DER SPIEGEL 16/2001
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Geldanlage
Heißer Hebel
Hoch spekulative Hedge-Fonds haben die Weltwirtschaft schon einmal an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Jetzt wollen die Banken die Risikoanlagen auch an Kleinanleger verkaufen.
Im August 1998 erhielt Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer einen Anruf von Alan Greenspan, dem Präsidenten der amerikanischen Zentralbank. Greenspan, den viele für den mächtigsten Mann der Weltwirtschaft halten, bat um Hilfe.
Der Hedge-Fonds Long-Term Capital Management (LTCM), dem Anleger rund sechs Milliarden Dollar anvertraut hatten, hatte sich mit Anleihen verspekuliert. Da für die Banken zusätzliche Mittel von rund 90 Milliarden Dollar auf dem Spiel standen, fürchtete Greenspan einen Dominoeffekt, wenn LTCM Pleite gehen würde. Die Auswirkungen hätten auch die Realwirtschaft erreicht und wahrscheinlich Tausende Arbeitsplätze gekostet.
Schließlich ließen sich 14 Investmentbanken und Brokerhäuser, darunter die Deutsche Bank, zwangsverpflichten und übernahmen über ein Konsortium für mehrere Milliarden Dollar 90 Prozent des LTCM-Kapitals sowie die operative Führung: Der drohende Kollaps des Weltfinanzsystems war damit verhindert - bis auf weiteres.
Die großen Risiken blieben. Denn hoch spekulative Fonds gibt es immer noch, sogar mehr denn je. Etwa 5000 sind es insgesamt, wobei Fachleute die Abgrenzungen unterschiedlich definieren. "Hedge Funds are hot again", titelte das US-Wirtschaftsmagazin "Business Week". Um rund 130 Milliarden Dollar stieg das Vermögen solcher Fonds seit 1998 weltweit, insgesamt verfügen sie über gut 450 Milliarden Dollar.
Auch John Meriwether, einer der Gründer der LTCM, ist wieder im Geschäft. Er hat bei seinen Investoren Abbitte geleistet, sich dem Power-Yoga zugewandt und versprochen, ein wenig vorsichtiger zu sein. Künftig will er nicht mehr ganz so viel auf Pump spekulieren und nur noch das Zehnfache seines Eigenkapitals einsetzen.
Ausgerechnet der Börsencrash auf Raten, der die Anleger weltweit heimsucht, sorgt bei den Hochrisikoanlagen für Zulauf. Denn sie können im Gegensatz zu den meisten normalen Fonds auch Geld verdienen, wenn es an den Börsen richtig in den Keller rauscht.
Ursprünglich wurden Hedge-Fonds entwickelt, um Investitionen und Fremdwährungsgeschäfte nach unten abzusichern (to hedge). Doch in den vergangenen Jahren entwickelten sich die Fonds zu immer größeren Wetten darauf, wie sich Aktien, Zinsen oder Währungen in Zukunft entwickeln würden.
Wenn Fonds-Manager mit Kursrückgängen rechnen, wenden sie die so genannte Short-Strategie an. Sie leihen sich in großem Stil Aktien, die sie für die künftigen Verlierer halten. Die geliehenen Aktien werden direkt zu Marktpreisen weiterverkauft. Wenn die Kurse dann tatsächlich gefallen sind, lassen sich die Wertpapiere wieder billiger zurückkaufen, um sie dann dem Leihgeber zurückzugeben.
Der besondere Charme dieser Geschäfte auf Pump besteht darin, dass die Fonds-Manager ihren Kapitaleinsatz klein halten können. Sie müssen nur die Leihgebühr finanzieren. Mit relativ kleinem Kapitaleinsatz können sie Riesensummen bewegen.
Aus dem gleichen Grund lieben HedgeFonds-Manager Spekulationen auf Kredit. Statt beispielsweise nur eine Million Euro des Fonds-Kapitals auf die Kurserholung der Siemens-Aktie zu setzen, lässt sich mit Hilfe von Fremdkapital der Einsatz verzehnfachen. Wenn die Siemens-Aktie tatsächlich um zehn Euro nach oben geht, beträgt der Gewinn 100 Millionen Euro statt der 10 Millionen Euro, die ein normaler Investor erzielen würde.
Dieser heiße Hebel verzehnfacht allerdings auch die Verluste, wenn der Kurs fällt. Deshalb sind diese Fonds nicht nur für die Anleger gefährlich, sondern für die gesamte Volkswirtschaft: Wenn die Risikogeschäfte immer mehr ausufern, wächst die Gefahr, dass ganze Geldhäuser, die gern in diese Fonds investieren, zusammenkrachen und andere mit in den Abgrund reißen. Eine Bankenkrise wäre die Folge - mit schweren Erschütterungen für die gesamte Weltwirtschaft.
