Wer spekuliert, ist selber schuld

Beiträge: 19
Zugriffe: 2.095 / Heute: 1
Dixie:

Wer spekuliert, ist selber schuld

 
22.08.01 14:45
Wer spekuliert ist selber schuld

Gericht weist Klage eines Aktionärs ab, der sich auf Ad-hoc-Mitteilungen verließ und Verluste machte.

Erstmals standen diese Ad-hoc-Nachrichten auf dem Prüfstand des Landgerichts München I.
Ein Münchner hatte zwei Manager der Firma Infomatec auf Schadenersatz verklagt, weil er
sich angeblich durch deren positive Ad-hoc-Meldungen zum Aktienkauf veleiten ließ.
Das Wertpapier war dann eingebrochen und hatte ihm herbe Verluste beschert. In einem
richtungsweisenden Urteil wurde diese Klage jedoch abgewiesen.

Sinngemäß geht es vor allem um folgenden Sachverhalt: Die Infomatec AG hatte damals ad hoc
unter anderem den Abschluss eines Geschäfts mit dem Unternehmen MobilCom über ein Auftragsvolumen
von "mindestens 55 Millionen Mark" verkündet: Dieser Betrag bezog sich auf 100 000 so genannte
Settop-Boxen, die MobilCom angeblich von der Infomatec kaufen wollte. Die MobilCom hat dann aber
nur 14 000 Boxen abgenommen - die Abnahme weiterer Geräte war in Form eines Rahmenvertrages
lediglich "nicht grundsätzlich ausgeschlossen".

Die Aktie von Infomatec, die schon mehr als 230 Euro gekostet hatte, war innerhalb weniger Monate
in den einstelligen Bereich abgestürzt: Über das am Neuen Markt notierte Softwareunternehmen
musste schließlich das Insolvenzverfahren eröffnet werden. Der Münchner klagte auf 30.000 Mark
Schadensersatz. Begriffe in den Selbstdarstellungen wie "Marktführerschaft" oder "Technologievorsprung"
bzw. "IT-Vordenker" hätten ihn ebenso in die Kauffalle gelockt, wie Falschmeldungen der geschilderten Art.

Die 12 Zivilkammer stellte nun jedoch fest, dass sich solche Ad-hoc-Meldungen nicht an das breite

Anlegerpublikum richten, sondern nur an professionelle Handelsteilnehmer. Die im Rahmen der Selbstdarstellung
eines Unternehmens verwendeten Begriffe entsprächen dem auf Anpreisung angelegten Vokabular der Branche
und besäßen keinen konkreten Inhalt - der Profi wisse das. Ad-hoc-Mitteilungen müssten ohnehin nur die
wesentlichen Gesichtspunkte eines Geschäfts beinhalten, nicht jedoch Details eines Vertrages. Diese
Mitteilungen seien daher nicht mit einem Prospekt zu vergleichen.

"Geschäftsübliche Umschreibungen, die beim Anleger die allgemeine Vorstellung hervorrufen, das Unternehmen
´gutes Geschäft´ gemacht, genügen für eine betrügerische Täuschungshandlung nicht", sagen die Richter.
Des weiteren müsse durch den Kauf der Aktien ein Schaden entstanden sein - das Spekulationsrisiko, das
allgemein mit dem Erwerb von Aktien insbesondere des Neuen Marktes verbunden sei, reiche allein nicht aus.

Soweit einzelne Ad-hoc-Meldungen missverständlich oder gar unrichtig seien, habe der Kläger nicht nachweisen
können, dass die beklagten Manager vorsätzlich gehandelt hätten. Zum Nachweis des Betruges gehöre nun mal,
dass ein Betrüger vorsätzlich handle und einen unmittelbaren Vermögensvorteil durch seine Tat habe.
Davon könne aber keine Rede sein, " wenn der Vorstand einer Akteingesellschaft nur deshalb begünstigt ist,
weil die Aktien des Unternehmens im Kurs steigen".

