Weltweit steigen die Aktien. Ist die Krise vorbei?

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Weltweit steigen die Aktien. Ist die Krise vorbei?

 
18.05.03 10:45
Weltweit steigen die Aktien. Ist das die Wende? Oder nur ein kurzes Hoch? Und vor allem: Was sollen Anleger jetzt tun? Ein Streitgespräch


die zeit: Weltweit steigen die Aktien. Ist die Krise vorbei?

Rolf Elgeti: Ja. Zumindest die kräftige Abwertung der Aktie dürfte ihr Ende gefunden haben.

zeit: Warum?

Elgeti: Aktienkurse werden von zwei wesentlichen Einflüssen getrieben: Von der Entwicklung der Unternehmensgewinne und von der Bereitschaft der Investoren das 10-, 20- oder aber auch 40fache des Jahresgewinns zu zahlen. In den neunziger Jahren standen Aktien hoch im Kurs, und das Kurs-Gewinn-Verhältnis schnellte auf über 30 empor. Auf diese Aufwertung folgte die drei Jahre andauernde Abwertung wegen der gestiegenen geopolitischen und makroökonomischen Risiken. Die kräftige Erholung seit Ende März hat die Phase der Abwertung beendet. Europäische Aktien sind wieder fair bewertet. Jetzt kommt es auf die Gewinnentwicklung an. Da könnten wir noch die eine oder andere Überraschung erleben. Danach kann es weiter bergauf gehen.

Michael Hartnett: Diese Prognose ist mir zu optimistisch. Ich schließe zwar nicht aus, dass die europäischen Aktien von heute aus weitere 25 Prozent gewinnen. Aber danach können sie sich genauso gut wieder halbieren. Das Einzige, was man mit einer gewissen Sicherheit sagen kann: Es bildet sich gerade eine Spanne heraus, in der die großen Indizes die kommenden fünf, sechs Jahre schwanken werden. Das Schlimmste der Baisse ist vielleicht überstanden, aber die nächste Hausse ist noch meilenweit entfernt.

zeit: Warum so pessimistisch?

Hartnett: Der amerikanische Aktienmarkt ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 30, basierend auf den Gewinnen der vergangenen zwölf Monate, nach wie vor teuer. Hier steht die Abwertung noch aus. Ohne freundliche US-Märkte wird es aber auch in Europa zu keinem weiteren, kräftigen Kursanstieg kommen. Ohne Hausse zu keinem echten Konjunkturaufschwung, ohne Aufschwung aber bleiben auch die Überkapazitäten. Und die Unternehmen haben weiter mit fallenden Preisen auf den Produktmärkten zu kämpfen.

zeit: Das klingt nach Deflation…

Hartnett: Genau das ist meine Sorge. Ohne Aufschwung droht den USA und Europa Deflation, also fallende Preise, dazu Konsum- und Investitionszurückhaltung auf breiter Front, gepaart mit Nullwachstum bis hin zur Rezession.

Elgeti: Einverstanden, was die Einschätzung der USA angeht. Aber Europa steht in vielerlei Hinsicht deutlich besser da. Das große Thema lautet deshalb nicht Deflation, sondern: Kann sich die europäische Wirtschaft von der amerikanischen abkoppeln? Das passiert, wenn die amerikanischen Investoren keine europäischen Aktien mehr besitzen. Von diesem Zustand sind wir nicht mehr weit entfernt.

zeit: Wieso?

Elgeti: Seit zweieinhalb Jahren trennen sich die Amerikaner in signifikantem Umfang von europäischen Titeln. Lagen noch vor drei Jahren rund ein Drittel aller europäischen Aktien in amerikanischen Depots, sind es inzwischen weniger als zehn Prozent. Die Abkopplung kann glücken.

zeit: Und dann…

Elgeti: …müssen wir fragen: Gibt es Unternehmen, die auch in einem schwachen konjunkturellen Umfeld Gewinne machen? Dafür müssen zumindest einige Branchen wieder Preisfestsetzungsmacht zurückerlangen. Dann sind wir ganz rasch beim Übeltäter Nummer eins, China. Mit seiner total unterbewerteten Währung überschwemmt das Reich der Mitte die internationalen Gütermärkte und sorgt für deflationäre Tendenzen. Aber – und das ist mein Joker für das optimistische Szenario – China wird in den kommenden Jahren nicht umhinkönnen, seine Währung der Realität anzupassen. Damit können die Unternehmen aus den anderen Ländern ihre Preise erhöhen.

zeit: Warum sollte China das tun?

