GROSSBRITANNIEN
Späte Schmerzen
Das neue Geld vom Kontinent wird immer populärer. Schon im nächsten Jahr könnte Euro-Freund Tony Blair über die Gemeinschaftswährung abstimmen lassen.
DER SPIEGEL
Wir akzeptieren Euro", besagt ein Schild im Fenster der Kneipe "Punch and Judy" im Londoner Szeneviertel Covent Garden. Es sind zwar erst rund 300 pro Woche, die der von Touristen gern besuchte Pub mit dem Verkauf schaumarmen Biers einnimmt, aber die populäre Gaststätte ist beileibe nicht der einzige Vorposten, den die Gemeinschaftswährung erobert hat. Sämtliche Filialen der Handelskette Marks & Spencer nehmen Euro, ebenso das für seinen Tee berühmte Kaufhaus Fortnum & Mason oder das legendäre Harrods.
Unaufhaltsam sickert das neue Geld vom Kontinent ins Vereinigte Königreich ein, was konservative Engländer als perfide feindliche Übernahme empfinden mögen. Immer mehr Briten dämmert allerdings, dass es ein großer Fehler sein könnte, stur am Pfund festzuhalten.
Im Herbst vergangenen Jahres waren die Euro-Befürworter bei Meinungsumfragen mit weniger als 30 Prozent noch hoffnungslos in der Minderheit. Inzwischen ist der Vorsprung derer, die das Pfund behalten wollen, auf wenige Prozentpunkte geschrumpft.
Gefördert hat diesen Stimmungswandel, dass die Einführung des Euro ohne jegliche Pannen über die Bühne ging und die Gemeinschaftswährung beinahe wieder in Parität zum US-Dollar steht. Außerdem wächst bei vielen Briten die Furcht, sie könnten, wie schon bei der Gründung der EWG in den fünfziger Jahren, den Anschluss verpassen.
So kündigte beispielsweise der amerikanische Landmaschinenhersteller Massey Ferguson an, er werde sein Werk in Coventry auch deshalb schließen, weil die Haltung der Briten zum Euro so "vage" sei. Nicht zuletzt solcher Signale wegen gewinnen Handelssinn und Pragmatismus gegenüber dem sentimentalen Nationalismus allmählich die Oberhand.
Wie der Euro-Freund Tony Blair und seine Regierung zu einer Entscheidung in der heiß umstrittenen Frage kommen wollen, ist kein Geheimnis. Das Schatzministerium muss in einem Gutachten nachweisen, dass die Übernahme des Euro für die britische Wirtschaft von Nutzen wäre. Fällt es überzeugend aus, werden Kabinett und Unterhaus ein Referendum beschließen. Angekündigt wurde dieses Verfahren immerhin schon vor fünf Jahren.
"Es ist äußerst selten in der Politik, dass man eine irreversible Entscheidung trifft", sagt Ed Balls, Chefberater des Schatzkanzlers Gordon Brown im Hinblick auf den früheren Entschluss, der Euro-Zone nicht von Anfang an beizutreten. Rund 20 Beamte seines Ministeriums bereiten zurzeit die geforderte "umfassende Einschätzung" vor; unabhängige Experten sind mit Einzelstudien beauftragt. Und seit der Kurs des Pfundes gegenüber dem Euro sinkt, gehen viele Ökonomen davon aus, dass die Beitrittsvoraussetzungen erfüllt sind.
Brown kümmerte sich bislang nur zögerlich um diese wichtige Expertise. Der eher Euro-skeptische Schatzminister fiel als Bremser auf, dem es vorgeblich um Gründlichkeit und Stichhaltigkeit ging. In Wahrheit, so wird im Regierungsviertel Whitehall vermutet, will er seine Chancen nicht gefährden, nach den nächsten Wahlen seinen ewigen Rivalen Blair zu beerben. Ein allzu frühes Referendum, so sein Kalkül, könnte den Wahlsieg beeinträchtigen.
