Wie im 21. Jahrhundert alles zum Bedeutungskanal wird
Der 11.9.2001 ist als Wendepunkt in der Mediengeschichte fixiert. Abseits der dramatischen Stunden in New York, Philadelphia und Washington zieht das Ereignis einen Kometenschweif an Assoziationen hinter sich her, der uns schockartig gleichschaltet.
Immer wieder fängt CNN 24 Stunden nach dem Ereignis Stimmen von amerikanischen Teenagern ein, die den fanatischen Suizid des 11.9. als schlagende Wetter aus dem Medienkanal "Kino" beschreiben. Das sei wie ein Special Effects Film gewesen. Man habe an "Die Hard 1-3" denken müssen (richtig: Wolkenkratzer in Teil 1, Flugzeuge in Teil 2, New York in Teil 3) oder an "Independence Day" (stimmt: die Detonation von Manhattan). Mit der gewaltsamen Initiation eines Jahrhunderts treten nun plötzlich dort Tabus auf, wo noch im August nur die Rechenkraft Grenzen zu setzen schien: im 3D-Trick. Politisch korrekte Actionfilme tun gut daran, ihre Konflikte zukünftig in der Männergruppe auszutragen. Die USA haben jetzt das eigene Blut vor Augen und schlucken an dessen Surrogaten vorerst zu schwer für einen leichtgängigen Kinoabend.
Kinotrailer wie der des lange ersehnten "Spiderman", in denen sich Gangster im Spinnennetz zwischen dem WTC verfangen, sind plötzlich als perverse Verdrehung der Echtzeit-Ereignisse zu lesen. Arnold Schwarzenegger muss seinen neuen Streifen verschieben. Als Feuerwehrmann, der seine Familie bei einem terroristischen Anschlag verliert, ist man auf der Leinwand angesichts von 7000 Toten nur noch müder Abklatsch einer unfassbaren Wirklichkeit. Der Arzt mit der Videokamera in der Detonationswolke ("I hope I survive") macht jeden Muskelprotz zum Poser.
Schockwellen und Lachsalven
Das zeigt sich auch in Europa, wo 100 deutsche Opfer der Ergriffenheit halber auf das Mitleidskonto für die USA gerechnet werden, als käme der Anschlag auf das WTC nicht auch der Katastrophe von Eschede gleich. Kinostart fatal in Deutschland: "Artificial Intelligence" muss nun mit dem dümmsten Zufall in einem linear gedachten Fiction-Film kämpfen. Die an sich schon unerträgliche Realsatire eines Kubrick-Films entschwindet gegen Ende zu deshalb vollkommen im Sumpf von Bully's Lachparade, weil ausgerechnet im New York des Jahres 4000 (nach "was" bitteschön?!), im überschwemmten New York die beiden berühmtesten Wolkenkratzer der Jetzt-Zeit zu sehen sind. Unbeschädigt. Ein Lacherfolg, das Publikum entspannt und fühlt sich bedeutend klüger als die beiden tumben Roboter auf der Leinwand.
Das ORF legte mit Spielberg und "Private Ryan" am darauf folgenden Samstag noch einen drauf. So könnte also wieder Krieg aussehen. Und was als Mahnmal gedacht sein soll, ist letztendlich doch nur die unerträglich pathetische Folie, auf der am 23.9. eine Trauerfeier in einem Stadium denkbar wird. Es ist die gleiche Folie, die aus den chirurgischen Kriegern im Irak-Krieg Heldenmachte, weil sie mit Benzinbomben tausende Unschuldiger zerfetzt haben. Das Gute und Wahre wird so penetrant in Szene gesetzt, dass man versucht ist, ungläubig mit einem Lachkrampf in die Wirklichkeit zurückzufinden. Selbst im Wissen, dass Gut und Böse "Krieg" auf beiden Seiten erst möglich machen, dass auch diesmal der Krieg mehr ein innenpolitisches Thema der USA ist (90 % Zustimmung der Bevölkerung am 24.9. sind die höchste je gemessene Marke der Übereinstimung mit dem amerikanischen Präsidenten).
Aber dort ist kein Platz mehr. Wir sind alle in einen neuen Bewusstseinszustand gerückt, der nach Rache schreit, um die eigenen Aktien Angst hat und den Erstschlag erwartet, damit die Prime-Time jetzt nicht tagelang Schill, Merkel und Schröder im Streit um die innere Sicherheit zeigen muss. Und die eigene Seele, um die es in der Sicherheit Mitteleuropas nicht geht, beginnt sich nun mit seltsamen Lachanfällen zu wehren.
