Warum Pakistaner in Sachsen-Anhalt Gulasch kochten
Von Rüdiger Strauch
Als in Ostdeutschland den Menschen das Wasser buchstäblich bis zum Hals stand, kamen Hilfsangebote selbst aus den ärmsten Ländern der Welt. Für das Dorf Prettin entpuppte sich einige Pakistaner als wahre Engel - unermüdlich pumpten sie Keller aus, füllten Tausende Suppenteller und spendeten obendrein Kleider im Wert von 200.000 Euro.
Pakistanische Hilfe für deutsche Soldaten im Hochwassereinsatz: Humanity-First Mitarbeiter bei der Essenausgabe
Prettin - Zuerst waren die Menschen in Prettin, einem kleinen Ort an der Elbe, ein wenig verwundert. Die dunkelhaarigen Hochwasser-Helfer, die soeben in Gummistiefel geschlüpft waren und sich Handschuhe angezogen hatten, um beim Ausräumen der überschwemmten Keller zu helfen, waren plötzlich verschwunden. Die ersten Zweifel kamen auf, ob man sich auf die Hilfe der Freiwilligen auch wirklich verlassen könne.
Gebetspausen im Katastrophengebiet
Doch dann standen Raschid Nawaz und seine Kollegen plötzlich wieder im Keller und packten beherzt mit an. "Sie hatten einfach ein stilles Örtchen gesucht, um ihre kurze Gebetspause einzulegen", erklärt Erhard Brauße verständnisvoll. Der Rentner aus dem Dörfchen in der Nähe von Wittenberg mit seinen knapp 2400 Einwohnern gerät immer noch ins Schwärmen, wenn er an die unglaubliche Hilfsbereitschaft der 84 Freiwilligen von der deutsch-pakistanischen Hilfsorganisation "Humanity First" denkt. Und kann es kaum fassen, dass Pakistaner und aus Pakistan stammende Deutsche eigens in die ostdeutsche Flutregion aufgebrochen sind, um mittellos gewordenen Menschen zu helfen.
"Das ist doch eine Selbstverständlichkeit", entgegnet Raschid Nawaz. Der 30-Jährige, der zurzeit an der TU im sächsischen Freiberg an seiner Doktorarbeit schreibt, möchte den Leuten in Deutschland etwas zurückgeben. Aus, wie er selbst sagt, Dankbarkeit dafür, dass er hier mehr als nur Zuflucht gefunden hat. "Meine zweite Heimat" nennt er die Bundesrepublik.
Verfolgt und vertrieben
Vor sieben Jahren floh Raschid Nawaz alleine aus Pakistan. Einem Vielvölkerstaat, in dem religiös motivierte Unruhen an der Tagesordnung sind. Nawaz gehört der islamischen Reformgemeinde der Ahmadiyya Muslim Jammat an. Ihre Angehörigen treten für eine strikte Trennung von Politik und Religion ein und fordern die Menschen auf, sich selbstlos zum Wohle der Menschheit einzusetzen. Wie im sachsen-anhaltinischen Prettin. In Pakistan allerdings werden die Ahmadiyya-Muslime für ihre Lebenseinstellung nicht gemocht. Sogar verfolgt. Unter dem Einfluss religiöser Fanatiker betreibt die dortige Regierung eine Politik, die viele Gemeindemitglieder ins Exil treibt. In mehr als 120 Länder der Erde sind die Ahmadiyya-Muslime vertreten; vor allem in Großbritannien, wohin 1984 auch Hazrat Mirza Tahir Ahmad, der gewählte Nachfolger des verheißenen Messias, auswanderte.
Auch in Deutschland fanden sich zahlreiche Ahmadiyya-Gläubige zusammen und gründeten 1997 die Hilfsorganisation "Humanity First". Rund tausend Mitglieder gehören ihr an, zumeist pakistanischstämmige Deutsche, die mit großem Engagement für mehr Menschlichkeit eintreten. "Bei uns kann jeder mitmachen, und wir helfen auch jedem", sagt Mansoor Ahmad, Vorsitzender von "Humanity First" in Frankfurt und bekennt, dass er nie daran geglaubt hätte, dass ein Einsatz auch einmal in Deutschland notwendig werden würde.
