Noch dürfen verschreibungspflichtige Medikamente in Europa nicht beworben werden. Aber die Grenzen sind fließend.
Pepsi, Levis, Ford, dann ein Anti-Depressivum, gefolgt vom Schokoriegel - das ist die ganz alltägliche Reihenfolge von Werbespots im US-Fernsehen. Anders als in Europa darf die Pharmaindustrie in den USA seit 1997 für rezeptpflichtige Medikamente in TV und Radio werben. Mit wachsender Begeisterung buchen die großen Konzerne Sendeminuten für Potenzmittel, Asthmapillen und Cholesterinsenker.
Seit 1999 ist der Werbetat für TV und Radio um 34 Prozent auf heute 2,5 Mrd. $ gestiegen. Die Spots zeigen Wirkung, denn seit es sie gibt, wächst die Nachfrage nach den teuren, verschreibungspflichtigen Pillen und Tropfen bei einem durchschnittlichen Umsatzwachstum von 15 Prozent pro Jahr. Doch die Umsatzsprünge allein machen die Industrie noch nicht selig. Sie rüstet sich für eine neue Ära im Pharma-Marketing: die Kundenbindung durch direkte Kommunikation - auch in Deutschland.
Mit Online und Hotline werden Bayer und andere den Kranken und Gesunden demnächst näher rücken. Die Weichen dazu hat die EU-Kommission letzte Woche gestellt und ihre Vorschläge an das Parlament gegeben. Der Plan: Die Industrie soll zukünftig über die Risiken und Nebenwirkungen ihrer Medikamente informieren dürfen. Mit einem Pilotprojekt für Diabetes, Asthma und Aids wird man in gut zwei Jahren starten. Die zentrale europäische Zulassungsbehörde für Arzneimittel (EMEA) wird darüber wachen, dass nur Informationen, nicht aber Eigenwerbung von den Firmen verbreitet wird. Die Pharmabranche begrüßt die Vorschläge, denn wenn in Zukunft ein intensiverer Kontakt zwischen Patient und Konzern zustande kommt, dann, so hoffen die Hersteller, gelingt über den Informationsaustausch hinaus eine stärkere Bindung zum Patienten - zum Wohle von Image und Umsatz.
Schmaler Grat
Die Politik wird dem keine Steine in den Weg rollen, denn sie fordert vom Einzelnen mehr Eigenverantwortung - bei der Ernährung, Vorsorge und Therapie. Doch der Grat zwischen Information und Werbung ist schmal: "Information und Aufklärung über neue Wege in der Krankheitsbekämpfung führt bei manchen Menschen dazu, dass sie sich um ein verschreibungspflichtiges Medikament bemühen, was sie sonst vielleicht nicht getan hätten", heißt es in einer aktuellen Analyse des US-Pharmakonzerns Pfizer.
Für Pfizer und seine Konkurrenz markiert das Jahr 1997 einen Wendepunkt im Marketing: Vorher hatten die Unternehmen in Radio- und TV-Spots nur auf das konzerneigene Infoangebot im Internet und per Hotline aufmerksam machen dürfen. Doch seit 1997 fallen in amerikanischen Wohnstuben regelmäßig Produktnamen wie Viagra, Allegra und Vioxx. Der US-Konzern Merck steckt 160 Mio. $ in die Werbung, um sein Arthritis-Medikament Vioxx beim breiten Publikum bekannt zu machen. Das allein übersteigt die Werbeausgaben von Pepsico für Cola in den USA. Insgesamt rund 2,5 Mrd. $ haben US-Pharma-Konzerne letztes Jahr in die so genannte Direct-To-Consumer-Werbung (DTC) gesteckt. Das sind 15,7 Prozent des gesamten Pharma-Etats für Public Relations in Höhe von 15,7 Mrd. $.
Erstaunlicherweise verschlingen die Gratispackungen für Ärzte und Kliniken mit 7,9 Mrd. $ den größten Batzen (entsprechend 50,6 Prozent). Und die Armee der Pharmavertreter kostet die horrende Summe von 4,8 Mrd. $ (entsprechend 30,6 Prozent des Gesamtetats). Für die Werbung in Fachzeitschriften blieben in 2000 noch 484 Mio. $, so die Zahlen von IMS Health.
Einfluss auf Patienten
Der Werbefeldzug in TV und Radio nimmt mittlerweile einen messbaren Einfluss auf das Verhältnis von Patient und Arzt, denn auf einmal bestimmt der Patient beim Griff in die Apotheke selber mit. Eine letzte Woche veröffentlichte Studie der Kaiser Family Foundation zeigt, dass rund 30 Prozent der US-Bürger von der Arzneimittel-Werbung dazu ermutigt wurden, mit dem eigenen Arzt über eine bestimmte Erkrankung oder ein konkretes Medikament zu sprechen. Von diesen Patienten wiederum haben 44 Prozent das von ihnen gewünschte Medikament, das sie aus der Werbung kannten, anschließend auch verschrieben bekommen. Anders gesagt: Jeder achte US-Bürger hat sich auf Grund der Werbung ein ganz bestimmtes verschreibungspflichtiges Medikament besorgt. Neben Preissteigerungen und anderen Faktoren hat so die Werbung in den USA dazu beigetragen, dass der Umsatz für verschreibungspflichtige Medikamente im letzten Jahr um 18,8 Prozent auf 132 Mrd. $ gestiegen ist.
Solche Kostenexpolosionen sind ein Albtraum für europäische Gesundheitspolitiker und Versicherungen. Aber US-Verhältnisse werde es in Europa nicht geben, versprechen Kommissions- und Industrievertreter einmütig. Aber eine starke Position beim persönlichen Gesundheitsmanagement per Internet und Hotline ist ja schon mal ein Anfang.
