war und den Verlag geschätzte 40 Millionen Euro gekostet hat. Kurz, die FAZ-Gruppe bewegt sich seit Jahren so planmäßig voran wie eine größere Menge Treibholz.

Der Tätigkeitsnachweis Beckers listet zwar auch gute Taten auf, doch viele hatten einen Haken: So sorgte der Mann dafür, dass sein Minderheitsgesellschafter, die Frankfurter Societäts-Druckerei, die "FAZ" endlich zu Markt- und nicht mehr zu Wucherpreisen druckte. Doch Vertrieb und Anzeigenmarketing brachte er nicht in Ordnung: "Da sitzen nette Herren", klagt ein Manager und fügt hinzu: "... aber meistens nur 'rum."

Die Einführung der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" im September 2001 war wunderbar - fiel freilich mitten hinein in den Werbeabschwung. Verlust des Projekts bislang: wohl an die 20 Millionen Euro. Schlechtes Timing bewies Becker auch in puncto Internet. Lange hatte er gezögert, was gut, doch dann verspätet eingegriffen, was ganz besonders schlecht war. Im Netz versenkt die "FAZ" derzeit gut vier Millionen Euro.

Zwar hat die FAZ-Gruppe keine nennenswerten Schulden; die Eigenkapitalquote liegt bei 52 Prozent. Von seinen üppigen Reserven, sagt ein Aufsichtsrat, angelegt vor allem in Immobilien und wohl einige hundert Millionen Euro schwer, könne das Unternehmen noch zwei Jahre zehren. Doch die Zeit drängt. Ein Ende der Werbekrise ist nicht in Sicht.

Notvorsteher Bernhardt, Fachmann für hoffnungslose Fälle, soll dem restlos düpierten Anstaltsleiter Becker (Jahressalär: rund 500.000 Euro) nun zeigen, wie Sanieren geht. Stiftungschef Krause sagt zwar: "Becker ist der richtige Mann." Vielleicht dreht es sich hierbei aber um einen chiffrierten Subtext. Womöglich will Krause sagen: Einen Besseren haben wir nicht.

Was nicht zum Kerngeschäft gehört, soll verkauft werden: Im Angebot hätte Bernhardt die Deutsche Verlags-Anstalt, den Buchhändler Habel, die Verlage Manesse und Kösel sowie die mit einem Verlust von wahrscheinlich zwei bis drei Millionen Euro vor sich hin funkenden FAZ-Radios. Doch auf dem brachliegenden Medienmarkt sind derzeit keine attraktiven Verkaufserlöse zu erzielen.

Bernhardt will ans Personal, wie eine Schippe an den Schnee. Rund 100 Beschäftigte sind bisher entlassen worden. "Das ist nicht zu Ende", sagt ein Vertrauter Bernhardts. Bis 2001 schwoll die Zahl der "FAZ"-Redakteure, von denen fast jeder einen Dienstwagen fährt, auf 458 an. "Hier sitzen Leute, die zehn Artikel im Jahr schreiben und dafür 8000 Euro im Monat kassieren", sagt ein Redakteur.

Hilfeschreie aus der Hellerhofstraße

Immer wieder dringen in jüngster Zeit Hilfeschreie aus dem Gebäudekomplex in der Hellerhofstraße: So regte der Feuilleton-Chef auf einer Redakteursversammlung an, man möge sein Ressort von Sparmaßnahmen verschonen, weil doch Kultur von Natur aus subventioniert werde.

Von "Diktatur" geht schon die Rede; Bernhardt wolle das Gleichgewicht zwischen Geschäftsführung und Herausgeberschaft aushebeln.

Richtig ist, dass der Sanierer aus der FAZ-Gruppe ein richtiges Unternehmen machen will, mit Führungs- und Steuerungssystemen und allen modernen Schikanen, zum Beispiel einem Chefredakteur. Alles soll straff und gut werden. Fragt sich nur: Wie?

Auch das Herausgeberstatut könnte fallen. Wenn die Geschäftsführung den Herausgebervertrag mit sechsmonatiger Frist zum Ende eines Halbjahres kündigt, dürften die Galionsfiguren freilich mit vollen Ruhebezügen in die Frührente tanzen. Bernhardt zögert: Er weiß, die "FAZ" verdankt ihr Prestige vor allem ihren egostarken Herausgebern.

Er weiß auch, dass Kostendrücken mit Strategie und der Erschließung neuer Geschäftsfelder nichts zu tun hat. Selbst wenn es ihm gelänge, sich von Verlustbringern zu trennen - so führte er das Unternehmen doch nur dorthin, woher es kam.

Vielleicht, mag der Hilfssanierer hoffen, geht die Werbekrise ja vorüber, bevor eine Änderung des Betriebssystems unvermeidlich wird. So könnte man weiterwurschteln wie bisher - was in den Augen der hessischen Traditionalisten zweifellos die süßeste aller Optionen ist.

Für den Ernstfall sei aber bereits eine andere Frankfurter Institution rettend unterwegs, raunt es in Bernhardts Umgebung: Hilmar Kopper, der frühere Vorstandssprecher der Deutschen Bank, solle nach einem stillen Gesellschafter suchen. Sicherheitshalber.


Die "FAZ" stiftet Verwirrung


In Frankfurt reden alle mit, aber keiner hat etwas zu sagen

Gründung: 1949 auf Initiative und mit dem Geld der Wirtschaftspolitischen Gesellschaft, eines Kreises von Unternehmern und Landwirten, sowie der Mainzer Verlagsanstalt gegründet, gehört die "FAZ" seit 1959 der Fazit-Stiftung. Die Stiftung soll "die Unbeeinflussbarkeit" des Blattes "unwiderruflich" sichern.

