Schulden sind wieder schön
2007 ändert sich die Börsenmode. Mächtige Fondsmanager verlangen von den Konzernen endlich Mut zu Wagnis und Wachstum. Den Aktienkursen könnte das gut tun. Von Robert von Heusinger
Es könnte die Überraschung des Wirtschaftsjahres 2007 werden: Die großen Aktiengesellschaften sparen sich nicht mehr gesund, sondern setzen auf Expansion, investieren kräftig in ihr Geschäft – und verschulden sich dafür.
Noch ist der Trend nur in Ansätzen zu sehen. Aber er findet dort statt, wo es zählt: im Denken der mächtigen Fondsverwalter und einflussreichen Analysten am internationalen Kapitalmarkt. Sie kreieren die großen Moden, und weil kaum eine Berufsgruppe modegläubiger ist als die Geldmenschen, laufen die allermeisten schnell mit. Nun lautet ihre neueste Botschaft: Die biedere Mode der vergangenen fünf Jahre könnte bald vorbei sein. An ihre Stelle soll etwas mehr Schick, etwas mehr Fantasie treten.
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Der sich abzeichnende Wechsel gipfelt in der Forderung: We want more … leverage! Auf gut Deutsch: Wir wollen, dass sich die Unternehmen erstmals wieder stärker verschulden. So steht es, fett gedruckt, in den Studien der tonangebenden Analysten. Und fast zwei Drittel der internationalen Vermögensverwalter halten das Schuldenniveau der Aktiengesellschaften gegenwärtig für zu niedrig, geht aus der monatlichen Umfrage der Investmentbank Merrill Lynch bei Fondsmanagern hervor.
Vor Kurzem klang das noch anders. Zwischen 2002 und Ende 2005 war Solidität das oberste Gebot, Schuldenabbau die erste Priorität. Danach standen hohe Ausschüttungen an die Aktionäre oben auf der Wunschliste der Fondsmanager. Erst unter »ferner liefen« wurden mitunter neue Investitionen und mehr Übernahmen gefordert. In Deutschland fielen besonders die Deutsche Bank, Deutsche Börse und der Chemiekonzern BASF auf, als sie große Bestände eigener Aktien zurückkauften. Die Deutsche Bank allein hat seit 2002 eigene Anteilsscheine im Wert von rund 13,6 Milliarden Euro zurückgekauft. Dann steigt zwar erst einmal der Aktienkurs, aber der Konzern wird dadurch nicht wertvoller, und ihm fehlen die Mittel, um zu investieren.
Kapitalmarktmoden werden meist aus vernünftigen Gründen erzeugt, verlieren sich dann jedoch im Exzess, bis sich eine neue Modewelle Bahn bricht. Zur Erinnerung: Vor der spießigen Zeit trug man am Kapitalmarkt Luxus pur. Unternehmen, die Dividenden zahlten, wurden als altmodisch belächelt. Wer etwas auf sich hielt, musste Geld ausgeben oder, wie es in der New Economy hieß, »verbrennen«. Je höher die monatlichen Verluste der Internetfirmen, desto höher bewerteten Anleger die Aktie. Dann folgte der Zusammenbruch der meisten New-Economy-Firmen – und es schlug die Stunde der biederen Manager.
Die Moden lassen sich an den Unternehmensausgaben ablesen (siehe Grafik). Noch in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben die größten Unternehmen der Euro-Länder – ohne Banken und Versicherer – im Schnitt zwei Drittel ihrer Mittel für Investitionen ausgegeben. Seither schrumpfte der Anteil zulasten von Aktionärverwöhnprogrammen, also vor allem von höheren Dividenden und Rückkaufaktionen, wie die Analysten der Citigroup berechnet haben.
