Weltwirtschaft bleibt im Aufwärtstrend
Langfristige Prognosen optimistisch. Auch Entwicklungsländer profitieren. Reformbedarf in Europa
Nichts wird mehr wie früher sein!" Allzu oft haben wir diese Parole seit dem Terrorangriff auf die Zwillingstürme in New York gehört - als wolle man suggerieren, dass wir an einer unheilvollen Wende angelangt seien. Oft werden damit Warnungen vor einer langwierigen Rezession und schlechten Aussichten für Wachstum, Beschäftigung, Wohlstand verbunden. Der Schock vom 11. September 2001 drohe das Wirtschaftsklima dauerhaft zu trüben und das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts in eine Dekade der Unsicherheit und latenten Krisengefahren zu verwandeln, heißt es. In dieser labilen Lage erhält die Massenpsychologie größeres Gewicht als in "normalen" Zeiten. Allzu viele waren in euphorischer Stimmung den Verkündern der New Economy gefolgt. Allzu stark hatte man die Investitionen in diesem Sektor forciert. Die "reinigende Krise" konnte nicht ausbleiben. Die Ereignisse des 11. September haben sie nur noch verstärkt. Doch das Vertrauen breiter Schichten ist erschüttert.
Emotionen und Stimmungen aber sollten uns nicht den Blick für die fundamentalen Kräfte und Trends der Weltwirtschaft verstellen. Diese werden wohl vom Auf und Ab der Konjunkturen überlagert, haben sich über die Jahre hinweg aber immer wieder durchgesetzt. Man muss also weit über den Horizont des Tages- und Jahresgeschehens hinaussehen, um größere Zusammenhänge zu erkennen, um Übertreibungen zu vermeiden, um Risiken und Chancen besser abschätzen zu können. Noch immer sind Börsenblasen und Rezessionen bald wieder von Phasen der Konsolidierung und von neuem, stärkerem Wachstum abgelöst worden.
In der Sicht der Jahrzehnte und Generationen fügt sich auch die heutige Flaute dem alten Rhythmus der Weltwirtschaft ein. Im Rückblick wird davon später kaum viel mehr als eine Delle im langfristigen Aufwärtstrend der Weltwirtschaft verbleiben. Eine Langzeitstudie der Weltbank (Globalization, Growth and Poverty, 2002) veranschaulicht, wie sich dieser Trend im Laufe der vergangenen 200 Jahre, vor allem aber seit dem Zweiten Weltkrieg, durchgesetzt und beschleunigt hat. Im Zeitraum 1820 bis 1870 war die Weltproduktion um gerade ein Prozent im Jahr gestiegen. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg (1870-1910) waren es schon 1,9 Prozent und von 1910 bis 1960 - trotz Weltkriegen und Depression - 2,5 Prozent gewesen.
In den vergangenen vier Dekaden (1960-2000) hat das globale Wachstum sogar 3,5 Prozent im Jahr erreicht. Dabei fällt der massive Bevölkerungsanstieg ins Gewicht. Vor allem aber ist mit den technischen Neuerungen und der Globalisierung der Märkte die Produktivität nachhaltig gestiegen. Konjunkturen bewegen sich nicht gleichförmig.
Das Wachstum schwankt von Jahr zu Jahr um die Trendrate - in letzter Zeit zwischen 1,8 (1991) und 4,7 Prozent (2000) bei einem Durchschnitt von 3,5 Prozent für die neunziger Jahre. Nach Schätzungen des Weltwährungsfonds (IWF) dürften es 2001/2002 zwar nur je 2,4 Prozent werden. Im Jahr darauf wird der Langzeittrend aber wieder erreicht oder übertroffen werden. Ein globales Wachstum von 3,5 Prozent im Jahresdurchschnitt (oder mehr) ist auch in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts wahrscheinlich. Wenn die Protagonisten der Neuen Ökonomie Recht behalten, könnten es sogar 4,5 Prozent werden. Das sind gute Aussichten, auch wenn viele arme Länder dabei immer noch zurückfallen.
