Zum Tod von Matthias Beltz

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Happy End:

Zum Tod von Matthias Beltz

 
29.03.02 08:50
Im Frankfurter Varieté Tigerpalast warteten Kollegen und Publikum vergeblich auf Matthias Beltz. Als die Show am Mittwochabend begann, lag der 57-Jährige tot in seiner Wohnung, offenbar einem Herzinfarkt erlegen.

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Beltz - Weggefährte des heutigen Außenministers Joschka Fischer seit den Hausbesetzerzeiten der 70er Jahre - galt als einer der scharfzüngigsten deutschen Kabarettisten mit politischem Anspruch. In Frankfurt lebte Beltz seit mehr als 30 Jahren, war mit eigenen Programmen aber auch bundesweit und im Fernsehen aufgetreten und gehörte zur Stammbesetzung im Tigerpalast. Dieses moderne Varieté hatte er zusammen mit seinem Freund Johnny Klinke 1988 gegründet.

Nach dem Jura-Studium in den „Revolutionären Kampf“

Beltz, der in seiner Rolle als faschistoider Hausmeister Wieland Schmidt mit Hasstiraden auf Ausländer einem großen Publikum bekannt wurde, stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Er wurde wenige Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs am 31. Januar 1945 im hessischen Vogelsbergkreis geboren, wuchs in Gießen auf und schloss sein Jura-Studium in Frankfurt 1969 mit dem ersten Staatsexamen ab.

Beim „Revolutionären Kampf“ im Frankfurt der 70er Jahre erhielt der Kabarettist seine politische Prägung. In der linksradikalen „Sponti-Szene“ traf er in einer Zeit der Demonstrationen, Hausbesetzungen und wütender Auseinandersetzungen zwischen „Putztruppen“ und der Polizei auf eine aufgewühlte Gruppe. Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit, Johnny Klinke und der spätere Terrorist Hans-Joachim Klein gehörten dazu. Damals habe ein „unglaubliches Chaos“ geherrscht, sagte Beltz im Dezember 2000 als Zeuge im Prozess wegen des Anschlags auf die Opec-Konferenz gegen Klein.

„Das Proletariat hat nicht auf uns gewartet“

Wie Fischer versuchte sich Beltz im proletarischen Kampf als Arbeiter am Fließband bei Opel in Rüsselsheim. Auf Betriebsversammlungen gab er Kostproben seines satirischen Talents - eine erste berufliche Weichenstellung. Der Ausflug in den Produktionsalltag dauerte sechs Jahre und brachte dem Weltverbesserer die Erkenntnis, dass „das Proletariat tatsächlich nicht auf uns gewartet hat, sondern auf den Feierabend und die Rente“.

Den Weg zum Kabarett fand er dann eher zufällig. „Ich hatte Schlappohren und lispelte, war schüchtern und ängstlich. Irgendwann merkte ich, dass mir immer Witze einfielen und dass die Leute zwar immer noch über mich lachten, aber dann, wenn ich es wollte“, erklärte er einmal seinen Werdegang. Gerechtigkeit und Utopie nannte er stets als seine Ideale.

„Mit seinen Ideen weiterleben“

Während Beltz nach eigenem Bekunden keine Berührungsängste mit Comedy und Klamauk hatte, sah er das etablierte Kabarett der ersten Nachkriegsjahrzehnte kritisch. Der Münchner Lach- und Schießgesellschaft warf er in einem Zeitungsinterview moralische und intellektuelle Überheblichkeit vor, gegen die er sich mit seinen Auftritten bewusst absetzen wollte.

Aus dem 1976 gegründeten „Carl Napps Chaos Theater“ entstand 1982 das „Vorläufige Frankfurter Front-Theater“, eine der erfolgreichsten Kabarettgruppen der linken Studentenszene. Solo-Auftritte von Beltz auf Kleinkunstbühnen und zahlreiche Fernsehengagements folgten, darunter im satirischen „Nachschlag“ nach den ARD-„Tagesthemen“ Anfang der 90er Jahre.

