Das Meinungsklima ist stabil
Kurzfristige Ereignisse ändern nicht die Großwetterlage / Von Dr. Elisabeth Noelle
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Seit Wochen hatte die Öffentlichkeit dem Fernsehduell zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber entgegengefiebert, doch als es am Sonntag stattfand, waren viele enttäuscht: Von Aufregung, von der Aggressivität amerikanischer Fernsehduelle war nichts zu spüren. Statt dessen standen sich zwei zurückhaltende Herren gegenüber. Keiner warf dem anderen Geschmacklosigkeiten an den Kopf, keiner entgleiste, keiner verlor den Faden und rang verzweifelt nach Worten. Alles das war auch gar nicht zu erwarten gewesen, dafür war der Abend von allen Beteiligten viel zu gut vorbereitet worden. Große Veränderungen durch die Diskussion waren zumindest nicht wahrscheinlich, denn anders als in den Vereinigten Staaten orientieren sich die Bürger in Deutschland nach wie vor in erster Linie an den Parteien und erst in zweiter Linie an den Kandidaten.
In der medialen Diskussion herrscht dagegen seit einiger Zeit die Neigung vor, einzelnen Ereignissen eine überragende Bedeutung für die Wahlentscheidung zuzuschreiben. So häufen sich die Fragen an die Demoskopen: "Wie wirkt sich die Fußballweltmeisterschaft auf die Wahl aus?" "Entscheidet das Fernsehduell die Wahl?" oder auch "Entscheidet die Jahrhundert-Flut die Wahl?" Doch das Hochwasser der Elbe - so verheerend es ist - wird die Schlagzeilen nur noch einige Tage beherrschen. Die Wahl wird dagegen in einem über Monate dauernden Prozeß entschieden.
So sind viele zunächst enttäuscht, wenn die scheinbar wahlentscheidende Sensation sich als Einzelereignis erweist, dessen Wirkung vor dem Hintergrund des allgemeinen gesellschaftlichen Klimas eher gering ist. Nach ersten Ergebnissen eines Forschungsprojekts der Technischen Universität Dresden gab es keinen klaren Sieger des Fernsehduells. Die meisten Befragten beurteilten das Abschneiden der Kandidaten entsprechend ihrer bereits vorhandenen Parteiorientierung.
Über die Auswirkungen der Flut in Sachsen und Sachsen-Anhalt auf den Wahlkampf waren in den letzten Tagen zum Teil weitreichende Spekulationen zu hören: das sei eine große Gelegenheit für die Bundesregierung, Entschlossenheit und Handlungsbereitschaft zu demonstrieren, die SPD werde in den Umfragen einen erheblichen Aufstieg erleben. Doch tatsächlich zeigt sich bisher nur eine sehr geringe Veränderung der Zweitstimmen-Wahlabsicht zugunsten der SPD. Ereignisse wie das Hochwasser, bei denen die Regierung rasch handeln muß und bei denen die Bevölkerung zusammenrückt, nützen zwar meistens den Regierungsparteien. Um sie zum Auslöser einer grundlegenden Trendwende zu machen, gehört mehr dazu als das Ereignis selbst. Es muß auf ein gesellschaftliches Klima treffen, in dem dieser Trendwechsel bereits angelegt ist. Und das ist zur Zeit nicht der Fall. Die Grundstimmung in der Bevölkerung ist unverändert gegen die jetzige Bundesregierung gerichtet. Alle Indikatoren deuten in dieselbe Richtung:
- Auf die Frage "Sind Sie mit der Politik von Bundeskanzler Schröder einverstanden oder nicht einverstanden?" antworten jetzt 41 Prozent "Nicht einverstanden", nur 26 Prozent "Einverstanden". Der Anteil derer, die mit Schröders Politik nicht einverstanden sind, hat seit Anfang des Jahres stetig zugenommen.
- Die Frage "Wäre es gut, wenn die Bundesregierung in Berlin wechseln würde, oder wäre es nicht gut?" beantworten 41 Prozent mit "Es wäre gut, wenn die Regierung wechseln würde", 31 Prozent lehnen den Wechsel ab. Dieses Ergebnis ist - von geringfügigen Schwankungen abgesehen - seit Mai unverändert.
- Einen der deutlichsten Hinweise auf die Wahlchancen einer Volkspartei bietet die Frage "Glauben Sie, daß die CDU/CSU (beziehungsweise die SPD) im großen und ganzen einig oder zerstritten ist?" Die CDU/CSU halten zur Zeit 43 Prozent der Deutschen für einig, lediglich 21 Prozent für zerstritten. Die SPD wird nur von 34 Prozent als einig und von 31 Prozent als zerstritten wahrgenommen.
- Seit Jahresanfang hat sich die Zahl derer, die glauben, die CDU/CSU werde die Wahl gewinnen, fast verdoppelt. Heute glauben 50 Prozent der Deutschen an einen Wahlsieg der CDU/CSU, nur 17 Prozent erwarten den Sieg der SPD (Grafik).