Land unter im Kreis Wittenberg: Die Elbe setze weite Teile der Umgebung unter Wasser
Und noch dazu war es einer der größten in der kurzen Geschichte von "Humanity First". Etwa hundert Helfer schufteten mehrere Wochen, schleppten Sandsäcke und kochten in improvisierten Suppenküchen für Hilfsbedürftige. "Am ersten Tag haben wir noch pakistanische Gerichte gekocht", erzählt Raschid Nawaz. Allerdings habe er sehr schnell bemerkt, dass die vorderasiatische Küche nichts für jeden deutschen Gaumen sei. "Wir wollten keine Unruhe stiften und haben dann eben nach deutschen Rezepten gekocht." Schnitzel, Gulasch, Eintopf. Schließlich versorgten sieben Helfer bis zu tausend ostdeutsche Flutopfer.
"Humanity First": Weltweit im Hilfseinsatz
Genug Erfahrung jedenfalls brachten die Angehörigen von "Humanity First" mit. Nach den schweren Erdbeben in der Türkei, in Indien und Japan rückten sie von Deutschland in die Katastrophengebiete aus. Auch in Afrika war die muslimische Hilfsorganisation bereits aktiv. In den Dürrezonen Äthiopiens, im vom Bürgerkrieg gebeutelten Sierra Leone - und in Mosambik. Dort, um den Hochwasseropfern mit Nahrung und Hilfsgütern beizustehen.
Eigentlich macht der Einsatzort für die Angehörigen der Ahmadiyya-Gemeinde keinen Unterschied. In Prettin, gibt Mansoor Ahmad zu, war das ein bisschen anders. "Es ging auch um Patriotismus. Das sind unsere Landsleute, die in Not gekommen sind", sagt er. Viele der ehemaligen Pakistaner haben inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie alle spendeten Zeit und Geld, um vor Ort Hilfe leisten zu können. "Humanity First" nutzt das bislang geringe Spendenaufkommen gerade deswegen so effektiv, weil die Freiwilligen weder Verpflegungskosten noch Verdienstausfall erhalten. Jeder arbeitet unentgeltlich. "Unsere Verwaltungskosten liegen bei unter einem Prozent", verweist Mansoor Ahmad auf die Bilanz seiner Organisation.
Bleiben in Prettin unvergessen: Humanity-First-Vorsitzender Mansoor Ahmad (Mitte) und seine Mitstreiter
"Wir werden das gutmachen"
Erhard Brauße aus Prettin interessiert dies nur am Rande. Er hat noch die bewegenden Bilder der fremdländisch aussehenden Helfer vor Augen, die seinem Schwiegersohn halfen, den Keller auszupumpen. Am Sonntag werden die Prettiner noch mehr Grund zur Dankbarkeit haben: Dann wird ein deutsch-pakistanischer Unternehmer seine Spende übergeben: 5657 Jacken, 30.000 Hosen, Blusen und Hemden - insgesamt Kleider im Wert von 200.000 Euro. Neuwertig versteht sich. Kein Wunder also, wenn Brause meint: "Wir werden traurig sein, wenn sich Raschid und die übrigen am Sonntag wieder auf den Nachhauseweg machen." Wenn sich Prettin, wo 600 der insgesamt 720 Häuser vom Elbe-Hochwasser überflutet wurden, wieder erholt habe, dann erst werde wohl allen Bürgern bewusst, wie groß die Hilfsbereitschaft sei. "Wir werden das gutmachen", erklärt Brauße. Wenn Pakistan von einer Naturkatastrophe heimgesucht werde, dann werde das Spendenaufkommen in dem kleinen Dorf bundesweit am höchsten sein, ist er überzeugt. Brauße geht sogar noch weiter: "Dann werden wir nach Asien fahren."