Wunsch: Das Schöne an einer Stiftung ist, dass sie mit ihrem Engagement keine unternehmerischen Ziele verbindet. Die für das Gewinnstreben nötige Gier fehlt ihr völlig; auch die Fazit-Stiftung will und muss in erster Linie gut sein und steckt alle Beteiligungserträge in Forschung und Kultur.

Natürlich wissen die sieben Stiftungsgesellschafter, was Gewinne sind. Unter ihnen finden sich schließlich emeritierte Professoren und Rotarier wie Helmut Diederich (74) und Walter Hamm (79). Die Weisen besetzen den Aufsichtsrat, und der, seinerseits, die Geschäftsführung.

Wirklichkeit: Die Macht der Manager endet freilich vor den Büros der "FAZ"-Herausgeber, die Gesellschafter sind, über die Zusammensetzung ihres Kollegiums selbst befinden und unliebsame Verlagsentscheidungen mit einem Veto blockieren können.

Hinzu kommt, dass die Kuratoren, die ins Gemeinnützige streben, die Wünsche ihrer Herausgeber, die auch irgendwie höhere publizistische Ziele verfolgen, im Zweifel besser verstehen als die Nöte ihrer Geschäftsführer. Was bei all dem herauskommt, würden neutrale Beobachter Führungschaos nennen.


Ballast von Bord


Radikale Einschnitte kündigt der designierte Aufsichtsratschef der FAZ GmbH, Wolfgang Bernhardt, an. Das FAZ Businessradio wird eingestellt, die Buchverlage stehen zum Verkauf. Am Herausgeberstatut soll aber nicht gerüttelt werden.

Frankfurt/Main - Wolfgang Bernhardt, designierter Aufsichtsratsvorsitzende der FAZ GmbH, hat die Nase voll. Seit Wochen kursieren Gerüchte, wie sich das angeschlagene Verlagshaus aus der Krise manövrieren wrd. In einem Interview mit der hauseigenen "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) stellt er nun klar, welchen Weg das Verlagshaus einschlägt. Der Verlags-Sanierer beendet damit gleichzeitig auch Spekulationen, um die Installation eines "FAZ"-Chefredakteurs – sprich "Welt"-Chefredakteur Wolfram Weimer.

Bernhardt kündigt in dem Interview drastische Einschnitte an. Das Unternehmen werde sich von Randbereichen des Zeitungsgeschäfts trennen. Im Klartext: Das Ende des FAZ Businessradios ist offiziell besiegelt. Die Buchverlage sollen langfristig abgestoßen und die beiden Online-Angebote des Blattes zusammengelegt werden. An dem Herausgeberstatut werde sich aber bei der "FAZ" nichts ändern, betont Bernhardt. Das Prinzip, die Leitung des Hauses auf mehrere Herausgeber zu verteilen, werde nicht aufgegeben: "Kein Zweifel, Kollegialität ist immer schwieriger als "Alleinherrschaft", aber sie ermöglicht (...) Lösungen, die sich sehen lassen können und Bestand haben."

Sanierung ohne fremde Hilfe

"Es geht bei uns - wie bei anderen - um die Verabschiedung von Randbereichen und die Bündelung der Kräfte auf das Kerngeschäft", sagte Bernhardt weiter. Es bestehe "kein Zweifel, dass wir uns auf einem schwierigen und steinigen Weg befinden", sagte Berhardt.

Die Probleme werde man "mit Bordmitteln und ohne fremde Hilfe" und sicherlich "ohne falsche Freunde von außen" bewältigen. Ihre Unabhängigkeit sei das größte Kapital der Zeitung. Bernhardt betont, dass die FAZ trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage schuldenfrei sei und auch zum Jahresende 2002 keine Bankschulden haben werde. Die FAZ hatte 2001 ein Minus von 27 Millionen Euro erwirtschaftet.

Aus fürs FAZ Business Radio

Bernhard erteilte, Gerüchte eine Absage, die erst vor kurzem gestartete "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" wieder einstellen zu wollen. Die Sonntagszeitung befinde sich "in einer Anlaufphase, die Geld kostet", zähle aber zum unmittelbaren Kerngeschäft und sei ein hochwertiges Produkt.

Der Verlags-Sanierer verkündete zudem das Aus für das komplette FAZ-Businessradio. Nicht nur die Standorte München und Frankfurt sollen aufgegeben werden auch Berlin steht vor dem Ende. Bernhardt sagte jedoch am Mittwoch: "Wir werden uns von den FAZ-Businessradios verabschieden, in der einen oder anderen Form. In München vollzieht sich das Ende Oktober (...), in Frankfurt und Berlin im Laufe des Monats November." Das FAZ-Radio war im November 2000 on Air gegangen.

Wie Bernhardt weiter erklärt, wolle sich die FAZ im Zuge der Kappung der Randbereichen auch von seinen Buchverlagen trennen: "Ich glaube, dass unsere Buchverlage (...) eine gefährliche Zwischengröße besitzen. Sie sind nicht klein genug, und sie sind nicht groß genug." Man werde aber nichts überstürzen und die Verlage DVA, Kösel und Manesse nicht billig verramschen.

Die beiden Internet-Auftritte FAZ.net und FAZ.de sollen zu einem Angebot verschmolzen werden, das teilweise kostenlos sein soll. Bernhardt soll Hans-Wolfgang Pfeifer nachfolgen, der seit 1995 Aufsichtsratsvorsitzender war und im Juli dieses Jahres starb.


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