Hauptstadt kann ja jeder
Und wieder geht ein Ruck durchs Land: Lasst doch die PDS mittun!, bettelt der tolerante Wessi - Debatte
Von Cora Stephan
Zugegeben: Wir eingefleischten Wessis haben Berlin immer schon für ein bisschen anders gehalten, für etwas eigenbrötlerisch, ja manchmal richtig piefig. Und dann noch die Nähe zum Osten, dem einstigen Mekka von Soljanka und Rotkäppchensekt - das, denkt der metropolitane Hesse, muss ja Spuren hinterlassen. Weshalb er es großmütig für typisch berlinische Verschrobenheit und also für legitime kulturelle Eigenheit hält, wenn der Berliner einer Partei die Treue hält, die man in der alten Bundesrepublik als Klub der Pepitamuster- und Jägerhutträger verspottet hat. Die brauchen das eben, denkt er nachsichtig, der kultivierte Wessi, ihre PDS. Wg. Heimatgefühl.
So, denke ich, muss man sie sich vorstellen, die weltbürgerliche Reaktion aus, sagen wir mal: Frankfurt am Main auf die Wahlen in Berlin. Man verzeiht der Hauptstadt die PDS - schließlich: hat der progressive Wessi nicht auch minutenlang gedacht: "So was kommt von so was", als er die Türme des World Trade Center einstürzen sah? Und sind ihm die einschlägigen Paragrafen der Globalisierungskritik nicht bestens bekannt, auch wenn das damals "Antiimperialismus" hieß? Man braucht nicht mit der Gabe der Prophetie geschlagen zu sein, um vorherzusagen, was geschieht, sollte die neue Berliner Regierung nicht ohne die ehemalige SED auskommen: Man wolle niemanden ausgrenzen, wird der tolerante Wessi sagen. Und eine Partei, die in diesen Zeiten für den Frieden und für soziale Gerechtigkeit ist, kann ja nicht ganz schlecht sein, oder?
Es ist vergebliche Liebesmüh, der müden Unernsthaftigkeit, mit der nicht gerade wenige den beispiellosen Siegeszug der PDS in Berlin betrachten, mit dem Vorwurf zu begegnen, das lasse auf ein kurzes historisches Gedächtnis schließen. In der Tat - aber wäre das etwas Neues? Schließlich ist die Studentenbewegung von 1968 etwa genauso reflektiert den alten linken Weltbildern erlegen, wie es heute die Globalisierungsgegner sind. Wie weggeblasen waren damals die Erinnerungen an Moskauer Schauprozesse oder an Fluchten über die grüne Grenze von Ost nach West. Die hoch gestimmte Jugend und der deutsche moralische Mittelstand lassen sich nun einmal gerne umfloren von Vokabeln wie "Frieden" und "Menschheit" und "sozial" und "solidarisch". Dass solche Worthülsen in der Geschichte für die schlimmsten Verbrechen herhalten mussten, wird sie davon auch künftig nicht abhalten.
Es ist paradox: Würden die alten Lagerbilder noch gelten, so müsste man derzeit von einer Gleichzeitigkeit von Rechts- und Linksruck sprechen. Was die rot-grüne Bundesregierung dem Bürger zumutet, hätte man der Vorgängerregierung jedenfalls als rechtslastig ausgelegt. Außenminister und Bundeskanzler votieren für Krieg und üben weitestgehend Solidarität mit den USA, während der Innenminister an der Herstellung des gläsernen Bürgers bastelt. Da wäre aber früher etwas fällig gewesen!
Stattdessen: ein paar magere Demos mit der Urgroßmutter aller dummen Parolen. Von der Dritte-Weltkrieg-Hysterie zur Zeit des Golfkriegs 1991 oder vom wackeren Widerstand gegen die verbrecherische Volkszählung sind wir weit entfernt. Umso irritierender, dass auf der anderen Seite die Mythen der siebziger und achtziger Jahre noch ganz präsent zu sein scheinen - und ausgerechnet die PDS sich zu ihrem Heimatverband macht. Ist das die Wiederholung der Tragödie als Farce, ein modischer Schweinezyklus wie die Wiederkehr von Schlaghosen und Lammfellwesten, also ein Teil nationaler kultureller Eigenheiten?
Das Reflexhafte, mit der die üblichen Träger des guten Gewissens auf die Terroranschläge vom 11. September reagierten, legt Letzteres nahe. Was wusste man nicht alles zu sagen über die Amerikaner und George W. Bush, der plötzlich zum eigentlichen Aggressor wurde! Unverdaut sprudelte alles heraus, was man zur Zeit der Friedensbewegung gelernt haben mag - säckeweise Folklore aus dem Kalten Krieg, als es der Sowjetunion und ihrem deutschen Satelliten gelungen war, die Rolle der Friedensfreunde zu besetzen.
Kompliment, Genossen, möchte man ihnen hinterher rufen. Das war echte Pionierarbeit an der Propagandafront. Wäre ich paranoid, würde ich glatt die alten Fachleute noch an der Arbeit wähnen: nichts zermürbt den Feind nachhaltiger als die ständige Wiederkehr des immer Gleichen, der immer gleichen Parolen, vorgetragen mit der Maske der Unschuld und des Biedermannes.
Man mag sich trösten mit der alten Erkenntnis, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Und mit einer anderen, der jüngsten Lehre: Manchmal ist die Realität mächtiger als die Ideologie. Wer noch vor kurzem die Bundeswehr abschaffen und aus der Nato austreten wollte oder das Gewaltmonopol des Staates für etwas ganz Schlimmes hielt, sieht das plötzlich unter dem Druck der Ereignisse alles ganz anders. Davon, dass die Grünen um so realistischer werden müssen, je mehr Verantwortung sie tragen, profitiert eine "linke" Partei wie der Traditionsverband PDS nur, solange sie die Freiheit der Opposition genießt. Verantwortung wirkt belehrend.
Dass die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland demnächst von einer Gruppe linker Spießer mitregiert werden könnte - und wie das international ankommen könnte: nun, das ist ein anderes Kapitel. Der abgeklärte Frankfurter fand die vorherige Stadtregierung auch nicht ansehnlicher.
Und deshalb bewirbt sich die Mainmetropole jetzt für Olympia. Hauptstadt kann ja offenbar jeder.