Wusste CNN wirklich vorher Bescheid? Lachte Satan im Rauch der
Explosionen? Der größte Feind der Wahrheit ist das Noradrenalin in
unseren Adern.
Auch die Mär von den Mitwissern von CNN ist eine
"Urban Legend", die nur dann funktioniert, wenn
man den fraglichen Film nicht kennt. Was lässt sich
dagegen sagen?
Wahrer Kern, aber Tatsachenverdrehung
Die Gegenargumente:
Das Kamerateam war nicht "nah dran", sondern
einige Kilometer entfernt. Eines der in dem
Terroranschlag benutzten Flugzeuge überflog
den Ort der Dreharbeiten in geringer Höhe: Man
sieht im Film, wie der Kameramann sich davon irritieren lässt und
kurz versucht, hinterherzuschwenken. Das schafft er jedoch nicht und
fokussiert die Kamera erst, als der Einschlag erfolgte.
Es wäre tatsächlich seltsam, wenn CNN Feuerwehrleute bei einer
Übung filmte. Doch CNN kaufte die Bilder nur. Gedreht wurden sie
von der New Yorker Agentur Gamma Press.
Die dritte Behauptung ist eine platte Lüge. Eine gekürzte Version des
Films ist bei CNN zu sehen: Einfach den ersten Link am oberen
Seitenrand anklicken: "First Plane hits World Trade Center".
Ein Kameramann eines lokalen Teams filmte also die
Sekunden nach dem Anschlag. Das in einer
Millionenstadt, in der zu jedem gegebenen Zeitpunkt
irgendwo irgendwas gedreht wird. Bemerkenswert,
sicherlich: Aber genug, daraus eine
Verschwörungstheorie abzuleiten?
Es geht noch platter
Am Abend des 11. September zeigte CNN
Aufnahmen des brennenden World Trade Center.
Viele entdeckten im Rauch
a) das Gesicht Osama Bin Ladens;
b) die Fratze Satans persönlich.
Später sollte noch das Foto eines freien Fotografen auftauchen, der
dasselbe Bild aus leicht anderer Perspektive aufgenommen hatte.
Diese Legende ist tatsächlich problematisch. In dem Rauch lässt sich
wirklich eine Teufelsfratze sehen, wenn man will. Nüchterne Zeitgenossen
merken nun an, dass so etwas nun einmal vorkomme: in Rauch, in
Wolken.
Im Kontext des Sterbens Tausender Menschen bleiben die
Bilder unheimlich und entziehen sich letztlich rationaler
Erklärung. CNN und der Fotograf Mark Phillips versichern,
dass an den Bildern keine Manipulationen vorgenommen
wurden.
Das lässt sich von den meisten Bildern, die davon im Web
kursieren, nicht sagen. Mal wird der betreffende Teil des
Rauches farblich "betont" und die "Fratze" so
hervorgehoben. Mal zeigt ein unbekannter Manipulator
sein Können in digitaler Bildbearbeitung, bis das Bild vom
"Satanischen" zum offen Satirischen abkippt.
Ob man sich von solchen Dingen nun eine Gänsehaut
über den Rücken jagen lässt oder nicht, ist eine Frage des
eigenen Naturells. Die Mär von der Teufelsfratze
funktioniert nur im Kontext ihrer tatsächlich
erschütternden Entstehungsgeschichte. Gibt es irgendjemanden, der nicht
lachen würde, wenn man im Staub eines ganz normalen gerade
abgerissenen Hauses eine solche Fratze entdeckte? Wovor erschaudern wir
also: Vor dem "Gesicht", das wir im Staub zu sehen meinen - oder vor
dem Horror, den dieser einhüllt?
Alle Beispiele zeigen, dass es sich grundsätzlich lohnt,
alles erst einmal ein paar Minuten sacken zu lassen
und dann in Frage zu stellen.
Das Internet selbst, das Medium also, das für die
Verbreitung solcher Legenden sorgt, bietet uns auch
die Chance, den Wahrheitsgehalt solcher Gerüchte zu
prüfen. Vielleicht wäre es ganz gut, in solchen
Augenblicken nicht dem Gerücht hinterherzusurfen,
sondern seiner potenziellen Entkräftung. So wie im
Web jeder Verleger und Nachrichtenverbreiter sein
kann, sollte der "Web-Leser" ein Stück Journalist sein.
Und der fragt nicht "Ehrlich, ist das wahr?" - sondern
er will Belege sehen. Wenn es sie gibt, dann sind sie
irgendwo da draußen.
Frank Patalong