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Wenn Ihr Autor nach dem Sport die Strassenschuhe in die Sportta-
sche packt, statt der Sportschuhe, dann ist er gedankenverloren.
Wenn er allerdings anschliessend noch den zweiten Strumpf ueber
den gleichen Fuss zieht, dem er bereits den ersten Strumpf ange-
zogen hat, dann ist er verwirrt.
Ueber 4 % haben Dow Jones und S&P 500 in der abgelaufenen Woche
abgegeben. Der Nasdaq gar ueber 5 %. Dabei hatte Ihr Autor am
vergangenen Freitag bereits das Ende der Korrekturphase erwar-
tet. Wie konnte es zu einer solchen Fehleinschaetzung kommen?
Nun, im Wesentlichen wurden zwei Faktoren falsch eingestuft: Zum
einen die Praesidentschaftswahlen und zum anderen technische
Faktoren.
Zu den Praesidentschaftswahlen: Offensichtlich hat John Kerry
bessere Chancen, als ich ihm letzten Freitag noch zugestehen
wollte. Aktuelle Umfragen zeigen ihn sogar knapp vor Bush. Wie
in der letzten Woche ausgefuehrt, wuerde ein Wahlsieg von Kerry
von der Boerse negativ aufgenommen werden, da Kerry bereits an-
gekuendigt hat, Steuererhoehungen sowohl insbesondere fuer die
"Reichen" durchzufuehren als auch die Spendierfreude der Regie-
rung einzuschraenken.
Somit verdaut die Boerse derzeit die Umfrageergebnisse, in denen
Kerry knapp vor Bush liegt.
Weiterhin kommen technische Faktoren zu der Korrektur hinzu.
Diese Woche hatten wir gleich zwei Geburtstage: zum einen begann
genau vor einem Jahr die Rallye, die bis heute ohne nennenswerte
Korrekturen saemtliche Boersenindizes mit sich zog. Zum anderen
erreichte der Nasdaq vor genau vier Jahren sein All-Time-High
bei 5.132,52 Punkten.
Waehrend der drei Jahre Baisse lernten Boersianer zu Shorten
(Leerverkaufen). Auf fallende Aktienkurse zu spekulieren wurde
in dieser Zeit fuer viele professionelle Anleger zu einer lukra-
tiven Einnahmequelle.
Waehrend der Rallye im vergangenen Jahr jedoch lernten sie auch,
wie schmerzhaft Leerverkaeufe sein koennen, wenn die Kurse an-
steigen. Und waehrend erfolglose Leerverkaeufe immer wieder zu
schmerzhaften Verlusten fuehrten, frohlockten Anleger mit exor-
bitanten Gewinnen in Long-Geschaeften (Long = normale Aktien-
kaeufe). Somit stellten im Laufe des letzten Jahres immer mehr
Anleger ihre Short-Spekulationen ein. Die Shortquote (Anzahl der
eingegangenen Leerverkaeufe) bezogen auf den Gesamtmarkt ist da-
her heute sehr gering.
Wenngleich Leerverkaeufer auf fallende Kurse spekulieren und al-
lein dadurch manchmal Kursstuerze hervorrufen oder verstaerken,
so haben sie aber auch eine gegenteilige Wirkung in Korrektur-
phasen: Ist der Pessimismus so gross, dass niemand mehr kaufen
mag, so fallen die Kurse immer weiter. Leerverkaeufer sind in
solchen Phasen meist die ersten, die durch ihre Deckungskaeufe
eine Bodenbildung herbeifuehren.
In der abgelaufenen Woche war der Pessimismus an den Boersen so
gross, dass niemand kaufen wollte. Die Kurse fielen immer wei-
ter, obwohl einzelne Aktien bereits wieder attraktive Bewer-
tungsniveaus erreicht haben. Aber dennoch halten sich potenti-
elle Kaeufer zurueck. Da die Shortquote derzeit gering ist,
blieben auch Deckungskaeufe von zufriedenen Leerverkaeufern, die
ihre Gewinne sichern wollten, aus. Es gab kaum offene Leerposi-
tionen, die es einzudecken galt.
So erklaere ich mir den starken Kursverlust in der abgelaufenen
Woche. Natuerlich gab es jeden Tag Meldungen, die in dieser
Marktverfassung verheerende Auswirkungen auf die Boersenkurse
hatten.
Bereits am letzten Freitag wurde der schwache Ausblick von Intel
erwaehnt, der den Technologiesektor unter Druck brachte. Weiter-
hin fielen die Arbeitsmarktdaten des Monats Februar weitaus
schlechter aus als erwartet. Was bei Ihrem Autor jedoch die Ver-
wirrung hervorrief war, dass einige positive Umstaende ueber-
haupt keine Beachtung fanden:
Wenn ein Unternehmen wie Ingersoll-Rand, das eine breite Palette
von zyklischen Konsumprodukten herstellt, vermeldet, dass sich
die Geschaeftsaussichten erheblich verbessert haben, dann ist
der Konjunkturaufschwung erfolgreich und Zinsen sollten eigent-
lich steigen.
