warum der Vorstandsvorsitzende von Union Carbide noch nicht ausgeliefert wurde, genauso eingefordert wie Osama Bin Laden:
Der US-Konzern Union Carbide hat den Ort des Chemie-GAUs von 1984 längst verlassen. Zurück blieben nicht nur Hunderttausende von kranken Menschen, sondern auch ein hochgradig kontaminiertes Fabrikgelände, welches das Grundwasser einer ganzen Gegend vergiftet
In der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1984 kommt es in der Pestizidfabrik des US-Konzerns Union Carbide im indischen Bhopal zum grössten Chemieunfall der Geschichte. Tausende von Menschen sterben an einer Giftgaswolke, die aus einem Leck austritt. Zum Zeitpunkt der Katastrophe waren Sicherheitseinrichtungen, die diese Katastrophe hätten verhindern können, abgestellt oder funktionierten nicht. Das Kühlsystem war deaktiviert, um 40 Dollar pro Tag sparen zu können.
Mehr als fünfzehn Jahre später hat Union Carbide noch immer nicht erklärt, warum in der Fabrik in Bhopal auf derart fahrlässige Weise Kosten gespart wurden, warum dort hochgradig unsichere Mengen von tödlichen Chemikalien gelagert wurden und es weder ein angemessenes Sicherheitssystem noch ein Notfallkonzept gab
Union Carbide fand auf die medizinische Katastrophe nie eine menschliche Antwort. Bezeichnenderweise trafen die Anwälte des US-Konzerns lange vor seinem Ärzteteam in Bhopal ein. Und diese handverlesenen Mediziner waren denn auch mit Verharmlosungen schnell zur Hand und betonten, dass die ausgetretenen Gase keinerlei Langzeitfolgen haben würden. Union Carbide selbst behauptete, dass es sich bei den ausgetretenen Chemikalien um nichts anderes als «ein potentes Tränengas» handle.
Bis heute sind rund 16 000 Menschen an den Folgen dieses angeblichen «Tränengases» gestorben. Eine halbe Million Menschen leiden noch immer unter gravierenden Gesundheitsproblemen - Erkrankungen der Luftwege, neurologische Störungen, Krebs, Unfruchtbarkeit. Und sie warten noch immer auf Gerechtigkeit. 1989 einigte sich die indische Regierung mit Union Carbide aussergerichtlich auf eine Schadenersatzsumme von 470 Millionen Dollar. Den Opfern wurden 350 Dollar pro Personen ausbezahlt, für Verletzungen, an denen sie voraussichtlich ein ganzes Leben leiden müssen. 48 Cents pro Aktie kostete Union Carbide die Katastrophe. Wäre der Unfall in den USA passiert, hätte die Firma Konkurs anmelden müssen.
Wie ein Dieb in der Nacht hat sich Union Carbide längst aus Bhopal davongeschlichen. Und die Verantwortlichen hatten nicht einmal den Anstand aufzuräumen. Das Fabrikgelände in Bhopal ist aufgrund des verantwortungslosen Umgangs mit Chemiemüll hochgradig kontaminiert. Greenpeace hat, nach der Analyse von Grundwasser und Bodenproben, die stillgelegte Fabrik zum globalen «Toxic Hot Spot» erklärt. Es wurden hochkonzentrierte krebserregende Chemikalien und Schwermetalle wie Quecksilber gefunden. Sie kontaminieren das Trinkwasser der umliegenden Gemeinden. Die Überlebenden der Gaskatastrophe haben keine andere Wahl, als dieses Wasser zu trinken, sich darin zu waschen und damit zu kochen. Doch sie wollen sich nicht mehr länger damit abfinden.
Mitte August versammelten sich Tausende, vor allem Überlebende der Katastrophe, vor den Toren der ehemaligen Union-Carbide-Fabrik, um endlich Gerechtigkeit einzufordern. Im Rahmen einer Cyber-Aktion, die von Greenpeace und in Bhopal ansässigen Hilfsorganisationen organisiert wurde, schickten die Frauen, Männer und Kinder von Bhopal E-Mails an Union Carbide, in denen sie sauberes Wasser, eine Sanierung des Fabrikgeländes und Schadenersatz für die Opfer der Katastrophe verlangten. Kopien dieser Mails gingen an die indische Regierung und den US-Konzern Dow Chemical, der noch in diesem Jahr mit Union Carbide fusionieren wird. Dow Chemical wurde darin unmissverständlich mitgeteilt, dass sie für die Verbrechen ihres Fusionspartners mit haftbar gemacht würden, falls sich Union Carbide weiterhin aus der Verantwortung stehlen sollte.
Trudy Müller-Bosshard