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Taliban drohen mit Gegenschlägen
Eine Spirale der Gewalt zeichnet sich ab. Die Vereinigten Staaten rüsten sich für einen militärischen Vergeltungsschlag. Lufteinheiten auf 26 Stützpunkten wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Für den Fall eines amerikanischen Angriffes hat das afghanische Taliban-Regime mit Rache gedroht.
DPA
Taliban-Botschafter Abdul Salam Saif droht den USA
Washington - Als Reaktion auf die Terroranschläge haben die USA eine umfassende längerfristige Militäraktion angekündigt. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sagte in einer Botschaft an die Truppen: "Sehr, sehr viel wird von euch in den nächsten Wochen und Monaten verlangt werden. Das gilt vor allem für diejenigen draußen im Feld."
Auch in Alarmbereitschaft versetzte Abfangjäger sind nach Angaben von Rumsfeld binnen 15 Minuten einsatzbereit. Diese Flugzeuge dienen dem Schutz vor weiteren Attacken auf US-Territorium.
Spirale der Gewalt
Angesichts eines möglichen Militärschlags gegen Afghanistan hat das dort herrschende Taliban-Regime den Amerikanern entgegengehalten, ein Vergeltungsschlag sei selbst ein Terrorakt. "Ich erwarte keine schnelle (Vergeltungs-) Aktion ohne Vorliegen von Beweisen (für eine Mitschuld Afghanistans an den Anschlägen in den USA). Wenn Amerika dennoch angreift, verübt es selbst einen Terroranschlag", sagte der Botschafter der radikal- islamischen Taliban in Pakistan, Abdul Salam Saif, in Islamabad.
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Saif wiederholte eine Erklärung von Taliban-Führer Mohammed Omar, wonach die ersten US-Ermittlungsergebnisse einem "Freispruch für Osama" gleichkämen, denn dieser verfüge über keine Piloten. Die Ausbildung von Piloten sei Sache einer funktionierenden Regierung. In Afghanistan gebe es keine Ausbildungsmöglichkeiten. Nach Angaben von US-Fahndern besuchten einige der mutmaßlichen Selbstmordattentäter eine Flugschule in Florida.
Die Rolle Pakistans
Die USA haben Pakistan um eine Überflugserlaubnis gebeten. Die Regierung in Islamabad hat sich in dieser Frage Bedenkzeit auserbeten. Geheimdienstchef Mehmood Ahmed sagte in Washington, die Wünsche der USA müssten erst geprüft werden. Die Vereinigten Staaten hatte Pakistan auch darum gebeten, die Grenze zu Afghanistan zu schließen. Der Flughafen der pakistanischen Hauptstadt Islamabad wurde am Freitagmorgen ohne Angabe von Gründen für zweieinhalb Stunden geschlossen. Die Uno hat alle Flüge nach Afghanistan gestoppt. Viele Ausländer haben das Land inzwischen verlassen.
Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf hatte nach einem Bericht des amerikanischen Nachrichtensenders CNN zunächst erklärt, dass seine Regierung die Bemühungen der USA gegen den Terrorismus voll unterstütze.
Die Position Pakistans ist damit unklar. Das Land gilt im Mittleren Osten als der wichtigste Verbündete der USA. Gleichzeitig unterstützt Islamabad angesichts starkem islamistischem Druck im eigenen Land das Taliban-Regime in Afghanistan. Indien unterdessen hat der USA "jede operationelle Hilfe" angeboten.
AP
US-Army: "Kein einzelner Militärschlag, sondern ein Feldzug"
Aus dem US-Verteidigungsministerium verlautete am späten Donnerstagabend, Rumsfeld habe US-Präsident George W. Bush ersucht, 50.000 Reservisten einzuberufen. Sie könnten Sicherheitsaufgaben im Land übernehmen und aktive Einheiten der Streitkräfte verstärken, die sich auf einen möglichen Vergeltungsschlag für die Terrorakte vorbereiteten.
Nach dem Gesetz kann der Präsident bis zu eine Million Reservisten zum aktiven Dienst bis zu 24 Monate einberufen. Zuletzt hatte Bushs Vater und Amtsvorgänger George Bush während des Golfkriegs im Januar 1991 über 260.000 Reservisten und Mitglieder der Nationalgarde mobilisiert.
