Mit jedem Tag wird ein offener Krieg zwischen Indien und Pakistan wahrscheinlicher. Jeden Tag beischießen sich indische und pakistanische Soldaten über die Waffenstillstandslinie in Kaschmir hinweg, jeden Tag gibt es Tote, zumeist Zivilisten. Jeden Tag fliehen mehr Menschen aus dem Grenzgebiet, weil sie befürchten, zwischen die Fronten zu geraten. Der Besuch des indischen Premierministers Atal Bihari Vajpayee in dem seit der Unabhängigkeit im Jahr 1947 zwischen Indien und Pakistan umstrittenen Kaschmir konnte am Dienstag die Spannung zwischen den beiden Ländern nur noch erhöhen. Vajpayee will Präsenz markieren, er will zeigen, dass Indien mit Taten reagiert auf den mörderischen Anschlag auf eine Kaserne in der Nähe von Jammu, bei dem mehr als 30 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, umkamen. Aber nach außen wirkt Vajpayees Besuch an der Waffenstillstandslinie als Drohgebärde. Seine Botschaft: So geht man nicht mit dem großen, mächtigen Indien um.
Allerdings hat Indien kaum noch Möglichkeiten, den Druck auf Pakistan weiter zu erhöhen. Nach dem 13. Dezember, als es Kaschmiri-Rebellen (nach indischen Erkenntnissen pakistanische Staatsangehörige) beinahe gelang, das indische Parlament in Delhi zu stürmen, marschierte Indien in seiner ganzen militärischen Stärke an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir und an der gemeinsamen Grenze mit Pakistan auf. Pakistan blieb die Antwort nicht schuldig, und so stehen sich heute rund eine Million Soldaten gegenüber, sozusagen mit entsichertem Gewehr. Was mehr ist noch möglich, nachdem die terroristischen Angriffe gegen Indien nicht aufhören wollen?
Zum Beispiel dies: Indien hat den pakistanischen Botschafter des Landes verwiesen. Diese Geste beeindruckt aber weder Feind noch Freund. Auch noch mehr Truppen an der Grenze würden die Machtverhältnisse nicht wirklich ändern. Und auf internationale Vermittlung kann Indien nicht hoffen. Zwar haben sowohl die USA als auch UN-Generalsekretär Kofi Annan ihre Beunruhigung zum Ausdruck gebracht. Aber selbst dies ist nicht neu. Indien hat zudem stets darauf bestanden, den Konflikt um Kaschmir als eine Angelegenheit ausschließlich zwischen Delhi und Islamabad zu betrachten und auf internationale Vermittlung zu verzichten. Dass die USA oder die Vereinten Nationen den Konflikt jetzt noch entschärfen können, ist fast nur Wunschdenken.
Bleibt also die militärische Option. Indische Militärstrategen mögen sich vorstellen, dass es möglich sei, in Kaschmir einen begrenzten Krieg zu führen. Indien greift Ausbildungslager von Rebellen in dem von Pakistan gehaltenen Teil von Kaschmir an, aus der Luft oder mit schnellen Schlägen über die Waffenstillstandslinie hinweg. Aber in diesem Fall kann Pakistan nicht untätig bleiben. General Musharraf muss reagieren. Gerade ein Offizier an der Spitze des Landes kann es sich nicht erlauben, dass der Gegner ins eigene Hoheitsgebiet eindringt. Dann aber ist es nicht weit bis zu ultimativen Eskalation: Nachdem Indiens Premierminister 1998 die Atombombe hat zünden lassen und Pakistan nur zwei Wochen später folgte, lassen sich auf dem Subkontinent keine begrenzten Kriege mehr führen.
Vajpayee steht unter enormem Druck. Seine Partei, die hindu- nationalistische Indische Volkspartei (BJP), ist angetreten, der Welt und die Größe Indiens zu beweisen. Mit diesem Image ist Schwäche gegenüber dem Erzfeind nicht zu vereinbaren. Die BJP, die in Delhi ohnehin nur einer wackeligen Koalition aus rund 20 Gruppierungen vorsteht, hat erst kürzlich in Uttar Pradesh, dem mit 170 Millionen größten Gliedstaat Indiens, eine entscheidende Wahl verloren. Jetzt muss sie Führungsstärke beweisen, indem sie Eindruck schindet.
Pakistan wäre zwar der Gegner, hat möglicherweise aber gar nicht mehr so viel Einfluss auf die Entwicklung in Kashmir. Islamabad hat es zugelassen, dass ehemalige Mudschaheddin aus Afghanistan aus dem Kaschmir-Konflikt einen Jihad, einen heiligen Krieg machten. Jetzt ist der „Befreiungskrieg“ in Kaschmir, den die indische Seite „grenzüberschreitenden Terrorismus“ nennt, außer Kontrolle geraten. Pakistans Präsident Musharraf könnte die selbst ernannten Gotteskrieger auch dann nicht zurückpfeifen wenn er das wollte. Nachdem die USA noch im Abwehrkampf gegen die einstige Sowjetunion stets auf die islamistischen Mudschaheddin setzten, ist es nun so weit gekommen, dass über Krieg und Frieden zwischen den Nuklearmächten Indien und Pakistan nicht mehr die Politiker entscheiden, sondern wildgewordene Banden religiös- fanatischer Extremisten.