Elgeti: Weil China auch Importeur ist, und zwar von Rohstoffen. Bei einigen wie Nickel fragt China mehr als die Hälfte der weltweiten Jahresproduktion nach. Durch eine Aufwertung kommt das Land billiger an die Rohstoffe heran. Wertet der chinesische Yuan auf, ist die Deflationsgefahr verschwunden. Angesichts günstig bewerteter Aktien in Europa bleibe ich optimistisch.

Hartnett: Was heißt günstig? Auch in Europa ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis noch nicht einstellig. Optimismus ist nur gerechtfertigt, wenn ein anständiger Konjunkturaufschwung in Sicht wäre…

zeit: …und davon kann keine Rede sein…

Hartnett: Richtig. Die konjunkturelle Lage ist rezessiv und sehr anfällig. Ich halte eine Deflation in den kommenden drei Jahren für wahrscheinlich. Bricht die Wirtschaft weiter ein, sind auch europäische Aktien schon wieder zu teuer.

zeit: Warum reden Sie von Deflation, wo doch die Verbraucherpreise in Europa und Amerika noch steigen?

Hartnett: Ich schaue mir das Zusammenspiel von Anleihe- und Aktienmarkt an. Normalerweise bewegen sich die Kurse von Aktien und Bonds parallel. Heute dagegen fallen die Aktien und steigen die Anleihen und umgekehrt. Dieses Muster konnte man in den neunziger Jahren in Japan und in den dreißiger Jahren in den USA erkennen – beides deflationäre Phasen.

Elgeti: Auch bei der Deflationsgefahr gilt: Das Schlimmste ist vorüber. Es gab in einigen Bereichen der Wirtschaft Deflation, sei es wegen Überinvestitionen, Überkapazitäten oder zu lockerer Regulierung wie bei Versorgern und Telekomfirmen. Doch das ist Vergangenheit. In Deutschland zum Beispiel ist Strom inzwischen teurer als vor der Deregulierung der Monopole.

Hartnett: Das China-Argument hat mich mehr überzeugt. Wenn China seine Währung tatsächlich aufwertet, könnte das der Wendepunkt für das deflationäre Umfeld sein. Dennoch: Das makroökonomische Umfeld ist und bleibt sehr zerbrechlich. Richtig schlimm wird es, wenn es zu einer Schulden-Deflation kommt wie in Japan. Dann fallen die Aktienkurse noch weitere zehn Jahre, Banken brechen zusammen, und die Wirtschaft schrumpft mehrere Jahre hintereinander.

zeit: Gibt es einen Hoffnungsschimmer?

Hartnett: Nein. Es muss zu einem Stimmungsumschwung bei Unternehmen oder Verbrauchern kommen. Aber mir fehlt die Idee, wodurch es in Amerika, Deutschland, Frankreich plötzlich zu einem starken Wachstum kommen könnte.

Elgeti: Ich habe eine: durch den europäischen Verbraucher.

zeit: Warum?

Elgeti: Die Menschen haben in den vergangenen zwei Jahren einfach zu viel gespart. Sie sind weder hoch verschuldet wie die Amerikaner, noch gibt es am Immobilienmarkt eine Blase wie früher in Japan.

Hartnett: Aber wie soll der Konsument aus der Reserve gelockt werden? Niedrigere Zinsen werden nichts ausrichten. Die Fiskalpolitik wird – selbst wenn sie wollte – mit Steuersenkungen wenig erreichen. Das wäre wie in Japan, wo die Menschen genau wissen, dass sie irgendwann für das höhere Staatsdefizit zahlen müssen, und deshalb weiter sparen. Der europäische Konsument wird die Wende nicht einleiten, die Welt nicht retten.