Gruß
Happy End
ftd.de
Pepsi, Levis, Ford, dann ein Anti-Depressivum, gefolgt vom Schokoriegel - das ist die ganz alltägliche Reihenfolge von Werbespots im US-Fernsehen. Anders als in Europa darf die Pharmaindustrie in den USA seit 1997 für rezeptpflichtige Medikamente in TV und Radio werben. Mit wachsender Begeisterung buchen die großen Konzerne Sendeminuten für Potenzmittel, Asthmapillen und Cholesterinsenker.
Seit 1999 ist der Werbetat für TV und Radio um 34 Prozent auf heute 2,5 Mrd. $ gestiegen. Die Spots zeigen Wirkung, denn seit es sie gibt, wächst die Nachfrage nach den teuren, verschreibungspflichtigen Pillen und Tropfen bei einem durchschnittlichen Umsatzwachstum von 15 Prozent pro Jahr. Doch die Umsatzsprünge allein machen die Industrie noch nicht selig. Sie rüstet sich für eine neue Ära im Pharma-Marketing: die Kundenbindung durch direkte Kommunikation - auch in Deutschland.
Mit Online und Hotline werden Bayer und andere den Kranken und Gesunden demnächst näher rücken. Die Weichen dazu hat die EU-Kommission letzte Woche gestellt und ihre Vorschläge an das Parlament gegeben. Der Plan: Die Industrie soll zukünftig über die Risiken und Nebenwirkungen ihrer Medikamente informieren dürfen. Mit einem Pilotprojekt für Diabetes, Asthma und Aids wird man in gut zwei Jahren starten. Die zentrale europäische Zulassungsbehörde für Arzneimittel (EMEA) wird darüber wachen, dass nur Informationen, nicht aber Eigenwerbung von den Firmen verbreitet wird. Die Pharmabranche begrüßt die Vorschläge, denn wenn in Zukunft ein intensiverer Kontakt zwischen Patient und Konzern zustande kommt, dann, so hoffen die Hersteller, gelingt über den Informationsaustausch hinaus eine stärkere Bindung zum Patienten - zum Wohle von Image und Umsatz.
Schmaler Grat
Die Politik wird dem keine Steine in den Weg rollen, denn sie fordert vom Einzelnen mehr Eigenverantwortung - bei der Ernährung, Vorsorge und Therapie. Doch der Grat zwischen Information und Werbung ist schmal: "Information und Aufklärung über neue Wege in der Krankheitsbekämpfung führt bei manchen Menschen dazu, dass sie sich um ein verschreibungspflichtiges Medikament bemühen, was sie sonst vielleicht nicht getan hätten", heißt es in einer aktuellen Analyse des US-Pharmakonzerns Pfizer.
Für Pfizer und seine Konkurrenz markiert das Jahr 1997 einen Wendepunkt im Marketing: Vorher hatten die Unternehmen in Radio- und TV-Spots nur auf das konzerneigene Infoangebot im Internet und per Hotline aufmerksam machen dürfen. Doch seit 1997 fallen in amerikanischen Wohnstuben regelmäßig Produktnamen wie Viagra, Allegra und Vioxx. Der US-Konzern Merck steckt 160 Mio. $ in die Werbung, um sein Arthritis-Medikament Vioxx beim breiten Publikum bekannt zu machen. Das allein übersteigt die Werbeausgaben von Pepsico für Cola in den USA. Insgesamt rund 2,5 Mrd. $ haben US-Pharma-Konzerne letztes Jahr in die so genannte Direct-To-Consumer-Werbung (DTC) gesteckt. Das sind 15,7 Prozent des gesamten Pharma-Etats für Public Relations in Höhe von 15,7 Mrd. $.
Erstaunlicherweise verschlingen die Gratispackungen für Ärzte und Kliniken mit 7,9 Mrd. $ den größten Batzen (entsprechend 50,6 Prozent). Und die Armee der Pharmavertreter kostet die horrende Summe von 4,8 Mrd. $ (entsprechend 30,6 Prozent des Gesamtetats). Für die Werbung in Fachzeitschriften blieben in 2000 noch 484 Mio. $, so die Zahlen von IMS Health.
Einfluss auf Patienten
Der Werbefeldzug in TV und Radio nimmt mittlerweile einen messbaren Einfluss auf das Verhältnis von Patient und Arzt, denn auf einmal bestimmt der Patient beim Griff in die Apotheke selber mit. Eine letzte Woche veröffentlichte Studie der Kaiser Family Foundation zeigt, dass rund 30 Prozent der US-Bürger von der Arzneimittel-Werbung dazu ermutigt wurden, mit dem eigenen Arzt über eine bestimmte Erkrankung oder ein konkretes Medikament zu sprechen. Von diesen Patienten wiederum haben 44 Prozent das von ihnen gewünschte Medikament, das sie aus der Werbung kannten, anschließend auch verschrieben bekommen. Anders gesagt: Jeder achte US-Bürger hat sich auf Grund der Werbung ein ganz bestimmtes verschreibungspflichtiges Medikament besorgt. Neben Preissteigerungen und anderen Faktoren hat so die Werbung in den USA dazu beigetragen, dass der Umsatz für verschreibungspflichtige Medikamente im letzten Jahr um 18,8 Prozent auf 132 Mrd. $ gestiegen ist.
Solche Kostenexpolosionen sind ein Albtraum für europäische Gesundheitspolitiker und Versicherungen. Aber US-Verhältnisse werde es in Europa nicht geben, versprechen Kommissions- und Industrievertreter einmütig. Aber eine starke Position beim persönlichen Gesundheitsmanagement per Internet und Hotline ist ja schon mal ein Anfang.
Gruß
Happy End
ftd.de