Ebenso wenig hat der Kläger nach Meinung des Gerichts beweiskräftig darlegen können, dass die Aktien
Nur auf Grund der angeblich falschen Ad-hoc-Meldungen überhöht gewesen seien und nicht, weil der
Neue Markt grundsätzlich boomte (Az.: 12 O 10157/01).
Ende des Artikels.
Dixie:

Diese Begründung ist unübertrefflich

 
22.08.01 14:50
"Die 12 Zivilkammer stellte nun jedoch fest, dass sich solche Ad-hoc-Meldungen nicht an das breite
Anlegerpublikum richten, sondern nur an professionelle Handelsteilnehmer. Die im Rahmen der Selbstdarstellung
eines Unternehmens verwendeten Begriffe entsprächen dem auf Anpreisung angelegten Vokabular der Branche
und besäßen keinen konkreten Inhalt - der Profi wisse das."

Wenn wir Kleinanleger-Dummköpfe also die Aussagen in einer Ad-Hoc für zutreffend halten, sind wir selbst schuld, wenn wir belogen werden. :-((( Klasse!
ecki:

Ist das der gleiche Richter wie neulich?

 
22.08.01 15:32
Der eine Mitschuld am Verkehrsunfall sah, weil ein anderer durch sein korrektes Fahrverhalten irritiert war?
Karlchen_I:

Ist doch Bayern..................

 
22.08.01 15:37
Da gibt es sowas. Da wird ein Minister vom Meineid freigesprochen, weil er an einer Überfunktion der Schilddrüse, da verschindet eine Festplatte aus der Staatsanwaltschaft spurlos, die bei FJStrauß junior sichergestellt wurde usw.

Einfach nicht wundern.
n1608:

Karlchen hast ja Recht aber....

 
22.08.01 15:51
wenn ich so etwas lese würde ich am liebsten persönlich vorbeifahren, dem richter mit einem hammer den kopf einhauen und mich anschließend auf die argumentation zurückziehen, dass der richter selber schuld ist, wenn er so eine scheiße verzapft.

das kann ja wohl wirklich nicht wahr sein. ein kleiner einzelhändler muß seine ware nur ein bißchen zu offensiv vermarkten, ruck zuck bekommt er eine abmahnung reingedrückt. und hier? betrug, verarsche, organisierte kriminalität, verhöhnung u.s.w. - aber das ist nicht ausreichend.

scheiß korrupte, gestopfte juristen !!!  
Dixie:

Und die Deutsche Börse gibt sich alle Mühe

 
22.08.01 15:58
die Ad-Hoc Regeln zu verschärfen. Warum eigentlich? Ist doch eh egal.
Die Schnabels, Domeyers, Haffas etc. können sich jetzt gemütlich zurücklehnen, denn die Kleinanleger sind ja schließlich selber schuld.  
redcrx:

Aus Deutschland wird nie ein Land mit Aktienkultur

 
22.08.01 20:28
werden, so lange Urteile mit solchen Begründungen an der Tagesordnung sind.


Kernaussagen dieses Urteils:

A) Firmen dürfen sich selbst beweihräuchern so viel sie wollen ( Hallo Endemann!!! ).

B) Inhalte in Ad-Hocs sind nur sekundär, es reicht der Hauch eines Wahrheitsgehaltes ( Hallo Metabox ).

C) Firmenvorstände etc. dürfen Aktionäre bescheissen, so lange man nichts Konkretes beweisen kann ( Hallo Haffa, Heyde, usw. ).

D) Kleinanleger sind zu doof um A, B und C zu realisieren, das können nur Profis kapieren.

E) ergo: Kleinanleger haben an der Börse nichts zu suchen.


Ich wünsche diesem Richter, daß er irgendwann einmal nach Strich und Faden besch... wird.

 r.
Dixie:

*lol*

 
23.08.01 08:57
Ich habe ein Fax an die Deutsche Börse AG geschickt und gefragt, was sie dazu meinen. Falls eine Antwort kommen sollte, stelle ich sie hier rein.
Dixie:

Ermittlungen wg Insiderhandel bei EMTV eingestellt

 
23.08.01 10:37
Ermittlungen wegen Insiderhandels bei EM.TV werden eingestellt

 
Die Staatsanwaltschaft München wird ihr Ermittlungsverfahren gegen den früheren Finanzvorstand des Münchner Medienkonzerns EM.TV, Florian Haffa, teilweise einstellen. Der Verdacht auf Insiderhandel habe sich nicht aufrecht erhalten lassen, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Manfred Wick der 'Financial Times Deutschland'. "Die Tatsache ist feststehend, dass sich der Verdacht nicht verfestigt hat." Die Staatsanwaltschaft prüft aber noch, ob Florian Haffa und der frühere EM.TV-Vorstandschef Thomas Haffa gegen das Aktiengesetz verstoßen haben. Mit einem Ergebnis der Ermittlungen rechnet Wick "in Kürze".