Doch auch hier ist das Bild nicht ganz so düster, wie uns die Globalisierungsgegner weismachen wollen. Ein zumindest teilweiser Aufholprozess ist im Gang. Nach der jüngsten Weltbankstudie waren die reichen Länder in den sechziger Jahren noch doppelt bis drei Mal so rasch gewachsen wie die Dritte Welt. In den neunziger Jahren konnten schon mehr als 20 "globalisierte" Entwicklungsländer (mit insgesamt drei Milliarden Menschen) fünf Prozent Wachstum im Jahr melden - mehr als doppelt so viel wie die Reichen (2,2). Sorge machen die ärmsten Länder (zwei Milliarden Menschen), die an der Globalisierung kaum teilhaben und hinterherhinken (1,4 Prozent). Fast alles deutet darauf hin, dass die Dynamik in diesem Jahrzehnt eher stärker werden dürfte. Das geopolitische Umfeld hat sich nach der entschlossenen Reaktion Amerikas auf den Terror schlagartig verbessert. Zwar steigen die Sicherheitskosten für Staat und Wirtschaft. Weit wichtiger erscheint aber die Entstehung einer globalen Abwehrfront mit gemeinsamen Interessen von Amerika über Europa nach Russland und China.
In den vergangenen 100 Jahren waren die politischen Voraussetzungen für eine engere wirtschaftliche Verflechtung niemals günstiger als heute. Endlich können Investoren in einer Welt operieren, in der alle wichtigen Mächte auf gleicher Seite stehen. Kräftige Impulse kommen nach wie vor vom Bevölkerungswachstum in großen Teilen der Welt. Die Zahl der Erdbewohner dürfte sich in zehn bis zwölf Jahren um eine weitere Milliarde erhöhen. Wie eng die Wechselwirkung zwischen Bevölkerung und Wirtschaft ist, zeigen die Erfahrungen Amerikas. Der Babyboom und die hohe Einwanderung bringen immer wieder bedeutende Impulse für Konsum und Wohnungsbau. Sie bleiben auch in den nächsten Jahren ein dynamischer Faktor. Anders in Europa und Japan, wo die Sterbefälle die Geburten bald übersteigen werden. Beide müssen - allen Ängsten zum Trotz - ihre Tore für gut ausgebildete Menschen weit öffnen oder neue Wettbewerbsnachteile und Wachstumsverluste in Kauf nehmen.
Auch die Wirkungen technischer Neuerungen auf die Produktivität sind längst nicht erschöpft (Elektronik, Nano- und Biotechnik). Der Zyklus in der Informationstechnologie-Branche (IT) folgt dem Muster früherer technischer Umbrüche - mit Börsenblasen, Überinvestitionen, Preisstürzen und wiederum neuen Impulsen. In Amerika sind die Computerpreise in sechs Monaten um ein Drittel gefallen. Die Einflüsse der IT-Revolution auf die Produktivität sind zwar überschätzt worden. Längerfristig aber werden sie die Arbeitsmärkte beweglicher, die Dienstleistungen bedeutend effizienter machen und zunehmend auch ärmeren Ländern zugute kommen, hebt die Weltbank hervor. Das Humankapital, der "menschliche Faktor", wird zur wichtigsten Ressource der Wirtschaft. Das Wissen der Menschheit verdoppelt sich alle fünf Jahre. Auch hier werden die Aufsteiger ständig aufholen und ihre Wettbewerbsposition verbessern. In der Wissensökonomie von morgen geht es nicht nur um Computerausstattung und Forschung, sondern mehr noch um Schule und Erziehung. In den meisten Industrieländern erfüllen 40 bis 50 Prozent der Erwachsenen nicht die Anforderungen des IT-Zeitalters, wie aus Kompetenzstudien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervorgeht. Überall sind vermehrte Anstrengungen im Gang, um das Wissensniveau zu heben und kluge Köpfe ins Land zu bringen. Im Welthandel kündigt sich ein wahrer Quantensprung an.