Unausweichliche Realsatire
Flug Luxemburg-Zürich am 18.9.2001, 19.00 Uhr. Seit einer halben Stunden fliegt die Maschine nicht, denn ein Koffer kann nicht zugeordnet werden. Leider ist die Stewardess nicht imstande, den Namen des Schildes durchzugeben. Es sind japanische Schriftzeichen. Als man der einzigen asiatisch aussehenden Mitreisenden den Koffer zuordnen kann und die gleiche Stewardess nun beginnt für den Flug die Funktion der Schwimmwesten (!!!) zu erklären, wähnen sich gröhlende Fluggäste längst im falschen Film.
Ein Flugblatt findet sich im Züricher Briefkasten. Zitat:
"Gewalttätige Angriffe auf Schweizer Soldaten sind Angriffe auf unseren Staat und seine Rechtsordnung ... Die nachstehenden Personen verlangen vom Bundesrat eine strenge Bestrafung von Gewalttätern gegen Schweizer Soldaten ... sind ausnahmslos des Landes zu verweisen."
Diese unglücklich getimte Petition flattert herein, während man versucht, sich verhört zu haben, wenn Verteidigungsminister Rumsfeld den Einsatz von Atomwaffen in CNN nicht ausschließen will. Das habe man auch nie gesagt.
Währenddessen reist der Papst durch Ostostosteuropa und versucht mit letzter Kraft, die Christen (irgendwie "seine" Christen) zur Nächstenliebe aufzufordern. Trotz seiner sicher größeren Amtsautorität muss er zusehen, wie der amerikanische Präsident sich neben der Führung der freien Welt, der Koalition der Anti-Terror-Staaten, auch stillschweigend das Sprachrohr der Religionen einverleibt.
Es sind seltsame Zeiten, in denen alles deshalb in Verbindung zum 11.9. gerät, weil der gut informierte Kopf zwar hunderte Male das Einschlagen von Boing (schon wieder eine Lautmalerei...)-Maschinen in Türme registriert hat, letztendlich aber den Ereignissen so machtlos gegenüber steht, wie das die Urgroßväter taten, als sie über den Ausbruch des 1. Weltkriegs nur eine spärliche Extraausgabe erhielten.
Die nicht-nicht Logik
Paul Watzlawik hat mit "Man kann nicht nicht kommunizieren" einen Satz geprägt, den man ohne Widerwillen seines Publikums nicht mehr aussprechen kann. Das will nicht zum tausendsten Mal gehört werden. Die geschilderte Variante ist aber nicht von der Hand zu weisen. Wir sind im Netz der Assoziationen gefangen und schämen uns zudem, wenn wir diesen Fängen entweichen könnten. Die Formel 1 hat in Monza einen Helden verloren, weil plötzlich dieses Netz Skrupel in Schumacher aufkommen ließen.
Das Oktoberfest ist eine Gegen-Pflichtveranstaltung, so wie die Trauerfeier am Brandenburger Tor politisch korrekt war. Man kann nicht nicht assoziieren, entweder weil man sich selbst durch eine ständige Verkettung mit diesem Krieg wieder findet, der letztendlich als Paradigmenshift "Krieg" zur Polizeiaktion gegen Terroristen mit Teppichmessern umwandelt. Oder man löst sich tatsächlich von diesen Rekursionen, die medial die Zeit bis zum Erstschlag verkürzen sollen, dann wird man als "zynisch" von denen decodiert, die den Sprung nicht wagen.
Was definiert die Schwere eines Ereignisses so, dass nur noch in den Sinngrenzen dieses Events agiert werden kann? Die Zahl der Todesopfer ist es nicht, auch nicht die Art der Bedrohung. Es scheint mehr die kritische Masse der Medienberichterstattung zu sein, die uns zu schaffen macht. 24 Stunden CNN, tagelange Sondersendungen, jedes Detail der letzten Worte aus detonierenden Flugzeugen. Wenn eine fraktale Mediengesellschaft plötzlich durch ein Ereignis wieder unter Gleichstrom gesetzt wird, kommt dieser Schock durch die Kanäle so nachhaltig daher, dass wie in einem Nachzittern die Freiheit des Agendasettings zu existieren aufgehört hat. Wer nicht an das WTC denkt, macht sich Vorwürfe, dass er nicht an das WTC denkt. Der Diskurs ist hoch rekursiv und damit statisch.
Sigmund Freud würde mit dem Witz argumentieren, den man nutzen würde, um sich von dieser Last zu befreien. Wir warten also alle auf die ersten Ibn Ladin Witze...
