SPIEGEL ONLINE - 18. November 2006, 09:06
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10 JAHRE T-AKTIE
Vergiftet durch die Einstiegsdroge
Von Michael Kröger
Mit einem beispiellosen Werbeaufwand hatte der damalige Vorstandschef Ron Sommer die Aktien der Telekom in den Markt gedrückt und damit ein allgemeines Börsenfieber ausgelöst. Heute erinnern sich viele T-Aktionäre nur ungern an diese Zeit.
Berlin - Wenn in der Familie die T-Aktie zur Sprache kommt, verlässt Hubertus Kluth lieber den Raum und zieht sich für eine Weile zurück. Denn danach ist die Stimmung regelmäßig für ein paar Stunden, "irgendwie vergiftet", wie Kluth es beschreibt. "Kennst du dich da so gut aus wie damals bei der T-Aktie" ist einer der spitzen Bemerkungen, die dann kommen, selbst wenn längst eine anderes Thema auf dem Tisch ist. oder: "Hätten wir das Geld von der T-Aktie noch, dann könnten wir uns das noch leisten."
DPA
Ex-Telekom-Boss Sommer: So teuer wie ein Kinobesuch für die Familie
Angespornt durch die Berichte in den Zeitungen und die üppigen Kursgewinne an der Börse hatte Kluth seinen Vater damals überredet, die T-Aktie zu zeichnen - das war im Juni 2000 als die Telekom die dritte Tranche zum Preis von 66,50 Euro aufs Parkett brachte. Die beiden sammelten ihre Ersparnisse und kauften 60 Stück. Wenige Tage später hatten sie bereits einen Teil ihres Geldes verloren. Gut ein Jahr später, im September, stürzte die Aktie sogar unter den Ausgabekurs beim Börsengang.Inzwischen hat sich der Kurs wieder ein wenig erholt, doch vom Gesamtwert des Kluth'schen Pakets von knapp 3600 Euro ist dennoch nicht mehr viel übrig: gerade einmal 790 Euro.
Seitdem hätte er, so erzählt Kluth, in der Familie einen Teil seiner Glaubwürdigkeit als Experte eingebüßt, und das schmerze ihn doch sehr. "Früher war klar, der Hubertus macht das schon, aber heute muss ich schon das eine oder andere Mal Überzeugungsarbeit leisten, speziell wenn es um finanzielle Fragen geht".
Dabei schien der Einstieg eine absolut sichere Sache zu sein, zumindest aus damaliger Sicht.
Aktie als Einstiegsdroge
Vor dem ersten Börsengang am 18. November 1996 hatte der damalige Telekom-Chef Ron Sommer nicht mit Superlativen gegeizt: Der Gang aufs Parkett sei der größte, den die internationale Finanzwelt je gesehen habe und die Aktie - mit 28 Mark (14,32 Euro) gerade mal so teuer wie ein Kinobesuch mit der Familie - eine echte Volksaktie mit guten Wachstumsaussichten und überhaupt eine Bereicherung für die Aktienkultur in Deutschland. Sogar Börsenguru André Kostolany hatte das Papier mit öffentlichem Lob geadelt.
Die T-Aktie wurde für viele zur Einstiegsdroge. Sogar an der Bushaltestelle wurde über Börsenkurse diskutiert. Zählte das Deutsche Aktien Institut 1996 noch knapp 3,8 Millionen Aktionäre in Deutschland und damit rund sechs Prozent der Bundesbürger, waren es zwei Jahre später schon 4,5 Millionen. Und die nicht enden wollende Börsenrallye zog immer mehr in ihren Bann. Auf dem Höhepunkt im Jahre 2000 besaß fast jeder zehnte Deutsche Aktien.
Die Stimmung hatte schon etwas Ansteckendes, erinnert sich auch Margret Wirtz, die zu den T-Aktionären der ersten Stunde zählt. "Wir haben das als echtes Privileg empfunden, als wir bei der ersten Zuteilung zum Zuge gekommen sind. Uns schien das wie ein Lottogewinn", sagt die Rentnerin. Der anschließende Höhenflug des Aktienkurses habe dann jedes Gefühl für das Risiko verloren gehen lassen. "Wir dachten, damit kann man sich ein echtes zweites Einkommen schaffen."
