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Bankenkrise
Angst und Gier zerfressen das Finanzsystem
Alle haben es gewusst. Seit Jahren hat sich an Finanzmärkten eine gefährliche Blase gebildet. Zu lange haben Banker, Investoren und Politiker zugesehen. Nun steht die Welt am Rande der schwersten Krise seit 1929. Rufe nach dem Staat sind verständlich. Gegen Gier aber hilft am Ende nur eins: die begründete Angst vor dem Verlust.
Schnell wird sich die Stimmung an den Finanzmärkten nicht aufhellen. Alle Feuerwehreinsätze der Zentralbanken und Rettungsaktionen des Staates werden das Problem nur aufschieben. Denn sie vergrößern die Geldschwemme weiter und verschleiern die Risiken
Joseph C. Lewis gehört zu jenen privilegierten Menschen, die auf der Sonnenseite des globalen Finanzkapitalismus stehen. Aus seiner Villa mit Meerblick auf den Bahamas regiert er sein weit verzweigtes Reich aus Firmen und Immobilien. Dazu gehört auch der Londoner Fußball-Club Tottenham Hotspurs. Mit einem geschätzten Vermögen von drei Milliarden Dollar liegt Lewis auf Platz 368 auf der aktuellen Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt.
Auf der nächsten Rangliste dürfte sich der 71-jährige Brite allerdings einige hundert Plätze weiter unten wieder finden. Ausgerechnet ihn, der gemeinsam mit George Soros 1992 die Bank of England mit gewagten Devisenspekulationen in die Knie zwang, hat sein Instinkt für sichere Geschäfte verlassen. Noch am Donnerstag kaufte Lewis für rund 30 Millionen Dollar Aktien der Investmentbank Bear Stearns. Vier Tage später, als die US-Notenbank und der Konkurrent JPMorgan Bear Stearns retten mussten, hatte das Paket nur noch einen Wert von rund einer Million Dollar. Selbst dieser Verlust wirkt nur wie ein verlorenes Taschengeld im Vergleich zu den insgesamt fast 1,2 Milliarden Euro, die der Brite Lewis offenbar mit seinen insgesamt knapp zehn Prozent an der Bank in den Sand gesetzt hat.
Spätestens seit der Beinahe-Pleite von Bear Stearns steht die Finanzwelt Kopf. Wie ein lähmendes Gift frisst sich die Angst immer stärker, immer schneller durch das weltweite Finanzsystem. „Das Schlimme ist, dass wir alle gleich handeln“, sagt der Vorstand einer deutschen Großbank. „Wir sitzen in Angststarre auf dem Geld.“ Der Mann klingt resigniert.
Vertrauen ist die Voraussetzung funktionierender Märkte
Es schwindet ausgerechnet das, was die Marktwirtschaft am dringlichsten braucht: Vertrauen. „Ich glaube nicht mehr an die Selbstheilungskräfte der Märkte“, sagte Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann am Montag und forderte eine Beteiligung des Staates an einer gemeinsamen Rettungsaktion mit Banken und Notenbanken. Dass er dies nur auf die Krise am amerikanischen Immobilienmarkt bezog, war schnell vergessen. Stattdessen wurden Ackermanns Sätze zur Bankrotterklärung für den globalen Kapitalismus stilisiert. „Diese Krise“, sagt Werner Abelshauser, Wirtschaftshistoriker an der Universität Bielefeld, „reicht deutlich tiefer als alle vorangegangenen Turbulenzen seit der Weltwirtschaftkrise von 1929. Wir haben es mit Marktversagen zu tun. Ein solches Problem kann nur der Staat lösen. “ Wie konnte es soweit kommen? Wieso haben gewiefte Investoren wie Lewis oder die Vorstandschef fast aller großen Banken die Alarmzeichen übersehen? Und warum ist selbst die amerikanische Federal Reserve, die mächtigste Notenbank der Welt, nicht mehr im Stande, die Märkte wirklich zu beruhigen?
Es wäre zu simpel, die alleinige Verantwortung dafür auf den überhitzten amerikanischen Immobilienmarkt zu schieben. Die Probleme sitzen tiefer. Die Finanzwelt hat über zwei Jahrzehnte einen gefährlichen Cocktail gemixt, der lange wie Doping für die Weltwirtschaft wirkte – und sich nun in Gift verwandelt.
Der Ursprung reicht bis 1987 zurück. Damals kam Alan Greenspan an die Spitze der US-Notenbank. Der passionierte Jazzmusiker sendete gleich nach seinem Amtsantritt ein unmissverständliches Signal. Im Oktober 1987, kurz nachdem der US-Aktienindex Dow Jones an einem Tag um knapp 23 Prozent eingebrochen war, senkte Greenspan drastisch die Zinsen. Nur 15 Monate später waren die Kurse wieder auf dem Vorcrash-Niveau. Ein Rezept, das Greenspan in den fast 19 Jahren seiner Amtszeit immer wieder anwandte. Und das ihn unter Anlegern und sogar unter renommierten Ökonomen zu einem Superstar werden ließ.
