Warum Optimisten den Börsenkrach herbeisehnen

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Dixie:

Warum Optimisten den Börsenkrach herbeisehnen

 
03.09.01 08:09
Warum Optimisten einen Börsenkrach herbeisehnen

Kolumne von Frank Mella

Seit 18 Monaten fallen die Aktienkurse. Einigen Börsianern ist inzwischen ein Ende mit Schrecken lieber als ein Schrecken ohne Ende. Sie hoffen auf einen Börsenkrach - zum Teil aus durchsichtigen Motiven. Ein finaler Ausverkauf beschert Maklern hohe Umsätze und satte Provisionen, short positionierte Hedge-Fonds machen fette Beute und institutionelle Strategen kommen zu günstigen Kursen an hohe Stückzahlen, wenn sie die zittrigen Anleger abfischen und die letzten Standhaften zur Kapitulation zwingen. Nach dem Gewitter wäre die Luft wieder rein, und man könnte konstruktiv an die nächste Hausse herangehen. So weit die optimistische Variante.
Pessimisten befürchten einen Strukturbruch, also einen tief greifenden Wandel im wirtschaftlichen Umfeld, einen allmählichen Klimaumschwung, der sich erst im fortgeschrittenen Stadium zu erkennen gibt. Während sämtliche Börsenkräche dem Aufschwung der Aktie seit 1982 nichts anhaben konnten, geht ein Strukturbruch mit einem Wechsel der dominanten Anlageform einher. Zudem kommt er selten vor, der letzte liegt schon 20 Jahre zurück. Was war passiert?

Die dominierende Anlage war Gold. In einer neunjährigen Hausse hatte sich der Preis verzwanzigfacht, und in der letzten Euphorie wurde eine weitere Vervierfachung prognostiziert. Am Ende hieß es, der Preis könne gar nicht fallen, da niemand ein Interesse daran habe. Als er trotzdem fiel, war das Vertrauen in die Analysten gestört, die Gold-Gurus stürzten.

Zum jeweils dominierenden Anlagemedium wird eine Philosophie entwickelt, eine Story, wie man heute sagt. Gold ist allen Anlagen überlegen, weil es nicht beliebig vermehrbar ist. Oder die Aktie ist allen Anlagen überlegen, weil sie eine Beteiligung am Produktivkapital verbrieft; nur dort entsteht Wohlstand. Solche Parolen entfalten enorme Marktwirkung, und sie haben ein erstaunliches Beharrungsvermögen. Aber wenn der letzte Kleinanleger sie nachbetet, gelten sie schon nicht mehr. Ein Jahrzehnt hatte Gold von der Geldentwertung profitiert; die Hausse brach zusammen, als die Inflation nachließ. Die höchsten Aktienkurse bezahlte man, als das Wachstum am stärksten war. Mit der Abkühlung der Wirtschaft ist es auch am Aktienmarkt frostiger geworden.

Irrationaler Überschwang geht einher mit einer gigantischen Fehlallokation von Kapital. Erst hat man das Gold tief aus der Erde gekratzt, anschließend verschwand es in den unterirdischen Tresoren der Banken. Und wie viel Unfug ist am Neuen Markt finanziert worden? Was bleibt, sind Abschreibungen und Schulden. Die Beseitigung der Schäden dauert Jahre.

Seit August 1982 dominiert die Aktie als Anlageinstrument. In diesen 19 Jahren hat sie allen Gefahren getrotzt: Krisen, Krächen, Baissen, ja sogar Rezessionen. Ist dieses Mal alles anders?

Haupttreibsatz der Dauerhausse war die reichliche Geldversorgung durch die Notenbank. Immer wenn es brenzlig wurde, hat sie die Zinsen gesenkt und einen neuen Aufschwung entfacht. Fast zwei Jahrzehnte hat das funktioniert, wobei jeder neue Zyklus auf einem niedrigeren Zinsniveau begann als sein Vorgänger.

Nun hat vor 70 Jahren John Maynard Keynes die Theorie der "Liquiditätsfalle" entwickelt. Es gebe einen kritischen Zinssatz, unterhalb dessen jede weitere Ausdehnung der Geldmenge wirkungslos bleibe. Unternehmen investieren nicht mehr, Konsumenten verlegen sich aufs Sparen. Genau das ist mit Strukturbruch gemeint. Die Folgen wären verheerend. Die Trümmer sind seit elf Jahren in Japan zu besichtigen.

Für eine solche Diagnose ist es in den USA freilich viel zu früh. Nicht wegen der üblichen Wirkungsverzögerung der Geldpolitik, sondern weil alle Welt seit acht Monaten auf die falschen Zinsen starrt. Geldmarktsätze sind für Investitionsentscheidungen ziemlich belanglos. Wichtig sind die langfristigen Zinsen; die aber sinken erst seit wenigen Wochen.

Hoffen wir also, dass alles so sein wird, wie es immer war. Die Liquidität fließt erst durch den Rentenmarkt, ehe sie am Aktienmarkt ankommt. Bis dahin bleiben Anleihen höchster Bonität die beste Anlage.

Frank Mella ist der Erfinder des Deutschen Aktienindex.