Beltz wurde unter anderen mit dem Adolf-Grimme-Preis (1993) und dem Deutschen Kabarett-Preis (1991) ausgezeichnet. Seine „schwarz und zynisch aufglühenden Monologe“ brachten ihm 1993 den Deutschen Kleinkunstpreis. In tiefer Trauer würdigte die Tigerpalast-Leitung den gestorbenen Freund: „Matthias Beltz hat uns über 30 Jahre lang begleitet. Wir müssen mit seinen Ideen weiterleben.“

faz.de
Hill:

Orden und Ehrenzeichen

 
29.03.02 11:35
Deutscher Kabarettpreis 1991

Stern des Jahres
der Münchener AZ 1992

Adolf Grimme Preis in Gold 1993

Deutscher Kleinkunstpreis 1993

Sieger bei 3. Vorarlberger
Blindverkosten am
31. Oktober 1999 in Schwarzenberg

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»Jeden Verstand verloren«
Interview: Eberhard Spohd
für die taz Hamburg, 1. Juni 2000

taz Hamburg: Herr Beltz, Sie präsentieren auf dem Kabarett-Festival der Kammerspiele Ihr neues Programm. Worum geht es dabei?

Matthias Beltz: Eine gute Frage, die immer wieder unbeantwortbar bleibt. So ähnlich wie: Herr Goethe, was macht eigentlich Ihr Faust? Och ja, der läuft. Das Programm heisst »Eigenes Konto«, aber es geht nicht um das Bankwesen, sondern um die seltsame Vermischung der moralischen Begriffe mit dem Vokabular der Buchhaltung wie zum Beispiel die »moralische Bankrotterklärung«. Schon bevor es das grosse Finanzkapital gab, hat die Sprache einen Knacks gekriegt. Vielleicht ist ja Martin Luther schuld wie an so vielem oder der Papst.

taz: Letztlich geht es also um Moral?

Beltz: Ja, davon wird ja in der letzten Zeit so viel geredet. Spätestens seit dem Krieg auf dem Balkan, bei dem die Fischer-Scharping-Schröder-Bande - nach dem Ende der Baader-Meinhof-Bande ist ja eine Pause im Terrorismus eingetreten - moralisiert und das deutsche Volk mitgemacht hat. Selbst die taz war ja teilweise dabei und hat jeden Verstand verloren.

taz: Aber doch nicht nur die taz.

Beltz: Nein, auch die Grünen haben jeden Verstand verloren, wie man beim Parteitag in Bielefeld gemerkt hat, als sie ihre esoterischen Betroffenheitstage abgehalten und sich immer ans Herz gefasst haben anstatt einmal nachzudenken. Das war ein Bruch in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Oder besser Vorkriegsgeschichte.
taz: Seit wann hat sich die denn abgezeichnet?

Beltz: Nach dem Beginn der Abrüstung und dem Zusammenbruch des Sozialismus. Da war ganz schnell klar, dass ein konventioneller Krieg für uns wieder führbar ist. Das hat sich auf dem Balkan dann auch sehr schnell als richtig herausgestellt. Und das wiederum hat Einfluss auf das Reden über Moral.

taz: Und das greifen Sie in Ihrem Programm auf?

Beltz: Genau. Mich interessiert, wie über Moral geredet wird, und zwar nicht in diesen Apostelzirkeln von Ulrich Wickert bis hin zum Kirchentag, sondern bei normalen Leuten.

taz: Der Titel »Eigenes Konto« bezieht sich also nicht auf die Spendenpraxis der CDU, sondern auf die moralische Bilanz der BRD.

Beltz: Ja, aber auch auf mein Leben. Ich kontrolliere quasi meine Kontoauszüge und schaue mir an, was bisher passiert ist.

taz: Sind Sie in den roten oder den schwarzen Zahlen?

Beltz: Das sehen wir dann am Ende des Programms.

taz: Wollen Sie denn eher unterhaltsam sein als belehrend?

Beltz: Genau. Für Belehrung ist die Bühne nicht da. Dafür haben wir Tageszeitungen.

taz: Gibt es denn das Hildebrandtsche Primat im Kabarett noch? Immerhin tritt auch dessen ständiger Partner Bruno Jonas in den Kammerspielen auf.

Beltz: Das stirbt langsam aus, weil darin Sozialdemokraten mehr recht haben als Christdemokraten. Das ist ja schon von Haus aus ein Witz. Spätestens seit die SPD an der Regierung ist, merkt man, dass das Quatsch ist. Das kommt aus den Zeiten, als links noch mit Sozialdemokratie identifiziert worden ist, was abenteuerlich sein mag, und als moralisch überlegen galt. Das ist wie eine fortdauernde Jugendsünde.

taz: Wo steht denn heute der Freund? Gibt es den noch oder kann man nur noch als kabarettistischer Terminator auf alles einschlagen?

