Die Börsenwoche
Wunderlicher Dax
19. November 2005 Man reibt sich die Augen. Die deutsche Wirtschaft wächst im Schneckentempo, und die politischen Entscheidungen machen wenig Hoffnung, daß sich dies bald ändern wird. Und doch hat der Dax seine Schwächephase überwunden und ist auf ein Jahreshoch gestiegen. Nun sind auch die anderen europäischen Börsen glänzend gelaufen. Aber hierzulande sind die Kursgewinne besonders erstaunlich, weil sie ein so deutlicher Kontrast zur schlechten Stimmung in der Bevölkerung sind. Doch wie weit kann ein Börsenaufschwung tragen, wenn er nicht nachhaltig von der Konjunktur unterstützt wird?
„Noch sehr weit”, antworten die Optimisten unter den Aktienstrategen. Die großen börsennotierten Unternehmen Deutschlands hätten sich längst von der heimischen Wirtschaft abgekoppelt, lautet die Argumentation. Der Anteil der im Ausland erwirtschafteten Wertschöpfung sei so groß, daß man mit einer lahmenden Wirtschaft in der Heimat umgehen könne. Zudem hätten die deutschen Unternehmen aufgeholt und ihre Kosten drastisch reduziert. Das zahle sich nun aus in einer Zeit, da die Weltwirtschaft robust wächst.
Bewertungsdifferenz zu amerikanischen Aktien
Ein „Hoch” auf die Globalisierung also. Doch ganz so unabhängig scheinen die Unternehmen nun doch nicht von der heimischen Konjunktur zu sein. Anders läßt sich die deutliche Bewertungsdifferenz europäischer Aktien zu denen in Übersee kaum erklären. Hierzulande werden Aktien mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 12,5 bis 13 auf Basis der Unternehmensgewinne im Jahr 2005 gehandelt. In den Vereinigten Staaten zahlen Anleger für Aktien dagegen im Durchschnitt fast das 16fache des aktuellen Jahresgewinns. Damit befinden sich zumindest amerikanische Aktien schon wieder in der Nähe ihres langjährigen KGV-Durchschnitts.
Auch die jüngsten Entwicklungen auf dem Anleihemarkt machen einen Vergleich der Bewertungen wieder notwendig. Inzwischen werden langjährige Bundesanleihen immerhin wieder mit 3,5 Prozent verzinst. Das ist ein halber Prozentpunkt mehr als vor zwei Monaten auf dem historischen Tiefstand. Noch stärker war der Renditesprung in den Vereinigten Staaten, wo die langfristige Rendite derzeit bei rund 4,5 Prozent liegt.
Damit sehen die Zinsmärkte für Neuanlagen etwas weniger trist aus, aber eine echte Bedrohung für die Aktienmärkte ist die Konkurrenz noch nicht. Denn das Aktien-KGV von 16 vergleicht sich in Amerika mit einem Kurs-Rendite-Verhältnis der Anleihen von 22.
Gute Stimmung
Viel wichtiger als diese Zahlenspiele ist aber die Stimmung auf den Aktienmärkten. Und über die kann niemand klagen. Selbst Übernahmepläne werden wieder mit Wohlwollen aufgenommen. So hat die Commerzbank den Kauf der Hypothekenbank Eurohypo angekündigt und für diesen Zweck am Donnerstag innerhalb von zwei Stunden eigene Aktien im Wert von 1,4 Milliarden Euro verkauft. Solche Kapitalerhöhungen sind durchaus geeignet, einen Kursrutsch auszulösen. Doch derzeit belohnen die Anleger den Mut: Für die Aktie der Commerzbank steht im Wochenvergleich ein Plus von rund 7 Prozent. Der Dax legte immerhin ein gutes Prozent zu.
Seit Jahresbeginn ist der Index schon um mehr als 20 Prozent gestiegen. Vier Aktien - Deutsche Börse, Commerzbank, Hypo-Vereinsbank und Continental - haben sogar um mehr als 50 Prozent zugelegt. Ein Drittel des Feldes weist Kursgewinne von mehr als 30 Prozent auf. Bei solchen Zahlen fühlt man sich an die Zeit der Börseneuphorie erinnert, die vor fünf Jahren mit enormen Verlusten und Katerstimmung endete. Doch es gibt gravierende Unterschiede, die dagegensprechen, daß der Aktienmarkt sich schon wieder in einer Phase der Übertreibung befindet. Da ist zunächst der kritische Blick der Anleger auf Neulinge. So mußte Praktiker die Preisvorstellungen reduzieren und den Börsengang auf die kommende Woche verschieben. Zudem sind die Gewinne der 30 Dax-Unternehmen um mehr als 20 Prozent höher als im Hausse-Jahr 2000. Zugleich müßten die Kurse vom heutigen Niveau um weitere 60 Prozent steigen, um den damaligen Rekordstand zu erreichen.
Der glänzende Lauf des Dax darf sich also noch ein Weilchen fortsetzen. Eine mögliche Triebfeder könnte die Neuentdeckung von Wachstumsgeschichten sein. In den vergangenen Monaten wurden vor allem stetiges Geschäft, sorgsamer Umgang mit Schulden und eine hohe Dividende belohnt. Angesichts üppiger Eigenkapitalrenditen könnten die Anleger künftig ihre Vorlieben auf wachstumsstarke Titel verlagern. Das könnte für viele Aktien der Antrieb für weitere Kursgewinne sein.