Elgeti: Es muss gelingen, die Rentner zum Geldausgeben zu motivieren. Sie haben in den vergangenen Jahren geknausert und sogar mehr gespart als die arbeitende Bevölkerung. Das ist ökonomischer Wahnsinn, so funktioniert das System nicht. Die Alten müssen entsparen. Diese Paradoxie verdeutlicht das Potenzial der europäischen Volkswirtschaft. Die Politik wird nicht umhinkönnen, über eine Rentenreform die Alten zum Entsparen zu zwingen.

Hartnett: Richtig, Europa hat dasselbe Problem wie Japan: Wie die Sparquote verringern? Die Bevölkerungsentwicklung in den kommenden zehn Jahren in Deutschland, Italien, Frankreich, England und Spanien spricht eine klare Sprache: Die Zahl der Sparer wird dramatisch zunehmen und damit auch die Gefahr der Deflation. Die Gruppe der besten Konsumenten, der 20- bis 40-Jährigen, verliert 12 Millionen Menschen, während gleichzeitig die Gruppe der traditionellen Sparer, die 40- bis 60-Jährigen, 10 Millionen gewinnen. Deshalb haben Sie Recht, wenn Sie auf das Verhalten der Rentner abzielen. Die Gruppe der 60- bis 70-Jährigen wächst um 11 Millionen Menschen. Ich glaube aber nicht, dass sie entsparen werden. Und dazu zwingen wird sie die Politik auch kaum können. Denn der Einfluss der Alten wird immer größer.

Elgeti: Na ja. Wichtig ist doch zu erkennen, wie schnell sich etwas in Europa zum Besseren wenden kann. Die Stimmung der Verbraucher muss nur ein ganz klein wenig positiver werden, schon wächst die Wirtschaft wieder. So haben die deutschen Konsumenten im vergangenen Jahr ihre Ausgaben um sechs Prozent zurückgefahren. Das ist dramatisch, zeigt aber auch, wie rasch es in die andere Richtung gehen könnte. Dafür müssten sich nur die Aussichten am Arbeitsmarkt leicht bessern.

Hartnett: Ich stimme zu, Europa steht fundamental besser als Amerika da. Aber US-Politik und Notenbank haben die richtigen Entscheidungen getroffen, um die US-Wirtschaft vor einem zweiten Japan zu beschützen. In Europa ist es genau umgekehrt. Die Ausgangssituation ist deutlich weniger schlimm, aber Notenbank und Politik tun wenig dafür, das Japan-Szenario zu verhindern, und machen es so wahrscheinlicher. Warum ist der Dax sonst von seinem Hoch um 73 Prozent abgestürzt, deutlich mehr als jeder US-Aktienindex?

Elgeti: Das kann ich Ihnen genau erklären: Es gab massive Verkäufe vonseiten der Versicherer in einem weniger liquiden Markt. Doch wer verkauft heute noch europäische Aktien? Die Amerikaner haben fast alles verkauft, die Versicherer und Pensionsfonds sind entweder abgesichert oder besitzen keine mehr.

Hartnett: Das reicht nicht aus, dass die Kurse steigen. Es muss Käufer geben. Woher sollen die kommen?

Elgeti: Zum Beenden der Talfahrt genügt es, wenn die Verkäufer verschwinden. Für eine neue Hausse sind Käufer sicherlich wichtig. Denken Sie an die Defizite bei der privaten und betrieblichen Altersvorsorge in Kontinentaleuropa. Aus dieser Ecke werden erste Käufe kommen.

zeit: Was soll der Investor tun?

Hartnett: In einem deflationären Umfeld suchen die Investoren Rendite; im inflationären Umfeld dagegen Schulden. Bekommen wir japanische Verhältnisse, stehen Anleihen, die die höchsten Zinsen bieten, hoch im Kurs, also Unternehmensanleihen und Emerging-Markets-Bonds.

zeit: Aber steigt in der Deflation nicht das Risiko, dass Firmen Pleite gehen?