Powell: Bin Laden ist Hauptverdächtiger
US-Außenminister Colin Powell sagte unterdessen, der "Hauptverdächtige" der Terroranschläge in den USA sei Osama Bin Laden. Es war am Donnerstag der bislang stärkste offizielle Hinweis, dass Washington den aus Saudi-Arabien stammenden mutmaßlichen Terroristenführer für den Drahtzieher hält und Maßnahmen gegen ihn vorbereitet. Gleichzeitig verlautete jedoch aus Regierungskreisen, dass mehr als eine Tätergruppe beteiligt gewesen sein könnte. "Wir wollen nicht voreilig handeln. Wir wollen sicher sein, dass wir alle Verbindungen verstehen, nicht nur eine."
Der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz kündigte an, es werde nicht einen einzelnen Militärschlag geben, sondern einen Feldzug. Die USA würden die Vergeltungsaktion gegen die Verantwortlichen und deren Helfer so lange fortführen, bis der Terror beendet sei, sagte er weiter.
Ein Teil des 20-Milliarden-Dollar-Paketes, um dessen Freigabe Präsident George W. Bush den Kongress gebeten habe, solle zur Stärkung der Streitkräfte im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt werden. Einzelheiten eines Einsatzes nannte Wolfowitz nicht. Bush stehe eine ganze Palette von Möglichkeiten zur Wahl. Der Kampf gegen die Urheber der Anschläge werde nicht nur auf die Streitkräfte begrenzt bleiben, erklärte Wolfowitz.
Ziele sind Schlupfwinkel und helfende Staaten
Es gehe nicht nur darum, Menschen gefangen zu nehmen und zur Rechenschaft zu ziehen, sondern Schlupfwinkel und helfende Systeme auszuschalten und Staaten auszuschalten (ending states), die Terrorismus unterstützten.
Die US-Regierung treibe mit Entschlossenheit die diplomatischen und militärischen Vorarbeiten für einen Militärschlag voran, der sich wahrscheinlich gegen den mutmaßlichen saudischen Terroristenführer Osama Bin Laden und Afghanistan richten werde, schrieb die "Washington Post" am Donnerstag.
Der stellvertretende US-Außenminister Richard Armitage wird am 19. und 20. September Gespräche in Brüssel und Moskau führen, teilte US-Außenamtssprecher Richard Boucher mit. In Russland trete die gemeinsame Arbeitsgruppe über Afghanistan zusammen. Das Ministerium lobte darüber hinaus eine Belohnung von fünf Millionen Dollar für Hinweise aus, die zur Ergreifung der für die Terrorserie Verantwortlichen führen.
Alle für einen
Die Nato betrachtet die Terroranschläge in den USA als Angriff auf das gesamte Bündnis, falls sie von einem fremden Staat aus eingeleitet worden sein sollten. Das teilte Generalsekretär George Robertson nach der Sondersitzung des Nordatlantikrates in Brüssel mit. In diesem Fall wären erstmals in der mehr als 50-jährigen Geschichte der Nato alle Mitglieder der Allianz zur gemeinsamen Verteidigung verpflichtet, wobei das Ausmaß der Beteiligung von den Entscheidungen der einzelnen Regierungen abhängen würde.
Der britische Premierminister Tony Blair hat am Freitag eine "entschlossene Antwort" auf die Terroranschläge in den USA unterstrichen. Auf einer Sondersitzung des aus der Sommerpause zurückgerufenen Parlaments beteuerte Blair die volle Unterstützung Londons für US-Präsident George W. Bush. "Nach der Trauer müssen wir handeln, um die Lebenden zu schützen", sagte Blair vor dem voll besetzten Unterhaus.
Blair machte aber auch deutlich, dass er eine pauschale Verurteilung der islamischen Staaten in Zusammenhang mit den Anschlägen ablehnt. "Der Islam ist dafür nicht verantwortlich", sagte er. Vielmehr hätten zahlreiche moslemische Staaten die Vorgänge verurteilt und ihre Unterstützung für eine Reaktion zugesagt. Auch Japan sagte den USA Unterstützung für den Fall von Vergeltungsmaßnahmen zu.
Dass sich die Bundeswehr direkt an einem militärischen Vergeltungsschlag beteiligt, gilt als unwahrscheinlich. Die Bundesregierung bereitet sich jedoch auf eine weit reichende deutsche Unterstützung vor. Bundeskanzler Gerhard Schröder beriet darüber am Donnerstag mit den zuständigen Ministern und engen Mitarbeitern. Verteidigungsminister Rudolf Scharping warnte jedoch vor Panikmache. "Wir stehen nicht vor einem Krieg, wir stehen vor der Frage, was ist eine angemessene Antwort", sagte er in der ARD.