Die Gesetzgeber in den meisten Ländern der Welt haben den Hochrisikoanlagen deshalb enge Grenzen gesetzt - oder Hedge-Fonds gleich ganz verboten. Das konnte die Geschäfte allerdings nicht aufhalten: Hedge-Fonds haben ihre Firmensitze außer in den USA vornehmlich auf den Bermudas, den British Virgin Islands oder den Cayman Islands. In diesen Steuerparadiesen können sie mit den eingesammelten Milliarden tun und lassen, was sie wollen, keiner kontrolliert, was sie mit dem Geld der Anleger anstellen.
Nur an Investoren, die über mindestens eine Million Dollar Anlagekapital verfügen und als erfahren gelten, dürfen in den USA solche Risikofonds vertrieben werden. Diese Großinvestoren sollten wissen, was sie tun, mutmaßt der amerikanische Gesetzgeber.
In Deutschland operieren Hedge-Fonds in einer gesetzlichen Grauzone. Bisher waren sie kaum ein Thema, weil die deutschen Banken aus Imagegründen nicht gern mit dem "hot money" in Verbindung gebracht werden wollten.
Doch diese Hemmungen sind längst gefallen. Alle großen Banken haben HedgeFonds-Produkte aufgelegt - und sie zielen dabei, im Gegensatz zu den USA, zunehmend auf Privatanleger.
Im vergangenen Herbst sammelte die Deutsche Bank bei ihren vermögenden Privatkunden auf einen Schlag 1,8 Milliarden Euro für ihr Xavex HedgeSelect ein. Dieses börsennotierte Investmentzertifikat basiert auf einem Index verschiedener Hedge-Fonds, in die die Deutsche Bank mit den Anlagegeldern investiert.
"Der Erfolg war phantastisch", freut sich Deutsche-Bank-Vorstand Michael Philipp. Seine Geldmanager mussten sich hektisch auf die Suche nach weiteren Hedge-Fonds begeben, da zunächst nur Fonds-Anteile im Wert von einer Milliarde Euro von den Marketingleuten avisiert waren.
Als die Deutsche Bank Bankers Trust übernahm, erbte sie auch ein größeres Hedge-Fonds-Geschäft. Doch den Frankfurtern war das Erbe nicht ganz geheuer, zunächst wurden die Risiken deutlich nach unten gefahren.
Mittlerweile hat die größte deutsche Bank ihre Zurückhaltung aufgegeben. Insgesamt drei Milliarden Dollar werden von ihrer Absolute Returns Group in New York verwaltet. Neben Anlegergeldern steckt auch "in erheblichem Umfang eigenes Geld in den Fonds", berichtet Ray Nolte, der die Spezialisten in New York leitet. Schließlich müsse man den Investoren zeigen, wie groß das Vertrauen in die Produkte sei.
Anfang März mühten sich auch die Geldmanager der HypoVereinsbank im Münchner Luxushotel Bayerischer Hof, deutsche Versicherungsgesellschaften und Pensionsfonds von ihren verschiedenen Hedge-Fonds-Produkten zu begeistern. "Zweistellige Renditen und geringes Risiko" verspricht Peter Neumayer seinen Klienten.
Früher kümmerte sich der Bankmanager um die Eigenanlagen der heute zweitgrößten deutschen Bank. Nun managt Neumayer den Lion Global Opportunity Fund, der seinen Sitz auf den Bermudas hat und nur auf institutionelle Kunden abzielt. Die Bank ist mit 25 Millionen Euro zaghaft dabei. Bei Privatanlegern will die HypoVereinsbank in diesem Bereich demnächst auch Geld einsammeln.
Die Bankmanager werben mit der guten Wertentwicklung vieler Hedge-Fonds im vergangenen Jahr. Während nahezu alle großen Aktienindizes im Jahr 2000 ein dickes Minus verzeichneten, konnten über zwei Drittel der in der amerikanischen Anlegerzeitschrift "Barron's" verzeichneten Fonds stattliche Renditen von über acht Prozent erzielen. Der Spitzenreiter Pinnacle Equity Fund erwirtschaftete eine Rendite von 456 Prozent.
Wann immer die Manager der Hedge-Fonds Ungleichgewichte an den Märkten wittern, sind sie zur Stelle. So platzierten die Hedge-Fonds-Manager von Pequot Capital Management Ende vergangenen Jahres eine riesige Wette im Markt, dass die Technologieaktien weiter fallen würden. Pequot Capital gewann innerhalb weniger Wochen mehrere Milliarden Mark, weil die Kurse von Microsoft und Co. tatsächlich in den Keller sausten. Die Wertentwicklung der Pequot-Fonds, bei denen insgesamt rund 15 Milliarden Dollar investiert sind, lag durch diese große Wette im Jahr 2000 bei plus 35 Prozent.