Beltz: Positionieren kann man sich nur individuell, aber nicht auf ein grosses Kollektiv bezogen, das das Politische sowieso ungemütlich macht. Man gehört ja nicht automatisch zum besseren Deutschland, wenn man am Sonntag gegen die Nazis demonstriert. Es muss sich auf der Bühne auch nicht eine klare Position durchsetzen. Heiner Müller hat immer gesagt: Ich sage nicht, was ich meine. Es ist ja ein Spiel. Ich kann ja auch nicht ernsthaft Scharping kritisieren. Wenn das nötig wäre, dann müsste man sich umbringen, so ein offensichtliches Arschloch ist das.

taz: Wen kann man denn noch angreifen?

Beltz: Man kann natürlich verlangen, dass Kabarett die Macht angreifen muss. Aber wer hat die Macht? Es ist ja nicht eine postmoderne Spielerei zu sagen, dass die Macht subjektlos geworden ist. Das steht schon bei Marx: Die Geschichte geschieht hinter den Rücken derjenigen, die glauben, sie zu bestimmen, und dass Kapitalisten Charaktermasken sind. Und bei diesem Stichwort fällt einem ziemlich flink unsere Bundesregierung ein. Die wahre Macht zu bestimmen fällt viel schwerer. Die am stärksten wachsenden Branchen zum Beispiel sind Drogen- und Menschen- oder besser Kinderhandel. Das wird teils legal gemacht, teils illegal. Da ist es schwer herauszufinden, wer diesen Handel beherrscht. Weltweit zu bestimmen, wer die Schweine sind, ist an einzelnen Personen nicht festmachbar.

taz: Und auch schwer zu vermitteln.

Beltz: Natürlich. Viele der nationalen Befreiungsbewegungen leben vom Drogen- und Kinderhandel. Da ist es schwer mit Solidarität, aber man muss das in die Köpfe bekommen. Da wird es dann schwer noch zu sagen, Solidarität sei die Zärtlichkeit der Völker. Bei dem Gemauschel möchte ich nicht dabei sein.

taz: Das hört sich fast schon verzweifelt an.

Beltz: Das ist auch Sinn und Zweck meines Programms. Ich möchte die Leute von der Hoffnungslosigkeit über die Verzweiflung hin zur Trostlosigkeit führen.


Schade, hab den alten Zyniker im Unterhaus in Mainz im Januar verpasst. Hab keine Karte mehr bekommen.  







Hill:

SPASS ODER TERROR ?

 
29.03.02 11:52

SPASS ODER TERROR ?



Der Publizist, Journalist und ehemalige Fremdenlegionär Peter Scholl-Latour hat kurz nach den Anschlägen in den USA vom 11. September in der Sendung "Vorsicht! Friedman" das "Ende der Spassgesellschaft" ausgerufen und damit eine Diskussion entfacht. Zu der Forderung Scholl-Latours sprach ddp-Korrespondent Peter Leveringhaus mit dem Frankfurter Kabarettisten und Juristen Matthias Beltz.

Herr Beltz, plädieren Sie auf Freispruch für Scholl-Latour nach dessen Forderung ?

Beltz: Nein, denn Scholl-Latour hat nicht Recht. Schliesslich hat er selber nicht gefragt, was denn die Spassgesellschaft überhaupt ist. Der Höhepunkt der Spassgesellschaft ist nämlich die Talkshow. Und den grössten Spass in diesen Talkshows bietet Friedman, weil er seine Gäste quält - wie zu erwarten war und ist. Er macht aus seiner Sendung einen Sado-Maso-Salon. Und Scholl-Latour hat dies überlebt, weil er zu feige ist. Sonst hätte die Spassgesellschaft mit ihm untergehen müssen. Jemand, der seinen Spass früher mal in Reisfeldern gesucht hat, hat nicht das Recht, das Ende des Kalauers zu verkünden, weil er selber einer ist.


Stehen denn wenigstens die Zeichen der Spassgesellschaft momentan auf Trauer?

Beltz: Die Deutschen haben endlich die Freude an der Trauer gefunden. Nach jahrelanger Trauerfaulenzerei, der Unfähigkeit zu trauern, wird jetzt professionell abgeheult. Dafür gab es in diesem Sommer schon propädeutische Seminare. So wurde Petra Schürmann zur halbamtlichen Trauerikone und dermassen oft am Grabe ihrer Tochter fotografiert, dass sie es gemerkt und gebilligt haben muss. Dazu gabs noch ein Presseinterview über die ganz private Befindlichkeit.

Muss das sein?

