Auch Kirch kann den freien Fall von EM.TV nicht aufhalten (Zus)
München (vwd) - Nimmt man die aktuelle Börsenbewertung als Maßstab, so
kann auch die am Montag verkündete Minderheitsbeteiligung der KirchMedia
GmbH & Co.KGaA, Ismaning, von maximal 16,74 Prozent den freien Fall der
EM.TV-Aktie nicht aufhalten. Mit nur noch 9,50 EUR am Montagvormittag zeigte
sich der Kurs im Vergleich zur Vorwoche halbiert, Höchststände von 120 EUR
zu Jahresbeginn muten nur noch wie ein Märchen aus der guten alten Zeit an.
Besonders übel genommen hat der Markt scheinbar, dass nach der
Gewinnwarnung vom Freitagabend und desaströser Neunmonatszahlen auf der am
Montagmittag abgehaltenen Pressekonferenz weitere Schreckensnachrichten an
die Öffentlichkeit drangen. So präzisierte der neue Finanzvorstand Rolf
Rickmeyer Aussagen über die Verbindlichkeiten des Unternehmens erst auf der
Pressekonferenz. Danach beträgt die Gesamtverschuldung derzeit stolze 2,2
einer Wandelanleihe von 782 Mio DEM seien noch kurzfristige
Verbindlichkeiten in Höhe von 66 Mio DEM zu bedienen.
"Wenn einer sich so dilettanisch auf eine Pressekonferenz vorbereitet,
dann erübrigen sich alle weiteren Fragen", so ein Marktteilnehmer. Da wirkt
der Optimismus des EM.TV-Vorstandsvorsitzenden Thomas Haffa, der sich für
eine positive Geschäftsentwicklung 2001 zuversichtlich zeigte, eher bemüht.
Auch der stellvertretende Vorsitzende der KirchMedia GmbH, Dieter Hahn,
sprang Haffa bei, indem er erklärte, die Krise bei EM.TV sei nicht chronisch
und EM.TV habe die Chance, aus der zum größten Teil überwundenen Krise
gestärkt hervorzugehen. "Die EM.TV-Geschäftsidee ist gut", so Hahn.
Schon am Sonntag gab das Unternehmen den Rücktritt des gescholtenen
ehemaligen Finanzvorstandes Florian Haffa nun auch vom stellvertretenden
Vorstandsvorsitz bekannt. Wie es hieß, auf Grund mangelnden Vertrauens von
Aktionären und Investoren. Zwar erklärte das Unternehmen, dass die
schwierige Finanzlage nicht nur durch die Akquisitionen bedingt sei. Dennoch
musste Rickmeyer einräumen, dass auch Probleme im Kerngeschäft der EM.TV
bestünden. Professioneller soll die Führung des Medienunternehmens nun durch
die Beteiligung von Kirch und die Besetzung des EM.TV-Aufsichtsrates mit dem
Kirch-Mitarbeiter Klaus Hallig werden.
Wie Thomas Haffa, dessen Aktienanteil mit der Kirchvereinbarung auf 36
Prozent von 44 Prozent verwässert wurde, betonte, ist sein Ausscheiden aus
dem EM.TV-Vorstand nicht Gegenstand der Verhandlungen gewesen. Haffa
erklärte, dass Kirch keine Aktien aus seinem Besitz erhalten habe, sondern
lediglich acht Prozent seiner Stimmrechte auf Kirch, der damit eine
Sperrminorität von 25 Prozent erhält, übertragen worden seien. Die
Vereinbarung steht noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der
Kartellbehörde.
Kirch übernimmt zudem für 550 Mio USD 49 Prozent des 50-prozentigen
Anteils von EM.TV an der Formel Eins. Haffa räumte ein, aufgrund der Ende
Mai fälligen Put-Option von Bernie Ecclestone unter "gewissem Druck"
gestanden zu haben. Deshalb sei man froh, durch die Kooperation mit Kirch
nun nicht der "Put-Option ausgeliefert zu sein". Ein Einstieg der
Automobilindustrie in die Formel Eins ist nach Hahns Worten weiterhin
denkbar.
EM.TV wiederum übernimmt das bisherige 50/50-Joint-Venture Junior TV zu
100 Prozent. Nicht mehr zum Kerngeschäft gehört nach den Worten des
EM.TV-Aufsichtsratsvorsitzenden Nickolaus Becker die 45-Prozent-Beteiligung
an der Filmhandels- und Fernsehgesellschaft Tele München. Nach Beckers
Worten hat der Mehrheitseigentümer Herbert Kloiber erklärt, die erst in
diesem Jahr von EM.TV erworbene Mehrheitsbeteiligung wieder zurückkaufen zu
wollen.
Nichts Gutes ahnen lassen die wesentlich höher als ursprünglich geplant
ausfallenden Goodwill-Abschreibungen aus Akquisitionen. Analysten waren
ursprünglich von 100 Mio bis 160 Mio DEM ausgegangen, in Wirklichkeit aber
werden nach Angaben Rickmeyers die Abschreibungen auf den Firmenwert im
laufenden Jahr 260 Mio bis 300 Mio DEM betragen. Damit dürfte EM.TV tief in
die roten Zahlen rutschen. Nach Angaben vom Freitag erwartet das
Merchandising-Unternehmen ein EBIT von 50 Mio DEM für das Gesamtjahr,
ursprünglich waren 525 Mio DEM geplant. Nach neun Monaten erreichte das
Unternehmen - ohne Akquisitionen - ein EBIT von minus 82,6 Mio DEM.
So stuft die Landesbank Baden-Württemberg die Aktie auf "Reduzieren" von
"Halten" zurück. Ein Verlustausweis für 2000 könne nicht ausgeschlossen
werden, stellte Analystin Iris Schäfer fest. In den ersten neun Monaten
erwirtschaftete EM.TV eine Gesamtleistung von 254,9 Mio DEM, im dritten
Quartal lag die Gesamtleistungn nur bei 31,9 Mio DEM. Konsolidierte, nach
IAS bilanzierte Zahlen will EM.TV erst im kommenden Jahr vorlegen. "Es geht
uns um die Vorlage zuverlässiger Zahlen", begründete Rickmeyer. Auf Grund
der Kaufpreisallokation sei das Ergebnis "in der Tendenz derzeit nicht
ausweisbar".
Noch ohne Ergebnisbeitrag im laufenden Jahr wird der am Berichtstag
ebenfalls verkündete Verkauf von Rechten aller Sesamcharaktere an die
Stiftung "Sesame Workshop" bleiben. Ungemach droht dem einstigen
Vorzeigeunternehmen am Neuen Markt auch von Seiten der Aktionärsschützer.
Sowohl die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) als auch die
Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) prüfen derzeit rechtliche
Schritte. Der Fall sei "krass und sehr überprüfenswert", sagte die Daniela
Bergdolt von der DSW mit Blick auf "den satten operativen Verlust" und die
hohen Goodwill-Abschreibungen. +++ Brunhild Stelter
vwd/4.12.2000/bst/zwi