Die Staatsanwaltschaft München hatte Ende vergangenen Jahres die Ermittlungen gegen die früheren EM.TV-Vorstände aufgenommen. "Es gab zunächst den Anfangsverdacht, dass Florian Haffa in Kenntnis von Insiderinformationen Aktien verkauft hat", sagte Wick. Nun werde noch untersucht, ob die beiden Ex-EM.TV-Vorstände unter anderem die Verhältnisse und den Vermögensstand des Konzerns falsch dargestellt hätten, sagte Wick. Das Aktiengesetz sieht dafür eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor. (as)  
sir charles:

@dixie

 
23.08.01 10:50
EMTV da haben wir es wieder man darf ungestraft machen was man will, Haffa
wird sich dumm und deppert lachen und sitzt mit seinen Millionen irgendwo
und schlürft Sekt mit Austern und denkt sich Aktionäre sind schon dumm.

Zum kotzen
Wer wird dann jemals verurteilt?????
Ist doch wie ein Freibrief für alle.
Machen wir doch auch eine AG auf, schicken eine Adhoc nach der anderen raus
mal ne schlechte wenn wir kaufen wollen und eine gute wenn wir verkaufen wollen
dann brauchen wir uns nicht mehr so abmühen...
schweinereiiiiiiiiiiiiiiiiii
ecki:

Könnte es sein, dass sie ein Arschloch sind?

 
23.08.01 11:24
Jener Richter ist wahrscheinlich durch diese Frage nicht beleidigt, solange man sie nicht selbst beantwortet.

Dixie, die Stellungnahme der Dt. Börse interessiert mich auch.
Dixie:

Und der Richter kennt auch scheinbar dieses

 
23.08.01 17:45
laufende Verfahren wegen Ad-Hoc Betruges nicht.

Neue Vorstände von Infomatec legen Amt nieder

rtr MüNCHEN. Die beiden neuen Vorstände der vor der Insolvenz stehenden Infomatec AG, Helmut Schiner und Karl Gruns, sind zurückgetreten. Ein neuer Vorstand sein noch nicht bestellt, teilte das am Neuen Markt notierte Unternehmen am Donnerstag mit. Die früheren Vorstände Gerhard Harlos und Alexander Häfele waren wegen des Verdachts auf Kursmanipulation festgenommen worden.

Staatsanwalt wirft Vorgängern Millionenbetrug vor

Die Staatsanwaltschaft Augsburg wirft den beiden verhafteten Vorständen der Infomatec Integrated Information Systems AG, Augsburg, Gerhard Harlos und Alexander Häfele, einen Betrug in Millionenhöhe vor.

Wie die Behörde mitteilte, wird ihnen zur Last gelegt, für eine unzutreffende Ad-hoc-Meldung vom 29. Dezember 1998 über einen Großauftrag verantwortlich zu sein, die den Aktienkurs von 167,00 Euro auf 290,80 Euro steigen ließ. Als Mehrheitsaktionäre sollen sie sodann zwischen dem 29. Januar und 17. Februar 1999 in sieben Tranchen insgesamt je 62 500 Aktien für eigene Rechnung über eine Bank verkauft haben und hierdurch einen Erlös von jeweils circa 28 Mill. DM erzielt haben.

HANDELSBLATT, Donnerstag, 23. August 2001


 
Depothalbierer:

Die Lehren daraus sind:

 
24.08.01 10:25
Kaufe am NM nur nach schlechten Zahlen, schlechten Nachrichten und nach Pleiten. Natürlich nicht sofort, sondern wenn der Kurs drastisch gefallen ist.
Das funktioniert zur Zeit ganz gut.