Suche nach dem Senkrechtstarter
Zusammen mit Freundinnen forstete Wirtz nun regelmäßig die Zeitungen durch. Unternehmensmeldungen, Tipps von Anlageexperten und Analystenkommentare gehörten zur bevorzugten Lektüre. "Das war wie ein Fieber damals", sagt Wirtz. "Immer auf der Suche nach dem nächsten Senkrechtstarter."
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Kursentwicklung der T-Aktie: Gefühl für das Risiko verloren
Die Begeisterung war so groß, dass das Kaffeekränzchen, genauso wie viele andere in der Republik, zum Aktienclub ausgebaut wurde: "Die Daxjäger". Man gab sich eine Satzung, legte die Aufnahmebedingungen für neue Mitglieder fest und verteilte die Spezialgebiete.Doch die Ambitionen der Daxjäger verflüchtigten sich so schnell wie der Wert des Vereinsdepots. "Wenn man will, kann man die Kurve der Begeisterung am Kurs der T-Aktie entlang zeichnen", sagt Wirtz. Aber auch andere Werte hätten den Spaß gründlich verdorben. "Wenn ich nur an Infineon oder WorldCom denke, kann ich nur den Kopf schütteln." Ende letzten Jahres löste sich der Club schließlich auf. "Immerhin blieben wir im Plusbereich", betont Wirtz nicht ohne Stolz. Für jedes Mitglied blieben neben der Einlage 500 Euro Gewinn übrig.
Andreas Horak, Projektmanager eines Pharmaunternehmens in Berlin, betrachtete die Aufregung um die T-Aktie dagegen von Anfang an eher mit nüchterner Distanz. "In der Zeitung stand ja, dass das Immobilienvermögen der Telekom viel zu hoch bewertet war, aber ich habe darauf gesetzt, dass die Anleger das Risiko verdrängen würden."
Richtige Geldgier entwickelt
Die Aktionäre hielten tatsächlich lange an ihren Hoffnungen fest. Sogar noch 2001 suchten etwa im Internet-Forum telefon-treff.de Teilnehmer noch immer nach Anzeichen für eine Erholung. Infrastruktur, Lizenzen und der Kundenstamm seien schon wertvoller, als der derzeitige Kurs es abbilde.
Im Juni 2002 schließlich, als der Kurs erstmals unter die Zehn-Euro-Marke rutschte, machte sich Sarkasmus breit. "Habe zurzeit noch alle Aktien im Depot, da die Verkaufsgebühren den Wert übersteigen würden."
Auch die Bonner Psychologin Julia Horn hat sich von der kollektiven Hysterie anstecken lassen. "Es war allerdings eher die Überredungskunst meines Lebensgefährten", schränkt sie ein. Sie selbst habe sich nie wirklich für die Zinsen ihres Ersparten interessiert. Deshalb sei sie ganz froh gewesen, "dass sich mal jemand darum kümmert". Doch die anfänglichen Gewinne blieben auch auf sie nicht ohne Wirkung. "Ich habe richtig so etwas wie eine Geldgier entwickelt", erinnert sich Horn. So ein Gefühl habe sie bis dahin nicht gekannt. Schnell habe sie jedoch festgestellt, dass der Handel mit Aktien auch eine aufreibende und arbeitsintensive Beschäftigung sein kann. "Es dauert nicht lange, da schlugen meine alten Veranlagungen wieder durch", sagt die Psychologin.
Den Wert ihren Aktiendepots - T-Aktie und einige andere Tech-Werte sind noch immer enthalten - kann Horn inzwischen gar nicht mehr benennen. "Früher habe ich regelmäßig mein Online-Depot abgefragt, jetzt müsst ich jedoch in meinen Unterlagen erstmal nach dem Passwort suchen."
