23.08.2001
Z U K U N F T S J O B
Psychiater für depressive Broker
In einer Studie hat der angehende Psychiater Alden Cass festgestellt, dass jeder fünfte Broker an der Wall Street unter Depressionen leidet. Cass fühlt mit - und will gut daran verdienen.
New York - Sie haben gedacht, nach dem Platzen der Internet-Blase seien 25-jährige Unternehmer mega-out? Irrtum, sie haben nur andere Ideen. Der Amerikaner Alden Cass hat einen Markt entdeckt, der jedem Venture-Kapitalisten Dollarzeichen in die Augen zaubern müsste. Cass will der Psychiater der depressiven Broker an der Wall Street werden. Eine reiche Klientel - und unglaublich depressiv.
Laut einer nicht-repräsentativen Studie, die Cass vor zwei Jahren durchgeführt hat, leidet jeder fünfte Broker unter schweren Depressionen. Und damals stiegen die Aktien noch. "Stellen Sie sich vor, wie sie sich jetzt fühlen müssen", sagt Cass, der zur Zeit ein Praktikum an einem Krankenhaus in New York absolviert.
Nächsten Mai, wenn er Doktor der klinischen Psychologie ist, will Cass seine Karriere als bester Freund der Broker beginnen. Seine wichtigste Qualifikation: "Ich sehe aus wie einer von ihnen, sie vertrauen mir". Getestet hat er seinen Appeal während der Feldforschung für seine Studie in den Bars rund um die Wall Street. Die Happy Hour sei die beste Zeit, um an die Zielgruppe ranzukommen, sagt Cass. Über zwei Dutzend Broker, zwischen 22 und 32 Jahren alt, haben seinen Fragebogen ausgefüllt. Bei 23 Prozent lautete die Diagnose "klinische Depression" - gegenüber sieben Prozent in der allgemeinen Bevölkerung.
Die Methode war nicht ganz lupenrein. Aber, sagt Cass, eine neue Studie über Broker in Süd-Florida bestätige seine Ergebnisse. Zwar machten in Florida Sonne und Palmen das Broker-Leben erträglicher, aber die Ursachen für die Depression blieben die gleichen: Dauerstress, kaum Schlaf, keine Mittagspause und eine Obsession mit Geld. Ein bedeutender Faktor sei auch die Volatilität der Märkte. "Der Mangel an Kontrolle über seine Umgebung führt nachgewiesenermaßen zu Frustration und Depression", erklärt Cass.
Darum seien Broker auch gefährdeter als ähnlich gestresste Anwälte, Mediziner oder selbst Analysten und Daytrader. Letztere unterliegen zwar auch der Gnade des Marktes, aber wenigstens verspielen sie nur ihr eigenes Geld. Der Broker hingegen "fühlt sich schuldig, weil er das Geld seiner Kunden veruntreut hat", sagt Cass.
Eine schöne Theorie, aber taugt sie auch was? Cass ist überzeugt davon. Um seine These zu beweisen, hat er die "Wall Street Organizational Researchers and Consultants" gegründet, eine Gruppe von zehn Doktoranden und einem Supervisor an seiner Universität in Fort Lauderdale/Florida. Dieser "Think Tank" soll die nötige Munition für Cass Traum liefern und ihn zum anerkannten Spezialisten für depressive Broker machen. Die großen Investmentbanken sollen ihn rufen, die Broker sich vertrauensvoll an ihn wenden, wenn sie nicht mehr weiter wissen.
Die Idee kam Cass, als einer seiner Freunde Broker wurde. "Innerhalb eines Jahres hörte er sich an wie meine Patienten", erzählt er. Daraufhin führte er seine Studie durch und fühlte sich bestätigt. Cass wäre der erste (im New-Economy-Slang der "First Mover"), der sich ausschließlich mit der Psyche von Brokern beschäftigt.
Laut seiner Aussage haben die großen Investmentbanken bisher das Problem ignoriert. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE verweigerte Goldman Sachs jeglichen Kommentar. Auch Merrill Lynch, Salomon Smith Barney und Deutsche Banc Alex Brown kommentierten nicht.
Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass Psycho-Klempner in der Wall-Street-Kultur verpönt sind. "Hier heißt es: Nur Weicheier gehen zum Psychiater", sagt Cass. Trotz der Widerstände hat er ein Zwölf-Schritt-Programm für besseres Stress-Management erarbeitet. Dazu gehören so banale Lektionen wie richtiges Essen und Atmen. Letztlich, sagt Cass, brauche ein Broker nur das richtige Bewusstsein, um sich gegen die Übermacht der Märkte wehren zu können. So einfach ist das.
