Aus der FTD vom 23.7.2002
Börsencrash bedroht Konjunktur
Von Birgit Marschall, Dirk Benninghoff, Björn Muscheid, Tim Bartz
Der dramatische Kursverfall an den Börsen bedroht den weltweiten Konjunkturaufschwung, noch bevor er richtig in Gang gekommen ist. Halte die Vernichtung des privaten Aktienvermögens an, würden die Verbraucher in den USA und Europa ihre Konsumausgaben deutlich zurückfahren, warnen führende Ökonomen von Banken und Institutionen.
Am Montag stürzten die Leitindizes auf neue Tiefstände. Der Deutsche Aktienindex (Dax) büßte 5,2 Prozent auf 3691,43 Punkte ein und schloss damit auf dem niedrigsten Stand seit November 1997. In New York gaben der Dow Jones um 2,9 Prozent und der Nasdaq Composite um 2,8 Prozent nach. Zuletzt hatte das Kursbarometer der US-Technologiebörse im April 1997 auf diesem Niveau notiert.
"Es herrschen Angst und Panik", sagten Händler in Frankfurt. Die Insolvenz des US-Telefonunternehmens Worldcom - die bislang größte Firmenpleite der US-Wirtschaftsgeschichte - habe das von Bilanzskandalen ohnehin erschütterte Vertrauen der Anleger noch weiter ausgehöhlt. Allein der Unternehmenswert der Allianz, deren Aktie mit einem Einbruch um 7,7 Prozent am Montag größter Verlierer im Dax war, schrumpfte um mehr als 3 Mrd. Euro.
Die Volatilität des Marktes und damit die Nervosität der Anleger seien so hoch wie nach den Terroranschlägen vom 11. September oder während der Asienkrise und der Beinahepleite des Hedge Funds LTCM 1998. "Das Risiko einer weiteren Abwärtsbewegung ist extrem hoch", sagte Deutsche-Bank-Analyst Uwe Wagner.
Aufschwung wird gestoppt
Nach Ansicht von HypoVereinsbank-Chefvolkswirt Martin Hüfner könnte die Baisse einen konjunkturellen Rückschlag auslösen. "Wir gehen im vierten Quartal 2002 auf ein Nullwachstum in den USA zu. Das ist im Wesentlichen eine Folge der Börsenentwicklung", sagte Hüfner der Financial Times Deutschland. Auch in Europa werde der Anfang 2002 begonnene Aufschwung Ende des Jahres gestoppt sein.
Auch Allianz-Chefvolkswirt Klaus Friedrich fürchtet Bremseffekte. Der private Konsum in den USA habe sich bislang gut gehalten, da die Verbraucher Hypothekendarlehen günstig refinanzieren konnten. Die so entstandenen Einkommenszuwächse hätten sie größtenteils konsumiert, obwohl ihr Aktienvermögen gesunken sei. "Die große Gefahr ist nun, dass die Zinsen wieder steigen", sagte Friedrich. "Dann funktioniert der wohltuende Refinanzierungseffekt nicht mehr."
Negative Vermögenseffekte fielen in Europa bis Ende der 90er Jahre weniger ins Gewicht, da hier der Aktienbesitz der privaten Haushalte geringer war als in den USA. Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) sieht die Diskrepanz allerdings schwinden. "Der Unterschied beim Aktienbesitz ist in den letzten Jahren geringer geworden. Auch die europäische Konjunktur ist durch den Aktienkursverfall gefährdet", sagte OECD-Experte Vincent Koen.
Kaum noch Börsengänge
Zudem drohen Negativeffekte bei den Investitionen, deren Finanzierung wegen der Baisse schwerer wird. Börsengänge und Kapitalerhöhungen lassen sich kaum mehr realisieren. Zudem werden Banken die Bonität der Unternehmen herabstufen, da ihr Eigenkapital geringer bewertet wird. Dies verteuert die Fremdfinanzierung. US-Studien zeigen, dass ein Rückgang des Börsenwertes eines Unternehmens um 100 $ seine Investitionen um etwa 2 $ bis 3 $ verringert.
"Die Kapitalkosten steigen, auch weil sich der Wert der Kreditsicherheiten verringert. Das wird die Kreditaufnahme erschweren, obwohl eigentlich genügend Liquidität vorhanden wäre", sagte Koen. Schon jetzt würden die Banken die Kreditkonditionen deutlich verschärfen.
Hinzu kommt die Angst der Unternehmen vor wieder steigenden Zinsen, besonders in den USA. "Noch weiter nach unten wird die US-Notenbank mit den Zinsen kaum gehen können. Sie dürfte eher in die andere Richtung gehen", warnte Friedrich.