Die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) haben beschlossen, die Handelsschranken weiter abzubauen und besonders den armen Ländern den Marktzugang zu erleichtern. Eine neue Handelsrunde soll bis 2005 abgeschlossen werden. Bis dahin soll auch eine panamerikanische Freihandelszone entstehen. China mit seinem Riesenmarkt und einer stürmisch wachsenden Wirtschaft ist der WTO beigetreten. Russland wird folgen. Sicherheitsmaßnahmen im Kampf gegen den Terror mögen den Warenverkehr verteuern. Der Welthandel dürfte sich dennoch in diesem Jahrzehnt wieder verdoppeln. Auch die geldpolitischen Signale sind günstig. Die Inflation, die jahrzehntelang Sorgen machte, scheint auf beiden Seiten des Atlantiks gebannt zu sein. In der übrigen Welt wächst der Wille zur Stabilität. Es mag Währungsschwankungen und Finanzschocks bei den Aufsteigern geben. Das Vertrauen in die Währungshüter, vor allem die US-Notenbank, aber hat sich in den neunziger Jahren gefestigt. Der Dollar bleibt die führende Anlagewährung.
Auch die Einführung des Euro fördert die Integration. London könnte sich ihm 2005 anschließen. Ungewiss ist, wie die EU mit ihren internen Problemen und der Osterweiterung von 2004 an fertig werden wird. In der Finanzpolitik scheint sich ein Trend zu solider Haushaltspolitik durchzusetzen. Die Kosten des Kampfs gegen den Terrorismus und der Afghanistan-Krieg werden Amerika zwar vorübergehend rote Zahlen im Haushalt bescheren, doch gesunde Staatsfinanzen gehören dort gleichwohl zu den obersten Prioritäten. Schwachstellen liegen wiederum eher in Japan mit seiner enormen Staatsschuld und in der EU.
Vor allem in Deutschland, Frankreich, Italien - den größten Euroländern mit hohen Sozialkosten und schwacher Dynamik - verzögert sich die Sanierung. Staatsquoten und Steuerlasten liegen im Euro-Gebiet um die Hälfte höher als in Amerika. Sie werden zum Klotz am Bein im harten weltweiten Wettbewerb. So kommt es nach wie vor in erster Linie auf Amerika an. Seine Führung in Politik, Technik und Wirtschaft ist unbestritten. Sein Pro-Kopf-Wohlstand liegt um mehr als die Hälfte über dem Euro-Durchschnitt und ist 43 Prozent höher als in Deutschland. Die Produktivität im gewerblichen Sektor (ohne Landwirtschaft) nimmt seit 1995 mit der IT-Welle um 2,5 Prozent im Jahr zu, deutlich mehr als früher (1,5). Amerika bleibe das attraktivste Land für Anleger, betont IWF-Chef Horst Köhler. Mit seiner hohen Anpassungsfähigkeit könnte es 2003/4 auf einen Wachstumspfad von vier Prozent zurückkehren und die Welt aus der heutigen Flaute ziehen.
Eine Schwachstelle bleibt außerdem die immer noch überbewertete Börse; die Gefahr neuer Spekulationsblasen ist nicht aus der Welt. Westeuropa wird durch seine starren Strukturen zurückgehalten. Der britische "Economist" meint zwar, dass die EU bei zielbewussten Reformen die USA im Wachstumsprozess überholen könnte. Zuerst müssten allerdings viele "Wachstumskiller" beseitigt werden: durch Einschnitte bei den aufgeblähten Sozialausgaben (Alterskosten!), durch Liberalisierung der Arbeitsmärkte und wesentlich niedrigere Steuerlasten und Streichung von Subventionen. Die Zuwanderung müsste gefördert werden. Zu alledem fehlt aber immer noch der politische Wille, wie EU-Präsident Romano Prodi feststellt. Namentlich Deutschland sei zur "Schlafmütze der Reformpolitik" (Economist) geworden.
So sind einstweilen doch nur mäßige Leistungen und anhaltend hohe Arbeitslosigkeit zu erwarten. Gleichzeitig öffnen sich neue Chancen im eurasischen Raum. Ost- und Südosteuropa hoffen auf Impulse vom EU-Beitritt ab 2004. Die EU wird zum Haupthandelspartner Russlands. Dort ist noch viel zu tun, um bessere Bedingungen für fremdes Kapital und für den WTO-Beitritt zu schaffen.