Politische Vernunft oder Mäßigung angesichts dieser weltbedrohenden nuklearen Gefahr werden es nicht sein, die einen offenen Krieg zwischen Indien und Pakistan noch verhindern können. Aber vielleicht das Klima. Bei Temperaturen von nahezu 50 Grad ist es kaum möglich, in Rajasthan und Punjab eine offene Feldschlacht unter Einsatz veralteter Panzer zu führen. Und wenn die Hitze weicht, kommt der Monsun. Wenn man General wäre, in Indien oder Pakistan, würde man sagen: Die Zeit für einen Krieg ist nicht günstig.
SZ
Allerdings hat Indien kaum noch Möglichkeiten, den Druck auf Pakistan weiter zu erhöhen. Nach dem 13. Dezember, als es Kaschmiri-Rebellen (nach indischen Erkenntnissen pakistanische Staatsangehörige) beinahe gelang, das indische Parlament in Delhi zu stürmen, marschierte Indien in seiner ganzen militärischen Stärke an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir und an der gemeinsamen Grenze mit Pakistan auf. Pakistan blieb die Antwort nicht schuldig, und so stehen sich heute rund eine Million Soldaten gegenüber, sozusagen mit entsichertem Gewehr. Was mehr ist noch möglich, nachdem die terroristischen Angriffe gegen Indien nicht aufhören wollen?
Zum Beispiel dies: Indien hat den pakistanischen Botschafter des Landes verwiesen. Diese Geste beeindruckt aber weder Feind noch Freund. Auch noch mehr Truppen an der Grenze würden die Machtverhältnisse nicht wirklich ändern. Und auf internationale Vermittlung kann Indien nicht hoffen. Zwar haben sowohl die USA als auch UN-Generalsekretär Kofi Annan ihre Beunruhigung zum Ausdruck gebracht. Aber selbst dies ist nicht neu. Indien hat zudem stets darauf bestanden, den Konflikt um Kaschmir als eine Angelegenheit ausschließlich zwischen Delhi und Islamabad zu betrachten und auf internationale Vermittlung zu verzichten. Dass die USA oder die Vereinten Nationen den Konflikt jetzt noch entschärfen können, ist fast nur Wunschdenken.
Bleibt also die militärische Option. Indische Militärstrategen mögen sich vorstellen, dass es möglich sei, in Kaschmir einen begrenzten Krieg zu führen. Indien greift Ausbildungslager von Rebellen in dem von Pakistan gehaltenen Teil von Kaschmir an, aus der Luft oder mit schnellen Schlägen über die Waffenstillstandslinie hinweg. Aber in diesem Fall kann Pakistan nicht untätig bleiben. General Musharraf muss reagieren. Gerade ein Offizier an der Spitze des Landes kann es sich nicht erlauben, dass der Gegner ins eigene Hoheitsgebiet eindringt. Dann aber ist es nicht weit bis zu ultimativen Eskalation: Nachdem Indiens Premierminister 1998 die Atombombe hat zünden lassen und Pakistan nur zwei Wochen später folgte, lassen sich auf dem Subkontinent keine begrenzten Kriege mehr führen.
Vajpayee steht unter enormem Druck. Seine Partei, die hindu- nationalistische Indische Volkspartei (BJP), ist angetreten, der Welt und die Größe Indiens zu beweisen. Mit diesem Image ist Schwäche gegenüber dem Erzfeind nicht zu vereinbaren. Die BJP, die in Delhi ohnehin nur einer wackeligen Koalition aus rund 20 Gruppierungen vorsteht, hat erst kürzlich in Uttar Pradesh, dem mit 170 Millionen größten Gliedstaat Indiens, eine entscheidende Wahl verloren. Jetzt muss sie Führungsstärke beweisen, indem sie Eindruck schindet.
Pakistan wäre zwar der Gegner, hat möglicherweise aber gar nicht mehr so viel Einfluss auf die Entwicklung in Kashmir. Islamabad hat es zugelassen, dass ehemalige Mudschaheddin aus Afghanistan aus dem Kaschmir-Konflikt einen Jihad, einen heiligen Krieg machten. Jetzt ist der „Befreiungskrieg“ in Kaschmir, den die indische Seite „grenzüberschreitenden Terrorismus“ nennt, außer Kontrolle geraten. Pakistans Präsident Musharraf könnte die selbst ernannten Gotteskrieger auch dann nicht zurückpfeifen wenn er das wollte. Nachdem die USA noch im Abwehrkampf gegen die einstige Sowjetunion stets auf die islamistischen Mudschaheddin setzten, ist es nun so weit gekommen, dass über Krieg und Frieden zwischen den Nuklearmächten Indien und Pakistan nicht mehr die Politiker entscheiden, sondern wildgewordene Banden religiös- fanatischer Extremisten.
Politische Vernunft oder Mäßigung angesichts dieser weltbedrohenden nuklearen Gefahr werden es nicht sein, die einen offenen Krieg zwischen Indien und Pakistan noch verhindern können. Aber vielleicht das Klima. Bei Temperaturen von nahezu 50 Grad ist es kaum möglich, in Rajasthan und Punjab eine offene Feldschlacht unter Einsatz veralteter Panzer zu führen. Und wenn die Hitze weicht, kommt der Monsun. Wenn man General wäre, in Indien oder Pakistan, würde man sagen: Die Zeit für einen Krieg ist nicht günstig.
SZ