Nun aber kann oder will auch der oberste Finanzverwalter nicht länger zaudern; zu günstig wendet sich der Wind. "Bis spätestens Ostern nächsten Jahres" werde er die Entscheidungsschlacht um die öffentliche Zustimmung einleiten, spekuliert Simon Buckby, Direktor der überparteilichen Euro-Lobbygruppe "Britain in Europe". Als wahrscheinlichster Zeitpunkt für ein Referendum gilt der September 2003.
Die Anhänger des Pfundes machen deshalb mobil. 30 Labour-Abgeordnete aus dem Unterhaus haben sich zu einer Anti-Euro-Truppe zusammengeschlossen. Bei den Konservativen ist ein Streit darüber entbrannt, ob die Partei die führende Rolle im Kampf gegen den Euro übernehmen soll. "Weit unbeliebter nämlich als der Euro sind derzeit wir Tories", warnt der Chef der Strategieabteilung der Konservativen, Dominic Cummings.
Von Ende dieser Woche an soll in britischen Kinos ein Anti-Euro-Werbespot gezeigt werden, in dem ein Komiker in Hitler-Maske brüllt: "Ein Volk, ein Reich, ein Euro!" Vertreter jüdischer Organisationen und Kriegsveteranen haben scharf gegen diese Manifestation allzu britischen Humors protestiert.
Hauptfeinde des Euro sind allerdings weder Komödianten noch die unpopuläre konservative Opposition, sondern zwei nordamerikanische Medien-Unternehmer. Sie kontrollieren zusammen fast 40 Prozent der überregionalen Zeitungsauflage und nutzen ihre Meinungsmacht nach Kräften.
Der Kanadier Conrad Black, dem der "Daily Telegraph" gehört, befürwortet den Austritt Großbritanniens aus der EU und den Beitritt zur Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta. Der US-Bürger Rupert Murdoch hat gerade erst in einem seiner seltenen Interviews bestätigt, dass er seine Blätter ("Sun", "Times", "Sunday Times", "News of the World") in einen Kreuzzug gegen den Euro schicken wird.
"Zentrales Thema" des Streits sei die Souveränität Großbritanniens, erklärte Murdoch - ein erstaunliches Argument für einen gebürtigen Australier, der sich mit seinen Blättern täglich in die Angelegenheiten der Briten einmischt.
Während seine Journalisten seit Jahren hemmungslos gegen den Euro polemisieren, geht die Regierung dem Thema einstweilen noch so weit wie möglich aus dem Weg. Blair weiß, dass die Zeit für den Euro arbeitet und die Briten der Zustand ihrer Krankenhäuser momentan sehr viel mehr interessiert als die Frage, ob das Konterfei der Queen auf ihren Banknoten prangt.
"Fang nicht an zu kämpfen, solange du nicht siegen kannst", rechtfertigt Euro-Propagandist Buckby diese Abwartetaktik. Seine Mitstreiter können darauf setzen, dass die Mehrzahl der Manager und Geschäftsleute, aber auch der Gewerkschafter die Aufgabe des Pfundes schon lange für unerlässlich hält. Zudem sehen Schotten, Waliser und Nordiren den Euro positiver als jene noch immer von postimperialen Phantomschmerzen geplagten Engländer, die sich keinem fremden Zahlungsmittel unterordnen wollen.
Dass auch sie schließlich - wenngleich nur aus Einsicht in die Notwendigkeit - ihre Euro-Phobie überwinden, darauf setzt auch der Geschäftsführer des Pubs in Covent Garden. "Die meisten Engländer", sagt der Schwarze, der sich explizit als Brite und nicht als Engländer versteht, "meinen zwar insgeheim, dass die Kontinentaleuropäer eigentlich das Pfund übernehmen müssten. Doch am Ende werden wir uns natürlich dem Euro anschließen." MICHAEL SONTHEIMER
Späte Schmerzen
Das neue Geld vom Kontinent wird immer populärer. Schon im nächsten Jahr könnte Euro-Freund Tony Blair über die Gemeinschaftswährung abstimmen lassen.