Doch der Druck auf Moskau zur weltweiten Integration nimmt ständig zu. Russlands Firmen lernen rasch, wie man in modernen Strukturen arbeitet. Sein Öl und sein Erdgas locken den Westen. Mit der Übernahme westlicher Technikstandards bestehen gute Aussicht auf langfristiges Wirtschaftswachstum von sechs Prozent im Jahr oder mehr. Das inflexible Japan kommt nur mühsam voran. Dafür ist China im Aufbruch. Mit dem WTO-Beitritt und Olympia 2008 in Peking wird dieses Jahrzehnt im Zeichen der Öffnung und Modernisierung stehen. Fremde Investoren setzen auf den Riesenmarkt, auf die niedrigen Lohnkosten, auf den Fleiß und die Geschäftstüchtigkeit der Menschen im Reich der Mitte. Die ausländischen Investitionen sind 2001 um ein Drittel gestiegen. Der Finanzplatz Shanghai boomt. Auch in der derzeitigen Weltrezession expandiert China mit sieben Prozent. Vor Euphorie ist zwar auch hier zu warnen. Wenn der Strukturwandel aber gelingt, kann China die US-Wirtschaft in 12 bis 14 Jahren einholen und zur Lokomotive Asiens werden. Große Teile des Kontinents, aber auch der Westen würden profitieren.
Die übrige Welt bietet ein gemischtes Bild. Indien, mit bisher fünf bis sechs Prozent Wachstum im Jahr und mit begabten Technikern, krankt an veralteten Strukturen. Im Norden Afrikas liegt der Wachstumstrend bei fünf, südlich der Sahara bei nur vier Prozent - zu wenig, um die Lage rasch zu verbessern. Lateinamerika wird durch mangelnde Disziplin und durch Korruption gebremst.
So könnte die Welt als Ganzes in diesem Jahrzehnt ein Wachstum von 3,5 bis 4,5 Prozent erreichen - bei sechs Prozent in den Entwicklungsländern, drei bis vier in Amerika, aber nur zwei bis drei in Westeuropa. Alles in allem - bedeutende Fortschritte, wenn auch kein Wirtschaftswunder. Tatsache bleibt, dass wir uns in Umwälzungen größten Ausmaßes befinden, die das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben in allen Teilen der Erde revolutionieren.
Die Weltwirtschaft wird in dieser Epoche "schöpferischer Zerstörung" - und Erneuerung - von "dynamischen Ungleichgewichten" vorangetrieben, wie Joseph Schumpeter einst schrieb.
Gruß u.gute Nacht:Kostolmoney
Langfristige Prognosen optimistisch. Auch Entwicklungsländer profitieren. Reformbedarf in Europa
Nichts wird mehr wie früher sein!" Allzu oft haben wir diese Parole seit dem Terrorangriff auf die Zwillingstürme in New York gehört - als wolle man suggerieren, dass wir an einer unheilvollen Wende angelangt seien. Oft werden damit Warnungen vor einer langwierigen Rezession und schlechten Aussichten für Wachstum, Beschäftigung, Wohlstand verbunden. Der Schock vom 11. September 2001 drohe das Wirtschaftsklima dauerhaft zu trüben und das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts in eine Dekade der Unsicherheit und latenten Krisengefahren zu verwandeln, heißt es. In dieser labilen Lage erhält die Massenpsychologie größeres Gewicht als in "normalen" Zeiten. Allzu viele waren in euphorischer Stimmung den Verkündern der New Economy gefolgt. Allzu stark hatte man die Investitionen in diesem Sektor forciert. Die "reinigende Krise" konnte nicht ausbleiben. Die Ereignisse des 11. September haben sie nur noch verstärkt. Doch das Vertrauen breiter Schichten ist erschüttert.
Emotionen und Stimmungen aber sollten uns nicht den Blick für die fundamentalen Kräfte und Trends der Weltwirtschaft verstellen. Diese werden wohl vom Auf und Ab der Konjunkturen überlagert, haben sich über die Jahre hinweg aber immer wieder durchgesetzt. Man muss also weit über den Horizont des Tages- und Jahresgeschehens hinaussehen, um größere Zusammenhänge zu erkennen, um Übertreibungen zu vermeiden, um Risiken und Chancen besser abschätzen zu können. Noch immer sind Börsenblasen und Rezessionen bald wieder von Phasen der Konsolidierung und von neuem, stärkerem Wachstum abgelöst worden.
