Wo ist denn hier das Geschäftsmodell?

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Wo ist denn hier das Geschäftsmodell?

 
23.08.03 14:40
Eine Idee des Internet-Hype will erwachsen werden

1999, da ging alles. Keine Idee war zu blöd oder zu verspielt, um dafür Venture Capital zu bekommen. Meist waren die technisch verspielten Projekte ohnehin noch die seriöseren. Nicht alles blieb im Dotcom-Crash auf der Strecke: "Hey Wow" wird nun 4 Jahre später real.

Heywow.com - wie kommt man nur auf so einen blöden Namen? Die Erklärung: "Nun, die Amis hatten so coole Namen wie 'Yahoo' und bei uns hieß alles immer nur 'E-Procrustination 2.0' oder so ähnlich - und da entstand in der Kneipe nach einer Tagung halt der Name 'Hey Wow'." Also eine echte Schnapsidee.

Ob es eine weise Entscheidung war, diesen Namen auch nach dem Kneipenabend bis heute beizubehalten, ist die Frage. Jetzt muss das System damit leben. "Hey Wow" sollte jedenfalls ein mobiles Informationssystem mit eingebundenen "location based services" sein, das als "persönlicher Schutzengel" dem Reisenden bereits rechtzeitig sagt, dass sein Flug verspätet ist, die Autobahn verstopft ist und der Zug nicht auf Gleis 1, sondern auf Gleis 13 abgeht.

Aber man realisierte, dass dies in der Praxis nicht funktioniert: Die zu meldenden Informationen wären nicht rechtzeitig und ausreichend einzuholen und zu übertragen - Frust die Folge, wenn man den Stau erst erfährt, wenn man bereits dazugehört. Das schafft auch der Verkehrsfunk.

Deshalb hat man nun einen Gang zurückgeschaltet: In Landsberg am Lech, 60 Kilometer westlich von München, werden statt der ursprünglich geplanten PDAs handlichere Multimedia-Handys vom Typ Sony-Ericsson P800 mit zusätzlichen Bluetooth-Schnittstellen verwendet, um die klassischen Audiofon-Abspielgeräte der heutigen Museen zu ersetzen. Wer vor einer Sehenswürdigkeit steht, kann jetzt nicht nur den Hörer ans Ohr halten und nach Drücken einer Zahlenkombination Erläuterungen hören. Stattdessen piepst ihn das Handy selbsttätig an und sagt, wo er steht.

Informationen über den Standort - ob Biergarten, Boutique oder historische Sehenswürdigkeit - werden dann von einem lokalen Webserver über Bluetooth auf das Handy geladen und wenn der Webserver auch Verbindung zum Internet hat, sind auch beliebige andere Inhalte abrufbar - sofern sie auf den kleinen Handy-Bildschirm passen, versteht sich. Im Biergarten taucht die Speisekarte auf dem Handy auf, in der Boutique werden die Sonderangebote und im Museum die Öffnungszeiten und Exponate angezeigt.

Dass ein Landsberg-Besucher nun gerade dieses Handymodell von Sony-Ericsson dabei haben sollte, ist unwahrscheinlich, und selbst wenn, hätte dieses nicht die zur Darstellung notwendige Software geladen. Deshalb kann man die Multimedia-Handy-Stadtführer voraussichtlich ab Frühjahr 2004, wenn alles stabil läuft, im Landsberger Tourismusbüro ausleihen. Wenn man - wie wir beim Test - bereits auf dem Weg ins Landsberger Tal im Stau stecken bleibt und die Einheimischen einen auf der Frage nach dem Rathaus, wo das Tourismusbüro ist, stattdessen zum Schmalzturm schicken, kann Heywow allerdings im Gegensatz zu den ursprünglichen Plänen nicht mehr helfen.

1,5 Millionen Euro hat das Projekt bislang gekostet, 50 Prozent hiervon steuert die High-Tech-Offensive Bayern bei und entwickelt wird dieses GPRS, Wireless LAN und Bluetooth direkt ohne Unterbrechung beim Umschalten verwendende System vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (  DLR. Ein kompakter Computer mit 666-MHz-CPU, Linux und einem USB-Bluetooth-Adapter dient dabei als "LSP", als "local service point". Dort buchen die Geräte ein. Ursprünglich sollte der LSP zur einfacheren Montage in Halterungen für 100-Watt-Glühbirnen integriert werden - doch das dürfte auch bei extremer Miniaturisierung schon aufgrund der Wärmeentwicklung der Glühbirnen Unsinn bleiben.

Kleiner Schönheitsfehler allerdings: Bluetooth ist auf maximal 8 Geräte beschränkt, an einem LSP können sich deshalb maximal 7 Handys einloggen. Das wird mit auch nur halbwegs gefüllten Museen oder Biergärten knapp. Zukünftig müssen deshalb Bluetooth-Handys zwischendurch inaktiv "parken", um anderen den Zugriff zu ermöglichen. Doch bevor die Techniker auch nur eine Chance haben, dieses Problem in den Griff zu bekommen, präsentiert das Marketing als besonders gut geeignete Applikation für Heywow ausgerechnet ein voll besetztes Fußballstadion mit 20.000 Besuchern, in dem diese interaktiv in ein paar Sekunden abstimmen und dabei Preise gewinnen können sollen. Schlägereien sind programmiert, wenn der Sitznachbar sein Gerät partout nicht "parken" will und so die eigene Abstimmung und Gewinnchance behindert. Ebenso gibt es Probleme, wenn direkt neben dem Heywow-bestückten Biergarten noch eine Disco mit eigenem unlizensierten LSP aufmacht und so die falsche Getränkekarte aufs Handy beamt.

Bei einem Probespaziergang mit dem High-Tech-Touristenführer durch Landsberg musste man lediglich aufpassen, nicht am Kopf mit den anderen Besuchern zusammenzustoßen, während man von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit ging und dabei statt auf die Straße auf das Display mit der relativ kleinen Schrift vor sich starrte. Auch bucht sich Bluetooth sehr langsam ein, sodass man sich nicht auf die Meldung des Geräts "Sie sind nun am Schmalztor" verlassen sollte - dann ist man nämlich bereits am nächsten Aussichtspunkt.

Die Details sind dafür mit sehr viel Liebe gemacht - so wird in gemütlichstem Bayrisch zu den Sehenswürdigkeiten etwas erzählt. An Englisch, Französisch und Hochdeutsch arbeitet man noch, damit die Fremden auch was verstehen, für die das System ja eigentlich gedacht ist. Zunächst können sich aber die Landsberger selbst fortbilden, die auch nicht immer wissen, wo ihr Rathaus nun genau steht.

Immerhin: Die oft peinliche Frage für Technikspielereien "Wo ist denn hier das Geschäftsmodell?" entfällt in Landsberg: "Heywow"  soll hier nur Landsberg auch für jüngere Besucher attraktiv machen und so den Tourismus ankurbeln. Selbst muss das System hier kein Geld erbringen. Hey, wow, echt cool Alter, jetzt bestell mal ein Bier auf Deinem Handy, das wappen wir dann weg!!  
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