Wenn die Baubranche eine unersaettliche Nachfrage nach neuen
Haeusern vermeldet, auch dann sollten die Zinsen eigentlich an-
steigen.
Wenn eine Studie nach der anderen ansteigende IT-Ausgaben re-
gistriert, dann sollten die Zinsen ansteigen.
Wenn Oelpreis, Gas, Gold, Kupfer, ... steigen, dann sollten auch
die Zinsen ansteigen.
Nichts dergleichen ist jedoch passiert: Die Rendite des T-Bonds
(10-jaehrige Staatsanleihen) ist weiter gefallen und steht mit
3,75 % wieder deutlich unter 4 %. Kein gewissenhafter Boersianer
kann es sich erlauben, die Vorgaenge am Anleihenmarkt zu igno-
rieren. Und wenn die Renditen fallen, dann kuendet dies meist
das Ende eines Konjunkturaufschwungs an.
Vielfach wird die derzeitige Situation als fuer die USA verhee-
rend dargestellt. Der Leitzins ist bereits auf einem Rekordtief
bei 1 % und bietet nicht mehr viel Spielraum, durch weitere
Zinssenkungen der Konjunktur unter die Arme zu greifen. Und den-
noch werden niedrig verzinste Anleihen den Aktien vorgezogen,
augenscheinlich, weil die sicheren 1%-Verzinsungen lieber gese-
hen werden als erneut Kurseinbrueche an den Aktienboersen zu
riskieren.
Meiner Einschaetzung nach stecken jedoch andere Ursachen hinter
dieser paradoxen Verhaltensweise des Anleihenmarktes: Asiaten
sind nach wie vor aktiv am Kaufen des US-Dollars und legen ihre
Dollarreserven in US-Anleihen an. Schuld daran ist das noch im-
mer niedrigere Zinsniveau in Japan.
So koennen Japaner beispielsweise derzeit zu einem kurzfristigen
Kreditzins von unter 1 % ueber Nacht Kredite aufnehmen. Legen
sie diese Gelder langfristig in US-Dollar Staatsanleihen an, so
erhalten sie je nach Laufzeit etwa 4 % Zinsen. So haben institu-
tionelle Anleger aus Japan in den letzten Monaten Gelder in
langfristige US-Anleihen gesteckt und diese Gelder taeglich er-
neut durch Ueber-Nacht-Kredite zu niedrigen Kosten finanziert.
Bleibt unterm Strich ein Zinsgewinn von rund 3 % fuer Geld, das
man gar nicht hat. Allerdings ist in diesem Modell das Wechsel-
kursrisiko noch nicht enthalten.
Wenn naemlich der US-Dollar gegenueber dem japanischen Yen an
Wert verliert, so wuerde der Zinsgewinn durch den Wechselkurs-
verlust aufgezehrt werden. Doch die japanische Notenbank ist be-
mueht, das Wechselkursrisiko gering zu halten. Allein in den
ersten beiden Monaten dieses Jahres wurden bereits 50 % der fuer
das Jahr 2003 verwendeten Gelder fuer Stuetzungskaeufe aufge-
braucht. Diese massive Intervention gibt japanischen Investoren
die Sicherheit, dass ihre Zinsgewinne nicht durch Wechselkurs-
verluste aufgebraucht werden.
Seit einigen Monaten beobachte ich besonders intensiv Aktien des
Immobiliensektors. Im Jahr 2004, so meine Erwartung, muesse die
Fed den Leitzins anheben, da die Konjunktur an Fahrt gewinnt und
Konjunkturaufschwung bei niedrigen Zinsen zu Inflation fuehren
wuerde.
Stattdessen aber scheinen Asiaten so sehr in US-Dollar zu
schwimmen, dass sie alle Anleihen der hoch verschuldeten US-Re-
gierung aufkaufen und somit inflationaere Tendenzen des Niedrig-
zinsniveaus vermeiden, bzw. exportieren.
Eigentlich haette ich erwartet, dass das hohe Haushaltsbudgetde-
fizit der US-Regierung, welches durch die Emission neuer Staats-
anleihen finanziert wird, nur mit Staatsanleihen mit hoeherer
Verzinsung finanzierbar sei. Ein weitere Grund also fuer stei-
gende Zinsen in den USA. Aber auch das ist nicht passiert, denn
wie oben erwaehnt, kaufen die Asiaten noch genuegend Anleihen
ein, um die Spendierfreude von Bush nicht zu vermiesen.