Die neue Mode verschreckt diejenigen, die bisher profitierten
»Europäische Firmen werden unbarmherzig angetrieben, den Shareholder-Value zu steigern«, sagt Blaise Ganguin. Deshalb planten sie nun, ihre vorsichtige Finanzpolitik aus der Zeit nach dem Jahr 2000 aufzugeben, sagt der oberste Kreditanalyst für Europa in der Ratingagentur Standard & Poor’s in warnendem Ton. Ganguin muss es wissen, denn Ratingagenturen bewerten die Bonität der Firmen. Je weniger Schulden sie machen und je mehr Gewinn sie so erzielen, desto höher setzen sie die Bonität an.
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Aber muss man davor wirklich warnen? Es verschreckt zunächst diejenigen, die von der bisherigen Situation profitiert haben: die Besitzer von Unternehmensanleihen. Denn diese Anleihen waren recht sicher und recht teuer. Jetzt kommen Schulden und wagemutige Unternehmensstrategien wieder in Mode. Damit verschieben sich die Koordinaten im globalen Kapitalismus. Es sei »ein Schritt zurück zur Normalität«, wenn sich die Unternehmen wieder stärker verschuldeten, sagt Stefan Bergheim von DB Research.
In einer gesunden Volkswirtschaft verschuldet sich der Unternehmenssektor zunehmend und ermöglicht so den privaten Haushalten zu sparen. Wenn aber Unternehmen und Haushalte zeitgleich sparen, kommt es zur merkwürdigen Situation der vergangenen Jahre. Dann ist auf einmal zu viel Geld auf der Jagd nach Anlagemöglichkeiten. Dann sprechen Notenbanker vom »Zinsrätsel«, weil die langfristigen Zinsen ungewöhnlich niedrig bleiben. Dann sprechen Analysten von der »Liquiditätsschwemme«, in der »die Risikoprämien verschwunden sind«, wie es Tim Bond ausdrückt, ein Anlagestratege der britischen Investmentbank Barclays Capital.
Dann tickt der Kapitalismus verkehrt – und zwar kurzfristig sehr zur Freude der Anleger: Es war zwischen 2003 und 2005 schwierig, etwas falsch zu machen – ganz gleich, mit welcher Anlageklasse: Aktien, Anleihen, riskante Unternehmenstitel oder Papiere aus Schwellenländern – überall blinkten dicke Pluszeichen. Damit ist es jetzt aus. Vorbei. Bereits im vergangenen Jahr sind die Zinsen am Rentenmarkt ein wenig geklettert – und mithin die Kurse der Zinspapiere gefallen. Deshalb verbuchten die Besitzer lang laufender Anleihen kleinere Verluste. »2006 haben die Unternehmen aufgehört, Schulden abzubauen«, weiß Alexander Mertz, Leiter Unternehmensanleihen bei der Fondsgesellschaft Deka. Die Wende ist eingeläutet.
Der Internationale Währungsfonds warnte im Frühjahr vor dem Moment,von dem an sich die Unternehmen wieder verschulden. Dann entstünde unweigerlich »Aufwärtsdruck auf die langfristigen Zinsen«. Das ist ein wahrscheinliches Szenario für 2007. Höhere Zinsen und schlechtere Bonität der Firmenanleihen sprechen dafür, dass die Anleihen billiger werden.
Vor allem deutsche und europäische Aktien werden dagegen von vielen Gurus weiter empfohlen, obwohl die Kurse schon vier Jahre lang steigen. Doch diese Kurse haben sich im Gleichschritt mit den Unternehmensgewinnen entwickelt. Rekordgewinne und Rekordkurse gehen Hand in Hand. In Relation haben sich viele Aktien seit dem Jahr 2003 überhaupt nicht verteuert. Da das globale Wachstum sich auch im laufenden Jahr nicht merklich abschwächen dürfte, seien europäische Aktien »attraktiv«, sagt Roland Ziegler, der Aktienstratege der BHF-Bank. Denn das durchschnittliche Verhältnis von Kursen und Gewinnen sei mit rund 13 immer noch historisch niedrig.