DER SPIEGEL
Wir akzeptieren Euro", besagt ein Schild im Fenster der Kneipe "Punch and Judy" im Londoner Szeneviertel Covent Garden. Es sind zwar erst rund 300 pro Woche, die der von Touristen gern besuchte Pub mit dem Verkauf schaumarmen Biers einnimmt, aber die populäre Gaststätte ist beileibe nicht der einzige Vorposten, den die Gemeinschaftswährung erobert hat. Sämtliche Filialen der Handelskette Marks & Spencer nehmen Euro, ebenso das für seinen Tee berühmte Kaufhaus Fortnum & Mason oder das legendäre Harrods.
Unaufhaltsam sickert das neue Geld vom Kontinent ins Vereinigte Königreich ein, was konservative Engländer als perfide feindliche Übernahme empfinden mögen. Immer mehr Briten dämmert allerdings, dass es ein großer Fehler sein könnte, stur am Pfund festzuhalten.
Im Herbst vergangenen Jahres waren die Euro-Befürworter bei Meinungsumfragen mit weniger als 30 Prozent noch hoffnungslos in der Minderheit. Inzwischen ist der Vorsprung derer, die das Pfund behalten wollen, auf wenige Prozentpunkte geschrumpft.
Gefördert hat diesen Stimmungswandel, dass die Einführung des Euro ohne jegliche Pannen über die Bühne ging und die Gemeinschaftswährung beinahe wieder in Parität zum US-Dollar steht. Außerdem wächst bei vielen Briten die Furcht, sie könnten, wie schon bei der Gründung der EWG in den fünfziger Jahren, den Anschluss verpassen.
So kündigte beispielsweise der amerikanische Landmaschinenhersteller Massey Ferguson an, er werde sein Werk in Coventry auch deshalb schließen, weil die Haltung der Briten zum Euro so "vage" sei. Nicht zuletzt solcher Signale wegen gewinnen Handelssinn und Pragmatismus gegenüber dem sentimentalen Nationalismus allmählich die Oberhand.
Wie der Euro-Freund Tony Blair und seine Regierung zu einer Entscheidung in der heiß umstrittenen Frage kommen wollen, ist kein Geheimnis. Das Schatzministerium muss in einem Gutachten nachweisen, dass die Übernahme des Euro für die britische Wirtschaft von Nutzen wäre. Fällt es überzeugend aus, werden Kabinett und Unterhaus ein Referendum beschließen. Angekündigt wurde dieses Verfahren immerhin schon vor fünf Jahren.
"Es ist äußerst selten in der Politik, dass man eine irreversible Entscheidung trifft", sagt Ed Balls, Chefberater des Schatzkanzlers Gordon Brown im Hinblick auf den früheren Entschluss, der Euro-Zone nicht von Anfang an beizutreten. Rund 20 Beamte seines Ministeriums bereiten zurzeit die geforderte "umfassende Einschätzung" vor; unabhängige Experten sind mit Einzelstudien beauftragt. Und seit der Kurs des Pfundes gegenüber dem Euro sinkt, gehen viele Ökonomen davon aus, dass die Beitrittsvoraussetzungen erfüllt sind.
Brown kümmerte sich bislang nur zögerlich um diese wichtige Expertise. Der eher Euro-skeptische Schatzminister fiel als Bremser auf, dem es vorgeblich um Gründlichkeit und Stichhaltigkeit ging. In Wahrheit, so wird im Regierungsviertel Whitehall vermutet, will er seine Chancen nicht gefährden, nach den nächsten Wahlen seinen ewigen Rivalen Blair zu beerben. Ein allzu frühes Referendum, so sein Kalkül, könnte den Wahlsieg beeinträchtigen.
