Das große Pokern
Das Milliardenspiel um Leo Kirch nähert sich dem Höhepunkt: Die Hauptdarsteller legen die Karten auf den Tisch
Nun hat das große Strippenziehen bei der Kirch-Gruppe begonnen: Im immer undurchsichtiger gewordenen Überlebensdrama des hoch verschuldeten Medienkonzerns treten allmählich die Hauptdarsteller aus der Kulisse. Täglich neue Spekulationen, taktische Manöver, Gerüchte und Dementis haben das Publikum in den vergangenen zwei Wochen verwirrt. Alle haben zwar verstanden, dass es um mehr geht als Leo Kirch, aber keiner weiß, wo das Schauspiel endet. Doch das große Finale könnte schon bald beginnen, denn die Zeit drängt: Es sind Wahlen in Deutschland.
"Die Bundesregierung hat ein großes Interesse daran, dass der Fall Kirch bald gelöst wird", sagt einer, der die Manöver aus der Nähe verfolgt. Abgestimmt mit Banken und Medienkonzernen wird nach einer Lösung gesucht, bei der nur die Schaden nehmen sollen, die die Medienlandschaft Deutschlands umpflügen wollen.
Nachgesagt wird dies vor allem ausländischen Medienunternehmern wie Rupert Murdoch. Der ist mit Kirch zwar noch beim Bezahlfernsehen Premiere und als Kirch-Media-Anteilseigner diesem geschäftlich verbunden, hat aber angekündigt, im Oktober auszusteigen und von Kirch 1,7 Milliarden Euro für sein Pay-TV-Paket zu verlangen. Murdoch ist damit strategisch geschickt in Stellung gegangen, um Kapital aus Kirchs Notlage zu schlagen: Am Ende könnte Kirch sehr bescheiden geworden sein und Murdoch viel mehr Einfluss hier zu Lande haben, als er im Augenblick öffentlich anstrebt.
Doch Murdoch ist nicht der einzige Ausländer mit Deutschland-Ambitionen. "Je länger sich keine Lösung für Kirch findet, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich auch andere internationale Investoren am Poker beteiligen", sagt ein Beobachter. Nach Murdochs angekündigtem Premiere-Rückzug hat deshalb in der Kirch-Zentrale in München-Ismaning die hektische Suche nach einem anderen Investor begonnen. Es muss schnell gehen, denn schon in wenigen Wochen wird Kirch einen Teil seiner Schulden tilgen und Zahlungsverpflichtungen nachkommen müssen. Ob das Unternehmen jedoch alle Weichen für die Zukunft noch selbst stellt, ist mehr als fraglich. "Operativ ist Kirch voll handlungsfähig", heißt es aus seinem Umfeld. "Strategisch ist er es nicht mehr." Dafür sorgen andere.
Allen voran die Deutsche Bank. Sie soll, so deutet sich an, die Vermittlerrolle für eine große Kirch-Lösung übernehmen und den 75-jährigen Unternehmer dazu bewegen, sein Imperium, auf dem gut sechs Milliarden Euro Schulden und Verbindlichkeiten von fast drei Milliarden Euro lasten, drastisch zu verkleinern. Ihr Druckmittel: Kirch schuldet der Bank mehr als 600 Millionen Euro. Deutsche-Bank-Chef Rolf E. Breuer zeigte Kirch am vergangenen Montag schon mal die Instrumente, als er in einem Interview öffentlich dessen Kreditwürdigkeit in Zweifel zog. Eine Drohgebärde, die den klammen Tycoon zwingen soll, große Beteiligungen - etwa die an der Formel 1 oder seine 40 Prozent am Axel-Springer-Verlag (siehe Grafik) - zu verkaufen, um wieder liquide zu werden. Die Deutsche Bank, an die das Springer-Paket verpfändet ist, würde beim Verkauf der Filetstücke ein Millionen-Geschäft machen.
Profitieren würde aber auch der Axel-Springer-Verlag. Verlegerwitwe Friede Springer und Vorstandschef Mathias Döpfner haben mit ihrer Ankündigung, Kirch Ende April 11,5 Prozent an dessen Sender-Gruppe Pro Sieben Sat 1 für 767 Millionen Euro zurückzugeben, Kirch in die Bredouille gebracht. Das Kalkül: Die Hass-Liebe zum Großaktionär Kirch soll ein Ende finden, Kirch verkaufen und Friede Springer die Mehrheit am Verlag ausbauen. Der Rest geht an die WAZ-Gruppe, Bauer oder Burda. Bertelsmann würde mit seinem Zeitungsgeschäft wohl aus kartellrechtlichen Gründen leer ausgehen. Vor allem aber würde Rupert Murdoch, der in Großbritannien einflussreiche Revolverblätter wie die "Sun" besitzt und auch ein Interesse an Springers "Bild" hat, außen vor bleiben. Und das wäre ganz im Sinne von Gerhard Schröder, der "eine Wahnsinnsangst vor der ,Bild'-Zeitung hat", sagt ein Insider. Bekäme Murdoch Einfluss auf das Boulevardblatt, könnte es für Schröder ungemütlicher werden.
Dass die deutschen Medien im Wahljahr nicht aus dem Ruder laufen, dafür kämpft auch Kanzlerkandidat Edmund Stoiber. Er droht als größter Kirch-Förderer in den Strudel einer Pleite zu geraten. Gut zwei Milliarden Euro hat die halbstaatliche Bayerische Landesbank Kirch geliehen. Angesichts dessen Zahlungsunfähigkeit rief BayernLB-Chef Werner Schmidt in dieser Woche die Gläubigerbanken zu einer konzertierten Aktion auf - vergeblich. Zu durchsichtig war das Manöver. "Schmidt hat nicht alles gesagt", heißt es in informierten Kreisen. "Die Kirch-Kredite sind längst Sache des Chefs geworden." Und der heißt Stoiber.
tagesspiegel