Ja, das muss sein. Wir erinnern uns an die Worte von Kanzler Schröder: "Es gibt kein Recht auf Trauerfaulheit." Die Professionalität der Trauerarbeit wird noch gesteigert, wenn sie von einer brutalstmöglichen Besonnenheit begleitet wird.

Welche Noten geben Sie den Deutschen als Volk von professionellen Amüsierern?

Beltz: Gerade in Trauersituationen kann der Spass am grössten sein. Man kennt das von Beerdigungen, die gerne mit Hilfe von Schnaps und Streuselkuchen in hysterische Orgien der Freude ausarten, weil man selber überlebt hat. Der Spass ist dann am grössten, wenn die Lage ernst ist. Zu den grössten Spassvögeln gehören daher diejenigen, die in den letzten Wochen bestimmte Veranstaltungen absagen oder begründen, warum sie trotzdem stattfinden. So zum Beispiel das Oktoberfest. Denn das will er ja, der Taliban: Dass wir eben nicht feiern. Deswegen müssen wir weitermachen. Also: Saufen gegen den Terrorismus.

Wer regiert eigentlich in der Spassgesellschaft? Rot-Grün, die Comedy-Talk-Formate oder der Frohsinn?

Beltz: In der Spassgesellschaft gibt es eigentlich zwei Machtpole. Der eine - Rot-Grün - hat aber das Problem, dass er nicht mehr in der Pole-Position ist. Wenigstens ist das aber noch interessant. Vor allem bei den Grünen. Die sind mit Schlauch und Trittin ein unschlagbares Team wie Dick und Doof. Deshalb werden sie scheitern an der Arroganz der Ohnmacht. Der andere Machtpol sind die Medien, die allerdings, was das Fernsehen betrifft, erstaunlich unprofessionell sind. Denn trotz der ständigen Wiederholung des Grundkalauers "Nichts ist mehr so, wie es einmal war" wird exakt das gleiche Scheissprogramm wie immer weiter gezeigt.

Besteht denn Hoffnung, dass sich die Lage für die Spassgesellschaft wieder bessert?

Beltz: Ja. Denn die oft beklagte Schnelllebigkeit und Geschwindigkeit der Ereignisse unter dem Firmennamen "Wir kehren zur Normalität zurück" ruft Frohsinn und Trends auf neuen Nebenschauplätzen des Krieges hervor. Schon jetzt freuen wir uns auf die Schlagzeilen des Herbstes: "Ulla Kock spannt Naddel ihren Ralf Siegel aus", "Der Kanzler ertrinkt im Swimming-Pool" und "Scharping und Mooshammer heiraten". Wir müssen nicht resignieren. Dem Ernst des Terrorismus kann man nur mit dem radikalen Spass des christlichen Abendlandes begegnen.

Noch mal: Was darf Satire ? Gibt es eine Geschmacksgrenze? Und: Wo hört der Spass auf ?

Beltz: Satire darf nichts, weil es kein Subjekt ist, sondern eine Kunstform. Der Satiriker hingegen sollte sich an den bekannten Satz aus der Serie "Dallas" halten, als J.R. zu Bobby sagte: "Die Freiheit bekommt man nicht geschenkt. Man muss sie sich nehmen." Die Geschmacksgrenze kann man nur erforschen, wenn man sie überschreitet. Das ist ein empirischer Prozess der Grenzüberschreitung. Der Spass aber verlischt, wenn Laurenz Meyer ans Mikrofon tritt. Doch lodert er wieder wie helle Flammen, folgt ihm Angela Merkel.

Was kommt nach dem NATO-Bündnisfall?

Beltz: Schwer zu sagen, denn eigentlich klingt Bündnisfall ein bisschen wie Sündenfall. Aber die entscheidende Frage ist doch: Was macht jetzt eigentlich Island?









Hill:

Matthias Beltz über den Tod

 
29.03.02 12:07
Wenn ich wüßte, daß es nach dem Tod weitergeht, würde ich erst gar nicht sterben.
Matthias Beltz
MOTORMAN:

Habe ihn noch letztes Jahr gesehen,

 
29.03.02 12:07
ein genialer Denker und Mensch!

Warum müssen die Besten zu erst gehen?

Besinnlichen Karfreitag noch.

m o t o r m a n
Hill:

Vegetarier

 
29.03.02 13:18
Hill:

Matthias Beltz in Bild und Ton

 
29.03.02 20:18
Matthias Beltz über Drogen und Politiker:



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