HANDEL
Mandarin gefragt
Mit Milliardeninvestitionen baut Chinaseinen wirtschaftlichen Einfluss in Südamerika aus – vor allem auch mit Blick auf die dortigen Rohstoffreserven.
Er sei unabkömmlich, begründete der argentinische Präsident Nestór Kirchner seine kurzfristige Absage gegenüber den aus ganz Lateinamerika angereisten Kollegen. Der regionale Gipfel in Rio de Janeiro am vergangenen Wochenende, auf dem die Präsidenten eigentlich ihre Einheit demonstrieren wollten, platzte.
Die versammelten Staatsoberhäupter konnten nur mit Mühe ihre Wut über die Taktlosigkeit Kirchners verbergen, der immerhin das drittgrößte Land der Region repräsentiert. Jetzt ist durchgesickert, warum der Argentinier seine Kollegen brüskierte: Er verhandelt mit der chinesischen Regierung über ein Investitionsabkommen; 20 Milliarden Dollar will das Reich der Mitte im Pampaland investieren, berichten argentinische Medien.
Im Einzelnen will China in die Ölförderung vor der Küste Patagoniens, in Eisenerzabbau, Tourismus und die Modernisierung des Schienensystems investieren. Sogar über einen Kredit wird gesprochen, um Argentinien aus seinen Verpflichtungen gegenüber dem IWF herauszulösen. Verkündet werden soll der Deal beim Staatsbesuch des chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao nächste Woche in Buenos Aires.
Für Kirchner sind die Pläne des Großinvestors aus Asien wie ein Glückslos in der Weihnachtslotterie. Denn seit die argentinische Regierung in der Finanzkrise 2001 ein Schuldenmoratorium verfügt hat, meiden ausländische Unternehmen und Banken das Land. Die Folge: Die Konjunktur gerät ins Stocken. „Wenn das Abkommen klappt, dann werde ich so populär wie Gardel“, zitiert die Tageszeitung „La Nación“ den Präsidenten. Er sieht die Chance, so beliebt bei seinen Landsleuten zu werden wie die Tangolegende.
Doch die Chinesen investieren nicht nur in Argentinien. Präsident Hu Jintao besucht mit einer Delegation von 500 Managern und Parteifunktionären auch Brasilien und begibt sich zum Asien-Pazifik-Treffen nach Chile. In Brasilien wollen chinesische Unternehmen in den nächsten drei Jahren fünf Milliarden Dollar investieren, in Chile drei Milliarden (siehe Tabelle).
Mit seiner Investitionsoffensive leitet China ein neues Kapitel in den Beziehungen zu Südamerika ein, wo das Reich der Mitte bislang vor allem als Importeur von Rohstoffen auftrat. „China will in Südamerika seine Energie- und Rohstoffbasis sichern, aber anders als in den USA und Europa nicht Märkte für seine Exporte erobern“, sagt Luiz Nassif, Ökonom des Beratungsunternehmens Dinheiro Vivo aus São Paulo.
Die Annäherung zwischen China und Südamerika verschiebt die Gewichte im Welthandel, der industriealisierte Norden – vor allem Europa – verliert an Einfluss im Pazifik und in Südamerika. Dazu beigetragen hat, dass die Verhandlungen über eine Freihandelszone zwischen der EU und den lateinamerikanischen Mercosur-Ländern jetzt nach fünf Jahren sang- und klanglos gescheitert sind. China wird zum umworbenen Wirtschaftspartner in Südamerika – nicht das protektionistische Europa, das zäh die Fleischquoten seines abgeschotteten Agrarmarktes verteidigt. So ist es kein Wunder, dass die Nachfrage nach Mandarin-Kursen in São Paulo und Santiago sprunghaft ansteigt, während viele Goethe-Institute Südamerikas über nachlassendes Interesse an Deutschunterricht klagen.
Der zunehmende Handel hat China und Südamerika spürbar näher gebracht. Die asiatische Wirtschaftsgroßmacht entwickelte sich in nur zwei Jahren zu einem der wichtigsten Handelspartner Südamerikas – vor kurzem noch tauchte das Land in den Ausfuhrstatistiken von Argentinien bis Chile nur unter „ferner liefen“ auf. So betrug Brasiliens Außenhandel mit China vor fünf Jahren nur knapp eine Milliarde Dollar. Dieses Jahr könnten es bereits zehn Milliarden Dollar werden. Chile liefert inzwischen ein Drittel seiner Exporte nach Asien und vor allem China.
Für die Länder Lateinamerikas kam der Exportboom nach China gerade recht: So konnten sie ihre 1998 ins Stocken geratenen Wirtschaften wieder in Gang bringen. „Vor allem wegen des China-Effekts erwirtschaftet Südamerika erstmals seit zehn Jahren wieder ein Leistungsbilanzüberschuss“, beobachtet Walter Molano von der US-Investmentbank BCP Securities.
Beide Regionen ergänzen sich perfekt: „China hat Kapital und Nachfrage“, sagt der Brasilianer Rubens Ricupero, bis vor kurzem Unctad-Generalsekretär, „Südamerika die Rohstoffe.“ So ist das Potenzial Lateinamerikas noch lange nicht ausgereizt. Bei rund drei Dutzend Rohstoffen – darunter Kaffee und Zucker, Eisen und Zink, Rindfleisch und Baumwolle – gehören die lateinamerikanischen Länder zu den führenden Lieferanten auf dem Weltmarkt und können ihre Exporte meist problemlos steigern. Bei der Eroberung Lateinamerikas macht China bereits große Fortschritte: So wollen chinesische Unternehmen an Brasiliens Produktion von Alkohol (als Autotreibstoff) partizipieren. Der chinesische Stahlgigant Baosteel hat zwei riesige Stahl-Joint-Ventures mit der brasilianischen Companhia Vale do Rio Doce vereinbart. Sinopec und Petrobrás wollen eine Gaspipeline als Gemeinschaftsprojekt bauen. Mit dem chilenischen Kupferproduzenten Codelco hat China Prospektionsinvestitionen geplant. Des Weiteren will China sich an der Offshore-Ölförderung in Brasilien und Argentinien beteiligen.
Auch die Landwirtschaft ist im Fokus chinesischer Unternehmen, die Farmen, Silos und Düngemittelfabriken im Landesinnern des Kontinents erwerben wollen. „Je weiter wir in der Verarbeitungskette vordringen, umso kostengünstiger können wir einkaufen“, erklärt Luan Yingjian, Geschäftsführer des chinesischen Agrohandelskonzerns CGOG. China will sich außerdem beim Ausbau der Häfen und Eisenbahnverbindungen in Südamerika engagieren, um die marode Infrastruktur zu modernisieren – und somit zu gewährleisten, dass die Rohstoffe künftig schneller und billiger nach Asien verschifft werden können. Die Häfen, Fernstraßen und Schienenwege drohen bereits unter dem derzeitigen Exportboom zu kollabieren. Um die Projekte besser finanzieren zu können, will China Mitglied der Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank werden.
Wie entschlossen die Chinesen bei ihrer Investitionsoffensive vorgehen, hat die südamerikanischen Diplomaten überrascht. Brasiliens Außenminister Celso Amorim staunte kürzlich nach einer China-Visite: „Ich musste gar nicht wie sonst für Investitionen werben, die kamen selbst gleich auf das Thema zu sprechen.“
Alexander Busch/Sao Paulo