»Vorstände, die auch in diesem Jahr passiv bleiben, riskieren ihren Job«
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Die holländische Bank ABN Amro hat sogar gute Gründe dafür, dass europäische Aktien 2007 noch wertvoller werden. »Die Vorstände werden wieder auf Wachstum setzen«, ist sich ihr Chefanleger Rolf Elgeti sicher, sei es durch Investitionen ins Kerngeschäft oder durch Fusionen und Übernahmen. Wenn die Konzerne aggressiver würden, könnte das Verhältnis von Kursen und Gewinnen steigen. Und viele müssen aggressiver werden: Vorstände, die auch 2007 passiv bleiben, »riskieren ihren Job«, sagt der Stratege von ABN Amro. Denn die professionellen Firmenjäger aus den Private-Equity-Fonds kennen sich mit dem Schuldenspiel bestens aus und verfügen zudem über volle Kassen. »Firmen mit zu geringen Schulden und gleichzeitig stabilen Erträgen werden einfach geschluckt«, vermutet Elgeti.
Bereits im abgelaufenen Jahr schlugen die Firmenjäger kräftig zu. Seit 2004 hat sich der Wert der Firmen verdreifacht, die jährlich von der Börse verschwunden sind und nun privat weitergeführt werden. Nach Berechnungen der Deutschen Bank haben Finanzinvestoren 2006 in Europa fast genauso hohe Firmenwerte von der Börse genommen, wie neue Unternehmen an die Börse gebracht wurden oder Aktiengesellschaften ihr Kapital erhöhten. In der Rechnung fehlen noch die Rückkäufe eigener Aktien. Addiert man sie dazu, dann dienten Europas Börsen zuletzt unter dem Strich dazu, Eigenkapital zurück an die Investoren zu geben. Auch das ist paradox. Laut Lehrbuch gehört es zur vornehmsten Aufgabe der Börse, Eigenkapital für rasch wachsende Firmen bereitzustellen.
Es sind nicht nur die niedrigen Zinsen, die den Firmenjägern die Sache derzeit leicht machen. Auch die Konzernmanager selbst helfen dem Geschäft auf die Sprünge. Unter dem Druck der Analysten haben sie eine immer höhere Rendite auf das Kapital angestrebt und neue Investitionen unterlassen, die nicht ganz den Supermargen entsprachen – auf Kosten des Firmenwachstums. Also investierten die Aktiengesellschaften weniger und wuchsen langsamer als Unternehmen, die nicht an der Börse sind. Sie sind daher heute ängstlicher und kleiner, als sie sein müssten – und erzielen dafür kurzfristig höhere Renditen. So ergab eine Auswertung des Handelsblatts, dass die 30 größten deutschen Familienunternehmen abseits der Börse – wie der Haniel-Konzern, Otto oder Aldi – im vergangenen Geschäftsjahr ihren Umsatz um 9,7 Prozent steigern konnten, während es die Dax-Konzerne nur auf ein Plus von 5,5 Prozent brachten. Noch drastischer: Die Familienfirmen legten 9,2 Prozent an Arbeitsplätzen zu, die Dax-Konzerne nur 1,6 Prozent.
Langfristig müssen ertragreiche Unternehmen aber auch viel investieren, und »die hohen Renditeforderungen waren ein Investitionsverhinderungsprogramm«, schimpft der Finanzprofessor Reinhard Schmidt von der Universität Frankfurt. Gerade wenn sie dauerhaft den Shareholder-Value vergrößern wollten, müssten die Unternehmen immer dann investieren, wenn der geschätzte Ertrag über den Kapitalkosten liege. Die Kapitalkosten lägen zwischen 7 und 9 Prozent, die meisten börsennotierten Unternehmen hätten aber erst ab erwarteten Renditen von 17 Prozent aufwärts investiert und damit »Wert für die Aktionäre vernichtet«, so Schmidt.
Nun deutet sich der Modenwechsel an. Die Manager der großen Fonds verlangen mehr Schulden, mehr Investitionen. In der Dezemberumfrage von Merrill Lynch monierte fast die Hälfte der Großanleger, die Firmen würden zu wenig in ihr Kerngeschäft investieren. Deutlich weniger meckerten über zu geringe Ausschüttungen an die Aktionäre.