Andere Fonds spezialisieren sich darauf, bei Fusionsverhandlungen Ungleichgewichte in der Börsenbewertung der beteiligten Unternehmen auszuloten.
Als die amerikanische Bank Chase Manhattan im September 2000 J. P. Morgan übernahm, lag der Unterschied zwischen der Kaufofferte und dem Marktpreis der J.-P.-Morgan-Aktien zwischenzeitlich bei 16 Prozent. Ein Hedge-Fonds-Manager, der die Wertdifferenz ausnutzte, konnte einen schnellen Gewinn erzielen. Viele Hedge-Fonds kauften Mannesmann-Aktien, als Vodafone Übernahmeinteresse signalisierte. "Normalerweise wird das Zielobjekt einer Übernahme gekauft und der Übernehmer verkauft", erläutert Hedge-Fonds-Spezialist Ray Nolte.
Weil der Düsseldorfer Mischkonzern letztlich in die Hände des britischen Mobilfunkriesen überging, wurde dies zu einem Milliardengeschäft für die internationalen Hedge-Fonds-Manager. Wenn der Deal allerdings nicht zu Stande gekommen wäre, hätten viele aus der Riege Riesensummen verloren. Der Einsatz von Fremdkapital wirkt eben wie ein Hebel, der die Gewinne, aber eben auch die Verluste nach oben treibt.
Gern versuchen die Fonds-Manager, ihren Produkten ein konservativeres Image zu geben. Der Trend geht zu Hedge-Fonds, die in verschiedene Unterfonds investieren.
"Wir sind die langweiligen Jungs", sagt Patrick Harrigan. Er ist einer, der sich die teuren Cayman Islands nicht nur als Briefkastenadresse leisten kann. Harrigan agiert als einer der Chefs von Oxford Advisors, die über eine Milliarde Dollar eingesammelt haben und in etwa 20 verschiedene Hedge-Fonds investieren, um die Risiken zu minimieren. 25 Prozent Rendite seien bei ihm nicht drin, meint Harrigan, allenfalls 12 bis 15 Prozent.
Seit die Märkte verrückt spielen, hat das Interesse an seinen Fonds sprunghaft zugenommen. Versicherern reicht das Versprechen, dass eine positive Rendite sehr wahrscheinlich ist. "Die Großinvestoren sind viel konservativer als die Kleinanleger", sagt Harrigan.
Der Amerikaner investiert gern in kleine Hedge-Fonds, die die Renditedifferenzen zwischen verschiedenen Anlegerklassen ausnutzen. Sie legen beispielsweise in Wandelanleihen eines Unternehmens an und verkaufen gleichzeitig die vorher geliehenen Aktien an dem Unternehmen, wenn sie der Überzeugung sind, dass ein Ungleichgewicht in der Bewertung existiert.
Für die Kleinanleger wollen die Banken das Risiko mit Hilfe spezieller Kapitalkonstruktionen ("Fund of Funds") reduzieren, die in verschiedene Hedge-Fonds investieren. Bei dem Indexzertifikat der Deutschen Bank liegt die Mindestanlage bei 10 000 Euro, die Kosten sind mit einer laufenden jährlichen Gebühr von 3,24 Prozent relativ moderat.
Die großen Gewinnquellen für die Deutsche Bank liegen anderswo. Knapp 30 Prozent der Fonds, in die bei der Auflegung investiert wurde, sind Hedge-Fonds, die mit der Deutschen Bank verbunden sind. Sie fordern wieder Verwaltungsgebühren und teilweise hohe Erfolgshonorare. Die Bank tritt als Kreditgeber, Wertpapierhändler und Treuhänder in verschiedensten Funktionen auf, die Verdienstmöglichkeiten sind üppig.
Während der Gewinn für die Bank gesichert ist, haben die Anleger bisher noch nicht profitiert. Das seit Ende September an der Börse gehandelte Indexzertifikat notiert mit einem Abschlag von vier Prozent auf den Ausgabepreis.
Einfach ist das Geschäft jedenfalls nicht. Das musste selbst George Soros, das Vorbild aller Spekulanten, erfahren. Den Mann, der über eine Milliarde Dollar verdiente, als er das britische Pfund aus dem Europäischen Währungssystem kickte, hat der Zusammenbruch der Aktienmärkte voll erwischt.
"Ich habe einige Eier ins Gesicht bekommen", sagt Soros. Nach Verlusten in Milliardenhöhe beschloss er im vergangenen Jahr, seinen Hedge-Fonds in einen konservativen Investmentfonds umzubauen.
CHRISTOPH PAULY