B Ö R S E N P S Y C H O L O G I E
Wie die Babys
Von Bernd Niquet
Es ist kein Zufall, dass Babys und Börsianer beide mit B anfangen. Denn Babys sind perfekte Börsianer und andersrum.
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Heutzutage wird allerorten über Börsenpsychologie geredet. Dabei ist noch niemandem eingefallen, dass Börsenpsychologie eigentlich eine Unterdisziplin der Entwicklungspsychologie ist: Die Börse entwickelt sich rasch und jeden Tag neu - wie ein Säugling.
Die Entwicklungspsychologie beschäftigt sich hauptsächlich mit der Entwicklung des menschlichen Wahrnehmungs- und Erkenntnisvermögens: Wie sind wir geworden, was wir sind? Traditionell wurden Kinder in der Philosophiegeschichte als unvollkommene Erwachsene betrachtet, als "Tabula rasa", also als unbeschriebene Blätter, deren Seiten im Prozess des Heranwachsens mit den Weisheiten und Erkenntnissen der Eltern gefüllt wurden: Kopf auf, Trichter hinein, und los geht es mit dem Schütten.
Doch während ganz besonders die Eliten in Japan und den USA immer noch an dieses Modell glauben und ihre Kinder bereits im Mutterleib mit Lern-CDs traktieren, hat die Forschung mittlerweile ganz andere Ergebnisse zu Tage gebracht: Babys und Kleinkinder sind demnach keine unbeschriebenen Blätter, die schließlich mit Wissen gefüllt werden, sondern sie verfügen bereits über ein selbständiges Wissen, welches sie aus eigenen Kräften jeden Tag erweitern.
Der Mechanismus hierbei ist die Nachahmung. Schon ein Baby beginnt, das Verhalten seiner Mutter nachzuahmen. Steckt diese die Zunge heraus, dann tut Baby das ebenso. Das wiederum bedeutet, dass alles, was wir wissen, letztlich kein Wissen über die Dinge an sich ist, sondern vielmehr stets das verkörpert, was wir uns bei anderen abgeschaut haben.
Womit wir unweigerlich beim Thema "Börse" wären - und endgültig deren Scheincharakter entlarven können: Denn dass die Aktienkurse sich nach wirtschaftlichen Fundamentalfaktoren richten, kann man nun, nachdem man sich die Börsianer in Windeln angeschaut hat, tatsächlich nicht mehr glauben. Nein, wir alle machen vielmehr stets das, was uns die anderen vormachen.
Wenn wir einen Blick in die Babystation eines Krankenhauses werfen, sehen wir die Börse: Schreit ein Baby, schreien auch die anderen. Wird eines krank, werden es auch die anderen. Ist etwas schön, dann lacht das Baby. Einen einzigen Unterschied gibt es allerdings: Ist die Windel voll, dann schreien Babys nur. Erwachsene hingegen suchen sofort die Schuld bei den anderen.
grüße
stiller teilhaber