Neue Moden korrigieren oft die Exzesse der alten. Gut möglich, dass das laufende Jahr mustergültig wird – dass die Aktienkurse noch steigen, weil die Vorstandschefs wieder auf Wachstum setzen und investieren, also Unternehmenswerte und Arbeitsplätze zugleich schaffen.
2007 ändert sich die Börsenmode. Mächtige Fondsmanager verlangen von den Konzernen endlich Mut zu Wagnis und Wachstum. Den Aktienkursen könnte das gut tun. Von Robert von Heusinger
Es könnte die Überraschung des Wirtschaftsjahres 2007 werden: Die großen Aktiengesellschaften sparen sich nicht mehr gesund, sondern setzen auf Expansion, investieren kräftig in ihr Geschäft – und verschulden sich dafür.
Noch ist der Trend nur in Ansätzen zu sehen. Aber er findet dort statt, wo es zählt: im Denken der mächtigen Fondsverwalter und einflussreichen Analysten am internationalen Kapitalmarkt. Sie kreieren die großen Moden, und weil kaum eine Berufsgruppe modegläubiger ist als die Geldmenschen, laufen die allermeisten schnell mit. Nun lautet ihre neueste Botschaft: Die biedere Mode der vergangenen fünf Jahre könnte bald vorbei sein. An ihre Stelle soll etwas mehr Schick, etwas mehr Fantasie treten.
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Der sich abzeichnende Wechsel gipfelt in der Forderung: We want more … leverage! Auf gut Deutsch: Wir wollen, dass sich die Unternehmen erstmals wieder stärker verschulden. So steht es, fett gedruckt, in den Studien der tonangebenden Analysten. Und fast zwei Drittel der internationalen Vermögensverwalter halten das Schuldenniveau der Aktiengesellschaften gegenwärtig für zu niedrig, geht aus der monatlichen Umfrage der Investmentbank Merrill Lynch bei Fondsmanagern hervor.
Vor Kurzem klang das noch anders. Zwischen 2002 und Ende 2005 war Solidität das oberste Gebot, Schuldenabbau die erste Priorität. Danach standen hohe Ausschüttungen an die Aktionäre oben auf der Wunschliste der Fondsmanager. Erst unter »ferner liefen« wurden mitunter neue Investitionen und mehr Übernahmen gefordert. In Deutschland fielen besonders die Deutsche Bank, Deutsche Börse und der Chemiekonzern BASF auf, als sie große Bestände eigener Aktien zurückkauften. Die Deutsche Bank allein hat seit 2002 eigene Anteilsscheine im Wert von rund 13,6 Milliarden Euro zurückgekauft. Dann steigt zwar erst einmal der Aktienkurs, aber der Konzern wird dadurch nicht wertvoller, und ihm fehlen die Mittel, um zu investieren.
Kapitalmarktmoden werden meist aus vernünftigen Gründen erzeugt, verlieren sich dann jedoch im Exzess, bis sich eine neue Modewelle Bahn bricht. Zur Erinnerung: Vor der spießigen Zeit trug man am Kapitalmarkt Luxus pur. Unternehmen, die Dividenden zahlten, wurden als altmodisch belächelt. Wer etwas auf sich hielt, musste Geld ausgeben oder, wie es in der New Economy hieß, »verbrennen«. Je höher die monatlichen Verluste der Internetfirmen, desto höher bewerteten Anleger die Aktie. Dann folgte der Zusammenbruch der meisten New-Economy-Firmen – und es schlug die Stunde der biederen Manager.
Die Moden lassen sich an den Unternehmensausgaben ablesen (siehe Grafik). Noch in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben die größten Unternehmen der Euro-Länder – ohne Banken und Versicherer – im Schnitt zwei Drittel ihrer Mittel für Investitionen ausgegeben. Seither schrumpfte der Anteil zulasten von Aktionärverwöhnprogrammen, also vor allem von höheren Dividenden und Rückkaufaktionen, wie die Analysten der Citigroup berechnet haben.