Carsten Volkery, New York
www.manager-magazin.de/koepfe/artikel/...28%2C151629%2C00.html
Z U K U N F T S J O B
Psychiater für depressive Broker
In einer Studie hat der angehende Psychiater Alden Cass festgestellt, dass jeder fünfte Broker an der Wall Street unter Depressionen leidet. Cass fühlt mit - und will gut daran verdienen.
New York - Sie haben gedacht, nach dem Platzen der Internet-Blase seien 25-jährige Unternehmer mega-out? Irrtum, sie haben nur andere Ideen. Der Amerikaner Alden Cass hat einen Markt entdeckt, der jedem Venture-Kapitalisten Dollarzeichen in die Augen zaubern müsste. Cass will der Psychiater der depressiven Broker an der Wall Street werden. Eine reiche Klientel - und unglaublich depressiv.
Laut einer nicht-repräsentativen Studie, die Cass vor zwei Jahren durchgeführt hat, leidet jeder fünfte Broker unter schweren Depressionen. Und damals stiegen die Aktien noch. "Stellen Sie sich vor, wie sie sich jetzt fühlen müssen", sagt Cass, der zur Zeit ein Praktikum an einem Krankenhaus in New York absolviert.
Nächsten Mai, wenn er Doktor der klinischen Psychologie ist, will Cass seine Karriere als bester Freund der Broker beginnen. Seine wichtigste Qualifikation: "Ich sehe aus wie einer von ihnen, sie vertrauen mir". Getestet hat er seinen Appeal während der Feldforschung für seine Studie in den Bars rund um die Wall Street. Die Happy Hour sei die beste Zeit, um an die Zielgruppe ranzukommen, sagt Cass. Über zwei Dutzend Broker, zwischen 22 und 32 Jahren alt, haben seinen Fragebogen ausgefüllt. Bei 23 Prozent lautete die Diagnose "klinische Depression" - gegenüber sieben Prozent in der allgemeinen Bevölkerung.
Die Methode war nicht ganz lupenrein. Aber, sagt Cass, eine neue Studie über Broker in Süd-Florida bestätige seine Ergebnisse. Zwar machten in Florida Sonne und Palmen das Broker-Leben erträglicher, aber die Ursachen für die Depression blieben die gleichen: Dauerstress, kaum Schlaf, keine Mittagspause und eine Obsession mit Geld. Ein bedeutender Faktor sei auch die Volatilität der Märkte. "Der Mangel an Kontrolle über seine Umgebung führt nachgewiesenermaßen zu Frustration und Depression", erklärt Cass.
Darum seien Broker auch gefährdeter als ähnlich gestresste Anwälte, Mediziner oder selbst Analysten und Daytrader. Letztere unterliegen zwar auch der Gnade des Marktes, aber wenigstens verspielen sie nur ihr eigenes Geld. Der Broker hingegen "fühlt sich schuldig, weil er das Geld seiner Kunden veruntreut hat", sagt Cass.
Eine schöne Theorie, aber taugt sie auch was? Cass ist überzeugt davon. Um seine These zu beweisen, hat er die "Wall Street Organizational Researchers and Consultants" gegründet, eine Gruppe von zehn Doktoranden und einem Supervisor an seiner Universität in Fort Lauderdale/Florida. Dieser "Think Tank" soll die nötige Munition für Cass Traum liefern und ihn zum anerkannten Spezialisten für depressive Broker machen. Die großen Investmentbanken sollen ihn rufen, die Broker sich vertrauensvoll an ihn wenden, wenn sie nicht mehr weiter wissen.
Die Idee kam Cass, als einer seiner Freunde Broker wurde. "Innerhalb eines Jahres hörte er sich an wie meine Patienten", erzählt er. Daraufhin führte er seine Studie durch und fühlte sich bestätigt. Cass wäre der erste (im New-Economy-Slang der "First Mover"), der sich ausschließlich mit der Psyche von Brokern beschäftigt.
Laut seiner Aussage haben die großen Investmentbanken bisher das Problem ignoriert. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE verweigerte Goldman Sachs jeglichen Kommentar. Auch Merrill Lynch, Salomon Smith Barney und Deutsche Banc Alex Brown kommentierten nicht.
Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass Psycho-Klempner in der Wall-Street-Kultur verpönt sind. "Hier heißt es: Nur Weicheier gehen zum Psychiater", sagt Cass. Trotz der Widerstände hat er ein Zwölf-Schritt-Programm für besseres Stress-Management erarbeitet. Dazu gehören so banale Lektionen wie richtiges Essen und Atmen. Letztlich, sagt Cass, brauche ein Broker nur das richtige Bewusstsein, um sich gegen die Übermacht der Märkte wehren zu können. So einfach ist das.
Carsten Volkery, New York
www.manager-magazin.de/koepfe/artikel/...28%2C151629%2C00.html