Nun aber kann oder will auch der oberste Finanzverwalter nicht länger zaudern; zu günstig wendet sich der Wind. "Bis spätestens Ostern nächsten Jahres" werde er die Entscheidungsschlacht um die öffentliche Zustimmung einleiten, spekuliert Simon Buckby, Direktor der überparteilichen Euro-Lobbygruppe "Britain in Europe". Als wahrscheinlichster Zeitpunkt für ein Referendum gilt der September 2003.
Die Anhänger des Pfundes machen deshalb mobil. 30 Labour-Abgeordnete aus dem Unterhaus haben sich zu einer Anti-Euro-Truppe zusammengeschlossen. Bei den Konservativen ist ein Streit darüber entbrannt, ob die Partei die führende Rolle im Kampf gegen den Euro übernehmen soll. "Weit unbeliebter nämlich als der Euro sind derzeit wir Tories", warnt der Chef der Strategieabteilung der Konservativen, Dominic Cummings.
Von Ende dieser Woche an soll in britischen Kinos ein Anti-Euro-Werbespot gezeigt werden, in dem ein Komiker in Hitler-Maske brüllt: "Ein Volk, ein Reich, ein Euro!" Vertreter jüdischer Organisationen und Kriegsveteranen haben scharf gegen diese Manifestation allzu britischen Humors protestiert.
Hauptfeinde des Euro sind allerdings weder Komödianten noch die unpopuläre konservative Opposition, sondern zwei nordamerikanische Medien-Unternehmer. Sie kontrollieren zusammen fast 40 Prozent der überregionalen Zeitungsauflage und nutzen ihre Meinungsmacht nach Kräften.
Der Kanadier Conrad Black, dem der "Daily Telegraph" gehört, befürwortet den Austritt Großbritanniens aus der EU und den Beitritt zur Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta. Der US-Bürger Rupert Murdoch hat gerade erst in einem seiner seltenen Interviews bestätigt, dass er seine Blätter ("Sun", "Times", "Sunday Times", "News of the World") in einen Kreuzzug gegen den Euro schicken wird.
"Zentrales Thema" des Streits sei die Souveränität Großbritanniens, erklärte Murdoch - ein erstaunliches Argument für einen gebürtigen Australier, der sich mit seinen Blättern täglich in die Angelegenheiten der Briten einmischt.
Während seine Journalisten seit Jahren hemmungslos gegen den Euro polemisieren, geht die Regierung dem Thema einstweilen noch so weit wie möglich aus dem Weg. Blair weiß, dass die Zeit für den Euro arbeitet und die Briten der Zustand ihrer Krankenhäuser momentan sehr viel mehr interessiert als die Frage, ob das Konterfei der Queen auf ihren Banknoten prangt.
"Fang nicht an zu kämpfen, solange du nicht siegen kannst", rechtfertigt Euro-Propagandist Buckby diese Abwartetaktik. Seine Mitstreiter können darauf setzen, dass die Mehrzahl der Manager und Geschäftsleute, aber auch der Gewerkschafter die Aufgabe des Pfundes schon lange für unerlässlich hält. Zudem sehen Schotten, Waliser und Nordiren den Euro positiver als jene noch immer von postimperialen Phantomschmerzen geplagten Engländer, die sich keinem fremden Zahlungsmittel unterordnen wollen.
Dass auch sie schließlich - wenngleich nur aus Einsicht in die Notwendigkeit - ihre Euro-Phobie überwinden, darauf setzt auch der Geschäftsführer des Pubs in Covent Garden. "Die meisten Engländer", sagt der Schwarze, der sich explizit als Brite und nicht als Engländer versteht, "meinen zwar insgeheim, dass die Kontinentaleuropäer eigentlich das Pfund übernehmen müssten. Doch am Ende werden wir uns natürlich dem Euro anschließen." MICHAEL SONTHEIMER