...als Schadensbegrenzer
In Sachen Antisemitismus war er gerade noch als Schadensbegrenzer unterwegs, jetzt eifert Guido Westerwelle beim Thema Stimmenfang schon wieder seinem Vize Möllemann nach. Der FDP-Chef träumt bereits von 25 Prozent. Vor allem die Wähler von DVU und PDS haben es ihm angetan. Die SPD ist entsetzt.
Berlin - "Diese Tabuwächter können mir gestohlen bleiben", betitelt der "Stern" ein Interview mit Westerwelle, in dem der FDP-Vorsitzende ganz offen dafür eintritt, auch am rechten Rand des politischen Spektrums um Wähler werben. Westerwelle bekräftigte, seine Partei werde sich auch um Wähler der rechtsextremen DVU und der PDS bemühen. Die Liberalen wollten bei der Bundestagswahl das große Protestpotenzial in der Bevölkerung von 25 Prozent ausschöpfen.
"Uns ist jeder willkommen, der seinen Frust in konstruktives politisches Verhalten umsetzen will", sagt der Politiker in dem Interview. "Der Protest gegen das etablierte Parteiensystem kommt nicht von rechts außen, sondern ist der Protest aus der breiten Mitte. Ihm bieten wir eine neue demokratische Heimat", fügte der FDP-Kanzlerkandidat hinzu. Wähler von der PDS oder der DVU hätten früher nicht zwangsläufig mit rechtsradikaler oder kommunistischer Gesinnung so entschieden, sondern weil ihr Frust ein Ventil gesucht habe.
"Wenn wir verhindern wollen, dass Figuren wie Le Pen (in Frankreich) oder Haider (in Österreich) bei uns Erfolg haben", so Westerwelle, "dann müssen sich die demokratischen Parteien erneuern. Wir tun es jedenfalls."
Vor einigen Tagen hatte Westerwelle bereits gesagt, seine Partei wolle sich auch um Wähler bemühen, die zuvor die Republikaner gewählt hätten. Auf die Stimmen von Rechtsradikalen könne die FDP aber verzichten, hatte er hinzugefügt.
Auf die Frage, ob er sich nicht besser von Möllemann trennen sollte, weil dieser sich nicht bei dem Zentralrat der Juden entschuldigt habe, antwortete Westerwelle: "Ich stehe zu Jürgen Möllemann trotz dieses Fehlers. Meine Erfahrung als Anwalt ist: Man muss den Menschen Brücken bauen." Zu der Debatte, ob die FDP noch ein Koalitionspartner etwa für die SPD sein könne, sagte Westerwelle: "Schröder bleibt für uns ein möglicher Koalitionspartner und wir für ihn garantiert auch."
Die Sozialdemokraten teilten diese Einschätzung jedoch nicht ganz. "Jetzt ist er völlig durchgeknallt", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, am Mittwoch in Berlin. Mit einer Partei, die auf eine solche Strategie setze, sei eine Zusammenarbeit kaum noch vorstellbar.
Die SPD habe zwar die Hoffnung noch nicht endgültig aufgegeben, dass sich bei den Liberalen die "besonnenen Kräfte" doch noch durchsetzten. Wenn aber FDP-Politiker wie Hildegard Hamm-Brücher oder Gerhart Baum ihrer Partei "von der Fahne" gehen sollten, werde dies immer unwahrscheinlicher, sagte Schmidt.
Der SPD-Politiker bedauerte, dass die Union von ihrer Absicht abgerückt sei, zusammen mit der Koalition im Bundestag eine gemeinsame Resolution über die Förderung des jüdischen Lebens zu verabschieden. CDU/CSU wollten nun offenbar aus rein wahltaktischem Kalkül zusammen mit der FDP eine eigene Entschließung vorlegen. SPD und Grüne hatten es abgelehnt, wegen des Antisemitismus-Streits mit der FDP in dieser sensiblen Frage gemeinsame Sache zu machen.
Nach Schmidts Angaben werden sich auch zahlreiche SPD-Abgeordnete bei der für Mittwochnachmittag angekündigten Demonstration gegen antisemitische Strömungen vor der FDP-Zentrale beteiligen. Zu der Kundgebung hat die jüdische Gemeinde zu Berlin aufgerufen. Vorher wird sich der Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit den FDP- Vorgängen befassen.
Nach Ansicht von Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) wird die FDP dagegen aus Angst um ihre Akzeptanz bei den Wählern die Debatte um ihren Vize Jürgen Möllemann und seine als antisemitisch verstandenen Äußerungen beenden.
Die Liberalen würden schon aus einem "Selbsterhaltungstrieb heraus die Diskussion aus der Welt schaffen", sagte Stoiber am Mittwoch in Berlin. Gleichzeitig stellte er die Koalitionsfähigkeit der FDP nicht in Frage. Dies ist "für uns kein Thema". Die internen Probleme würde die FDP regeln. Für die Union sei maßgebend, das was der FDP-Vorstand am vergangenen Freitag in Berlin beschlossen habe und was der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle sage. Der FDP-Bundesvorstand hatte am Freitag in einer "Berliner Erklärung" den Umgang von Möllemann mit dem Zentralrat der Juden bedauert.
Stoiber wollte nicht auf die Frage eingehen, ob eine Koalition für ihn denkbar wäre, wenn Möllemann weiter in der FDP eine Rolle spiele. Er wolle sich nicht zu Personen anderer Parteien äußern. CDU-Chefin Angela Merkel betonte, es gebe ein hohes Interesse der Union, dass die FDP zu den Fragen zurückkehrt, die die Menschen in Deutschland bewegen.