In der Sicht der Jahrzehnte und Generationen fügt sich auch die heutige Flaute dem alten Rhythmus der Weltwirtschaft ein. Im Rückblick wird davon später kaum viel mehr als eine Delle im langfristigen Aufwärtstrend der Weltwirtschaft verbleiben. Eine Langzeitstudie der Weltbank (Globalization, Growth and Poverty, 2002) veranschaulicht, wie sich dieser Trend im Laufe der vergangenen 200 Jahre, vor allem aber seit dem Zweiten Weltkrieg, durchgesetzt und beschleunigt hat. Im Zeitraum 1820 bis 1870 war die Weltproduktion um gerade ein Prozent im Jahr gestiegen. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg (1870-1910) waren es schon 1,9 Prozent und von 1910 bis 1960 - trotz Weltkriegen und Depression - 2,5 Prozent gewesen.
In den vergangenen vier Dekaden (1960-2000) hat das globale Wachstum sogar 3,5 Prozent im Jahr erreicht. Dabei fällt der massive Bevölkerungsanstieg ins Gewicht. Vor allem aber ist mit den technischen Neuerungen und der Globalisierung der Märkte die Produktivität nachhaltig gestiegen. Konjunkturen bewegen sich nicht gleichförmig.
Das Wachstum schwankt von Jahr zu Jahr um die Trendrate - in letzter Zeit zwischen 1,8 (1991) und 4,7 Prozent (2000) bei einem Durchschnitt von 3,5 Prozent für die neunziger Jahre. Nach Schätzungen des Weltwährungsfonds (IWF) dürften es 2001/2002 zwar nur je 2,4 Prozent werden. Im Jahr darauf wird der Langzeittrend aber wieder erreicht oder übertroffen werden. Ein globales Wachstum von 3,5 Prozent im Jahresdurchschnitt (oder mehr) ist auch in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts wahrscheinlich. Wenn die Protagonisten der Neuen Ökonomie Recht behalten, könnten es sogar 4,5 Prozent werden. Das sind gute Aussichten, auch wenn viele arme Länder dabei immer noch zurückfallen.
Doch auch hier ist das Bild nicht ganz so düster, wie uns die Globalisierungsgegner weismachen wollen. Ein zumindest teilweiser Aufholprozess ist im Gang. Nach der jüngsten Weltbankstudie waren die reichen Länder in den sechziger Jahren noch doppelt bis drei Mal so rasch gewachsen wie die Dritte Welt. In den neunziger Jahren konnten schon mehr als 20 "globalisierte" Entwicklungsländer (mit insgesamt drei Milliarden Menschen) fünf Prozent Wachstum im Jahr melden - mehr als doppelt so viel wie die Reichen (2,2). Sorge machen die ärmsten Länder (zwei Milliarden Menschen), die an der Globalisierung kaum teilhaben und hinterherhinken (1,4 Prozent). Fast alles deutet darauf hin, dass die Dynamik in diesem Jahrzehnt eher stärker werden dürfte. Das geopolitische Umfeld hat sich nach der entschlossenen Reaktion Amerikas auf den Terror schlagartig verbessert. Zwar steigen die Sicherheitskosten für Staat und Wirtschaft. Weit wichtiger erscheint aber die Entstehung einer globalen Abwehrfront mit gemeinsamen Interessen von Amerika über Europa nach Russland und China.
In den vergangenen 100 Jahren waren die politischen Voraussetzungen für eine engere wirtschaftliche Verflechtung niemals günstiger als heute. Endlich können Investoren in einer Welt operieren, in der alle wichtigen Mächte auf gleicher Seite stehen. Kräftige Impulse kommen nach wie vor vom Bevölkerungswachstum in großen Teilen der Welt. Die Zahl der Erdbewohner dürfte sich in zehn bis zwölf Jahren um eine weitere Milliarde erhöhen. Wie eng die Wechselwirkung zwischen Bevölkerung und Wirtschaft ist, zeigen die Erfahrungen Amerikas. Der Babyboom und die hohe Einwanderung bringen immer wieder bedeutende Impulse für Konsum und Wohnungsbau. Sie bleiben auch in den nächsten Jahren ein dynamischer Faktor. Anders in Europa und Japan, wo die Sterbefälle die Geburten bald übersteigen werden. Beide müssen - allen Ängsten zum Trotz - ihre Tore für gut ausgebildete Menschen weit öffnen oder neue Wettbewerbsnachteile und Wachstumsverluste in Kauf nehmen.