MfG  DH
Sitting Bull:

Verwunderlich ist dieses unverständliche

 
24.08.01 10:44
Urteil auch im Zusammenhang des Berichts der Expertenkommission "Corporate Governance" der Bundesregierung. In epischer Breite werden dort auf 200 Seiten selbstverpflichtende Verhaltensregeln für börsennotierte Gesellschaften dargelegt. Welchen Zweck erfüllen diese ganzen Lippenbekenntnisse, wenn es keine Sanktionen gibt? Also wieder ein zahnloser Papiertiger, wie das WPHandG, BörsG, usw. usw.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass in den USA so etwas möglich ist. Gute Nacht, Deutschland.
Dixie:

zunächst mal Standardartwort

 
28.08.01 09:55
Sehr geehrte Damen und Herren,

wir nehmen Bezug auf Ihre Anfrage vom 22.8.2001.

Wir möchten Ihnen mitteilen, dass Ihre Anfrage intern zur Beantwortung
weitergeleitet wurde. Wir werden uns schnellstmöglich wieder bei Ihnen
melden.


Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung; als Referenz nennen
Sie uns bitte die in der Betreffzeile aufgeführte Call-ID.

Mit freundlichen Grüßen

Marina Burnett
Deutsche Börse AG
Information Products
System Design & Business Operation
Hotline
60485 Frankfurt / Main
Germany
Tel.: +49-69-21 01-18 00
Fax: +49-69-21 01-45 01
E-Mail: ip.hotline@deutsche-boerse.com

Die Deutsche Börse AG übernimmt keine Haftung für die Richtigkeit,
Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten
Information. Verletzt die Deutsche Börse AG eine ihr im Zusammenhang mit
der Informationserteilung obliegende Pflicht vorsätzlich oder grob
fahrlässig, so haftet sie für den daraus entstandenen unmittelbaren
Schaden. Darüber hinaus haftet sie auch für die leicht fahrlässige
Verletzung wesentlicher Pflichten. Die Haftung für die leicht fahrlässige
Verletzung wesentlicher Pflichten ist der Höhe nach auf den Schaden
begrenzt, dessen Eintritt typischerweise vorhersehbar war. Im übrigen ist
die Haftung ausgeschlossen.

Dixie:

Das nächste Skandalurteil kündigt sich an

 
30.08.01 11:44
Wie schuldfähig ist FlowTex-Chef?

Im milliardenschweren FlowTex-Skandal kommt der Hauptangeklagte Manfred Schmider (Foto) zur psychiatrischen Behandlung vorübergehend in ein Krankenhaus. Die Verlegung ist auf 14 Tage befristet und soll klären, ob Schmiders vermuteter Größenwahn (Megalomanie) seine Schuldfähigkeit beeinträchtigt, sagte ein Sprecher des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe. Der Prozess im bislang größten deutschen Fall von Wirtschaftskriminalität beginnt am 25. September.

Quelle: Rhein-Zeitung 30.08.2001


MEGALOMANIE - auch nicht schlecht als Begründung für Betrug. Würde auf so manchen NM-Unternehmenlenker auch ganz gut passen, oder? ;-)
ecki:

Danke Dixie.

 
30.08.01 11:51
Mit Megalomanie lässt sich alles entschuldigen?

Freiheit für alle!

Niemand die Verantwortung. Ja super.
Dixie:

Und sie bewegt sich doch!

 
24.09.01 12:22
Montag 24. September 2001, 11:21 Uhr

Erstmals Schadensersatz für Neuen-Markt-Aktionär
Gericht verurteilt Infomatec-Vorstände zu Zahlung von 100.000 Mark wegen falscher Ad-hoc-Mitteilungen
Augsburg (AP) Erstmals hat ein deutsches Gericht einem Kleinaktionär eines am Neuen Markt notierten Unternehmens Schadensersatz zugesprochen. Die Kammer des Augsburger Landgerichts verurteilte am Montag die ehemaligen Vorstände der Infomatec AG, Gerhard Harlos und Alexander Häfele, dazu, einem Metzgermeister aus dem Ruhrgebiet den Kaufpreis von rund 100.000 Mark (gut 50.000 Euro) für Aktien des inzwischen im Insolvenzverfahren befindlichen Unternehmens zurückzuzahlen.