Hartnett: Ja, doch der Blick in die Geschichte zeigt, dass Unternehmensanleihen in der Deflation die Top-Performer sind. So konnte man mit dieser Vermögensklasse im Amerika der dreißiger Jahre eine durchschnittliche Jahresrendite von rund 7 Prozent erzielen, gefolgt von Staatsanleihen mit 5 Prozent.

zeit: Und wenn Inflation das wahrscheinliche Szenario ist…

Hartnett: …dann sollten sich die Investoren auf die Jagd nach hoch verschuldeten Firmen und anderen Gewinnern in der Inflation machen. Ironischerweise laufen diese Titel ganz gut. Denn nichts feuert die Inflation mehr an als die Drohung einer unmittelbar bevorstehenden Deflation. Die Sorge vor Verhältnissen wie in den Dreißigern lässt Politiker und Notenbanker in Panik verfallen und Inflation produzieren. Deshalb ist mein bester Tipp: Auf Sicht von drei, vier Jahren droht Deflation, danach Inflation oder gar Stagflation, also kein Wachstum, aber steigende Preise.

zeit: Woher soll denn Inflation kommen?

Hartnett: Eher von steigenden Löhnen und teureren Dienstleistungen denn von den Produkten. Und natürlich vom Staatssektor…

Elgeti: …und den Rohstoffpreisen.

zeit: Und was empfehlen Sie, Herr Elgeti, Ihren Kunden?

Elgeti: Auch Unternehmensanleihen. Denn ob die Firmen je wieder profitabel werden, ist ungewisser, als dass sie ihre Schulden zurückzahlen. Außerdem ist das wieder eine Frage von Angebot und Nachfrage. Das Angebot sinkt, weil immer mehr Firmen ihre Schulden zurückzahlen. Gleichzeitig steigt die Nachfrage, weil die Lebensversicherer mit Staatsanleiherenditen von 4 Prozent nicht glücklich werden. Im Unterschied zu Ihnen halte ich auch billige zyklische Aktien für attraktiv, da ich eine konjunkturelle Erholung in Europa nicht kategorisch ausschließe.

zeit: An welche Branchen denken Sie?

Elgeti: Autos, Maschinenbau und Rohstoffe.

zeit: Wie kann Deflation bekämpft werden?

Hartnett: Bringen Sie den Dow Jones zurück auf 12000 Punkte! Kommt es zu einer deutlichen Rally am Aktienmarkt, wird niemand mehr über Deflation sprechen.

zeit: Scherz beiseite!

Hartnett: Es muss ein Mix aus Reflation bei Notenbank und Regierung sowie Restrukturierung bei den Unternehmen sein. Reflation heißt, alles zu tun, damit Deflation verhindert wird, wie niedrige Notenbankzinsen, gepaart mit hohen Staatsausgaben.

zeit: Gibt es dafür Anzeichen?

Hartnett: In den USA schon, weniger dagegen in Europa. Aber es gibt auch einen großen kulturellen Unterschied zwischen Europa und Amerika: Das schlimmste Wirtschaftserlebnis der USA war die Depression in den dreißiger Jahren – und die war klar deflationistisch. Für Europa, vor allem aber Deutschland war es die Hyperinflation. Das muss man wissen, um zu verstehen, dass die Wähler und Politiker in Amerika alles tun werden, um Deflation zu verhindern, und in Europa alles, um Inflation im Zaum zu halten.

zeit: Würde mehr Inflation in Europa helfen?

Hartnett: Ganz sicher. Banken, verschuldete Unternehmen und der Aktienmarkt würden profitieren.

zeit: Was muss sich ändern, damit Herr Elgeti pessimistischer und Herr Hartnett optimistischer wird?

Hartnett: Wenn der Ölpreis nach unten rasselt, unter 15 Dollar pro Barrel, dann werde ich ein Aktien-Bulle.

Elgeti: Meine größte Sorge gilt dem Dollar. Wenn es zum Dollar-Crash kommt, gilt fast nichts von dem, was ich gesagt habe.


Das Gespräch moderierten Robert von Heusinger und John F. Jungclaussen


(c) DIE ZEIT 15.05.2003 Nr.21  
WALDY:

Ein guter Beitrag zum Thema:

 
18.05.03 10:55


"Los kauft Ihr alten Säcke"

oder

"Sollten wir für Sparer nicht die
Todesstrafe einführen?"


MfG
 Waldy

Ps....

das gibt den Spruch:

"Eigentum ist Raub"

erst so richtig die Würtze..................
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