Die neue Mode verschreckt diejenigen, die bisher profitierten
»Europäische Firmen werden unbarmherzig angetrieben, den Shareholder-Value zu steigern«, sagt Blaise Ganguin. Deshalb planten sie nun, ihre vorsichtige Finanzpolitik aus der Zeit nach dem Jahr 2000 aufzugeben, sagt der oberste Kreditanalyst für Europa in der Ratingagentur Standard & Poor’s in warnendem Ton. Ganguin muss es wissen, denn Ratingagenturen bewerten die Bonität der Firmen. Je weniger Schulden sie machen und je mehr Gewinn sie so erzielen, desto höher setzen sie die Bonität an.
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In einer gesunden Volkswirtschaft verschuldet sich der Unternehmenssektor zunehmend und ermöglicht so den privaten Haushalten zu sparen. Wenn aber Unternehmen und Haushalte zeitgleich sparen, kommt es zur merkwürdigen Situation der vergangenen Jahre. Dann ist auf einmal zu viel Geld auf der Jagd nach Anlagemöglichkeiten. Dann sprechen Notenbanker vom »Zinsrätsel«, weil die langfristigen Zinsen ungewöhnlich niedrig bleiben. Dann sprechen Analysten von der »Liquiditätsschwemme«, in der »die Risikoprämien verschwunden sind«, wie es Tim Bond ausdrückt, ein Anlagestratege der britischen Investmentbank Barclays Capital.
Dann tickt der Kapitalismus verkehrt – und zwar kurzfristig sehr zur Freude der Anleger: Es war zwischen 2003 und 2005 schwierig, etwas falsch zu machen – ganz gleich, mit welcher Anlageklasse: Aktien, Anleihen, riskante Unternehmenstitel oder Papiere aus Schwellenländern – überall blinkten dicke Pluszeichen. Damit ist es jetzt aus. Vorbei. Bereits im vergangenen Jahr sind die Zinsen am Rentenmarkt ein wenig geklettert – und mithin die Kurse der Zinspapiere gefallen. Deshalb verbuchten die Besitzer lang laufender Anleihen kleinere Verluste. »2006 haben die Unternehmen aufgehört, Schulden abzubauen«, weiß Alexander Mertz, Leiter Unternehmensanleihen bei der Fondsgesellschaft Deka. Die Wende ist eingeläutet.
Der Internationale Währungsfonds warnte im Frühjahr vor dem Moment,von dem an sich die Unternehmen wieder verschulden. Dann entstünde unweigerlich »Aufwärtsdruck auf die langfristigen Zinsen«. Das ist ein wahrscheinliches Szenario für 2007. Höhere Zinsen und schlechtere Bonität der Firmenanleihen sprechen dafür, dass die Anleihen billiger werden.
Vor allem deutsche und europäische Aktien werden dagegen von vielen Gurus weiter empfohlen, obwohl die Kurse schon vier Jahre lang steigen. Doch diese Kurse haben sich im Gleichschritt mit den Unternehmensgewinnen entwickelt. Rekordgewinne und Rekordkurse gehen Hand in Hand. In Relation haben sich viele Aktien seit dem Jahr 2003 überhaupt nicht verteuert. Da das globale Wachstum sich auch im laufenden Jahr nicht merklich abschwächen dürfte, seien europäische Aktien »attraktiv«, sagt Roland Ziegler, der Aktienstratege der BHF-Bank. Denn das durchschnittliche Verhältnis von Kursen und Gewinnen sei mit rund 13 immer noch historisch niedrig.