Und als Folge dieser Entwicklungen hatte ich, wie eingangs er-
waehnt, Turbulenzen im Immobiliensektor erwartet. Denn bei hoe-
heren Zinsen wuerden viele Amerikaner, die ein zu duennes Finan-
zierungspolster angelegt haben, sofort zahlungsunfaehig werden.
Dies haette dann in einem zweiten Schritt auch verheerende Aus-
wirkungen auf den Aktienmarkt gehabt. Aber auch dies Szenario
ist bislang aufgrund der anhaltend niedrigen Zinsen nicht einge-
treten.
Aber zurueck zu den Aktienmaerkten: Am Montag verkuendete Gene-
ral Electric (GE), das weltgroesste Unternehmen (gemessen am
Boersenwert), dass es eine Kapitalerhoehung durch Aktienemission
durchfuehren werde. Insgesamt wurden Aktien im Wert von $3,8
Mrd. angeboten.
Kurse werden bewegt durch Angebot und Nachfrage. Erst diese Wo-
che erhielt ich wieder die Anfrage eines Lesers, ob es richtig
sei, dass die eigene Kauforder den Kurs einer Aktie beeinflusse.
Ja, das ist richtig. Nur, wenn Sie 100 Aktien von GE nachfragen,
waehrend an einem durchschnittlichen Tag 20 Mio. Aktien gehan-
delt werden, dann ist der Einfluss Ihrer 100 Aktien wohl zu ver-
nachlaessigen.
Erst, wenn Sie mehrere Millionen Aktien von GE an einem Tag kau-
fen, koennen Sie gegebenenfalls einen Einfluss auf dessen Kurs-
entwicklung haben... fuer einen Tag. Am naechsten Tag wird der
Effekt natuerlich wieder egalisiert.
Gleiches gilt fuer die Angebotsseite. Wenn ploetzlich viel mehr
Aktien angeboten werden als zuvor, dann besteht ein Ungleichge-
wicht und dieses Ungleichgewicht wird durch Kursveraenderungen
ausgeglichen. Wenn also am Montag ploetzlich 118 Mio. Aktien
mehr angeboten werden als an einem normalen Tag, dann faellt der
Kurs von GE, da zu $32 keine entsprechende Nachfrage vorhanden
ist.
Nun ist GE ein grundsolides Unternehmen und es gibt viele insti-
tutionelle Anleger, die fuer eine solche Aktienplatzierung dank-
bar sind, da sie grosse Pakete dieses Unternehmens kaufen koen-
nen, ohne den Kurs zu beeinflussen. Allerdings ist das GE-Paket
so gross, dass es auch Auswirkung auf den Gesamtmarkt hat: Die
$3,8 Mrd., die in dieser Woche zusaetzlich zum Kauf von GE Ak-
tien aufgewendet wurden, standen fuer Kaeufe anderer Aktien
nicht zur Verfuegung.
Somit war die GE-Platzierung ein weiterer Grund fuer die fal-
lenden Kurse: Auf der Angebotsseite war ploetzlich ein solch
grosses Ueberangebot vorhanden, dass dies von der Nachfrageseite
nicht ohne weiteres aufgefangen werden konnte. In meinen Augen
war dies ein extrem schlechtes Timing von GE.
Hier eine Liste der Dinge, die in der abgelaufenen Woche aus
Boersensicht schief gegangen sind: Schlechte Arbeitsmarktdaten,
schwacher Intel-Geschaeftsausblick, gute Umfrageergebnisse von
John Kerry gegenueber Bush, GE-Aktienplatzierung i.H.v. $3,8
Mrd., Niedriges Zinsniveau (durch Asiaten) schuert Konjunktur-
aengste, Rekord-Haushaltsdefizit der USA, denoch starker US-
Dollar und schliesslich, gerade als all diese Negativfaktoren
verarbeitet waren, erschuettern die schrecklichen Attentate in
Spanien die Welt und werden anschliessend mit Al Quaida in Ver-
bindung gebracht.
Nun ist die Aktienrallye seit einigen Wochen ins Straucheln ge-
kommen. Ist dies der Anfang vom Ende? Kommt die Aktienboerse
nach einer einmaligen Rallye nun wieder auf den Boden der Tatsa-
chen zurueck und werden die Kurse weiter fallen?
Nun, nachdem ich gestern selbst beim Anziehen Koordinierungs-
probleme hatte, habe ich mich bis in die Nacht ueber die Analyse
der aktuellen Situation gemacht. Das Ergebnis haben Sie soeben
gelesen. Heute frueh konnte ich mich wieder problemlos anklei-
den. Ein Zeichen dafuer, dass ich zumindest glaube, den Markt
wieder etwas besser zu verstehen.
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