Quelle: DIE WELT
03.09.01
Dixie:

scheinheiliges Pack

 
04.09.01 08:08
Banken räumen Mitschuld am Börsen-Desaster ein

Deutsche-Bank-Chef Breuer kritisiert Banken und Berater wegen oft "mangelnder Sorgfalt" bei der Auswahl der Börsengänger. Der Neue Markt stürzt weiter ab


Deutsche-Bank-Chef Breuer gesteht Mitschuld


Frankfurt/Main - Dem Neuen Markt steht offenbar auch in den nächsten Wochen nichts Gutes bevor. Nachdem das Wachstumssegment mit kräftigen Kursverlusten in den September startete, rechnen einige Experten für dieses Jahr kaum noch mit einer grundlegenden Besserung. Da half auch nicht, dass Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer am Montag eine Mitschuld der Banken für den Dauerkurseinbruch des Neuen Marktes einräumte. Banken und Berater hätten bei der Auswahl der Börsengänger oft "mangelnde Sorgfalt" walten lassen, kritisierte Breuer auf dem Finanzplatzforum am Montag in Frankfurt die eigene Branche. Die meist von Banken beschäftigten Analysten hätten zudem den Markt künstlich hochgeschrieben. Dabei hätten sie sich nicht nur an Fakten und Zahlen orientiert, sondern oft auch an Stimmungen, sagte er.

Breuer forderte die Bundesregierung auf, sie solle darüber nachdenken, die bislang als privates Unternehmen organisierten Marktsegmente der Börse auf eine öffentlich-rechtliche Basis zu stellen. Breuer verspricht sich davon schnellere Reaktionen auf Fehlverhalten und eine größere Durchschlagskraft der Sanktionen. Ein gutes Beispiel dafür sei die US-Börsenaufsicht SEC. Untermauert wird Breuers Forderung von einer Studie der renommierten Kanzlei Shearman & Sterling. Die Finanzmarktexperten kritisieren, dass Verstöße gegen Emittentenpflichten von staatlichen Behörden kaum konsequent verfolgt würden. Zudem sei das Strafmaß im Vergleich zur US-Technologiebörse Nasdaq zu niedrig. Dort würden Verstöße gegen die Zulassungspflichten rigoros gesetzlich verfolgt.

Gleichzeitig verlangte Breuer von der Bundesregierung, das Vertrauen in den Neuen Markt durch größere Transparenz zu stärken. Dafür brauche Deutschland keine strengeren Gesetze, die bestehenden Regeln müssten nur besser umgesetzt werden. Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundeswirtschaftsministerium, Margareta Wolf (Die Grünen), kündigte an, dass das vierte Finanzmarktförderungsgesetz möglicherweise schon im Oktober vom Gesetzgeber verabschiedet werden könnte. Dieses Gesetz soll das Vertrauen der Anleger in die deutsche Börsenlandschaft stärken. Es sieht vor, Kursmanipulation schärfer zu verfolgen. Zudem sollten die Kompetenzen der Behörden neu verteilt werden. Wolf warnte aber auch vor einer Überregulierung als Folge der aktuellen Krise.

Breuer und Wolf waren sich einig, dass der Neue Markt trotz des seit Wochen dauernden Kurseinbruchs seine Berechtigung nicht verloren habe. "Ich bin trotz der aktuellen Krise überzeugt, dass der Neue Markt einen wesentlichen Beitrag zur Aktienkultur in Deutschland leisten wird", sagte die Politikerin. Breuer erklärte: "Die Lage des Neuen Marktes ist ernst. Sie ist aber nicht hoffnungslos."

Der Börse selbst konnten diese Bekenntnisse am Montag nicht helfen. Nach dramatischen Kursverlusten bei den Aktien von Lambda Physik, Kinowelt und Broadvision fiel der Nemax-50-Index des Neuen Marktes auf ein neues Tief. "Die Welle negativer Meldungen reißt nicht mehr ab", sagte ein Frankfurter Händler. "Kein Profi interessiert sich mehr für diesen Markt." Seit März 2000 hat der Neue Markt 80 Prozent seiner Marktkapitalisierung auf zuletzt weniger als 50 Mrd. Euro verloren. Beschleunigt wurde der Abwärtstrend am Montag durch die schlechte Entwicklung einiger Dax-Technologiewerte . SAP und die Telekom fielen um jeweils mehr als fünf Prozent.

Angesichts dieser Entwicklung fällt vielen Beobachtern der Optimismus schwer. Der Markt sei krank, Besserung sei nicht in Sicht. Es dürfte sogar noch etwas schlechter werden, bevor es wieder aufwärts gehen könne. Sollte der Nemax-50 auf Schlusskursbasis nachhaltig unter die 1000 Punkte gefallen sein, dürfte das für weiteres Abwärtspotenzial sorgen, hieß es. Kapitalmarktexperten raten Börsenaspiranten derzeit daher von einer Notierung am Neuen Markt ab. Ohne eine deutliche Stimmungsbesserung an den Aktienmärkten seien Unternehmen mit Börsenplänen gut beraten, bis zum nächsten Jahr zu warten, sagten Banker und Fondsmanager. Innerhalb des nächsten halben Jahres gebe es kaum Hoffnungen auf ein besseres Klima für Börsengänge.

Quelle: DIE WELT
03.09.01
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