Quelle: Text: F.A.Z., 19.11.2005, Nr. 270 / Seite 21
...be invested
Der Einsame Samariter
Wunderlicher Dax
19. November 2005 Man reibt sich die Augen. Die deutsche Wirtschaft wächst im Schneckentempo, und die politischen Entscheidungen machen wenig Hoffnung, daß sich dies bald ändern wird. Und doch hat der Dax seine Schwächephase überwunden und ist auf ein Jahreshoch gestiegen. Nun sind auch die anderen europäischen Börsen glänzend gelaufen. Aber hierzulande sind die Kursgewinne besonders erstaunlich, weil sie ein so deutlicher Kontrast zur schlechten Stimmung in der Bevölkerung sind. Doch wie weit kann ein Börsenaufschwung tragen, wenn er nicht nachhaltig von der Konjunktur unterstützt wird?
„Noch sehr weit”, antworten die Optimisten unter den Aktienstrategen. Die großen börsennotierten Unternehmen Deutschlands hätten sich längst von der heimischen Wirtschaft abgekoppelt, lautet die Argumentation. Der Anteil der im Ausland erwirtschafteten Wertschöpfung sei so groß, daß man mit einer lahmenden Wirtschaft in der Heimat umgehen könne. Zudem hätten die deutschen Unternehmen aufgeholt und ihre Kosten drastisch reduziert. Das zahle sich nun aus in einer Zeit, da die Weltwirtschaft robust wächst.
Bewertungsdifferenz zu amerikanischen Aktien
Ein „Hoch” auf die Globalisierung also. Doch ganz so unabhängig scheinen die Unternehmen nun doch nicht von der heimischen Konjunktur zu sein. Anders läßt sich die deutliche Bewertungsdifferenz europäischer Aktien zu denen in Übersee kaum erklären. Hierzulande werden Aktien mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 12,5 bis 13 auf Basis der Unternehmensgewinne im Jahr 2005 gehandelt. In den Vereinigten Staaten zahlen Anleger für Aktien dagegen im Durchschnitt fast das 16fache des aktuellen Jahresgewinns. Damit befinden sich zumindest amerikanische Aktien schon wieder in der Nähe ihres langjährigen KGV-Durchschnitts.
Auch die jüngsten Entwicklungen auf dem Anleihemarkt machen einen Vergleich der Bewertungen wieder notwendig. Inzwischen werden langjährige Bundesanleihen immerhin wieder mit 3,5 Prozent verzinst. Das ist ein halber Prozentpunkt mehr als vor zwei Monaten auf dem historischen Tiefstand. Noch stärker war der Renditesprung in den Vereinigten Staaten, wo die langfristige Rendite derzeit bei rund 4,5 Prozent liegt.
Damit sehen die Zinsmärkte für Neuanlagen etwas weniger trist aus, aber eine echte Bedrohung für die Aktienmärkte ist die Konkurrenz noch nicht. Denn das Aktien-KGV von 16 vergleicht sich in Amerika mit einem Kurs-Rendite-Verhältnis der Anleihen von 22.
Gute Stimmung
Viel wichtiger als diese Zahlenspiele ist aber die Stimmung auf den Aktienmärkten. Und über die kann niemand klagen. Selbst Übernahmepläne werden wieder mit Wohlwollen aufgenommen. So hat die Commerzbank den Kauf der Hypothekenbank Eurohypo angekündigt und für diesen Zweck am Donnerstag innerhalb von zwei Stunden eigene Aktien im Wert von 1,4 Milliarden Euro verkauft. Solche Kapitalerhöhungen sind durchaus geeignet, einen Kursrutsch auszulösen. Doch derzeit belohnen die Anleger den Mut: Für die Aktie der Commerzbank steht im Wochenvergleich ein Plus von rund 7 Prozent. Der Dax legte immerhin ein gutes Prozent zu.
Seit Jahresbeginn ist der Index schon um mehr als 20 Prozent gestiegen. Vier Aktien - Deutsche Börse, Commerzbank, Hypo-Vereinsbank und Continental - haben sogar um mehr als 50 Prozent zugelegt. Ein Drittel des Feldes weist Kursgewinne von mehr als 30 Prozent auf. Bei solchen Zahlen fühlt man sich an die Zeit der Börseneuphorie erinnert, die vor fünf Jahren mit enormen Verlusten und Katerstimmung endete. Doch es gibt gravierende Unterschiede, die dagegensprechen, daß der Aktienmarkt sich schon wieder in einer Phase der Übertreibung befindet. Da ist zunächst der kritische Blick der Anleger auf Neulinge. So mußte Praktiker die Preisvorstellungen reduzieren und den Börsengang auf die kommende Woche verschieben. Zudem sind die Gewinne der 30 Dax-Unternehmen um mehr als 20 Prozent höher als im Hausse-Jahr 2000. Zugleich müßten die Kurse vom heutigen Niveau um weitere 60 Prozent steigen, um den damaligen Rekordstand zu erreichen.
Der glänzende Lauf des Dax darf sich also noch ein Weilchen fortsetzen. Eine mögliche Triebfeder könnte die Neuentdeckung von Wachstumsgeschichten sein. In den vergangenen Monaten wurden vor allem stetiges Geschäft, sorgsamer Umgang mit Schulden und eine hohe Dividende belohnt. Angesichts üppiger Eigenkapitalrenditen könnten die Anleger künftig ihre Vorlieben auf wachstumsstarke Titel verlagern. Das könnte für viele Aktien der Antrieb für weitere Kursgewinne sein.
Quelle: Text: F.A.Z., 19.11.2005, Nr. 270 / Seite 21
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Der Einsame Samariter