Deutsch-pakistanische Hilfsorganisation "Humanity First e.V.", Kontonummer 500 284 676, Bank Frankfurter Volksbank eG, BLZ 501 900 00,
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,212665,00.html
Von Rüdiger Strauch
Als in Ostdeutschland den Menschen das Wasser buchstäblich bis zum Hals stand, kamen Hilfsangebote selbst aus den ärmsten Ländern der Welt. Für das Dorf Prettin entpuppte sich einige Pakistaner als wahre Engel - unermüdlich pumpten sie Keller aus, füllten Tausende Suppenteller und spendeten obendrein Kleider im Wert von 200.000 Euro.
Pakistanische Hilfe für deutsche Soldaten im Hochwassereinsatz: Humanity-First Mitarbeiter bei der Essenausgabe
Prettin - Zuerst waren die Menschen in Prettin, einem kleinen Ort an der Elbe, ein wenig verwundert. Die dunkelhaarigen Hochwasser-Helfer, die soeben in Gummistiefel geschlüpft waren und sich Handschuhe angezogen hatten, um beim Ausräumen der überschwemmten Keller zu helfen, waren plötzlich verschwunden. Die ersten Zweifel kamen auf, ob man sich auf die Hilfe der Freiwilligen auch wirklich verlassen könne.
Gebetspausen im Katastrophengebiet
Doch dann standen Raschid Nawaz und seine Kollegen plötzlich wieder im Keller und packten beherzt mit an. "Sie hatten einfach ein stilles Örtchen gesucht, um ihre kurze Gebetspause einzulegen", erklärt Erhard Brauße verständnisvoll. Der Rentner aus dem Dörfchen in der Nähe von Wittenberg mit seinen knapp 2400 Einwohnern gerät immer noch ins Schwärmen, wenn er an die unglaubliche Hilfsbereitschaft der 84 Freiwilligen von der deutsch-pakistanischen Hilfsorganisation "Humanity First" denkt. Und kann es kaum fassen, dass Pakistaner und aus Pakistan stammende Deutsche eigens in die ostdeutsche Flutregion aufgebrochen sind, um mittellos gewordenen Menschen zu helfen.
"Das ist doch eine Selbstverständlichkeit", entgegnet Raschid Nawaz. Der 30-Jährige, der zurzeit an der TU im sächsischen Freiberg an seiner Doktorarbeit schreibt, möchte den Leuten in Deutschland etwas zurückgeben. Aus, wie er selbst sagt, Dankbarkeit dafür, dass er hier mehr als nur Zuflucht gefunden hat. "Meine zweite Heimat" nennt er die Bundesrepublik.
Verfolgt und vertrieben
Vor sieben Jahren floh Raschid Nawaz alleine aus Pakistan. Einem Vielvölkerstaat, in dem religiös motivierte Unruhen an der Tagesordnung sind. Nawaz gehört der islamischen Reformgemeinde der Ahmadiyya Muslim Jammat an. Ihre Angehörigen treten für eine strikte Trennung von Politik und Religion ein und fordern die Menschen auf, sich selbstlos zum Wohle der Menschheit einzusetzen. Wie im sachsen-anhaltinischen Prettin. In Pakistan allerdings werden die Ahmadiyya-Muslime für ihre Lebenseinstellung nicht gemocht. Sogar verfolgt. Unter dem Einfluss religiöser Fanatiker betreibt die dortige Regierung eine Politik, die viele Gemeindemitglieder ins Exil treibt. In mehr als 120 Länder der Erde sind die Ahmadiyya-Muslime vertreten; vor allem in Großbritannien, wohin 1984 auch Hazrat Mirza Tahir Ahmad, der gewählte Nachfolger des verheißenen Messias, auswanderte.
Auch in Deutschland fanden sich zahlreiche Ahmadiyya-Gläubige zusammen und gründeten 1997 die Hilfsorganisation "Humanity First". Rund tausend Mitglieder gehören ihr an, zumeist pakistanischstämmige Deutsche, die mit großem Engagement für mehr Menschlichkeit eintreten. "Bei uns kann jeder mitmachen, und wir helfen auch jedem", sagt Mansoor Ahmad, Vorsitzender von "Humanity First" in Frankfurt und bekennt, dass er nie daran geglaubt hätte, dass ein Einsatz auch einmal in Deutschland notwendig werden würde.
