auch bei der Haltung Rußlands geht es um die große Kohle
Die russische Angst vor der Ölschwemme
Von Lutz C. Kleveman
Nicht nur bei den amerikanischen und britischen Irak-Angriffsplänen geht es ums Öl, sondern auch bei dem russischen Widerstand gegen eine Invasion. Eine Öl-Schwemme nach dem Krieg gefährdet den russischen Staatshaushalt, Moskaus Ölbaronen drohen wichtige Verträge im Irak wegzubrechen.
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In Russland fürchtet man, dass ein von den USA erobertes Irak mittelfristig den Weltmarkt mit Rohöl überschwemmt und so den Weltmarkt-Preis drückt. Ein solches Dumping würde Russlands eigene Öl-Profite einbrechen lassen.
"Wir werden gegen jede zweite UN-Resolution ein Veto einlegen, die den Amerikanern einen Angriff im Irak ermöglichen könnte", kündigte bereits im Dezember ein hochrangiger russischer Diplomat im Nahen Osten gegenüber SPIEGEL ONLINE an. "Wir können uns die möglichen Folgen eines Kriegs für unsere Ölindustrie einfach nicht leisten."
"Unser Budget würde zusammenbrechen"
In einem gewaltigen Kraftakt hat Russland in den vergangenen drei Jahren seine Ölexporte um ein Drittel auf acht Millionen Barrel pro Tag gesteigert. Mehr als sechs Milliarden Dollar bringen sie dem Land jeden Monat. Das Pipeline-Netz ist voll ausgelastet, schon soll eine neue Riesen-Röhre zum arktischen Hafen Murmansk gebaut werden. Kein Wunder also, dass sich der russische Staatshaushalt überwiegend durch Einnahmen aus der sibirischen Öl- und Gasindustrie trägt. Kein anderer Wirtschaftssektor ist so wichtig in der einstigen Weltmacht, die heute ökonomisch kaum mehr als Belgien leistet.
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Die russische Wirtschaft hat allerdings im Irak viel zu verlieren. Im Jahre 1997 schloss der Ölgigant Lukoil ein Abkommen mit Bagdad, das Ölfeld in West Qurna erschliessen zu dürfen. Wert des Deals: 20 Milliarden Dollar. Zwar kündigte das Hussein-Regime vor einigen Wochen den Vertrag einseitig aus Ärger über Moskaus Unterstützung für die UN-Resolution 1441, doch eine eiligst nach Bagdad entsandte russische Delegation aus Diplomaten und Ölbaronen stimmte den Diktator einstweilen wieder um. Auch chinesische und französische Energiekonzerne sind seit Jahren im Irak aktiv. TotalFinaElf unterschrieb in den 90er Jahren zwei Vorverträge, um die Ölfelder von Madschnun und Nahr Umar zu erschliessen.
Lockmittel aus Washington
Zwar haben die Unternehmen auch ein Interesse am Sturz Husseins, denn nur nach Ende der Sanktionen können sie mit der profitablen Arbeit im Irak beginnen. Dennoch fürchtet man besonders in Moskau und Paris, dass eine Washington zu Dank verpflichtete neue Regierung in Bagdad die Verträge des alten Regimes für null und nichtig erklären könnte - um sie US-Konzernen anzubieten. Die amerikanische Diplomatie hat sich daher darauf konzentriert, Russen und Franzosen ein Fortbestehen ihrer Verträge zuzusichern. Allerdings spielt der Wettstreit zwischen Ölkonzernen an sich in der Irak-Krise nur eine eher unbedeutende Rolle - entscheidend sind die strategischen Öl-Interessen. Washingtons Diplomaten werden versuchen, die Russen durch gesamtwirtschaftliche Vorteile zum Einlenken zu bewegen. Bereits angedacht ist eine amerikanisch-russische "Energie-Partnerschaft", in der die Branchengiganten Lukoil und Yukos ihr westsibirisches Öl direkt an die USA liefern würden. Trotz eines großen Hypes in der amerikanischen Presse hat die "Energie-Partnerschaft" allerdings bislang wenig greifbare Resultate gezeitigt.
In Moskau ist man misstrauisch geworden. Die Handelserleichterungen, die Bush den Russen für ihr Stillhalten bei der Stationierung von US-Truppen im ehemals sowjetischen Zentralasien vor dem Afghanistan-Feldzug im Herbst 2001 versprochen hat, lassen bis heute auf sich warten. Besonders Moskaus konservative Machtzirkel wie das Außenministerium und die Armee argwöhnen mittlerweilen, dass die Amerikaner in Zentralasien weniger hinter Terroristen als hinter den sagenhaften Rohstoffreserven des Kaspischen Meers her sind. Im Irak geht das große Spiel um das verbleibende Öl der Erde in seine entscheidende Phase.