© 2002 Financial Times Deutschland
Börsencrash bedroht Konjunktur
Von Birgit Marschall, Dirk Benninghoff, Björn Muscheid, Tim Bartz
Der dramatische Kursverfall an den Börsen bedroht den weltweiten Konjunkturaufschwung, noch bevor er richtig in Gang gekommen ist. Halte die Vernichtung des privaten Aktienvermögens an, würden die Verbraucher in den USA und Europa ihre Konsumausgaben deutlich zurückfahren, warnen führende Ökonomen von Banken und Institutionen.
Am Montag stürzten die Leitindizes auf neue Tiefstände. Der Deutsche Aktienindex (Dax) büßte 5,2 Prozent auf 3691,43 Punkte ein und schloss damit auf dem niedrigsten Stand seit November 1997. In New York gaben der Dow Jones um 2,9 Prozent und der Nasdaq Composite um 2,8 Prozent nach. Zuletzt hatte das Kursbarometer der US-Technologiebörse im April 1997 auf diesem Niveau notiert.
"Es herrschen Angst und Panik", sagten Händler in Frankfurt. Die Insolvenz des US-Telefonunternehmens Worldcom - die bislang größte Firmenpleite der US-Wirtschaftsgeschichte - habe das von Bilanzskandalen ohnehin erschütterte Vertrauen der Anleger noch weiter ausgehöhlt. Allein der Unternehmenswert der Allianz, deren Aktie mit einem Einbruch um 7,7 Prozent am Montag größter Verlierer im Dax war, schrumpfte um mehr als 3 Mrd. Euro.
Die Volatilität des Marktes und damit die Nervosität der Anleger seien so hoch wie nach den Terroranschlägen vom 11. September oder während der Asienkrise und der Beinahepleite des Hedge Funds LTCM 1998. "Das Risiko einer weiteren Abwärtsbewegung ist extrem hoch", sagte Deutsche-Bank-Analyst Uwe Wagner.
Aufschwung wird gestoppt
Nach Ansicht von HypoVereinsbank-Chefvolkswirt Martin Hüfner könnte die Baisse einen konjunkturellen Rückschlag auslösen. "Wir gehen im vierten Quartal 2002 auf ein Nullwachstum in den USA zu. Das ist im Wesentlichen eine Folge der Börsenentwicklung", sagte Hüfner der Financial Times Deutschland. Auch in Europa werde der Anfang 2002 begonnene Aufschwung Ende des Jahres gestoppt sein.
Auch Allianz-Chefvolkswirt Klaus Friedrich fürchtet Bremseffekte. Der private Konsum in den USA habe sich bislang gut gehalten, da die Verbraucher Hypothekendarlehen günstig refinanzieren konnten. Die so entstandenen Einkommenszuwächse hätten sie größtenteils konsumiert, obwohl ihr Aktienvermögen gesunken sei. "Die große Gefahr ist nun, dass die Zinsen wieder steigen", sagte Friedrich. "Dann funktioniert der wohltuende Refinanzierungseffekt nicht mehr."
Negative Vermögenseffekte fielen in Europa bis Ende der 90er Jahre weniger ins Gewicht, da hier der Aktienbesitz der privaten Haushalte geringer war als in den USA. Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) sieht die Diskrepanz allerdings schwinden. "Der Unterschied beim Aktienbesitz ist in den letzten Jahren geringer geworden. Auch die europäische Konjunktur ist durch den Aktienkursverfall gefährdet", sagte OECD-Experte Vincent Koen.
Kaum noch Börsengänge
Zudem drohen Negativeffekte bei den Investitionen, deren Finanzierung wegen der Baisse schwerer wird. Börsengänge und Kapitalerhöhungen lassen sich kaum mehr realisieren. Zudem werden Banken die Bonität der Unternehmen herabstufen, da ihr Eigenkapital geringer bewertet wird. Dies verteuert die Fremdfinanzierung. US-Studien zeigen, dass ein Rückgang des Börsenwertes eines Unternehmens um 100 $ seine Investitionen um etwa 2 $ bis 3 $ verringert.
"Die Kapitalkosten steigen, auch weil sich der Wert der Kreditsicherheiten verringert. Das wird die Kreditaufnahme erschweren, obwohl eigentlich genügend Liquidität vorhanden wäre", sagte Koen. Schon jetzt würden die Banken die Kreditkonditionen deutlich verschärfen.
Hinzu kommt die Angst der Unternehmen vor wieder steigenden Zinsen, besonders in den USA. "Noch weiter nach unten wird die US-Notenbank mit den Zinsen kaum gehen können. Sie dürfte eher in die andere Richtung gehen", warnte Friedrich.
© 2002 Financial Times Deutschland