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Jetzt drischt Jürgen W. Möllemann auch auf seine Parteifreunde ein: Ausgerechnet der Parade-Provokateur der FDP beschimpfte die Alt-Liberalen Gerhart Baum und Hildegard Hamm-Brücher als Querulanten. Er legte ihnen sogar den Parteiaustritt nahe.
In der ARD-"Tagesschau" griff Möllemann seine parteiinternen Kritiker Baum und Hamm-Brücher an, die wegen seiner Äußerungen mit Parteiaustritt gedroht hatten. "Wenn wirklich Leute wie Frau Hamm-Brücher oder Herr Baum, die nichts, aber auch gar nichts beitragen zu einer positiven Entwicklung der FDP, die ihre Verdienste haben, aber jetzt wirklich in den Ruhestand gehen sollten, wenn die noch mal das Sagen bekämen, würde ich meine Mitarbeit in der FDP schlagartig beenden", sagte Möllemann. Er bezeichnete die Alt-Liberalen als "Querulanten", die sich immer nur zu Wort meldeten, "wenn es schwer wird". Wenn sie mit Austritt aus der FDP drohten, "dann sollen sie gehen. Ich kann nur sagen: Gute Reise", sagte Möllemann.
Nach diesen Äußerungen sagte FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper in den "Tagesthemen", sie wundere sich über solche Äußerungen. Möllemann solle "sich auch dafür entschuldigen". Für die Liberalen sei es immer wichtig gewesen, fair miteinander umzugehen. Der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff forderte Möllemann im "heute journal" auf: "Gucken Sie sich die Fußball-Weltmeisterschaft an, da ist Nachtreten auch nicht erlaubt."
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, sagte der "Financial Times Deutschland": "Herr Möllemann ist für die Union eine Zumutung." Er könne sich "nicht vorstellen, dass die FDP eine Koalition davon abhängig macht, dass Herr Möllemann einen Platz im Bundeskabinett erhält."
Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Michael Müller erklärte, indem Möllemann eine Entschuldigung beim Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, verweigere, treibe er sein Spiel weiter und fische nach rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Stimmen für sein "Projekt 18".
Wachsende Zweifel an Westerwelles Führungskraft
Vor allem Parteichef Guido Westerwelle wird in weiten Kreisen als der eigentliche Verlierer der FDP-Querelen der vergangenen Wochen angesehen. Grünen-Sprecher Fritz Kuhn sagte im ZDF, Westerwelle habe zu spät auf Möllemanns Äußerungen reagiert. "Wenn jemand wie Westerwelle Kanzler werden will, dann erwarte ich, dass er solche Missgriffe schnell und eindeutig unterbindet." Friedman bemängelte, Westerwelle habe sieben Tage gebraucht, um sich von Möllemann zu distanzieren. "Und das sind sieben Tage zu viel." Wegen des Antisemitismus-Streits sei der FDP-Chef in den letzten Wochen angeschlagen gewesen. "Dann hat er sich durch einen Befreiungsschlag ein Stück erholt." Doch das habe Möllemann nun wieder zunichte gemacht.
Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) sprach von einer großen Unsicherheit und Unberechenbarkeit in der FDP. Westerwelle müsse nun klarer reden, um die Glaubwürdigkeit seiner Partei nicht zu gefährden. Der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Michael Glos, sagte, er könne sich Möllemann nicht als Bundesminister in einer zukünftigen Koalition vorstellen. Möllemann habe sich nicht in anständiger Form entschuldigt. Mit Westerwelle zeigte er nahezu Mitleid: "Das Schlimmste ist, wenn man einen Möllemann zum Stellvertreter hat. Da ist ja schon das Fegefeuer vorweggenommen."
"Kein Tabu-, sondern ein Zivilisationsbruch"
Friedman sieht als Folge des Streits Möllemann ein erschreckendes Potenzial an Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft. Der von Möllemann angezettelte Streit sei kein Tabubruch, "sondern ein Zivilisationsbruch", sagte Friedman am Donnerstagabend im ZDF.
Friedman sagte, die zahlreichen zustimmenden E-Mails an Möllemann zeigten, dass dessen "kurzfristig angelegte Provokation" aus der Mitte der Gesellschaft ein Maß an Antisemitismus habe hervorbrechen lassen, das er nicht für möglich gehalten habe. Die eigentliche Lehre, die aus dem Streit um als antisemitisch gewertete Äußerungen von Politikern demokratischer Parteien zu ziehen sei, sei die, wie man mit dem offensichtlich vorhandenen Potenzial an Antisemitismus und Rassismus in der Gesellschaft verantwortlich umgehe.
In Bezug auf den Grundsatz "Wehret den Anfängen!" sei Möllemann "weit über die Anfänge hinaus gegangen", sagte Friedman. Er warf die Frage auf, wie lange ein FDP-Politiker, der dermaßen konträr zur offiziellen Parteilinie liege, noch stellvertretender Bundesvorsitzender sein könne. FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt betonte, Möllemanns Linie entspreche nicht der der gesamten Partei: "Es ist völlig klar: Den Weg gehen wir nicht."
Möllemann hatte sich zuvor bei den jüdischen Bürgern für Äußerungen entschuldigt, in denen er Friedman und Israels Ministerpräsident Ariel Scharon als mitverantwortlich für Antisemitismus bezeichnet hatte. Nur wenige Stunden später hatte er Friedman selbst jedoch ausdrücklich von der Entschuldigung ausgenommen, obwohl Friedman die Entschuldigung bereits akzeptiert hatte. Westerwelle hatte Möllemann zuvor ein Ultimatum gestellt, den umstrittenen Landtagsabgeordneten Jamal Karsli aus der Düsseldorfer FDP-Fraktion auszuschließen.
Kubicki: Rückhalt für Möllemann ungebrochen
Nach Ansicht des schleswig-holsteinischen FDP-Fraktionschefs und Möllemann-Freunds Wolfgang Kubicki genießt dieser jedoch weiter starken Rückhalt in seiner Partei. "Er hat unglaublich viele Anhänger. Im Bundesvorstand schätzen ihn viele als Person, als Wahlkämpfer und Mitstreiter, auch wenn sie nicht in jeder Frage seine Meinung teilen", sagte Kubicki der Hannoverschen "Neuen Presse" Über mangelnden Rückhalt in der FDP brauche sich Möllemann keine Gedanken zu machen. Kubicki kritisierte das Ultimatum Westerwelles an Möllemann als überflüssig. "Ultimaten sind das Gegenteil von vertrauensvoller Zusammenarbeit. Die Sache war ohnehin auf gutem Weg."
Mit der Antisemitismus-Debatte hat die FDP bei den Wählern an Zuspruch verloren. Nach einer repräsentativen Umfrage des Dimap-Instituts im Auftrag des MDR kämen die Liberalen nur noch auf 10 Prozent der Stimmen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre. Vor zwei Wochen lag die FDP noch bei 13 Prozent.
Der Spiegel