Auch die Wirkungen technischer Neuerungen auf die Produktivität sind längst nicht erschöpft (Elektronik, Nano- und Biotechnik). Der Zyklus in der Informationstechnologie-Branche (IT) folgt dem Muster früherer technischer Umbrüche - mit Börsenblasen, Überinvestitionen, Preisstürzen und wiederum neuen Impulsen. In Amerika sind die Computerpreise in sechs Monaten um ein Drittel gefallen. Die Einflüsse der IT-Revolution auf die Produktivität sind zwar überschätzt worden. Längerfristig aber werden sie die Arbeitsmärkte beweglicher, die Dienstleistungen bedeutend effizienter machen und zunehmend auch ärmeren Ländern zugute kommen, hebt die Weltbank hervor. Das Humankapital, der "menschliche Faktor", wird zur wichtigsten Ressource der Wirtschaft. Das Wissen der Menschheit verdoppelt sich alle fünf Jahre. Auch hier werden die Aufsteiger ständig aufholen und ihre Wettbewerbsposition verbessern. In der Wissensökonomie von morgen geht es nicht nur um Computerausstattung und Forschung, sondern mehr noch um Schule und Erziehung. In den meisten Industrieländern erfüllen 40 bis 50 Prozent der Erwachsenen nicht die Anforderungen des IT-Zeitalters, wie aus Kompetenzstudien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervorgeht. Überall sind vermehrte Anstrengungen im Gang, um das Wissensniveau zu heben und kluge Köpfe ins Land zu bringen. Im Welthandel kündigt sich ein wahrer Quantensprung an.
Die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) haben beschlossen, die Handelsschranken weiter abzubauen und besonders den armen Ländern den Marktzugang zu erleichtern. Eine neue Handelsrunde soll bis 2005 abgeschlossen werden. Bis dahin soll auch eine panamerikanische Freihandelszone entstehen. China mit seinem Riesenmarkt und einer stürmisch wachsenden Wirtschaft ist der WTO beigetreten. Russland wird folgen. Sicherheitsmaßnahmen im Kampf gegen den Terror mögen den Warenverkehr verteuern. Der Welthandel dürfte sich dennoch in diesem Jahrzehnt wieder verdoppeln. Auch die geldpolitischen Signale sind günstig. Die Inflation, die jahrzehntelang Sorgen machte, scheint auf beiden Seiten des Atlantiks gebannt zu sein. In der übrigen Welt wächst der Wille zur Stabilität. Es mag Währungsschwankungen und Finanzschocks bei den Aufsteigern geben. Das Vertrauen in die Währungshüter, vor allem die US-Notenbank, aber hat sich in den neunziger Jahren gefestigt. Der Dollar bleibt die führende Anlagewährung.
Auch die Einführung des Euro fördert die Integration. London könnte sich ihm 2005 anschließen. Ungewiss ist, wie die EU mit ihren internen Problemen und der Osterweiterung von 2004 an fertig werden wird. In der Finanzpolitik scheint sich ein Trend zu solider Haushaltspolitik durchzusetzen. Die Kosten des Kampfs gegen den Terrorismus und der Afghanistan-Krieg werden Amerika zwar vorübergehend rote Zahlen im Haushalt bescheren, doch gesunde Staatsfinanzen gehören dort gleichwohl zu den obersten Prioritäten. Schwachstellen liegen wiederum eher in Japan mit seiner enormen Staatsschuld und in der EU.
Vor allem in Deutschland, Frankreich, Italien - den größten Euroländern mit hohen Sozialkosten und schwacher Dynamik - verzögert sich die Sanierung. Staatsquoten und Steuerlasten liegen im Euro-Gebiet um die Hälfte höher als in Amerika. Sie werden zum Klotz am Bein im harten weltweiten Wettbewerb. So kommt es nach wie vor in erster Linie auf Amerika an. Seine Führung in Politik, Technik und Wirtschaft ist unbestritten. Sein Pro-Kopf-Wohlstand liegt um mehr als die Hälfte über dem Euro-Durchschnitt und ist 43 Prozent höher als in Deutschland. Die Produktivität im gewerblichen Sektor (ohne Landwirtschaft) nimmt seit 1995 mit der IT-Welle um 2,5 Prozent im Jahr zu, deutlich mehr als früher (1,5). Amerika bleibe das attraktivste Land für Anleger, betont IWF-Chef Horst Köhler. Mit seiner hohen Anpassungsfähigkeit könnte es 2003/4 auf einen Wachstumspfad von vier Prozent zurückkehren und die Welt aus der heutigen Flaute ziehen.
