von Dr. Jens Ehrhardt, Gastkommentar für Stock-World
Die nun bereits seit 34 Monaten andauernde Börsenbaisse kann ohne Übertreibung als eine der gravierendsten bezeichnet werden, die jemals stattgefunden hat und an einigen Börsen Europas bereits zu größeren Verlusten als während der Weltwirtschaftskrise führte. Weltweit gesehen, summieren sich die Börsenverluste in der Spitze auf 12000 Milliarden Dollar.
Der Dax sank allein in 2002 um rund 44 Prozent und wurde währungsbereinigt nur von der Nasdaq sowie den Börsen Argentiniens, Brasiliens und Venezuelas überboten. Die breiten Indices deutlich outperformen, konnten dagegen die immer wieder von uns empfohlenen Rohstoffaktien, allen voran Gold- und Ölwerte.
Viertes negatives Aktienjahr möglich
Zum Jahreswechsel 2003 wurde von vielen Experten analog der Situation von vor einem Jahr, (als man davon ausging, dass es in den vergangenen 100 Jahren nur zweimal zu einer dreijährigen Baisseperiode kam und dies somit so gut wie ausgeschlossen wäre) wiederum ein positives Abschneiden der Aktienkurse erwartet. Da die derzeitige Situation allerdings von erheblichen Ungleichgewichten gekennzeichnet ist, die vor allem in der beträchtlichen Verschuldung in den USA liegt, ist ein viertes negatives Börsenjahr zumindest nicht auszuschließen. Wahrscheinlicher dürfte aber eher eine volatile Börse in einem Seitwärtstrend sein.
Nachdem in 2001 weltweit die Unternehmensgewinne zwischen zehn Prozent bis 50 Prozent einbrachen, konnten sich diese in den USA wieder um rund sieben Prozent erholen und sollten auch in diesem Jahr leicht zulegen können. Dieser moderaten Gewinnsteigerung steht allerdings ein Kurs-/Gewinn-Verhältnis, je nach Berechnungsmethode, von 20 bis 50 (sofern man um Mitarbeiter-Optionsprogramme sowie sonstige Gewinnschönungen bereinigt) gegenüber, das auch im Verhältnis zu Anleihezinsen als nicht billig zu bezeichnen ist. Gleichzeitig wird hier auch deutlich, dass für eine Aufwärtsentwicklung eine erheblich stärkere Gewinnsteigerung nötig wäre.
Die Liquiditäts-Überversorgung durch Greenspan (analog Japan) mit dem Ziel, eine weitere Aktienblase zu generieren sowie den Konsum am Leben zu halten, hat die bestehenden Baissefaktoren in Form der US-Verschuldungskrise sowie des überbewerteten Dollars keineswegs beseitigt. Die Liquiditätsschwemme ist dabei weltweit auf der Suche nach möglichen Anlagemedien, wobei diese derzeit in niedrigverzinsten Staatsanleihen geparkt werden.
Erinnerung an Japan
Auch die Bush-Administration versucht bereits wiederholt, mit milliardenschweren Konjunkturprogrammen den Wirtschaftsabschwung im eigenen Land zu verhindern, wiederum zulasten der bereits erwähnten Ungleichgewichte.
Die Kosten dafür sowie für mögliche militärische Interventionen dürften den US-Dollar, der aufgrund massiver Käufe durch asiatische Notenbanken bislang nur moderat verlor, weiter aushöhlen und verbunden mit einem Zinsanstieg bei Anleihen die durch extreme Verschuldung gekennzeichnete US-Ökonomie vor erhebliche Probleme stellen.
Die notwendige Bereinigung des US-Leistungsbilanz-Defizits dürfte auch in den übrigen Volkswirtschaften zu deutlichen Problemen führen, da deren Arbeitsplätze zu einem nicht unerheblichen Teil von den US-Importen, die für das Leistungsbilanz-Defizit verantwortlich sind, abhängen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass der US-Dollar jeweils bis zu einem Ausgleich des Defizits gefallen ist, wobei die Auswirkungen einerseits auf die Aktien negativ, auf Gold allerdings positiv wären.
Der entscheidende Faktor
Eine entscheidende Rolle für die Börsenentwicklung im angebrochenen Jahr dürfte aber der Entwicklung des Ölpreises zukommen. Dieser ist aktuell, im Gegensatz zu vorangegangenen Wirtschaftsschwäche-Phasen nicht gefallen, sondern sogar gestiegen.
Ein um einen Dollar schwankender Ölpreis bedeutet weltweit einen Kaufkraftunterschied von etwa 45 Milliarden Dollar. Bei einem positiven Ergebnis des Irak-Konflikts (derzeit etwa fünf bis acht Dollar Kriegsprämie) könnten sich somit kurzfristig deutliche Kurserholungen einstellen.
Fazit
Per saldo bleibt aufgrund der anhaltenden immensen volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte vor allem in den USA sowie die durch die geopolitische Lage bedingten Unsicherheitsfaktoren, die Perspektive für die Kapitalmärkte von erheblichen Risiken geprägt. Diese dürften kurzfristig zwar bereits zum Teil eingepreist sein, aber dennoch eine insgesamt weiterhin vorsichtige und konservative Anlagestrategie mit einem entsprechenden Depotanteil in Gold- und Rohstoffaktien erfordern.
Dr. Jens Ehrhardt ist Herausgeber des Börsenbriefs Finanzwoche, Vermögensverwalter und erfolgreicher Fondsmanager. Mit Aktienfonds wie dem Scontinvest German Equity und dem FMM-Fonds liegt der Investmentprofi auf den vordersten Plätzen der Performance-Statistik. Seit kurzem bietet ABN Amro auch ein Dr. Jens Ehrhardt-Zertifikat an.
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