Selbst der Popularitätsvorsprung Schröders gegenüber Stoiber erweist sich auf den zweiten Blick als brüchig. Zum einen hat sich der Abstand zwischen den beiden Kandidaten verringert. Auf die Frage "Wen würden Sie als Bundeskanzler vorziehen, Gerhard Schröder oder Edmund Stoiber?" entscheiden sich 38 Prozent für Schröder und 34 Prozent für Stoiber. Im April betrug das Verhältnis noch 41 zu 26 Prozent. Zum anderen ist es aufschlußreich, die Eigenschaften, welche die Bevölkerung Schröder und Stoiber zuschreibt, mit denen zu vergleichen, die von einem idealen Bundeskanzler erwartet werden. Die zehn wichtigsten Eigenschaften, die die Deutschen von einem idealen Bundeskanzler erwarten, darunter Aufrichtigkeit, Vertrauenswürdigkeit, eine klare politische Linie, Sachkenntnis, schreibt die Bevölkerung eher Stoiber als Schröder zu.
Spekulationen gab es in der letzten Zeit auch um die angeblich besonders große Gruppe derjenigen, die sich noch nicht entschieden haben, ob sie zur Wahl gehen und welche Partei sie wählen. Doch nach den Ergebnissen des Allensbacher Instituts ist die Zahl der heute noch Unentschiedenen kaum größer als vor vier Jahren. Zur Zeit sagen 64 Prozent der befragten Wahlberechtigten, sie wollten "ganz gewiß" wählen gehen, weitere 16 Prozent sagen, sie seien "ziemlich sicher", daß sie an der Wahl teilnehmen werden. Das sind gleich viele wie 1994 und kaum weniger als 1998. Von denen, die sagen, sie wollten sich an der Wahl beteiligen, sagen knapp drei Viertel, sie hätten sich bereits für eine Partei entschieden. Auch dies ist nicht ungewöhnlich (Grafik). Analysiert man die Antworten der Unentschiedenen genauer, dann zeigt sich zur Zeit kein verborgenes Potential für das eine oder andere politische Lager, das die Parteistärken noch in größerem Ausmaß verschieben könnte.
Zu den Besonderheiten des Meinungsklimas im Wahlkampf 2002 gehört, daß die Anhänger der CDU/CSU wesentlich aktiver, optimistischer und kampfbereiter sind als die SPD-Anhänger. So sagen auf die Frage "Wie wichtig ist Ihnen, ob die Partei, die Sie am besten finden, nach der Bundestagswahl an die Regierung kommt?" 39 Prozent der CDU/CSU-Anhänger, aber nur 28 Prozent der SPD-Anhänger, es sei ihnen "sehr wichtig", daß die von ihnen bevorzugte Partei an der nächsten Regierung beteiligt ist.
Ein weiteres Beispiel bietet die Frage "Hat in letzter Zeit jemand versucht, Sie von einer bestimmten Partei zu überzeugen, ich meine, daß Sie dieser Partei Ihre Stimme geben sollten?". Insgesamt haben die Überzeugungsversuche für CDU/CSU und FDP zu-, die für die Regierungsparteien abgenommen. Auffallend ist dabei die vergleichsweise große Zahl von Versuchen, SPD-Anhänger davon zu überzeugen, die CDU/CSU zu wählen. 11 Prozent der SPD-Anhänger berichten über einen solchen Überzeugungsversuch. Umgekehrt sagen nur 5 Prozent der Anhänger der Union, es habe jemand versucht, sie von der SPD zu überzeugen.
Besonders aufschlußreich sind die Ergebnisse einer Trendfrage zur Bereitschaft, sich öffentlich zu der bevorzugten Partei zu bekennen. Bei dieser Frage werden Karten überreicht, auf denen verschiedene Möglichkeiten aufgeschrieben sind, seine politische Überzeugung öffentlich zu zeigen. Die Befragten werden gebeten, alle Karten herauszulegen, auf denen etwas steht, was sie bereit wären, für ihre Partei zu tun.
1998 sagten 9 Prozent der Anhänger der Unionsparteien, sie seien bereit, für die CDU/CSU Plakate zu kleben, heute sind es 13 Prozent. 9 Prozent wollten sich vor vier Jahren an einer Straßendiskussion beteiligen und dabei für die Union eintreten, im August 2002 sind es 17 Prozent. An einer Parteiversammlung teilzunehmen, waren vor vier Jahren 31 Prozent bereit, heute 43 Prozent. Die Zahl derer, die sich vorstellen konnten, jemanden anzurufen und von den Unionsparteien zu überzeugen, verdoppelte sich von 3 auf 6 Prozent. Die Bereitschaft der FDP-Anhänger, sich öffentlich für ihre Partei einzusetzen, hat in etwa im gleichen Umfang zugenommen. Die Anhänger der SPD und der Grünen sind heute zwar ebenfalls mehr als vor vier Jahren bereit, öffentlich für ihre Parteien einzutreten, ein Kennzeichen dafür, daß der Wahlkampf insgesamt intensiver geführt wird, kämpferischer ist als 1998, doch hier ist der Anstieg wesentlich geringer. Nur die Anhänger der PDS sind heute deutlich weniger motiviert als vor vier Jahren. Man erkennt, wie sehr vor allem die Anhänger von CDU/CSU und FDP an Selbstbewußtsein gewonnen haben und damit an der Fähigkeit, andere von ihrer Meinung zu überzeugen.
Wenige Wochen vor der Bundestagswahl 1957 sagte Adenauer zu mir: "Jetzt kann die CDU die Wahl nur noch verlieren, wenn morgen in der Zeitung steht, der Adenauer ißt gebratene Hunde." Heute ist die Lage nicht ganz so eindeutig wie damals, doch das Meinungsklima ist mittlerweile fest gefügt. Es wird sich kaum noch durch eine einzelne Fernsehdebatte erschüttern lassen.