Eine Schwachstelle bleibt außerdem die immer noch überbewertete Börse; die Gefahr neuer Spekulationsblasen ist nicht aus der Welt. Westeuropa wird durch seine starren Strukturen zurückgehalten. Der britische "Economist" meint zwar, dass die EU bei zielbewussten Reformen die USA im Wachstumsprozess überholen könnte. Zuerst müssten allerdings viele "Wachstumskiller" beseitigt werden: durch Einschnitte bei den aufgeblähten Sozialausgaben (Alterskosten!), durch Liberalisierung der Arbeitsmärkte und wesentlich niedrigere Steuerlasten und Streichung von Subventionen. Die Zuwanderung müsste gefördert werden. Zu alledem fehlt aber immer noch der politische Wille, wie EU-Präsident Romano Prodi feststellt. Namentlich Deutschland sei zur "Schlafmütze der Reformpolitik" (Economist) geworden.
So sind einstweilen doch nur mäßige Leistungen und anhaltend hohe Arbeitslosigkeit zu erwarten. Gleichzeitig öffnen sich neue Chancen im eurasischen Raum. Ost- und Südosteuropa hoffen auf Impulse vom EU-Beitritt ab 2004. Die EU wird zum Haupthandelspartner Russlands. Dort ist noch viel zu tun, um bessere Bedingungen für fremdes Kapital und für den WTO-Beitritt zu schaffen.
Doch der Druck auf Moskau zur weltweiten Integration nimmt ständig zu. Russlands Firmen lernen rasch, wie man in modernen Strukturen arbeitet. Sein Öl und sein Erdgas locken den Westen. Mit der Übernahme westlicher Technikstandards bestehen gute Aussicht auf langfristiges Wirtschaftswachstum von sechs Prozent im Jahr oder mehr. Das inflexible Japan kommt nur mühsam voran. Dafür ist China im Aufbruch. Mit dem WTO-Beitritt und Olympia 2008 in Peking wird dieses Jahrzehnt im Zeichen der Öffnung und Modernisierung stehen. Fremde Investoren setzen auf den Riesenmarkt, auf die niedrigen Lohnkosten, auf den Fleiß und die Geschäftstüchtigkeit der Menschen im Reich der Mitte. Die ausländischen Investitionen sind 2001 um ein Drittel gestiegen. Der Finanzplatz Shanghai boomt. Auch in der derzeitigen Weltrezession expandiert China mit sieben Prozent. Vor Euphorie ist zwar auch hier zu warnen. Wenn der Strukturwandel aber gelingt, kann China die US-Wirtschaft in 12 bis 14 Jahren einholen und zur Lokomotive Asiens werden. Große Teile des Kontinents, aber auch der Westen würden profitieren.
Die übrige Welt bietet ein gemischtes Bild. Indien, mit bisher fünf bis sechs Prozent Wachstum im Jahr und mit begabten Technikern, krankt an veralteten Strukturen. Im Norden Afrikas liegt der Wachstumstrend bei fünf, südlich der Sahara bei nur vier Prozent - zu wenig, um die Lage rasch zu verbessern. Lateinamerika wird durch mangelnde Disziplin und durch Korruption gebremst.
So könnte die Welt als Ganzes in diesem Jahrzehnt ein Wachstum von 3,5 bis 4,5 Prozent erreichen - bei sechs Prozent in den Entwicklungsländern, drei bis vier in Amerika, aber nur zwei bis drei in Westeuropa. Alles in allem - bedeutende Fortschritte, wenn auch kein Wirtschaftswunder. Tatsache bleibt, dass wir uns in Umwälzungen größten Ausmaßes befinden, die das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben in allen Teilen der Erde revolutionieren.
Die Weltwirtschaft wird in dieser Epoche "schöpferischer Zerstörung" - und Erneuerung - von "dynamischen Ungleichgewichten" vorangetrieben, wie Joseph Schumpeter einst schrieb.
Gruß u.gute Nacht:Kostolmoney