Land unter im Kreis Wittenberg: Die Elbe setze weite Teile der Umgebung unter Wasser
Und noch dazu war es einer der größten in der kurzen Geschichte von "Humanity First". Etwa hundert Helfer schufteten mehrere Wochen, schleppten Sandsäcke und kochten in improvisierten Suppenküchen für Hilfsbedürftige. "Am ersten Tag haben wir noch pakistanische Gerichte gekocht", erzählt Raschid Nawaz. Allerdings habe er sehr schnell bemerkt, dass die vorderasiatische Küche nichts für jeden deutschen Gaumen sei. "Wir wollten keine Unruhe stiften und haben dann eben nach deutschen Rezepten gekocht." Schnitzel, Gulasch, Eintopf. Schließlich versorgten sieben Helfer bis zu tausend ostdeutsche Flutopfer.
"Humanity First": Weltweit im Hilfseinsatz
Genug Erfahrung jedenfalls brachten die Angehörigen von "Humanity First" mit. Nach den schweren Erdbeben in der Türkei, in Indien und Japan rückten sie von Deutschland in die Katastrophengebiete aus. Auch in Afrika war die muslimische Hilfsorganisation bereits aktiv. In den Dürrezonen Äthiopiens, im vom Bürgerkrieg gebeutelten Sierra Leone - und in Mosambik. Dort, um den Hochwasseropfern mit Nahrung und Hilfsgütern beizustehen.
Eigentlich macht der Einsatzort für die Angehörigen der Ahmadiyya-Gemeinde keinen Unterschied. In Prettin, gibt Mansoor Ahmad zu, war das ein bisschen anders. "Es ging auch um Patriotismus. Das sind unsere Landsleute, die in Not gekommen sind", sagt er. Viele der ehemaligen Pakistaner haben inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie alle spendeten Zeit und Geld, um vor Ort Hilfe leisten zu können. "Humanity First" nutzt das bislang geringe Spendenaufkommen gerade deswegen so effektiv, weil die Freiwilligen weder Verpflegungskosten noch Verdienstausfall erhalten. Jeder arbeitet unentgeltlich. "Unsere Verwaltungskosten liegen bei unter einem Prozent", verweist Mansoor Ahmad auf die Bilanz seiner Organisation.
Bleiben in Prettin unvergessen: Humanity-First-Vorsitzender Mansoor Ahmad (Mitte) und seine Mitstreiter
"Wir werden das gutmachen"
Erhard Brauße aus Prettin interessiert dies nur am Rande. Er hat noch die bewegenden Bilder der fremdländisch aussehenden Helfer vor Augen, die seinem Schwiegersohn halfen, den Keller auszupumpen. Am Sonntag werden die Prettiner noch mehr Grund zur Dankbarkeit haben: Dann wird ein deutsch-pakistanischer Unternehmer seine Spende übergeben: 5657 Jacken, 30.000 Hosen, Blusen und Hemden - insgesamt Kleider im Wert von 200.000 Euro. Neuwertig versteht sich. Kein Wunder also, wenn Brause meint: "Wir werden traurig sein, wenn sich Raschid und die übrigen am Sonntag wieder auf den Nachhauseweg machen." Wenn sich Prettin, wo 600 der insgesamt 720 Häuser vom Elbe-Hochwasser überflutet wurden, wieder erholt habe, dann erst werde wohl allen Bürgern bewusst, wie groß die Hilfsbereitschaft sei. "Wir werden das gutmachen", erklärt Brauße. Wenn Pakistan von einer Naturkatastrophe heimgesucht werde, dann werde das Spendenaufkommen in dem kleinen Dorf bundesweit am höchsten sein, ist er überzeugt. Brauße geht sogar noch weiter: "Dann werden wir nach Asien fahren."
Deutsch-pakistanische Hilfsorganisation "Humanity First e.V.", Kontonummer 500 284 676, Bank Frankfurter Volksbank eG, BLZ 501 900 00,
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,212665,00.html