Gruß
Happy End
Der 11.9.2001 ist als Wendepunkt in der Mediengeschichte fixiert. Abseits der dramatischen Stunden in New York, Philadelphia und Washington zieht das Ereignis einen Kometenschweif an Assoziationen hinter sich her, der uns schockartig gleichschaltet.
Immer wieder fängt CNN 24 Stunden nach dem Ereignis Stimmen von amerikanischen Teenagern ein, die den fanatischen Suizid des 11.9. als schlagende Wetter aus dem Medienkanal "Kino" beschreiben. Das sei wie ein Special Effects Film gewesen. Man habe an "Die Hard 1-3" denken müssen (richtig: Wolkenkratzer in Teil 1, Flugzeuge in Teil 2, New York in Teil 3) oder an "Independence Day" (stimmt: die Detonation von Manhattan). Mit der gewaltsamen Initiation eines Jahrhunderts treten nun plötzlich dort Tabus auf, wo noch im August nur die Rechenkraft Grenzen zu setzen schien: im 3D-Trick. Politisch korrekte Actionfilme tun gut daran, ihre Konflikte zukünftig in der Männergruppe auszutragen. Die USA haben jetzt das eigene Blut vor Augen und schlucken an dessen Surrogaten vorerst zu schwer für einen leichtgängigen Kinoabend.
Kinotrailer wie der des lange ersehnten "Spiderman", in denen sich Gangster im Spinnennetz zwischen dem WTC verfangen, sind plötzlich als perverse Verdrehung der Echtzeit-Ereignisse zu lesen. Arnold Schwarzenegger muss seinen neuen Streifen verschieben. Als Feuerwehrmann, der seine Familie bei einem terroristischen Anschlag verliert, ist man auf der Leinwand angesichts von 7000 Toten nur noch müder Abklatsch einer unfassbaren Wirklichkeit. Der Arzt mit der Videokamera in der Detonationswolke ("I hope I survive") macht jeden Muskelprotz zum Poser.
Schockwellen und Lachsalven
Das zeigt sich auch in Europa, wo 100 deutsche Opfer der Ergriffenheit halber auf das Mitleidskonto für die USA gerechnet werden, als käme der Anschlag auf das WTC nicht auch der Katastrophe von Eschede gleich. Kinostart fatal in Deutschland: "Artificial Intelligence" muss nun mit dem dümmsten Zufall in einem linear gedachten Fiction-Film kämpfen. Die an sich schon unerträgliche Realsatire eines Kubrick-Films entschwindet gegen Ende zu deshalb vollkommen im Sumpf von Bully's Lachparade, weil ausgerechnet im New York des Jahres 4000 (nach "was" bitteschön?!), im überschwemmten New York die beiden berühmtesten Wolkenkratzer der Jetzt-Zeit zu sehen sind. Unbeschädigt. Ein Lacherfolg, das Publikum entspannt und fühlt sich bedeutend klüger als die beiden tumben Roboter auf der Leinwand.
Das ORF legte mit Spielberg und "Private Ryan" am darauf folgenden Samstag noch einen drauf. So könnte also wieder Krieg aussehen. Und was als Mahnmal gedacht sein soll, ist letztendlich doch nur die unerträglich pathetische Folie, auf der am 23.9. eine Trauerfeier in einem Stadium denkbar wird. Es ist die gleiche Folie, die aus den chirurgischen Kriegern im Irak-Krieg Heldenmachte, weil sie mit Benzinbomben tausende Unschuldiger zerfetzt haben. Das Gute und Wahre wird so penetrant in Szene gesetzt, dass man versucht ist, ungläubig mit einem Lachkrampf in die Wirklichkeit zurückzufinden. Selbst im Wissen, dass Gut und Böse "Krieg" auf beiden Seiten erst möglich machen, dass auch diesmal der Krieg mehr ein innenpolitisches Thema der USA ist (90 % Zustimmung der Bevölkerung am 24.9. sind die höchste je gemessene Marke der Übereinstimung mit dem amerikanischen Präsidenten).
Aber dort ist kein Platz mehr. Wir sind alle in einen neuen Bewusstseinszustand gerückt, der nach Rache schreit, um die eigenen Aktien Angst hat und den Erstschlag erwartet, damit die Prime-Time jetzt nicht tagelang Schill, Merkel und Schröder im Streit um die innere Sicherheit zeigen muss. Und die eigene Seele, um die es in der Sicherheit Mitteleuropas nicht geht, beginnt sich nun mit seltsamen Lachanfällen zu wehren.