Viele Anleger gehen mit den Verlusten bei weitem nicht so lässig um. Dass ein Unternehmen mit der Ausgangsposition eines Monopolisten derartig unter Druck geraten könnte, wie die Telekom, nehmen viele dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Sommer heute noch übel. Andere wiederum empfanden das Platzen der Börsenblase als persönliche Niederlage, erinnert sich Horn: "Einige meiner Patienten sprachen sogar in unseren Sitzungen darüber."
Die Telekom von A bis Z
Es waren aufregende, aber auch leidvolle Jahre, die 10 Jahre mit der T-Aktie. Wir haben den etwas anderen Rückblick von A bis Z - mit Fakten und Emotionen, skurril und multimedial. ------> [mehr]
Chronologie
Zehn Jahre T-Aktie: Aufstieg und Fall
Mit einem furiosen Debüt ging die Deutsche Telekom vor zehn Jahren an die Börse. Dem rasanten Aufstieg folgte aber ein tiefer Fall. (17.11.2006, 13:04 Uhr)
Frankfurt/Main - Das Vertrauen in die vermeintliche Volksaktie bewegte Hunderttausende, erstmals ihr Geld in Aktien zu stecken. Drei Jahre ging es praktisch nur bergauf. Dann folgte eine Talfahrt, von der sich das Papier bis heute nicht erholt hat:
18. November 1996: Die T-Aktie legt einen gelungenen Start hin. Großanleger zahlen 28,50 Mark (14,57 Euro) für das Papier, Privatinvestoren 50 Pfennig weniger (14,32 Euro).
28. Juni 1999: Beim zweiten Börsengang kosten die T-Aktien schon 39,50 Euro. Der Boom bei Internet und Mobilfunk beschert dem Papier einen Höhenflug.
Frühjahr 2000: Auf dem Höhepunkt der High-Tech-Euphorie kostet die T-Aktie mehr als 100 Euro. Die Internet-Tochter T-Online startet selbst erfolgreich auf dem Parkett.
19. Juni 2000: Beim dritten Börsengang bringen die neuen Aktien dem Bund einen Rekorderlös von 15,3 Milliarden Euro. Die Aktienschwemme drückt den Kurs aber unter den Ausgabepreis von 66,50 Euro.
August 2000: Die Telekom erwirbt eine UMTS-Lizenz für Multimedia-Mobilfunk und zahlt dafür an den Bund rund acht Milliarden Euro. Der Schuldenberg steigt.
10. September 2001: Die T-Aktie stürzt erstmals unter den Ausgabekurs des ersten Börsengangs.
14. Juni 2002: Die T-Aktie fällt unter die magische Marke von zehn Euro.
16. Juli 2002: Ron Sommer wirft nach sieben Jahren das Handtuch. Nach Übergangschef Helmut Sihler übernimmt im November Kai-Uwe Ricke das Ruder.
9. Oktober 2004: Die Telekom kündigt an, ihre Internettochter nach viereinhalb Jahren wieder von der Börse zurückzukaufen. Den Aktionären bietet Ricke T-Aktien zum Tausch oder 8,99 Euro je Aktie in bar. Zahlreiche Aktionäre ziehen vor Gericht, denn bezahlt hatten sie einst 27 Euro pro Aktie.
2. November 2005: Der Konzern kündigt den Abbau von weiteren 32.000 Stellen an.
24. April 2006: US-Investor Blackstone wird Großaktionär der Telekom. Die Börse ist entzückt, die Aktie schafft es trotzdem nicht über den ersten Ausgabekurs.
12. November 2006: Der Aufsichtsrat feuert Ricke und wählt am folgenden Tag Mobilfunkchef Réné Obermann zu seinem Nachfolger. Der Chefwechsel beflügelt den Aktienkurs, aber: Selbst die Anleger der ersten Stunde haben aktuell ein Minus auf ihrem Depotauszug. Diejenigen, die beim zweiten oder dritten Börsengang 1999 und 2000 eingestiegen sind, haben mit der T-Aktie zwei Drittel beziehungsweise 80 Prozent ihres Vermögens verloren. (tso/AFP)