Die beiden Chefs seien dafür persönlich verantwortlich, dass in den Ad-hoc-Mitteilungen bewusst unwahre Angaben gemacht worden seien, erklärte der Vorsitzende der Kammer. In der laut Gericht reißerisch formulierten Mitteilung vom Mai 1999 habe Infomatec einen Auftrag von Mobilcom von über 55 Millionen Mark angekündigt, obwohl lediglich ein Wert von neun Millionen Mark vertraglich fixiert worden sei. Für den Rest habe nur eine Absichtserklärung vorgelegen. Dem Kleinanleger, der auf Grund dieser Mitteilung für rund 100.000 Mark Aktien des Unternehmens erworben habe, treffe daher keine Mitschuld an seinen Verlusten, da er zu Recht von einer erheblichen Umsatzsteigerung ausgegangen sei.

Der Rechtsanwalt Klaus Rotte, dessen Kanzlei rund 200 weitere Aktionäre des Augsburger Medienunternehmens vertritt, sprach von einem historischen Urteil, da erstmals in der 120-jährigen Geschichte des deutschen Aktienrechts ein Kleinanleger Schadenersatzansprüche wegen unzutreffender Unternehmensangaben habe durchsetzen können. «Das ist ein großer Tag, da das Vertrauen in die Märkte wieder zurückkommt», sagte er. Das Urteil habe Signalwirkung auch auf andere Verfahren gegen am Neuen Markt notierte Unternehmen. Rotte kündigte weitere Verfahren auch gegen andere Aktiengesellschaften an.

Dixie:

Größenwahn vor Gericht

 
26.09.01 08:43
JUSTIZ


Big Money


Seit gestern wird der größte Betrugsfall der deutschen Wirtschaftsgeschichte vor dem Mannheimer Landgericht verhandelt. Es geht um Flowtex, um Größenwahn, um vier Milliarden Mark und die Frage: Wer half den Angeklagten? Auch die Politik könnte eine wichtige Rolle gespielt haben.


JENS KOENEN, Mannheim
HANDELSBLATT, 26.9.2001

Abrupt erstirbt das Stimmengewirr, als sich die kleine Seitentür des Saals im Landgericht Mannheim öffnet. Die Stille hält wenige Sekunden, dann bricht ein Gewitter blitzender und laut klackender Kameras los. Vor allem zwei der Männer, die den Raum betreten, ziehen die Fotografen in ihren Bann. Es sind Manfred Schmider und Klaus Kleiser, die beiden früheren Eigner der Pleitefirma Flowtex aus Ettlingen bei Karlsruhe. Zusammen mit dem Ex-Finanzchef von Flowtex, Karl Schmitz, sowie der Geschäftspartnerin Angelika Neumann sollen sie jahrelang Banken und Leasinggesellschaften geprellt haben.

Jetzt sitzen die vier nebeneinander auf der Anklagebank, teils schwer gezeichnet von der 18-monatigen Untersuchungshaft. Vor allem dem ehemaligen Schwergewicht „Big Manni“ Schmider sind die Tage in der Zelle anzusehen. Der blaue Anzug schlabbert an allen Ecken und Enden, der einst mächtige Bauchumfang ist deutlich geschrumpft. „43 Kilo hat er verloren“, flüstert einer der Verteidiger seinem Kollegen zu.

Als die Kameraleute abgezogen sind, wird es still um Schmider und Co. Es schlägt die Stunde der Verteidiger. Der Schmider-Anwalt fordert gleich zu Beginn die Ablösung der Richter wegen fehlender Unparteilichkeit und die Aussetzung der Verhandlung. Die vom Richter angeordnete und später vom Oberlandesgericht Karlsruhe widerrufene Einweisung in eine Psychiatrie habe seinem Mandaten geschadet und eine Vorbereitung auf den Prozess erschwert, wettert Wolf Schiller.

Immer wieder unterbricht der Vorsitzende Richter Michael Meyer die ausschweifend vorgetragenen Anträge Schillers und die anschließenden Wortgefechte mit Staatsanwalt Reinhard Hoffmann. „Die Verhandlungsleitung habe ich, Herr Dr. Schiller“, ermahnt Meyer den Schmider-Verteidiger. Der kontert umgehend: „Ihr Versuch, mich zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu disziplinieren, wird erfolglos bleiben“, entgegnet Schiller.

Von Schmider, Kleiser und den anderen ist an diesem Tag so gut wie nichts zu hören. Was sollen sie auch sagen? Bis auf Finanzchef Schmitz haben alle gestanden. Die Fakten des größten und kaltschnäuzigsten Betrugsfalles in der deutschen Wirtschaftsgeschichte sind weitgehend bekannt.