Unausweichliche Realsatire
Flug Luxemburg-Zürich am 18.9.2001, 19.00 Uhr. Seit einer halben Stunden fliegt die Maschine nicht, denn ein Koffer kann nicht zugeordnet werden. Leider ist die Stewardess nicht imstande, den Namen des Schildes durchzugeben. Es sind japanische Schriftzeichen. Als man der einzigen asiatisch aussehenden Mitreisenden den Koffer zuordnen kann und die gleiche Stewardess nun beginnt für den Flug die Funktion der Schwimmwesten (!!!) zu erklären, wähnen sich gröhlende Fluggäste längst im falschen Film.
Ein Flugblatt findet sich im Züricher Briefkasten. Zitat:
"Gewalttätige Angriffe auf Schweizer Soldaten sind Angriffe auf unseren Staat und seine Rechtsordnung ... Die nachstehenden Personen verlangen vom Bundesrat eine strenge Bestrafung von Gewalttätern gegen Schweizer Soldaten ... sind ausnahmslos des Landes zu verweisen."
Diese unglücklich getimte Petition flattert herein, während man versucht, sich verhört zu haben, wenn Verteidigungsminister Rumsfeld den Einsatz von Atomwaffen in CNN nicht ausschließen will. Das habe man auch nie gesagt.
Währenddessen reist der Papst durch Ostostosteuropa und versucht mit letzter Kraft, die Christen (irgendwie "seine" Christen) zur Nächstenliebe aufzufordern. Trotz seiner sicher größeren Amtsautorität muss er zusehen, wie der amerikanische Präsident sich neben der Führung der freien Welt, der Koalition der Anti-Terror-Staaten, auch stillschweigend das Sprachrohr der Religionen einverleibt.
Es sind seltsame Zeiten, in denen alles deshalb in Verbindung zum 11.9. gerät, weil der gut informierte Kopf zwar hunderte Male das Einschlagen von Boing (schon wieder eine Lautmalerei...)-Maschinen in Türme registriert hat, letztendlich aber den Ereignissen so machtlos gegenüber steht, wie das die Urgroßväter taten, als sie über den Ausbruch des 1. Weltkriegs nur eine spärliche Extraausgabe erhielten.
Die nicht-nicht Logik
Paul Watzlawik hat mit "Man kann nicht nicht kommunizieren" einen Satz geprägt, den man ohne Widerwillen seines Publikums nicht mehr aussprechen kann. Das will nicht zum tausendsten Mal gehört werden. Die geschilderte Variante ist aber nicht von der Hand zu weisen. Wir sind im Netz der Assoziationen gefangen und schämen uns zudem, wenn wir diesen Fängen entweichen könnten. Die Formel 1 hat in Monza einen Helden verloren, weil plötzlich dieses Netz Skrupel in Schumacher aufkommen ließen.
Das Oktoberfest ist eine Gegen-Pflichtveranstaltung, so wie die Trauerfeier am Brandenburger Tor politisch korrekt war. Man kann nicht nicht assoziieren, entweder weil man sich selbst durch eine ständige Verkettung mit diesem Krieg wieder findet, der letztendlich als Paradigmenshift "Krieg" zur Polizeiaktion gegen Terroristen mit Teppichmessern umwandelt. Oder man löst sich tatsächlich von diesen Rekursionen, die medial die Zeit bis zum Erstschlag verkürzen sollen, dann wird man als "zynisch" von denen decodiert, die den Sprung nicht wagen.
Was definiert die Schwere eines Ereignisses so, dass nur noch in den Sinngrenzen dieses Events agiert werden kann? Die Zahl der Todesopfer ist es nicht, auch nicht die Art der Bedrohung. Es scheint mehr die kritische Masse der Medienberichterstattung zu sein, die uns zu schaffen macht. 24 Stunden CNN, tagelange Sondersendungen, jedes Detail der letzten Worte aus detonierenden Flugzeugen. Wenn eine fraktale Mediengesellschaft plötzlich durch ein Ereignis wieder unter Gleichstrom gesetzt wird, kommt dieser Schock durch die Kanäle so nachhaltig daher, dass wie in einem Nachzittern die Freiheit des Agendasettings zu existieren aufgehört hat. Wer nicht an das WTC denkt, macht sich Vorwürfe, dass er nicht an das WTC denkt. Der Diskurs ist hoch rekursiv und damit statisch.
Sigmund Freud würde mit dem Witz argumentieren, den man nutzen würde, um sich von dieser Last zu befreien. Wir warten also alle auf die ersten Ibn Ladin Witze...
Gruß
Happy End