Die Chinesen pumpten Milliarden in das Finanzsystem
Das allein hätte aber nicht gereicht, um die Finanzwirtschaft in die tiefste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu stürzen. Es bedurfte auch eines grundlegenden Umbruchs der globalen Wirtschaftsarchitektur. Diese Revolution lässt sich mit einem Datum verbinden, dem Spätsommer 1998, als die Russland- und Asienkrise ihren Höhepunkt erreichte. Panikartig werteten die Krisenländer ihre Währungen ab. Fortan hielten sie die Arbeitskosten im eigenen Land im internationalen Vergleich über den Wechselkurs niedrig. Dadurch konnten sie die USA und Westeuropa zu günstigen Preisen beliefern. Zudem drückten China und Indien mit ihren Millionenheeren an Arbeitern das Preisniveau nach unten. Eine Art Perpetuum Mobile schien sich in Gang zu setzen. Die Chinesen versorgten vor allem die Amerikaner mit billigen Waren. Schritt für Schritt häufte China Dollar-Milliarden an. Das Land exportierte mehr als es importierte. Diese Dollars investierte die chinesische Zentralbank vor allem in amerikanische Staatsanleihen. Dadurch konnten die Amerikaner ihren hemmungslosen Konsum, ihr Handelsbilanzdefizit finanzieren, ohne dass der Dollar abstürzte. Fachleuten war früh klar, dass dies nicht lange gut gehen konnte. „Aus der Physik wissen wir, dass es kein Perpetuum Mobile gibt“, sagte Jürgen Stark, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, einmal spitz. Immer drängender stellte sich die Frage, wie lange wohl die Amerikaner ihre Banknoten quasi als ungedeckte Schuldscheine in alle Welt würden verteilen können.
Kredite wurden ungeprüft verschleudert
Die Immobilienkrise war der Anfang vom Ende – möglich geworden durch den Umbruch des globalen Bankensystems. Er wird seit Mitte der 80er-Jahre angetrieben von neuen Finanzprodukten, Investoren mit immer höheren Renditeerwartungen und durch die lockere Geldpolitik der Zentralbanken weltweit. Das Problem war nicht mehr, an Geld zu kommen, sondern zinsträchtige Anlageformen zu finden. Gleichzeitig lernten Kreditgeber, ihre Verbindlichkeiten zu bündeln, in Wertpapiere zu verpacken und zu verkaufen. Alles schien fortan so einfach. Freiberufliche Makler konnten im mittleren Westen Amerikas weitgehend ungeprüft Kredite vergeben. Banken scherten sich nicht darum, da sie ja wussten, dass sie diese schlecht besicherten Darlehen schon bald – mit dem Stempel der Rating-Agenturen – in alle Welt weiterreichen konnten. Käufer gab es genug – vor allem unter jenen Banken, die höhere Renditen brauchten, um ihre Existenz noch zu rechtfertigen.
Die Party an der Börse ist vorbeiDas Spiel endete am 30. Juli 2007. Und zwar nicht in den USA, sondern in Düsseldorf. An diesem Montagmorgen meldete die IKB Deutsche Industriebank in einer harmlos klingenden Meldung, dass sich „die Krise des US-amerikanischen Hypothekenmarkt“ auf die Bank ausgewirkt habe und der Vorstand ausgewechselt worden sei. Fortan war klar: Wenn eine kleine Düsseldorfer Mittelstandsbank wegen US-Immobilienkrediten umzufallen droht, ist nichts mehr sicher.
Eine Vermutung, die schnell traurige Bestätigung fand. Sogar ein so renommierter Banker wie Robert Rubin, Chef des Verwaltungsrats der Citigroup, legte ein Geständnis ab. Auch er habe von so genannten „liquidity puts“ erstmals gehört, als sie schwere Schäden in der Bilanz seines Hauses, der größten Bank der Welt, verursacht hatten. 25 Milliarden Dollar dieser obskuren Papiere hatte die Citigroup in ihren Büchern.
Angst, Gier und Unwissenheit
Warum hat niemand rechtzeitig auf die Bremse getreten? Die Antwort ist erschreckend banal. Sie besteht aus drei Wörtern: Angst, Gier und Unwissenheit. Angst hatten die Notenbanker und Politiker, weil sie fürchteten, das wundersame inflationsfreie Wachstum aufzuhalten. Von der Gier waren vor allem Investmentbanker getrieben, denen es mit Blick auf den nächsten Jahresbonus egal war, was sie ihren Arbeitgebern auf die Bilanzen hoben oder an Dritte verkauften. Dass jetzt selbst deutliche Zinssenkungen der Federal Reserve kaum mehr wirken, kann nicht überraschen. „Mit Liquidität ist diese Krise nicht zu lösen“, sagt der Historiker Abelshauser. Es fehle schließlich nicht an Geld, sondern an Vertrauen innerhalb des Systems. Entsprechend laut werden die Rufe nach mehr Staat. „Das System muss noch deutlich transparenter und regulierter werden, damit sich die Exzesse der Vergangenheit nicht wiederholen“, sagt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Doch werden alle Feuerwehreinsätze der Zentralbanken und Rettungsaktionen des Staates das Problem nur aufschieben. Denn sie vergrößern die Geldschwemme weiter und verschleiern die Risiken. Auch neue Regeln werden Exzesse nicht verhindern können. Auf Dauer, das haben viele Krisen gezeigt, wirkt nichts so disziplinierend wie der Markt. Man muss nur den Mut haben, ihn auch wirken zu lassen. Das heißt: Es muss noch viele Verlierer wie den Bahama-Milliardär Joseph Lewis geben. Denn nur die existenzielle Angst vor dem Verlust ist im Stande, exzessive Gier zu bändigen.
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Das darf doch alles nicht wahr sein, ... limi