Der strafrechtliche Schaden, den Schmider und Co. angerichtet haben, wird von der Staatanwaltschaft auf über vier Milliarden Mark beziffert, ergaunert durch den Verkauf und die Vermietung von speziellen Bohrgeräten, die es gar nicht gab – Big Money. Aber wie war es möglich, dass der Betrug über Jahre nicht aufflog? Angeblich merkten weder Betriebsprüfer, Steuerfahnder noch Wirtschaftsprüfer etwas von dem Schwindel. Den Angeklagten wäre es sogar fast noch gelungen, eine Anleihe über 250 Millionen Euro an den Mann zu bringen.

„Das funktionierte nur, weil alle mitgemacht oder weggesehen haben“, sagt ein Anwalt, der den Prozess beobachtet. Nahrung für derlei Spekulationen gibt es reichlich. Da ist der Anruf eines Beamten, der Schmider angeblich kurz vor dessen Verhaftung zu einem längeren Auslandsaufenthalt überreden wollte. Da sind aber auch drei Anzeigen gegen Schmider und Kleiser aus dem Jahr 1996. Unter anderem hatte ein ehemaliger Betriebsleiter von Flowtex auf „Differenzen“ bei der Anzahl der Bohrsysteme aufmerksam gemacht. Doch die Hinweise blieben folgenlos. Eine Anzeige staubte bei einem Steuerfahnder jahrelang in einer Schublade zu, ohne an den Staatsanwalt gegeben zu werden. Die Anklagebehörde hat ihre Ermittlungen deshalb vor einigen Wochen auch auf Beamte der Steuerfahndung ausgedehnt.

War es nur Schlamperei oder Absicht? Ein Vermerk eines Beamten der Steuerfahndung aus dem Jahre 1996 könnte Hinweise auf eine Antwort liefern. Er schrieb im Zusammenhang mit „weiteren Abklärungen“ über die „große regional- und landespolitische Bedeutung“ des ehemaligen Militärflughafens Söllingen. In den heute als Baden-Airport bekannten Flughafen steckten Schmider und Kleiser 40 Millionen Mark.

Ob am Ende tatsächlich die Politik ihre schützenden Hände über Schmider und Kleiser gehalten hat, ist ungewiss. Fakt ist freilich, dass das Geschäftsduo über zahlreiche Kontakte in die Politik verfügte. Spenden flossen, und auf den üppigen Feten von „Big Manni“ fanden sich viele Größen der baden-württembergischen Landesparteien ein. Die Schmiders galten etwas, nicht nur in Karlsruhe. Für den Weg von seiner 13 Millionen Mark teuren Villa in Karlsruhe-Durlach in die nahe gelegene Flowtex-Zentrale nahm Schmider gerne den Hubschrauber. „Megalomane Selbstdarstellungszwänge“ hat der psychiatrische Gutachter bei ihm vermutet.

Viele seiner Mitspieler und ihre Rollen sind bislang nur schemenhaft zu erkennen. Das gilt vor allem für Mohammed Yassim Dogmoch. Der deutsch-syrische Geschäftsmann, gegen den ein internationaler Haftbefehl vorliegt, soll bei der Erstellung der Scheinrechnungen für die Bohrgeräte mitgewirkt haben. Dogmoch selbst sieht sich freilich als Opfer und nicht als Täter.

Im bedrückenden, fensterlosen Saal des Landgerichts steht nur das Top-Management von Flowtex vor Gericht, obwohl allein die Staatsanwaltschaft Mannheim 33 Ermittlungsverfahren eröffnet und 42 Beschuldigte auf ihre Liste gesetzt hat. Für die Kammer um Richter Meyer wird es schwierig werden, sich bis auf den Grund der Wahrheit vorzubohren – trotz 63 Prozesstagen und 87 geladenen Zeugen.

Der Prozess in Mannheim soll bis März dauern. Er wird nicht der letzte im Fall Flowtex sein.



HANDELSBLATT, Mittwoch, 26. September 2001

Es gibt keine neuen Beiträge.


Börsen-Forum - Gesamtforum - Antwort einfügen - zum ersten Beitrag springen
--button_text--