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Die holländische Bank ABN Amro hat sogar gute Gründe dafür, dass europäische Aktien 2007 noch wertvoller werden. »Die Vorstände werden wieder auf Wachstum setzen«, ist sich ihr Chefanleger Rolf Elgeti sicher, sei es durch Investitionen ins Kerngeschäft oder durch Fusionen und Übernahmen. Wenn die Konzerne aggressiver würden, könnte das Verhältnis von Kursen und Gewinnen steigen. Und viele müssen aggressiver werden: Vorstände, die auch 2007 passiv bleiben, »riskieren ihren Job«, sagt der Stratege von ABN Amro. Denn die professionellen Firmenjäger aus den Private-Equity-Fonds kennen sich mit dem Schuldenspiel bestens aus und verfügen zudem über volle Kassen. »Firmen mit zu geringen Schulden und gleichzeitig stabilen Erträgen werden einfach geschluckt«, vermutet Elgeti.
Bereits im abgelaufenen Jahr schlugen die Firmenjäger kräftig zu. Seit 2004 hat sich der Wert der Firmen verdreifacht, die jährlich von der Börse verschwunden sind und nun privat weitergeführt werden. Nach Berechnungen der Deutschen Bank haben Finanzinvestoren 2006 in Europa fast genauso hohe Firmenwerte von der Börse genommen, wie neue Unternehmen an die Börse gebracht wurden oder Aktiengesellschaften ihr Kapital erhöhten. In der Rechnung fehlen noch die Rückkäufe eigener Aktien. Addiert man sie dazu, dann dienten Europas Börsen zuletzt unter dem Strich dazu, Eigenkapital zurück an die Investoren zu geben. Auch das ist paradox. Laut Lehrbuch gehört es zur vornehmsten Aufgabe der Börse, Eigenkapital für rasch wachsende Firmen bereitzustellen.
Es sind nicht nur die niedrigen Zinsen, die den Firmenjägern die Sache derzeit leicht machen. Auch die Konzernmanager selbst helfen dem Geschäft auf die Sprünge. Unter dem Druck der Analysten haben sie eine immer höhere Rendite auf das Kapital angestrebt und neue Investitionen unterlassen, die nicht ganz den Supermargen entsprachen – auf Kosten des Firmenwachstums. Also investierten die Aktiengesellschaften weniger und wuchsen langsamer als Unternehmen, die nicht an der Börse sind. Sie sind daher heute ängstlicher und kleiner, als sie sein müssten – und erzielen dafür kurzfristig höhere Renditen. So ergab eine Auswertung des Handelsblatts, dass die 30 größten deutschen Familienunternehmen abseits der Börse – wie der Haniel-Konzern, Otto oder Aldi – im vergangenen Geschäftsjahr ihren Umsatz um 9,7 Prozent steigern konnten, während es die Dax-Konzerne nur auf ein Plus von 5,5 Prozent brachten. Noch drastischer: Die Familienfirmen legten 9,2 Prozent an Arbeitsplätzen zu, die Dax-Konzerne nur 1,6 Prozent.
Langfristig müssen ertragreiche Unternehmen aber auch viel investieren, und »die hohen Renditeforderungen waren ein Investitionsverhinderungsprogramm«, schimpft der Finanzprofessor Reinhard Schmidt von der Universität Frankfurt. Gerade wenn sie dauerhaft den Shareholder-Value vergrößern wollten, müssten die Unternehmen immer dann investieren, wenn der geschätzte Ertrag über den Kapitalkosten liege. Die Kapitalkosten lägen zwischen 7 und 9 Prozent, die meisten börsennotierten Unternehmen hätten aber erst ab erwarteten Renditen von 17 Prozent aufwärts investiert und damit »Wert für die Aktionäre vernichtet«, so Schmidt.
Nun deutet sich der Modenwechsel an. Die Manager der großen Fonds verlangen mehr Schulden, mehr Investitionen. In der Dezemberumfrage von Merrill Lynch monierte fast die Hälfte der Großanleger, die Firmen würden zu wenig in ihr Kerngeschäft investieren. Deutlich weniger meckerten über zu geringe Ausschüttungen an die Aktionäre.
Neue Moden korrigieren oft die Exzesse der alten. Gut möglich, dass das laufende Jahr mustergültig wird – dass die Aktienkurse noch steigen, weil die Vorstandschefs wieder auf Wachstum setzen und investieren, also Unternehmenswerte und Arbeitsplätze zugleich schaffen.